Menschenrechte als Feigenblatt? Zur Wirkung von Menschenrechtsverträgen auf die innerstaatliche Menschenrechtspraxis in der Türkei


Seminar Paper, 2016

26 Pages, Grade: 11


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Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Internetquellenverzeichnis

I. Einleitung

II. Aufbau der Arbeit

III. Oona A. Hathaway: Macht die Ratifikation einen Unterschied?
1. Ratifikation als Substitut tatsächlicher Verbesserungen
2. Schwachstellen einer statistischen Studie
a) Defizite im empirischen Teil
b) Schwächen von Hathaways Theorie
c) Probleme des alternativen Konzepts
3. Treffende Replik

IV. Alternative Studien

1. Einfluss nationaler Zivilgesellschaften
2. Kontextualisierte Wirkung internationaler Verträge
3. Ratifikation als Ausdruck von Präferenzen

V. Die Menschenrechtslage in der Türkei
1. Situation in der Türkei vor der Jahrtausendwende
2. Internationale Verträge zum Schutz der Menschenrechte, in denen die Türkei eingebunden ist
3. Reformen zu Menschenrechten nach Bekannt werden des EU-Beitrittskandidatenstatus
a) Reformen zur Meinungsfreiheit
b) Reformen zur Folter im Polizeigewahrsam
c) Reformen zur Todesstrafe
4. Aktuelle Menschenrechtslage in der Türkei
a) Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung
b) Folter und Misshandlungen durch Sicherheitskräfte
c) Tötungen durch Sicherheitskräfte
5. Zusammenfassung und Kontextualisierung

VI. Auswertung und Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis

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Internetquellenverzeichnis

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http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/TreatyBodyExternal/Treaty.aspx?CountryID=179&Lang=EN.

EU-Ministerium der Türkei:

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http://www.ab.gov.tr/index.php?p=50079&l=2.

Europarat,

http://www.coe.int/de/web/conventions/search-on-treaties/-/conventions/treaty/country/TUR?p_auth=s8X1Qe1i.

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Freedom House,

https://freedomhouse.org/country/turkey.

Human Rights Watch vom 29. September 2014:

Türkei: Autoritäre Tendenzen bedrohen Menschenrechte,

https://www.hrw.org/de/news/2014/09/29/turkei-autoritare-tendenzen-bedrohen-menschenrechte.

Menschenrechtsverein IHD ( İnsan Hakları Derneği),

http://www.ihd.org.tr/1999-2010-donemi-karsilastirmali-insan-haklari-ihlalleri-bilancosu/.

openDemocracy vom 23. Oktober 2015:

No, Eu, Turkey Is Not Safe for Everyone,

https://www.opendemocracy.net/emma-sinclair-webb/no-eu-turkey-is-not-safe-for-everyone.

Reporter ohne Grenzen,

https://www.reporter-ohne-grenzen.de/t%C3%BCrkei/.

Spiegel-Online vom 22. September 2014:

Radikale Kurden gegen IS-Miliz: Jetzt soll es die PKK richten,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/pkk-hilft-in-tuerkei-und-syrien-gegen-islamischen-staat-is-a-993020.html.

Süddeutsche Zeitung:

vom 21. Februar 2014:

Türkei schafft umstrittene Sondergerichte ab,

http://www.sueddeutsche.de/politik/justizreform-tuerkei-schafft-umstrittene-sondergerichte-ab-1.1895350;

vom 25. Februar 2015:

Terror-Vorwurf gegen Erdoğan-Gegner Gülen,

http://www.sueddeutsche.de/politik/neuer-haftbefehl-in-der-tuerkei-terror-vorwurf-gegen-erdoan-gegner-guelen-1.2367694.

Zeit-Online vom 10. November 2015:

EU will trotz düsterer Lage mehr Kooperation mit der Türkei,

http://www.zeit.de/news/2015-11/10/eu-eu-bescheinigt-tuerkei-rueckschritte-bei-grundrechten-10100003.

Die Internetquellen wurden zuletzt am 11. Dezember 2015 überprüft.

