Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Finanzmarktsteuern – eine seit Jahrzehnten bestehende Überlegung unter Ökonomen
2 Grundbegriffe in der finanzwissenschaftlichen Steuerlehre
2.1 Steuerzweck
2.2 Optimale Steuerhöhe und Wohlfahrtsverlust
2.3 Steuerinzidenz
3 Finanztransaktionssteuern – Erfahrungen der Vergangenheit und Gegenwart
3.1 Arten von Finanztransaktionssteuern
3.2 Negatives Beispiel der Vergangenheit: Die Börsenumsatzsteuer in Schweden
3.3 Positives Beispiel der Vergangenheit: Die „Stamp Duty“ in Großbritannien
3.4 Einführung einer FTS in der Gegenwart: Erste Evidenz aus Italien und Frankreich
4 Intentionen und Argumente von Befürwortern und Gegnern
4.1 Finanzmarkteffizienz – sind die Finanzmärkte effizient oder verursachen sie externe Effekte, die durch eine Pigou-Steuer internalisiert werden sollten?
4.2 Geringe Transaktionskosten – Segen oder Fluch für die Effizienz der Kapitalmärkte?
4.3 Hohes Handelsvolumen und große Marktliquidität – Ausdruck eines stark gestiegenen Kapitalbedarfs der Unternehmen oder Zeichen für eine Abkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft ?
4.4 Spekulation – Notwendiges Instrument zur Bestimmung des Gleichgewichtspreises oder destabilisierendes Element durch hohe Preisvolatilität ?
4.5 Hochfrequenzhandel – Effizienzgewinne durch technischen Fortschritt oder sozial schädliches „Computerspiel“ ?
5 Eine allgemeine Finanztransaktionssteuer in der empirischen Detailanalyse
5.1 Auswirkungen auf die Preisvolatilität
5.2 Auswirkungen auf das Handelsvolumen
5.3 Auswirkungen auf die Marktliquidität
5.4 Auswirkungen auf Wertpapierpreise und Refinanzierungsbedingungen von Unternehmen
5.5 Hypothetische Berechnungen zu möglichen Steuereinnahmen
6 Der konkrete Vorschlag der EU-Kommission zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer – eine kritische Analyse
6.1 Hintergrund
6.2 Ziele und Ausgestaltung
6.3 Evaluierung
6.3.1 Fiskalzweck
6.3.2 Distributionszweck
6.3.3 Lenkungszweck
7 Fazit: Ist die Zeit reif für eine umfassende Besteuerung des Finanzsektors?
8 Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Die Zusatzlast der Besteuerung
Abbildung 2: Wachstum von Steueraufkommen und Zusatzlast
Abbildung 3: Handelsvolumen im schwedischen Kassamarkt
Abbildung 4: Handelsvolumen im schwedischen Terminkontraktmarkt
Abbildung 5: Volumen aller Finanztransaktionen relativ zum Welt-BIP
Abbildung 6: Investment- und Aktiengeschäft in Deutschland
Abbildung 7: Aktienpreisschwankungen in Deutschland, Großbritannien und den USA
Abbildung 8: Tagesvolatiliät ausgewählter Aktienmärkte im Zeitraum 1996 – 2009
Abbildung 9: Hypothetische Einnahmen bei einer weltweiten Besteuerung
Abbildung 10: Kaskadeneffekt beim Verkauf eines Dividendenpapiers in der FTS-Zone durch ein Clearing System
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Algorithmenhandel versus Hochfrequenzhandel
Tabelle 2: Zusammenfassung der Studien zu Elastizitäten in Bezug auf Transaktionskosten
Tabelle 3: Zusammenfassung wichtigster Daten des EU-Vorschlags
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Finanzmarktsteuern – eine seit Jahrzehnten bestehende Überlegung unter Ökonomen
"It is usually agreed that casinos should, in the public interest, be inaccessible and expensive. And perhaps the same is true of stock exchanges. That the sins of the London Stock Exchange are less than those of Wall Street may be due, not so much to differences in national character, as to the fact that to the average Englishman Throgmorton Street is, compared with Wall Street to the average American, inaccessible and very expensive. The jobber's 'turn', the high brokerage charges and the heavy transfer tax payable to the Exchequer, which attend dealings on the London Stock Exchange, sufficiently diminish the liquidity of the market [...] to rule out a large proportion of the transaction characteristic of Wall Street.
The introduction of a substantial government transfer tax on all transactions might prove the most serviceable reform available, with a view to mitigating the predominance of speculation over enterprise in the United States. " (Keynes 1936, S.81)
Das einleitende Zitat des Ökonomen John Maynard Keynes stammt aus dem Jahr 1936, liegt also fast 80 Jahre zurück. Bereits er erkannte zu seiner Zeit, dass auf den US-amerikanischen Börsen immer öfter und immer mehr Spekulanten versuchten, ihren Individualgewinn durch das Ausnutzen von Schwankungen in den Aktienkursen zu steigern, was dazu führte, dass diese immer weiter von ihren Fundamentaldaten wegbewegt wurden.
