Regionale Stärke, nationale Fragilität? Türkische Außenpolitik und Ideologie im Hinblick auf die "Kurdenfrage"


Dossier / Travail de Séminaire, 2016

14 Pages, Note: 1,0


Extrait


Index

A Einführung

B Hauptteil
1. Theoretische Fundierung
2. Methodologische Vorgehensweise
3. Analyse

C Konklusion

D Fußnotenvermerke

E Literatur- und sonstige Quellenangaben

F Abkürzungsverzeichnis

A Einführung

Die Ursprünge des türkisch-kurdischen Konfliktes und die aus Sicht der Türkei damit verbundene „Kurdenfrage“ liegen ca. ein Jahrhundert zurück (siehe bpb 2016). Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs in Folge des ersten Weltkrieges konstituierte sich unter Einfluss der Siegermächte das Territorium, welches vom Fuße des Schwarzen Meeres bis zum (damaligen) Arabien reichte, völlig neu. Der sogenannte Nahe Osten begann nun noch mehr, Spielfeld regionaler und internationaler Interessen zu werden, was sich bis heute nicht ändern sollte[1]. Nachdem die Grenzziehung der Nachfolgestaaten entlang ethnisch-kultureller, aber vor allem machtpolitischer Erwägungen willkürlich[2] gezogen war, zeichneten sich schon früh neue Spannungen ab. Die 1923 gegründete Türkei etablierte einen verfassungsrechtlich festgeschriebenen Staatsnationalismus, während die Kurden über mindestens vier Nationalstaaten – der Türkei, dem Irak, dem Iran sowie Syrien – quasi „aufgeteilt“ wurden und ohne eigene Nation blieben. Der nationalistisch-laizistische Gründervater der türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, setzte von Anfang an kurdische Autonomiebestrebungen mit dem in der Verfassung verbotenen Separatismus gleich und erwies mit der Unterdrückung jeglicher Minderheiten dem inneren Frieden des Landes einen Bärendienst. Der innere Frieden sollte sich mit Beginn des jahrzehntelangen Krieges der Türkei gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK endgültig verabschieden. Im Angesicht geopolitischer Spannungen zwischen den 1980er und 1990er Jahren –Ölkrise, erster Golfkrieg; türkisch-syrischer Konflikt um den PKK-Führer Abdullah Öcalan – kam es zu einer ideologischen Wende: Der schon von den Kemalisten hochgetragene „Pan-Turkismus“ begann im islamisch-konservativen Spektrum Fantasien zu wecken. Unter dem islamistischen[3] (stellvertretenden) Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan wurde die Verbindung zwischen politischem Islam und neo-osmanischem Großdenken erstmals populär (Siehe Tibi 1997 und Fuller 1994). Die „islamisch-konservative Synthese“ vollzog sich dann unter Führung der AKP, die 2002 erstmals an die Macht kam. Der Neudefinition des türkischen Nationalismus unter Heranziehung des islamischen Wertefundaments und des osmanischen Erbens stand nun fast nichts mehr im Wege. Damit war der kemalistische Laizismus beerdigt, doch die „Kurdenfrage“ blieb weiterhin ungelöst. In den ersten Regierungsjahren der AKP konnte man zwar einige Demokratisierungs- und Liberalisierungspolitiken, v.a. aufgrund der EU-Beitrittsverhandlungen, beobachten. Dies weckte zunächst Hoffnungen im kurdischen Lager und auch in der weitgehend kriegsmüden türkischen Bevölkerung. Allerdings wurde nach und nach klar, dass es sich bei dieser Strategie um eine Vertrauensbildungsmaßnahme handelte, die eher Euphorie in der Bevölkerung für einen EU-Beitritt der Türkei generieren sollte, als eine echte Versöhnung mit den Kurden anzustreben (Ünlühisarcikli 2013, S.6). Als Folge der Frustration über die dann stagnierenden Verhandlungen mit der EU wandte sich die Türkei zusehends nicht nur ideologisch vom Westen ab, sondern auch strategisch: Man wollte neue Macht des Nahen Ostens werden und die politische Führung der „islamischen Welt“ übernehmen. Innere Spannungen waren für dieses Vorhaben nun noch weniger erwünscht, als vorher. So begannen die sogenannten „Friedensverhandlungen“ zwischen der Türkei und der PKK auch im Gefolge dieser geostrategischen Erwägungen. Der zunächst als großer Erfolg gefeierte Prozess der Befriedung beider Seiten scheiterte jedoch 2015 mit der Beendigung des Friedensprozesses und dem dadurch wiederbelebten Konflikt, der sich mehr und mehr zu einem Bürgerkrieg entwickelt. Waren die Friedensverhandlungen also eher (gescheitertes) strategisches Kalkül zur Festigung der neu interpretierten Staatsideologie und den außenpolitischen Interessen der Türkei, als ein ernst gemeintes Instrument zu einer beiderseitig akzeptierten „Lösung“ der Kurdenfrage?

Dieser Fragestellung gilt es im Folgenden nachzugehen.