I. Einleitung

Auf internationaler Ebene ist es nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer beachtlichen Verrechtlichung von Menschenrechtsnormen gekommen. So waren Mitte der 1990er Jahre die zentralen Menschenrechtsnormen (wie das Verbot der Rassendiskriminierung, das Verbot der Folter, das Recht auf Selbstbestimmung, die Gleichberechtigung der Frau oder die Rechte des Kindes) im Menschenrechtsregime der Vereinten Nationen von der überwiegenden Mehrzahl aller Staaten anerkannt worden. Seit 1994 gibt es keinen Staat mehr, der nicht Vertragspartei mindestens eines der zentralen Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen ist. Die Tendenz der weltweiten Anerkennung dieser Normen setzt sich immer weiter fort.[1] Jedoch lassen sich trotz Ratifikation noch in vielen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen Menschenrechtsverletzungen verzeichnen, die gerade von den entsprechenden Abkommen verhindert werden sollten.[2] Folglich besteht eine hohe Diskrepanz zwischen weitgehender Ratifikation auf der einen Seite und mangelnder Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen auf der anderen Seite.

Dies führt zu der Frage, weshalb Staaten diese Verträge überhaupt ratifizieren, wenn sich im Nachhinein keine positive Entwicklung feststellen lässt. Verfolgen Staaten mit der Ratifizierung etwa andere als die von den Verträgen beabsichtigten Ziele? Dienen Menschenrechte bloß als Feigenblatt, welches Staaten ihrem tatsächlichen Handeln umhängen?

Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Hintergründen der Ratifizierung und dessen Wirkung auf die Menschenrechtspraxis. Dabei wird insbesondere die Studie von Oona A. Hathaway „Do Human Rights Treaties Make a Difference?“ als Ausgangspunkt gewählt und versucht unter Heranziehung weiterer Literatur die Diskrepanz zwischen steigender Normanerkennung und Normachtung zu verstehen. Anschließend werden die Befunde am Beispiel der Türkei auf deren Gültigkeit überprüft.

II. Aufbau der Arbeit

Im ersten Teil der Arbeit werden die Ergebnisse der quantitativen Analyse von Oona A. Hathaway vorgestellt. Es wird dargelegt, welche Zusammenhänge sie zwischen Ratifikation und Menschenrechtslage feststellt und wie sie die Diskrepanz zwischen Normanerkennung und Normachtung erklärt. Im Anschluss daran folgt die Kritik von Ryan Goodman und Derek Jinks sowie Hathaways Replik. Der zweite Teil widmet sich weiteren statistischen Studien, bei denen es ebenfalls um den Zusammenhang zwischen Ratifikation und Regeleinhaltung geht. Schließlich werden im letzten Teil die Ergebnisse von Hathaway und der anderen Studien am Beispiel der Türkei überprüft. Dabei wird betrachtet, in welche Menschenrechtsverträge die Türkei eingebunden ist, weshalb sie diese ratifiziert hat und wie die aktuelle Menschenrechtslage aussieht.

III. Oona A. Hathaway: Macht die Ratifikation einen Unterschied?

Um den Zusammenhang zwischen Ratifikation und Menschenrechtslage zu ermitteln, untersucht Oona A. Hathaway, ob erstens Staaten den Verpflichtungen, die ihnen durch Menschenrechtsverträge auferlegt wurden nachgehen und zweitens, ob Menschenrechtsverträge effektiv darin sind, die innerstaatliche Menschenrechtspraxis zu verbessern.[3] Im Folgenden wird vorgestellt, zu welchen Ergebnissen sie gekommen ist, wie sie kritisiert wurde und mit welchen Argumenten sie schließlich repliziert hat.