Auch der Ökonom James Tobin plädierte für die Einführung einer als „Tobin-Tax“ bekannt gewordenen Steuer auf alle Devisengeschäfte mit dem Argument, dass der Devisenmarkt nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems der festen Wechselkurse von Spekulanten „heimgesucht“ wurde. Als Gründe nennt er extrem niedrige Transaktionskosten, effiziente und schnelle Kommunikation und die automatische Preisanpassung überall auf der Welt. Ein „Wetten“ auf den zukünftigen Wechselkurs zur Gewinnsteigerung des Finanzmarktakteurs trat damit an die Stelle der Funktion als ökonomischer Ausgleichsmechanismus. Da aber diese extremen Wechselkursschwankungen in den Währungen zu realwirtschaftlichen Problemen der großen Wirtschaftsnationen führten, die von nationalen Regierungen nicht ausreichend abgefedert werden konnten, forderte er durch eine allgemeine Steuer auf Devisengeschäfte „Sand in die Räder unserer übermäßig effizienten internationalen Finanzmärkte zu streuen“. (Tobin 1978, S.4)
In späteren Jahren haben unter anderen die Ökonomen Stiglitz sowie Summers und Summers die Ideen von Keynes und Tobin wieder aufgegriffen und fordern eine Finanztransaktionssteuer, um jene Marktteilnehmer, die volkswirtschaftlich gesehen zu viele Ressourcen auf das „Nullsummenspiel der Spekulation“[1] verschwenden, aus dem Markt zu treiben. (vgl. Stiglitz 1989 sowie Summers und Summers 1989)
Ein anderes Motiv für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer wurde im Lichte der Wirtschafts- und Finanzkrise populär; es entstand die Forderung der Öffentlichkeit, dass Finanzinstitute, von denen einige mit Steuergeld vor der Insolvenz gerettet wurden, monetär an der Krise beteiligt werden sollten.[2]
Diese Bachelorarbeit will das „Gerechtigkeitsargument“, wenn auch möglicherweise begründet, bewusst ausblenden und sich auf die ökonomische Analyse der Sinnhaftigkeit einer allgemeinen Finanztransaktionssteuer konzentrieren. Hierzu werden mit Hilfe der aktuellen Fachliteratur einerseits die historischen Versuche der Einführung einer FTS und deren Auswirkungen und Ergebnisse aufgezeigt, andererseits in einer möglichst detaillierten Analyse theoretische Auswirkungen der Einführung einer allgemeinen Finanztransaktionssteuer in der Zukunft auf verschiedene Aspekte des Marktgeschehens und der Volkswirtschaft insgesamt abgeschätzt.
Zu Beginn wurde bereits die allgemeine volkswirtschaftliche Intention und Interpretation von Steuern aus finanzwissenschaftlicher Sicht erläutert, um eine Verständnisbasis für die Ausführungen der späteren Kapitel zu schaffen.
Zum Schluss wird der konkrete Vorschlag der EU-Kommission aus den Jahren 2011 und 2013 zur Einführung einer FTS in der Europäischen Union beschrieben und mithilfe der Schlussfolgerungen der Analyse des Vorkapitels evaluiert.
2 Grundbegriffe in der finanzwissenschaftlichen Steuerlehre
Nicht selten geht man in wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit Fragen zu einer konkreten Steuer beschäftigen, direkt in die Analyse der Auswirkungen der Einführung, Änderung oder Abschaffung der Steuer.
Zielführender für das Verständnis der Thematik ist allerdings, zuerst allgemein und modelltheoretisch auf das Thema Steuern aus volkswirtschaftlicher Sicht einzugehen. In diesem Kapitel soll das durch die Erklärung zur Rechtfertigung einer Steuer aus finanzwissenschaftlicher Betrachtung, das Theoriekonstrukt der optimalen Steuerhöhe, der Problematik des Wohlfahrtsverlustes durch Ausweicheffekte sowie eine Beschreibung der Steuerinzidenz, also wer die Last einer Steuer tatsächlich trägt, erfolgen.
2.1 Steuerzweck
Eine Steuer stellt einen Transfer von einem Individuum zu einem anderen beziehungsweise zum Staat dar. Diese Kapitalminderung eines Individuums muss durch einen Zweck gerechtfertigt werden.
Die Grundlagenliteratur zur Finanzwissenschaft unterscheidet hier den Fiskalzweck, den Umverteilungszweck sowie den Lenkungszweck.
Unter der Begründung des fiskalischen Zwecks dient eine Steuer als schlichte Einnahmequelle für den Staat, um den allgemeinen öffentlichen Haushalt zu finanzieren.
Der Umverteilungszweck sieht eine Rechtfertigung von Steuern darin, dass Individuen gemäß ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung des Haushaltes beitragen und somit die ungleiche Verteilung von Vermögen, Einkommen und Gewinnen angeglichen wird.
Mit dem Lenkungszweck werden Steuern dahingehend begründet, dass mit ihnen das Verhalten von Individuen beeinflusst wird. Im Kontext von Konsumgütern wäre als Beispiel die Tabak- oder Branntweinsteuer anzuführen, durch die versucht wird, mithilfe der Steuer künstlich höhere Preise zu schaffen und damit den gesellschaftlich „negativ“ anzusehenden Konsum zu reduzieren. (vgl. Homburg 2007 sowie Wellisch 2000)
Eine Finanztransaktionssteuer wird in diesem Zusammenhang, wie in den späteren Kapiteln erläutert wird, mit dem Lenkungszweck begründet. Sie soll die negativen Externalitäten, die beispielsweise übermäßige Spekulation oder der rein technische Hochfrequenzhandel mithilfe von Algorithmen auf die restlichen Marktteilnehmer verursachen, internalisieren. Es wird also daraus resultierend angenommen, dass die Finanzmärkte im Moment nicht effizient sind und von daher kein pareto-optimales Gleichgewicht vorliegen kann. Die Steuer soll das Marktversagen zumindest teilweise beheben und ein effizienteres Gleichgewicht auf den Finanzmärkten sicherstellen. Diese Art von Lenkungssteuer, die Pigou-Steuer, nach ihrem Vordenker Arthur Cecil Pigou benannt und ursprünglich für die optimale Einpreisung von Umweltexternalitäten erdacht, hat nur als Nebeneffekt fiskalischen Nutzen; sie generiert Einnahmen für den Staat während sie ihre Hauptaufgabe der wohlfahrtsökonomischen Optimierung erfüllt. (vgl. Sandmo 1976 sowie Frenkel und Langhammer 2002)
2.2 Optimale Steuerhöhe und Wohlfahrtsverlust
Wie hoch der optimale Steuersatz auf ein bestimmtes zu besteuerndes Gut sein soll ist nicht einheitlich zu bestimmen. Vielmehr muss darauf geachtet werden, wie hoch beispielsweise die Elastizität der Nachfrage oder des Angebotes ist, also in welchem Umfang die Nachfrage oder das Angebot eines Gutes auf eine Preisänderung reagiert. Neben Erhebungs- und Entrichtungskosten verursachen Steuern auch „unsichtbare“ Kosten, von Ökonomen Zusatzlast der Besteuerung, „excess burden“ oder „dead-weight loss of taxation“ genannt. Sie bezeichnet die über die Zahllast hinausgehenden Wohlfahrtseinbußen, die durch die eben erwähnten Konsumänderungen entstehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Die Zusatzlast der Besteuerung Quelle: Homburg (2007)
Abbildung 1 zeigt links die Situation bei einem gleichgewichtigen Wettbewerbsmarkt ohne Besteuerung, bei dem zum Preis p0 die Menge x0 umgesetzt wird. Im rechten Bild sind die Auswirkungen einer Mengensteuer dargestellt; der von den Produzenten eingenommene Nettopreis sinkt von p0 auf p1, der von den Konsumenten zu bezahlende Bruttopreis steigt von p0 auf p1+t. Den Steuerbetrag t kennzeichnet der Abstand zwischen Bruttopreis und Nettopreis. Die umgesetzte Menge sinkt von x0 auf x1, was zu einem Steueraufkommen in Höhe von t ∙ x1 im neuen Gleichgewicht führt und durch die dunkelgraue Rechteckfläche dargestellt wird.