B Hauptteil

1. Theoretische Fundierung

Die für die Analyse wichtigen Begriffe und Konzepte bewegen sich innerhalb des sogenannten Sozialkonstruktivismus, welcher ideelle Bestimmungsfaktoren hervorhebt, die die subjektive Wahrnehmung der materiellen Realität(en) entscheidend beeinflussen (vgl. Simonis und Elbers 2010, S.104 ff.). Der Konstrukt -Charakter (politischer) Wirklichkeit kann wissenschaftlich nutzbar gemacht werden, wenn die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Analyse gewährleistet ist. Ein Konzept, das hierfür hilfreich ist, ist das soziologische Modell des „Homo Sociologicus“. Dieser schreibt Staaten Akteursqualität und rollenspezifisches – nicht etwa rein materiell-rationalistisches – Verhalten zu (Schimank 2010). Innerhalb dieses theoretischen Spektrums bewegt sich auch der Nationalismusansatz von Benedict Anderson, der die Nation als kognitives Konstrukt und imaginäre politische Gemeinschaft begreift. Da es sich bei Nationalstaaten also um – vielfach politisch motivierte – Erfindungen handelt, stehen diese dem „geistigen Diebstahl“ offen (Anderson 1983). Der imaginäre Charakter von Nation bedeutet aber nicht, dass keine Interessen im Spiel sind, im Gegenteil: gerade weil der Nationalismus eine Ideologie ist, erfolgt sein Gebrauch vor allem in politisch-taktischer Absicht und nicht aus rein „identitärem“ Selbstzweck. Alexander Wendt, einer der Pioniere auf dem Feld des Sozialkonstruktivismus innerhalb der Internationalen Beziehungen, bezeichnet dies als „Logik der Angemessenheit“ (Wendt 1999). Eine Ideologie im Allgemeinen ist nach Klaus Schubert und Martina Klein der Versuch, ähnliche Lebens- und Weltsichten in einem in sich schlüssigen „Paket“ zu bündeln und dadurch von konkurrierenden Auffassungen abzugrenzen, wenn nicht gar zu immunisieren (Schubert u. Klein 2011). Folgende Hypothese lässt sich aus der im Einführungsteil aufgeworfenen Frage und der eben vorgestellten Theorieprämissen ableiten: Die Aufkündigung des Friedensprozesses mit der PKK ist nicht nur aufgrund macht- und interessenpolitischer Erwägungen, wie es beispielsweise der (Neo-)Realismus nahelegen würde, sondern insbesondere auf Basis ideologischer Motive zu erklären. Die innen- wie außenpolitischen (Macht-)Interessen der türkischen Regierung im Hinblick auf ihre Kurdenpolitik sind demnach hauptsächlich aus ihrer ideologischen Grundlage heraus abzuleiten und nicht aus vermeintlich rational-objektiven Erwägungen. Wie oben bereits erwähnt ist diese ideologische Fundierung grundsätzlich zweigeteilt: zum einen hat sie eine religiöse Komponente (konservative Interpretation des sunnitischen Islam als unverhandelbare Basis des türkischen Volkes) und zum anderen eine historisch-politische (osmanische Vergangenheit samt des dazugehörigen „Großmachtdenkens“ in Einflusszonen). Die völkische Komponente („Türkei den Türken“ – und nicht den Kurden, die man lange Zeit gar nicht als solche anerkannte) hat die AKP-Regierung von der kemalistischen Nationalismustradition übernommen.

2. Methodologische Vorgehensweise

Die Analyse beschränkt sich aufgrund der Frist und des Umfangs auf systematische Untersuchungen von Sekundärmaterial, also bereits vorhandener Analysen. Konkret sind dies vor allem Analysen von wissenschaftlichen Experten zum Themenkomplex, aber vereinzelt auch andere Quellen. Diese werden hermeneutisch auf den Sinngehalt der Texte sowie dahingehend überprüft, ob sie einen wesentlichen Beitrag zur Beantwortung der Forschungsfrage leisten können. Hierzu wird mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse nach relevanten Textpassagen und Aussagen gesucht, die sodann im Lichte der Forschungsfrage interpretiert werden. Angesichts der knappen Ressourcen kann es keine minutiös aufbereiteten Filterungsregeln geben, was im Hinblick auf die Subjektivität der Interpretation bedacht werden muss.

[...]

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Regionale Stärke, nationale Fragilität? Türkische Außenpolitik und Ideologie im Hinblick auf die "Kurdenfrage"
Université
University of Vienna  (Institut für Politikwissenschaft)
Cours
Vertiefungsseminar "Konflikte und Staatlichkeit in Kurdistan"
Note
1,0
Auteur
Année
2016
Pages
14
N° de catalogue
V334517
ISBN (ebook)
9783668241725
ISBN (Livre)
9783668241732
Taille d'un fichier
786 KB
Langue
allemand
Mots clés
Türkei, Kurden, Kurdenfrage, Außenpolitik, Naher Osten, AKP, Ideologie, Konstruktivismus, Nationalismus, Internationale Beziehungen
Citation du texte
Benjamin Weiser (Auteur), 2016, Regionale Stärke, nationale Fragilität? Türkische Außenpolitik und Ideologie im Hinblick auf die "Kurdenfrage", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/334517

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