1. Ratifikation als Substitut tatsächlicher Verbesserungen

Hathaway beginnt ihre Untersuchung mit einer Korrelationsanalyse, die einen Zusammenhang zwischen den Bewertungen der Menschenrechtslage entsprechend einschlägiger Menschenrechtspublikationen einerseits und der Ratifikationspraxis andererseits herstellt.[4] Anschließend analysiert sie im zweiten Teil ihrer Untersuchung die unabhängige Wirkung von Menschenrechtsabkommen auf die Menschenrechtspraxis, indem sie andere Faktoren, die ebenfalls für eine Verbesserung oder Verschlechterung der Bewertung der Menschenrechtslage verantwortlich sein könnten ausschließt.[5] Zu diesen Faktoren zählt sie beispielsweise Demokratie, die Höhe des Bruttosozialprodukts, Bürgerkriege oder auch länderspezifische, kulturelle Faktoren.

Die Ergebnisse ihrer Untersuchung führen zu mehreren allgemeinen Aussagen: Der erste Teil ihrer Untersuchung zeigt, dass a) Staaten, die internationale Menschenrechtsverträge ratifiziert haben, generell eine bessere Menschenrechtslage aufweisen als Nichtratifizierer; dass b) Regelverstöße aber weit häufiger vorkommen als man aufgrund der hohen Ratifikationszahlen erwarten könnte; und dass c) Demokratien ein ähnliches Muster der Regeleinhaltung aufweisen, wie alle anderen Staaten auch.[6] Außerdem lassen sich für die einzelnen Konventionen folgende Zusammenhänge feststellen: Staaten mit den schlechtesten Folter-Bewertungen ratifizieren die europäische Antifolterkonvention mit derselben Wahrscheinlichkeit wie Staaten mit den besten Bewertungen. Für die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen lässt sich ein ähnlicher Zusammenhang feststellen, wobei die stärker verpflichtenden Teile von Staaten mit einer schlechteren Menschenrechtslage in der Regel nicht ratifiziert wurden. Dies gilt auch für den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie sein optionales Protokoll. Hingegen weisen bei der amerikanischen Menschenrechts- und Antifolterkonvention Staaten, die die Konventionen ratifiziert haben, in der Regel eine schlechtere Menschenrechtslage auf als Nichtratifizierer.[7] Bei der Europäischen Menschenrechtskonvention lässt sich schließlich der eindeutige Zusammenhang feststellen, dass die Wahrscheinlichkeit der Ratifikation mit einer schlechteren Menschenrechtslage sinkt.[8]

Im zweiten Teil ihrer Untersuchung, in welcher sie den unabhängigen Einfluss der Ratifikation im Verhältnis zu alternativen Faktoren misst, kommt sie zu folgendem Ergebnis: Wenn es überhaupt einen messbaren Zusammenhang zwischen Ratifikation und Menschenrechtslage gibt, der Korrelationskoeffizient der Ratifikationsvariable also statistisch signifikant ist, dann ist die Ratifikation immer mit einer schlechteren Menschenrechtslage verbunden.[9]

Im Anschluss an diese Analyse erklärt Hathaway, was Staaten zur Ratifikation motiviert und wie man der mangelnden Regelbefolgung entgegenwirken könnte. Sie geht davon aus, dass Menschenrechtsverträge neben der eigentlichen Funktion, die innerstaatliche Lage zu verbessern, auch eine expressive Funktion haben, welche für eine hohe Reputation sorgt. Aufgrund der mangelnden Sanktionsmöglichkeiten und der geringen Kosten der Nichteinhaltung, seien es diese Reputationsgewinne, die Staaten zur Ratifikation motivieren.[10] Die Durchsetzungsschwächen internationaler Organisationen würden es den Staaten erlauben, ihr Menschenrechtsimage zu verbessern, indem sie sich formal internationalen Menschenrechtsnormen unterwerfen, ohne faktisch Gefahr zu laufen, dass ihre Menschenrechtsverletzungen international verurteilt oder gar sanktioniert werden.[11] Schließlich schlägt Hathaway vor, die Überwachung und Durchsetzung der eingegangenen Verpflichtungen zu verstärken, damit Staaten nicht die Möglichkeit haben, Menschenrechtsverträge bloß als Ersatz für eine tatsächliche Verbesserung zu ratifizieren.[12]