Konsumentenrente und Produzentenrente schrumpfen im selben Ausmaß wie die Dreiecksflächen in der Skizze. Der Nutzen der Besteuerung, das Steueraufkommen, entspricht allerdings nicht dem Schaden der Besteuerung, der Vermindung der Renten: Das mit dem Pfeil „Zusatzlast“ versehene Dreieck, das Harbergerdreieck[3], entspricht jener über die reine Zahllast hinausgehenden Last der Besteuerung.
Wie aus Abbildung 2 zu entnehmen ist, wächst die Zusatzlast der Besteuerung bei steigendem Steuerbetrag annähernd quadratisch während das Steueraufkommen unterlinear wächst. Die optimal Steuerhöhe liegt aus dem Blickwinkel des Steueraufkommens also am Scheitelpunkt der Laffer-Kurve, welche in der Graphik links dargestellt wird. (vgl. Homburg 2007)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Wachstum von Steueraufkommen und Zusatzlast Quelle: Homburg (2007)
2.3 Steuerinzidenz
Die finanzwissenschaftliche Literatur unterscheidet zwischen formeller und materieller Steuerlast. Die formelle Steuerlast oder Zahllast trägt derjenige, der laut Gesetz verpflichtet ist, eine Steuer abzuführen. Die materielle Steuerlast oder Traglast trägt derjenige, der die ökonomischen Folgen der Steuer und die impliziten Kosten daraus zu tragen hat.
Zahllast und Traglast der Steuer sind meist nicht identisch, da sich in Abhängigkeit der Steuer die Güter- und Faktorpreise auf den Märkten ändern.
Welche Marktseite welchen Anteil an einer Steuer trägt, hängt von der Preiselastizität des Angebotes und der Nachfrage ab, also wie stark die jeweiligen Seiten auf Änderung des Preises reagieren. Die Last der Anbieter ist umso größer, je elastischer die Nachfrage und je unelastischer das Angebot ist; die Last der Nachfrager hingegen ist umso größer, je unelastischer die Nachfrage und je elastischer das Angebot ist. (vgl. Homburg 2007 sowie Wellisch 2000)
Im Kontext einer Finanztransaktionssteuer ist also die Frage, inwiefern es besteuerte Finanzinstitute, die formellen Träger der Steuerlast, schaffen, die ökonomische Steuerlast auf die Konsumenten überzuwälzen.
3 Finanztransaktionssteuern – Erfahrungen der Vergangenheit und Gegenwart
Wie einleitend bereits dargestellt, ist die Besteuerung des Finanzsektors keine erst nach der Finanzkrise neu entstandene Idee der EU-Kommission; vielmehr haben sich bereits früher viele Staaten der Welt für die tatsächliche Einführung solch einer Steuer in verschiedenen Ausgestaltungen entschlossen.
Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds führen in ihrem Hintergrundbericht zum IMF-Report für die G20-Staaten zum Thema „Besteuerung des Finanzsektors“ nicht weniger als 15 G20-Staaten an, in denen im Jahr 2010 eine oder mehrere Formen von Finanzmarktsteuern erhoben wurden. (vgl. Claessens, Keen und Pazarbasioglu 2010)Deutschland, Kanada, Mexico, Saudi-Arabien und die Europäische Union[4] repräsentieren in der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer also klar die Minderheit bezüglich einer Besteuerung des Finanzsektors.
Historisch gesehen ist selbst innerhalb Europas die vollkommene Steuerfreiheit des Finanzsektors eine Ausnahme – bis ins Jahr 1991 war zum Beispiel in Deutschland eine Börsenumsatzsteuer für den Kauf von Aktien und Wertpapieren abzuführen.
Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden nun verschiedene Arten von Transaktionssteuern kurz charakterisiert. Anschließend wird auf die gescheiterte Börsenumsatzsteuer in Schweden als Beispiel für die möglicherweise verheerende Wirkung einer falschen Implementierung dieser Art von Steuer eingegangen. Wie es funktionieren kann und in der Gegenwart auch tut, wird durch eine kurze Beschreibung der Stempelsteuer in Großbritannien dargestellt. Den Abschluss des Kapitels bietet ein kurzer Überblick sowie erste Ergebnisse über Marktauswirkungen der Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Frankreich und Italien in den Jahren 2012 und 2013.
3.1 Arten von Finanztransaktionssteuern
Wie der Name bereits suggeriert, soll eine Finanztransaktionssteuer die Transaktion, also den vertraglichen Austausch von Verfügungsrechten an Finanzprodukten, besteuern.
Matheson (2011) unterscheidet die folgenden speziellen Instrumente der Besteuerung von Finanztransaktionen, die eigentlich alle unter dem Überbegriff Finanztransaktionssteuer firmieren.
Eine Wertpapiersteuer [5] wird auf den Handel mit allen oder nur bestimmten Arten von Wertpapieren, wie Aktien, Schuldverschreibungen und deren Derivaten, erhoben. Hierbei kann noch einmal zwischen einer Besteuerung des Handels auf dem Sekundärmarkt und der Besteuerung bereits bei Ausgabe der Wertpapiere unterschieden werden.
Die Steuer kann entweder als Pauschalbetrag pro erfolgter Transaktion oder in Art einer Mehrwertsteuer als Anteil an der Ordersumme[6] erhoben werden.
Die Devisenumsatzssteuer [7], die bereits in der Einleitung als „Tobin-Steuer“ bezeichnet wurde, ist eine spezielle Form der Wertpapiersteuer. Sie wird auf den Handel mit fremden Währungen und/oder deren Derivaten wie Options, Futures und Swaps erhoben.
Eine Kapitalsteuer [8] beziehungsweise Registrierungsgebühr wird erhoben, wenn Unternehmen ihr Eigenkapital auf dem Wege der Außenfinanzierung durch die Ausgabe von beispielsweise Aktien, Schuldverschreibungen und Pfandbriefen erhöhen. Selbstverständlich kann auch diese Steuer in der Praxis durch Beschränkungen auf bestimmte Kapitalarten modifiziert werden.
Die Bankeinlagensteuer [9] besteuert die Spareinlagen auf Bankkonten, beziehungsweise das Abziehen dieser Spareinlagen vom Konto. Sie kann als generelle Konsumsteuer, nicht nur für Finanzprodukte, angesehen werden, da der Bankkunde sowohl beim Abheben seiner Einlagen für den Kauf von Verbrauchsgütern, als auch für die Verwendung in Investitionsgüter wie Immobilien oder Finanzanlagen zur Abgabe gezwungen wird. Empirisch hat sich als großes Problem, zwar nicht ausschließlich dieser aber in der Größenordnung herausragenden Art von Abgabe, die Erosion der Steuerbasis dargestellt. Bankkunden „lernten“ mit der Zeit die Steuer zu vermeiden und hielten ihr Sparguthaben schlicht nicht mehr am besteuerten Konto; die Steuerbasis und damit die Einnahmen verringerten sich somit stark.
Nur der Vollständigkeit halber, da es sich um Spezialfälle handelt, seien auch die Versicherungssteuer [10] sowie die Grunderwerbssteuer [11] als Möglichkeiten der Steuererhebung durch eine Finanztransaktionssteuer erwähnt.
In der verwendeten Literatur wird eine Finanztransaktionssteuer fast ausschließlich als Wertpapiersteuer oder einer Kombination aus Wertpapier- und Devisensteuer verstanden, weshalb auch diese Arbeit den Terminus Finanztransaktionssteuer wie eben definiert verwendet.
3.2 Negatives Beispiel der Vergangenheit: Die Börsenumsatzsteuer in Schweden
Im Jahr 1984 wurde in Schweden eine Finanztransaktionssteuer auf den Kauf und Verkauf von Aktien eingeführt, die in der Literatur als Beispiel für eine missglückte Einführung einer Finanzsektorbesteuerung aufgeführt wird.
Auf den Kauf und Verkauf von Inlandsaktien und deren Derivaten wurde von Käufern sowie Verkäufern eine Steuer in Höhe von 0,5 % des Umsatzes erhoben, was zu einer Zusatzlast von 1 % je Transaktion führte. Optionspapiere wurden gar mit 2 % besteuert; wenn diese zusätzlich ausgeführt wurden, wurde dies wie eine Transaktion mit der zugrundeliegenden Aktie behandelt, was nochmals einen Aufschlag von 1 %, bezogen auf den Ausführungspreis, nach sich zog. Umlauf (1993) und Campbell und Froot (1994) führen aus, dass die Steuer nicht auf der Überzeugung beruhte, dass die schwedischen Finanzmärkte negative Externalitäten erzeugten, welche durch eine Pigou-Steuer internalisiert werden sollten, sondern die schwedische Arbeiterpartei es als ungerecht empfand, dass Börsenmakler in Schweden ein im Vergleich zur Allgemeinheit hohes Einkommensniveau hatten. Die Finanztransaktionssteuer sollte zu einer gerechteren Einkommensverteilung beitragen und war somit mit dem Umverteilungzweck aus Kapitel 2.1 begründet. Dennoch wird nach Meinung von Habermeier und Kirilenko (2001) deutlich, dass durch die höhere Besteuerung von Aktienoptionen, die als „unnützer“ im Sinne der Hauptaufgabe der Finanzmärkte, der Versorgung der Realwirtschaft mit Kredit, angesehen werden, ein Lenkungseffekt durch die Reduzierung des Handels eben jener Papiere herbeigeführt werden sollte.
Abführen musste die Steuer nicht direkt der Käufer oder Verkäufer, sondern der schwedische Makler; war kein Makler an der Transaktion beteiligt, blieb diese steuerfrei. Eine Vermeidung war also mit einfachsten Mitteln möglich. Die Steuer wirkte also mehr als eine Steuer auf die Maklerdienstleitung als auf die Finanztransaktion an sich. (vgl. Schulmeister, Schratzenstaller und Picek 2008)
Der Steuersatz wurde in späteren Jahren verdoppelt, die Steuerbasis nach starkem Handelsrückgang in den ursprünglich besteuerten Papieren auf festverzinsliche Wertpapiere, Staatsanleihen eingeschlossen, ausgeweitet.