2. Schwachstellen einer statistischen Studie

Ihre Ergebnisse stoßen jedoch auf starke Kritik von Ryan Goodman und Derek Jinks, die der Meinung sind, es sei die fundamentale Annahme des internationalen Rechts, dass rechtliche Verpflichtungen einen bedeutsamen Einfluss auf die Staatspraxis haben. Rechtliche Verpflichtungen würden generell den Frieden, die Stabilität eines Staates und eine gute Staatsführung fördern. Mithin wäre es ein radikaler Vorwurf, zu behaupten, dass internationale Regime die Probleme, die sie beheben sollten, nur noch verschlimmern.[13]

a) Defizite im empirischen Teil

Zunächst weise die Wahl ihrer Variablen Probleme auf. So könne die Ratifikation nicht als unabhängige Variable dienen, da sie nicht den „magischen Moment“ der Akzeptanz der Menschenrechtsnormen darstelle, sondern vielmehr eine Phase im Inkorporationsprozess sei. Die eigentlichen Verpflichtungen würden schon mit der Unterzeichnung des jeweiligen Vertrages eintreten.[14]

Aber auch die Messung ihrer abhängigen Variable sei problematisch, da sie nicht die Reaktionen der Staaten auf verbesserte Durchsetzungsmöglichkeiten erfasse. Demnach können Staaten Strategien entwickeln, die dazu führen, dass sich die Menschenrechtslage im untersuchten Bereich zwar verbessert, sich aber in einem anderen, nicht untersuchten Bereich verschlechtert.[15] Ein weiteres Problem sei, dass die abhängige Variable lediglich Informationen über berichtete und dokumentierte Regelverstöße geben könne, jedoch nie über die tatsächliche Lage. Je repressiver ein Staat ist, desto schwieriger ist die Berichterstattung und desto weniger Regelverstöße können erfasst werden. Umgekehrt erleichtere eine bessere Menschenrechtslage die Arbeitsbedingungen und mehr Verstöße werden aufgedeckt. Dies führt dazu, dass ein Staat, dessen Menschenrechtslage sich verbessert, wahrscheinlich mehr Regelverstöße aufweisen wird als im Vorhinein und folglich den Anschein erweckt, als würde sich die Lage verschlechtern.[16] Derselbe Effekt entstehe durch die vermehrten Individualklagen, die erst durch die Ratifikationen möglich werden. Allerdings könne Hathaways Modell nicht zwischen diesem Schein einer Verschlechterung und einer tatsächlichen Verschlechterung unterscheiden.[17] Auch wenn Hathaway diesen Aspekt kurz thematisiert, lehnt sie es damit ab, dass demnach in allen Untersuchungsbereichen mehr Verstöße aufgedeckt werden müssten, der Zusammenhang zwischen Ratifikation und Regelverstößen aber in den wichtigsten Menschenrechtsbereichen am stärksten sei.[18] Goodman und Jinks erklären dieses Phänomen wiederum damit, dass eine effektivere Bekämpfung staatlicher Repression eine intensivere Berichterstattung nach sich ziehe und dies in einigen Themenbereichen eher der Fall sei als in anderen. Beispielsweise sei es für Staaten schwieriger, Fälle wie die der Folter zu verdecken, weshalb diese eher an die Öffentlichkeit gelangen.

b) Schwächen von Hathaways Theorie

Weiterhin könne Hathaways Modell nur unzureichend erklären, weshalb einige Staaten bestimmte Menschenrechtsabkommen nicht ratifizieren, wenn man ihrer Annahme nachginge, dass durch die Ratifikation fast keine Kosten entstehen. Umgekehrt könne ihr Modell aber auch nicht erklären, warum Problemstaaten überhaupt Abkommen ratifizieren, wenn man davon ausgeht, dass die Ratifikation die Akzeptanz der in den Verträgen verankerten Grundsätze signalisiert. Demzufolge müsse man den Schluss ziehen, dass sich Staaten bewusst sind, dass die Ratifikation von Menschenrechtsabkommen nahezu folgenlos bleibt und sie diese deshalb auch dann ratifizieren, wenn sie nicht die Absicht haben, den Verpflichtungen nachzugehen.[19] Auf der anderen Seite führe dies zu der Annahme, dass internationale Akteure scheinbar nicht verstehen, dass die Ratifikation bedeutungslos ist und deshalb ratifizierende Staaten für den Akt der Ratifikation sogar würdigen.[20]