Dennoch waren die Einnahmen desaströs: Finanzakteure schalteten entweder ausländische Broker ein, unterließen den Handel mit schwedischen Wertpapieren komplett oder wichen auf nahe Substitute aus. Nach Ausweitung der Steuerbasis als Versuch der Schließung dieses „Schlupfloches“ wurden die Wertpapiere schlicht an Börsen im Ausland gehandelt.[12]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Handelsvolumen im schwedischen Kassamarkt Quelle:Campbell and Froot (1994)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Handelsvolumen im schwedischen Terminkontraktmarkt Quelle: Campbell and Froot (1994)
Abbildung 3 und 4 zeigen, welche Auswirkungen die 1987 angekündigte und 1989 in Kraft getretene Ausweitung der Steuer auf das Handelsvolumen hatte – das Handelsvolumen in Staatsanleihen fiel um knapp 85 % des durchschnittlichen Volumens im Sommer 1987; der Handel mit Terminkontrakten brach um 98 % ein, der Handel mit Optionspapieren war quasi nicht mehr existent.
Am Ende standen projektierten durchschnittlichen Einnahmen von 1,5 Milliarden schwedischen Kronen pro Jahr Realerlöse aus der Steuer von 50 Millionen schwedischen Kronen[13] gegenüber. (vgl. Campbell und Froot 1994)
Die Fehlkonstruktion der Steuer, die Abwanderungs- und Ausweicheffekte nicht berücksichtigte, führte im Endeffekt zu einem verheerenden Verlust an Handelsvolumen an schwedischen Börsen, generierte nur vernachlässigbar geringe Einnahmen für das staatliche Budget und kostete aufgrund der Nichtinanspruchnahme schwedischer Börsenmakler obendrein inländische Arbeitsplätze.
3.3 Positives Beispiel der Vergangenheit: Die „Stamp Duty“ in Großbritannien
Als „Musterbeispiel“ für eine erfolgreiche Finanztransaktionssteuer – zumindest aus dem Blickwinkel, dass Ausweichreaktionen kaum möglich sind – gilt die als Stempelsteuer bezeichnete Finanzmarktsteuer in Großbritannien. Wie der Name suggeriert, war die Stempelsteuer ursprünglich eine Steuer auf die Eigentumsübertragung eines Finanzproduktes von einem Verkäufer auf einen Käufer. Juristisch wurde das Eigentum nur übertragen, wenn die Transaktion offiziell registriert und damit von der Steuer erfasst wurde. (vgl. Campbell und Froot 1994)
1986 wurde die Steuer bezüglich ihres Geltungsbereichs überarbeitet, um auch innovative Finanzprodukte, die nicht mehr „gestempelt“ werden konnten, zu erfassen und führt seither den Namen „Stamp Duty Reserve Tax (SDRT)“.
Mit einem einheitlichen Satz von 0,5 % werden Übertragungen von Aktien und Anleihen britischer Unternehmen oder ausländischer Unternehmen, die im britischen Handelsregister eingetragen sind, sowie deren Bezugsrechte besteuert.
Der Handel von Optionspapieren und Futures ist von einer Besteuerung ausgenommen, allerdings wird deren Ausführung wie eine gewöhnliche Transaktion angesehen und fällt damit wieder unter die Steuer. Ebenso ausdrücklich ausgenommen sind Käufe und Verkäufe von festverzinslichen Wertpapieren, wie Staats- und Unternehmensanleihen.[14]
Die Vermeidung der Steuer ist kaum möglich; britische Unternehmen müssen im Allgemeinen ein Register ihrer Aktien in Großbritannien führen. Dies führt dazu, dass zumindest die Eigentumsübertragung ihrer Aktien innerhalb des Landes ausgeführt werden muss, um gültig zu sein, was somit von der Steuer erfasst wird.Ein einfaches Abwandern des Handels ins Ausland – wie bei der in Kapitel 3.2 erwähnten schwedischen Börsenumsatzsteuer – wird unmöglich gemacht, da nicht der inländische „Konsum“ von Maklerleistungen besteuert wird, sondern die SDRT eine weltweite Registrierungssteuer, unabhängig von der Herkunft der am Handel beteiligten Personen sowie des Ausführungsortes der Transaktion, darstellt. (vgl. Summers und Summers 1989 sowie Schulmeister, Schratzenstaller und Picek 2008)
Nach Schulmeister, Schratzenstaller und Picek (2008) beliefen sich die Einnahmen aus der Stempelsteuer im Steuerjahr 2005/2006 auf ca. fünf Milliarden Euro, was in etwa 0,7 % der gesamten Einnahmen des britischen Haushaltes aus Steuerinstrumenten entspricht. Die Autoren merken zusätzlich die äußerst geringen Erhebungskosten der Steuer an, die sich aufgrund einer automatischen Erhebung und Abführung mittels eines elektronischen Systems auf nur 0,02 Pennies pro Pfund Steuereinnahmen aus der SDRT belaufen.[15]
Eine Bewertung der Stempelsteuer hinsichtlich eines Lenkungseffekts lässt diese Arbeit außen vor – der Autor ist aber der Meinung, dass hier von der britischen Regierung ohnehin der Einnahmezweck als primäre Aufgabe der Steuer verstanden wird, denn sonst würden kaum die als „potentiell schädlich“ angesehenen Futures und Options[16] steuerfrei bleiben.
Nichtsdestoweniger kann die britische „Stamp Duty“ trotzdem als Beispiel dienen, dass bei einer sinnhaften und wohlüberlegten Ausarbeitung und Implementierung einer Finanztransaktionssteuer Ausweicheffekte minimiert, wenn auch nicht ganz vermieden werden können.
3.4 Einführung einer FTS in der Gegenwart: Erste Evidenz aus Italien und Frankreich
Zum 1. August 2012 trat in Frankreich eine Steuer auf Finanztransaktionen in Kraft. Die Steuer in Höhe von 0,2 % des Kaufpreises wurde auf den Handel mit Aktien von französischen Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mindestens 1 Milliarde Euro erhoben.[17] Der Markt für Neuemissionen wurde bewusst von der Steuer ausgeklammert, um die Kreditaufnahme der Unternehmen nicht zu erschweren. Zusätzlich wurde eine Steuer in Höhe von 0,01 % im Bereich des Hochfrequenzhandels erhoben[18] ; sie ist zu entrichten, wenn im Hochfrequenzbereich[19] am Ende des Tages das Verhältnis von geänderten oder stornierten zu ausgeführten Transaktionen 80 % übersteigt. Die prognostizierten durchschnittlichen jährlichen Einnahmen belaufen sich auf knapp 700 Milliarden Euro, was 0,03 % des französischen Bruttoinlandsproduktes entspricht. (vgl. European Commission 2013a)
Haferkorn und Zimmermann (2013) untersuchen mithilfe eines Difference-in-Differences-Regressionsansatzes[20] die Auswirkungen auf Handelsvolumen, -volatilität und -liquidität und verwenden als Kontrollgruppe äquivalente Werte des deutschen Aktienindex DAX. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass in Folge der Einführung der Finanztransaktionssteuer das Handelsvolumen im CAC40 um ca. 7 % abgenommen hat.[21] Sie finden keine Hinweise, dass die FTS Auswirkungen auf die Preisvolatilität gehabt hätte. Aus gestiegenen Bid-Ask-Spreads folgern sie, dass die Marktliquidität abgenommen hat.
Meyer, Wagener und Weinhardt (2014) verwenden dieselbe Methodik, als Kontrollgruppe dient ihnen aber der britische Aktienmarkt. Nach ihren Untersuchungen hat die Handelsintensität, ausgedrückt durch Handelsvolumen und Handelsfrequenz, nach Einführung der Steuer zwischen 14 – 26,1 % relativ zur Periode vor der Steuer abgenommen.Colliard und Hoffmann (2013) kontrollieren für marktweite Fluktuationen mithilfe des niederländischen Aktienmarktes. Sie geben eine Abnahme des Handelsvolumens an der Börse in Paris von 32 % in August und 8 % im September relativ zur Periode vor der Steuereinführung an. Capelle-Blancard und Havrylychyk (2014) wählen als Kontrollgruppe den Next 150 und attestieren einen Rückgang im Handelsvolumen an der französischen Börse, jedoch keinen signifikanten Effekt auf Marktliquidität und -volatilität. Wenngleich sich die Ergebnisse der Autoren in den Absolutwerten unterscheiden und auch nicht immer statistisch signifikant sind, stimmen sie im grundsätzlichen Trend überein.
Italien hat zum 1. März 2013 eine Finanztransaktionssteuer auf den Kauf und Verkauf von Aktien italienischer Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung größer als 500 Millionen Euro eingeführt. Ein Steuersatz von 0,1 % auf den Nominalwert ist beim Kauf an Börsen, von 0,2 % bei OTC-Geschäften zu entrichten. Ebenso wie in Frankreich wurde eine Steuer auf den Hochfrequenzhandel eingeführt; mit 0,02 % werden algorithmenbasierte Transaktionen mit einer Haltedauer von weniger als einer halben Sekunde und einem Stornierungs/Ausführungsverhältnis von größer 60 % besteuert. Die italienische Regierung rechnete mit Steuereinnahmen von 1 Milliarde Euro alleine in der zweiten Hälfte des Jahres 2013.[22] (vgl. Coelho 2014)
Rühl und Stein (2014) verwenden für ihre Regression ebenfalls einen Difference-in-Differences-Paneldaten-Regressionsansatz. Ähnlich wie Meyer, Wagener und Weinhardt (2014) im Fall von Frankreich wählen sie als Kontrollgruppe ausgewählte Unternehmen des britischen Aktienmarktes, denen sie äquivalente italienische Unternehmen zuordnen. Sie finden heraus, dass die Steuer negative Auswirkungen auf das Handelsvolumen an der italienischen Börse hatte. Das Ergebnis ist allerdings nicht signifikant, was sie mit dem Problem der zweistufigen Einführung der Steuer in Italien begründen; eventuell ist das Handelsvolumen bereits nach der ersten Stufe im März, für die keine Daten vorliegen, zurückgegangen und hat somit ihr gemessenes Ergebnis nach dem vollständigen Abschluss der Einführung verfälscht. Nichtsdestoweniger stellen sie in Relation zur britischen Kontrollgruppe einen signifikanten Anstieg sowohl der Volatilität als auch des Bid-Ask-Spreads fest. Sie weisen daraufhin, dass ihre Ergebnisse also dahingehend interpretiert werden könnten, dass die marktweite Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen zu einer Zunahme der Volatilität des Marktes sowie einem Rückgang der Marktliquidität führt.
4 Intentionen und Argumente von Befürwortern und Gegnern
In der volkswirtschaftlichen Forschung herrscht längt keine einvernehmliche Meinung zum Thema Finanztransaktionssteuern. Den Advokaten, auszugsweise nur die drei bedeutenden Namen Tobin, Keynes und Stiglitz genannt, stehen mindestens ebenso viele Gegner gleichen Rangs und Ansehens in der Wissenschaft gegenüber.
Ausschlaggebend dafür, welche Position in dieser Thematik eingenommen wird, scheint ein simples Faktum und die entsprechenden Ableitungen daraus zu sein: Glaubt man, dass die Finanzmärkte in ihrer derzeitigen Lage vollkommen effizient sind und der Effizienzmarkthypothese entsprechen, oder nicht?In der Annahme, dass sie vollständig effizient sind, kann eine Steuer nur verzerrend wirken, somit mit einem Wohlfahrtsverlust einhergehen und wäre somit abzulehnen.
Dieses Kapitel will zunächst die These der Finanzmarkteffizienz erläutern, um anschließend die Hauptargumente von Befürwortern und Gegnern einer Finanztransaktionssteuer darzulegen. Hierbei wird insbesondere auf die im Zeitverlauf extrem gesunkenen Transaktionskosten auf Finanzmärkten eingegangen, geklärt, ob das auch über die Zeit gestiegene Handelsvolumen an Börsen noch der Realwirtschaft dient und ob Spekulation auf Finanzmärkten durch die höhere Volatilität der Kurse als negativ und sozial schädlich anzusehen ist oder es dem normalen „Entdeckungsprozess“ des einen fundamentalen Gleichgewichtspreises dient.