Daher unterschätze Hathaway die mit der Ratifikation verbundenen Kosten, wie z.B. die starke Begrenzung der Möglichkeiten normabweichendes Verhalten zu rechtfertigen. Dies stelle nämlich für viele Staaten einen Eingriff in die Volkssouveränität – und damit relativ hohe Kosten – dar.[21]

c) Probleme des alternativen Konzepts

Aufgrund ihrer Annahme, dass durch die Ratifikation nahezu keine Kosten entstehen, schlägt Hathaway vor, die Kosten durch eine verstärkte Überwachung und Durchsetzung der eingegangenen Verpflichtungen zu erhöhen. Dadurch würde man verhindern, dass Ratifikationen folgenlos bleiben und Staaten diese nur aus Reputationsgründen ratifizieren.[22] Nach Goodman und Jinks könne dieses Vorgehen aber Staaten entmutigen, derartige Verträge überhaupt zu ratifizieren und somit der Inkorporation von Normen im Wege stehen. Sie sind der Meinung, dass die Ratifikation eine wichtige Rolle in der Universalisierung von Menschenrechten spielt und Hathaways Analyse nicht in der Lage sei, positive Effekte der Ratifikation festzustellen. Deshalb solle man an der konventionellen Annahme festhalten, wonach Menschenrechtsverträge ihren Zweck erreichen und nicht etwa das Gegenteil bewirken.[23]

[...]


[1] Liese, Staaten am Pranger 2006, S. 10.

[2] a.a.O., 14; Hafner-Burton / Tsutsui, AJS 2005, 1373 (1374).

[3] H athaway, YLJ 2002, 1935 (1994).

[4] Jetschke, Die Friedens-Warte 2006, 25 (32).

[5] a.a.O. (Fn. 4).

[6] a.a.O. (Fn. 3), 1976, 1981.

[7] a.a.O., 1982 ff.

[8] a.a.O. (Fn. 3), 1985; a.a.O. (Fn. 4), 33.

[9] a.a.O. (Fn. 4), 33; a.a.O. (Fn. 3), 1994.

[10] a.a.O. (Fn. 3), 2011.

[11] Rittberger, Internationale Organisationen, S. 244.

[12] a.a.O. (Fn. 3), 2025.

[13] Goodman/Jinks, EJIL 2003, 171 (171).

[14] a.a.O., 173.

[15] a.a.O., 175.

[16] a.a.O.

[17] a.a.O. (Fn. 13), 175.

[18] a.a.O. (Fn. 3), 2000.

[19] a.a.O. (Fn. 13), 179.

[20] a.a.O.

[21] a.a.O. (Fn. 13), 180.

[22] a.a.O. (Fn. 3), 2025.

[23] a.a.O. (Fn. 13), 182 f.

Excerpt out of 26 pages

Details

Title
Menschenrechte als Feigenblatt? Zur Wirkung von Menschenrechtsverträgen auf die innerstaatliche Menschenrechtspraxis in der Türkei
College
University of Münster  (Öffentliches Recht, Völker -und Europarecht sowie empirische Rechtsforschung)
Course
Seminar zum Thema Völkerrecht und Internationale Beziehungen
Grade
11
Author
Year
2016
Pages
26
Catalog Number
V335311
ISBN (eBook)
9783668252066
ISBN (Book)
9783668252073
File size
1177 KB
Language
German
Keywords
Völkerrecht, Internationale Beziehungen, Recht und Politik, empirische Rechtsforschung, Menschenrechte, Menschenrechtsnormen, internationale Verträge, Menschenrechtsabkommen, Ratifikation, Türkei
Quote paper
Yusuf Karaman (Author), 2016, Menschenrechte als Feigenblatt? Zur Wirkung von Menschenrechtsverträgen auf die innerstaatliche Menschenrechtspraxis in der Türkei, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/335311

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