Zum Abschluss wird der automatische Hochfrequenz- und Algorithmenhandel thematisiert, der Unterschied zwischen beiden aufgezeigt und die wohlfahrtsökonomische Sinnhaftigkeit dieser technischen Innovation evaluiert.
4.1 Finanzmarkteffizienz – sind die Finanzmärkte effizient oder verursachen sie externe Effekte, die durch eine Pigou-Steuer internalisiert werden sollten?
Die zentrale Frage, die sich bei jeder Art von Besteuerung stellt, ist, welche Auswirkungen sie auf das Marktgefüge und die relativen Preise hat. Steuern stellen zusätzliche, künstliche Transaktionskosten dar und haben dadurch einen die Preise verzerrenden Charakter. Befindet sich der Markt nicht im stabilen Gleichgewicht, das heißt, sind nicht alle verfügbaren Informationen vollständig und abschließend eingepreist, sodass der Gleichgewichtspreis auch nur die zugrundeliegenden Fundamentaldaten repräsentiert, ist der Markt nicht effizient.
Die Logik eines effizienten Marktes kann folgendermaßen erklärt werden: Wenn der Aktienpreis nicht ausschließlich den Unternehmenswert widerspiegelt, würde es für jeden Finanzmarktakteur, der dies erkennt, eine Gewinnmöglichkeit geben. Wenn die Aktie in Relation zum Unternehmenswert, den sie widerspiegelt, zu billig wäre, würden Käufer die Aktie solange kaufen und somit den Aktienpreis steigern, bis der Aktienpreis dem tatsächlichen Unternehmenswert entspricht. Unter der Prämisse, dass Käufe gerade auch durch technische Innovation sehr schnell ausgeführt werden und sich die Preise daher in kürzester Zeit ändern können, ist das Zeitfenster für die Arbitragemöglichkeit denkbar gering. Das würde bedeuten, dass die Aktienkurse jederzeit nahezu identisch mit den ihnen zugrundeliegenden Unternehmenswerten sind. Eine Veränderung des Aktienpreises müsste der Logik folgend also immer eine reale Änderung des Unternehmenswertes oder zumindest die Antizipation der Änderung durch neue Informationen des Marktes wiedergeben.
Zusätzlich würden jene Investoren, die die Aktienpreise in Richtung des zugrundeliegenden Unternehmenswertes treiben, indem sie günstig kaufen und nach Anpassung der Preise teurer verkaufen, die Gewinner des Marktes sein; jene, die die Preise nicht in Richtung des stabilen Gleichgewichtes treiben, müssten im Zeitverlauf Geld verlieren und aus dem Markt verschwinden.
Die Kritiker dieser Logik führen an, dass die große Volatilität auf den Aktienmärkten, die in Kapitel 4.4 dieser Bachelorarbeit angesprochen wird, bei Gültigkeit der Hypothese dann nicht existieren dürfte. Sie führen weiterhin aus, dass, selbst wenn ein Investor feststellt, dass sich der Preis einer Aktie nicht mit dem Unternehmenswert deckt und für ihn eine Gewinnmöglichkeit bestehen würde, er den Kauf unterlassen könnte, um darauf zu spekulieren, dass der Aktienkurs noch weiter fällt und er so noch billiger kaufen könnte. Somit würden die derzeitigen Aktienpreise eben wieder nicht die zugrundeliegenden Unternehmenswerte korrekt darstellen. (vgl. Summers und Summers 1989)
Bernstein (1999, S.134) geht sogar soweit, die Effizienzmarkthypothese in der Praxis für utopisch zu erklären, da „ […] ein Markt nie effizient sein kann, solange keine Gleichgewichtspreise existieren und bekannt sind. Gleichgewichtspreise sind in einer dynamischen und ruhelosen Welt unmöglich […].“
Nach Honohan und Yoder (2011) sollte ein gutes Steuerkonzept auf effizienten Märkten versuchen, die Verzerrung der relativen Preise zu minimieren[23] während auf ineffizienten Märkten die negativen externen Effekte, welche einen Marktfehler darstellen, internalisiert werden sollten. Die relativen Preise sollten sich unter Einfluss der Steuer also so verändern, dass ein sozial-effizienteres Ergebnis erreicht wird.[24]
Für Matheson (2011) ist die Sorge der Anhänger der These des effizienten und rationalen Finanzmarktes, dass die Steuereinnahmen die sich durch die Steuer ergebenden Verzerrungen – welche implizit ja auch volkswirtschaftliche Kosten wie höhere Refinanzierungskosten für Unternehmen sowie geringe Zinsen auf Sparguthaben darstellen – nicht kompensieren können.
Ob man an der Effizienzmarkthypothese festhält oder eher Tobins Meinung vertritt, dass Finanzmärkte zu sehr starken Über- und Untertreibungen neigen, ist zum Teil auch eine Glaubensfrage.
So mag es helfen, das polarisierende Schwarz-Weiß-Denken in „vollkommen effizient“ und „nicht effizient“ aufzugeben und sich an der Definition des Ökonomen Fischer Black zu orientieren:
„Wir könnten einen Markt als effizient definieren, wenn sich die Preise innerhalb eines Faktors von 2 des zugrundeliegenden Wertes bewegen, sprich der Preis höher als die Hälfte des zugrundeliegenden Wertes und weniger als doppelt so hoch ist.“ (Black 1985, S.533)
Nichtsdestotrotz ist der Autor der festen Überzeugung, dass Finanzmärkte in der Tat negative externe Effekte ausüben, die durch eine Steuer zumindest teilweise internalisiert werden könnten. Die nächsten vier Unterkapitel versuchen Fakten für diese These zur Verfügung zu stellen.
4.2 Geringe Transaktionskosten – Segen oder Fluch für die Effizienz der Kapitalmärkte?
Einer der wichtigsten Faktoren, wie oft und in welcher Höhe gehandelt wird, stellen die sogenannten Transaktionskosten dar. Sie sind quasi die „Nebenkosten“, die beim Kauf- oder Verkauf von Finanzprodukten anfallen, beispielsweise die Kosten und Gebühren, die erhoben werden, um eine Order an der Börse auszuführen.
Summers und Summers (1989) stellen dar, dass die Transaktionskosten auf den Finanzmärkten in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich und stark gesunken sind. Als Beispiel führen sie an, dass es im Jahr 1960 mindestens 10 000 US-$ oder mehr gekostet hätte, um ein Aktienpaket im Wert von einer Million Dollar an der Börse zu platzieren; heutzutage kann eine von der Funktionsweise äquivalente Operation am Optionsmarkt für weniger als 100 US-$ durchgeführt werden.
Matheson (2011) führt an, dass durch die letzten 35 Jahre Entwicklung in Sachen Informationstechnologie, Deregulierung und Finanzproduktinnovation die Transaktionskosten an den Börsen drastisch gefallen seien. Der Bid-Ask Spread an der New York Stock Exchange, welcher auch als grobes Maß für Transaktionskosten gesehen werden kann, sei von knapp 1,3 % Mitte der 1980er Jahre auf den heutigen Stand von 0,1 % zusammengeschrumpft. Eine Reduktion im selben Ausmaß sei auch an den Devisen- sowie an den Optionsmärkten feststellbar.
Aus der Theorie würde man folgern, dass durch die geringeren Transaktionskosten das Handelsvolumen, die Liquidität und ebenso die Spekulation vergrößert werden; Kapitel 4.3 – 4.5 sowie die empirische Analyse in Kapitel 5 werden diese Thematik näher beleuchten.
Geringere Transaktionskosten sind per se eigentlich zu begrüßen, denn sie steigern die Effizienz der Märkte und unterstützen die Versorgung der Realwirtschaft mit Kredit, da eine Investition in die Anleihen eines Unternehmens rentabel wird, die sich im Fall hoher Transaktionskosten noch nicht gelohnt hätte.
[...]
[1] Die Autoren beschreiben die Spekulation als Nullsummenspiel, da der Gewinner nur den Arbitragegewinn bekommen kann, den ein anderer Marktteilnehmer verliert. Volkswirtschaftlich betrachtet findet kein Nutzenzuwachs statt, aufgrund von, wenn auch geringen, Transaktionskosten sogar eher ein Verlust.
[2] Vgl. beispielhaft Die Zeit 2013 sowie FAZ 2013.
[3] Zu Ehren des amerikanischen Ökonomen Arnold Harberger nach ihm benannt.
[4] Die Europäische Union ohne Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien zählt als eigenständiges Mitglied der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.
[5] engl. „Securities Transaction Tax (STT)“
[6] auch „ad valorem“ (lat. vom Warenwert) genannt.
[7] engl. „Currency Transaction Tax (CTT)“
[8] engl. „capital levy tax“
[9] engl. „bank transaction tax (BTT)“
[10] engl. „Insurance Premium Tax (IPT)“
[11] engl. „real estate transaction tax“
[12] Schulmeister, Schratzenstaller und Picek (2008) legen dar, dass nach Ausweitung der Steuerbasis knapp die Hälfte des schwedischen Wertpapierhandelsvolumens an der Börse in London ausgeführt wurde.
[13] Prozentual ausgedrückt also nur knapp 3% der geplanten Einnahmen.
[14] Dies deutet darauf hin, dass die britische Regierung unbedingt vermeiden wollte, die der Realwirtschaft dienliche Kreditversorgung durch eine Besteuerung einzuschränken.
[15] Zum Vergleich: Die durchschnittlichen Erhebungskosten aller inländischen Steuern in Großbritannien betragen knapp 1,11 Pennies pro Pfund Steuereinnahme, sind also um mehr als den Faktor 50 höher.
[16] Wie bereits vorher dargestellt, nur steuerbefreit, wenn die Option nicht gezogen wird.
[17] Im Jahr 2012 fielen 109 Unternehmen in diese Kategorie.
[18] Die Finanztransaktionssteuer und die Steuer auf HFT sind eigentlich separate Instrumente; die Literatur unterscheidet aber teilweise nicht und fasst beide schlicht als „französische Finanztransaktionssteuer“ zusammen.
[19] Definiert als Haltedauer von weniger als einer halben Sekunde.
[20] Hierbei werden zwei Gruppen gebildet und zwei Zeitperioden definiert. Eine Gruppe ist von der Maßnahme in der zweiten Periode betroffen, aber nicht in der ersten. Die zweite Gruppe ist in keiner der Perioden von der Maßnahme betroffen. Dies ermöglicht, für Verzerrungen zwischen Behandlungs- und Kontrollgruppe in der zweiten Periode, die Ergebnis von dauerhaften Unterschieden sein könnten, zu kontrollieren. (vgl. Woolridge und Imbens 2007)
[21] Wenngleich sie anmerken, dass dieser Effekt nicht durchgehend signifikant ist.
[22] Die Schätzungen beruhen allerdings (unrealistischerweise) auf einer statischen Steuerbasis und nehmen Verhaltensänderungen der Marktteilnehmer nicht ins Kalkül auf.
[23] Sind Märkte bereits im Optimum stellt die einzige Legitimation einer Steuer der Einnahmezweck dar. Diese Einnahmengenerierung sollte allerdings so ausgestaltet sein, dass sich die relativen Preise nicht so verzerren, dass das gleichgewichtige Optimum verlassen wird.
[24] Dies entspricht dem Konzept der Pigou-Besteuerung; die optimale Endsituation wäre, dass der Grenznutzen aus einer Tätigkeit den Grenzkosten dieser entspricht. (vgl. Von Weizsäcker und Darvas 2010)