Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitende Worte
2. Theorieentwicklung: Von Kant zu Doyle
2.1. Kants Theorem - Mit drei Artikeln „zum Ewigen Frieden“
2.1.1. Der erste Definitivartikel
2.1.2. Der zweite Definitivartikel
2.1.3. Der dritte Definitivartikel
2.2. Exkurs: Der Liberalismus in den Internationalen Beziehungen
2.3. Der Demokratische Frieden
3. Demokratien auf dem Prüfstand: Wie friedlich sind sie wirklich?
3.1. Der empirische Doppelbefund
3.2. DerRationalChoice-Ansatz
3.3. Der Irakkrieg 2003 und die Präferenzbildung in den USA
4. Fazit und Ausblick
5. Literaturverzeichnis
6. Abstract/ Zusammenfassung
1. Einleitende Worte
Demokratien führen untereinander keine Kriege - diese Tatsache „comes as close as anything we have to an empirical law in international politics“ (Levy 1988: 662). Bereits 1795 hat „der Urvater“ des Demokratischen Friedens, Immanuel Kant, gezeigt, dass ein Unterschied zwischen den Kriegsaffinität demokratischer und nicht-demokratischer Staaten besteht. Aber erst seitdem Michael Doyle 1983 die Theorie des Demokratischen Friedens wiederentdeckt hat, ist sie im politikwissenschaftlichen Diskurs heftig umstritten. Der internationalen Forschung ist es seither gelungen, „Regelmäßigkeiten zu entdecken, die auf eine besondere Kooperationsfähigkeit zwischen Demokratien hinweisen“ (Dembinski/ Hasenclever 2010: 15). Im Gegensatz zu illiberalen Staaten haben Demokratien häufiger das Bedürfnis, Konflikte durch Mediation anstatt durch Kriege zu beseitigen. Auch die Bildung von Allianzen und internationalen Organisationen gelingt zwischen diesen häufiger und erfolgsversprechender (ebd.). Aber sind Demokratien tatsächlich friedliebender als Nicht-Demokratien? Wann entscheidet sich eine demokratische Gesellschaft für einen kriegerische Auseinandersetzung? Und vor allem: Wieso sind demokratische Staaten in Kriege mit illiberalen verwickelt? Ziel dieser Arbeit soll es neben der Beantwortung dieser Fragen sein, Kants Theorem und die Theorie des Demokratischen Friedens auf ihre heutige Gültigkeit hin zu überprüfen. Dabei soll ein besonderer Blick auf den Entscheidungsprozess der Vereinigten Staaten von Amerika für Irakkrieg 2003 geworfen werden.
Die Forschungsfrage, die im Rahmen dieser Arbeit beantwortet werden soll, lautet:
Inwiefern lässt sich der durch die Vereinigten Staaten von Amerika initiierte Irakkrieg 2003 durch den empirischen Doppelbefund des Demokratischen Friedens und Kants Theorem erklären?
Die politische, wissenschaftliche und zeitgenössische Relevanz dieser Fragestellung ergibt sich einerseits aus der Geschichte der Theorie des Demokratischen Friedens und andererseits aus ihrem heutigen gesetzesartigen Anspruch. Nicht nur die Frage nach der Rechtfertigung demokratischer Kriege versucht diese Arbeit zu beleuchten. Auch, dass der scheinbare Gegenstand der Theorie - Demokratien sind friedlicher als Nicht-Demokratien - durch den sogenannten Doppelbefund deutlich geschwächt, wenn nicht sogar negiert wird, ist für die heutige Forschung bedeutend, um die außenpolitischen Handlungen und kriegerischen Auseinandersetzungen einzelner Nationen verstehen zu können. Insbesondere die Möglichkeit der Manipulation der innerstaatlichen Gesellschaft durch demokratische Regierungen scheint hier besonders betrachtenswert.
Die Fragestellung soll einerseits durch Primärliteratur erarbeitet und beantwortet werden. Hierfür werden Immanuel Kants „Zum Ewigen Frieden“ selbst, sowie Michael W. Doyles Artikel „Kant, Liberal Legacies, and Foreign Affairs“ aus dem Jahr 1983 entscheidend sein. Der Grund für diese Auswahl ist zum einen, dass Kant „berechtigter Weise [...] zu einem Symbol der These geworden ist“ (Williams/ Kroslak 1999: 428) und zum anderen, dass Doyle den Demokratischen Frieden neu wieder belebt hat. Kants Theorem wirdjedoch nicht in voller Länge interpretiert werden können, da dies zum einen den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde und sich das Thema zum anderen auf den Doppelbefund der Theorie beschränkt, den Kant in seinem philosophischen Entwurf nicht erwähnt. Anderseits werden auch Kommentare prägnanter Sekundärliteratur in der Bearbeitung der Fragestellung eine wichtige Rolle spielen. Hier werden vor allem die Arbeiten von Andreas Hasenclever, Jost Dülffer, Christopher Daase und Jürgen Wilzewski Grundlage sein, da diese Autoren einen guten Überblick über die verschiedenen Erklärungsansätze der Theorien und über den Doppelbefund sowie die daraus resultierende Problematik demokratischer Kriege geben. Erklärend soll also anhand verschiedener Modelle und dem Beispiel des Entscheidungsprozesses zum Irakkrieg 2003 in den Vereinigten Staaten von Amerika die These untersucht werden, dass Demokratien nicht friedliebender sind als illiberale Staaten. Es handelt sich somit um eine qualitative Studie.
Die vorliegende Arbeit beginnt damit, das kantische Modell (2.1.) sowie den Demokratischen Frieden (2.3.) theoretisch zu erläutern. Da der Demokratische Frieden eine Spezifizierung der IB-Großtheorie des Liberalismus ist, wird auch diese anhand Andrew Moravciks Werk „Taking preferences seriously: a liberal theory of international politics“ aus dem Jahr 1997 kurz dargestellt (2.2.). Im Anschluss daran wird der sogenannte Doppelbefund (3.1.) samt der monadischen und dyadischen Erklärungsvariante des Demokratischen Friedens definiert. Dieser wird schließlich durch den Rational Choice-Ansatz (3.2.) erklärt und auf die im Vorfeld des Irakkrieges 2003 in den USA stattgefundene Präferenzbildung (3.3.) angewandt, bevor ein Fazit (4.) und die Beantwortung der Forschungsfrage den Abschluss der
Arbeit bilden. Der Rational Choice-Ansatz ist jedoch nur eine mögliche Erklärung des Doppelbefundes und diesem kommt auch keine besondere Bedeutung in dessen Erläuterungspotential zu. Er wurde hier rein subjektiv gewählt, da dieser bereits im kantischen Theorem angesprochen wird und gut auf die Situation in den Vereinigten Staaten im Jahr 2003 anzuwenden ist.
Die zentralen Begriffe dieser Arbeit - Demokratie, Frieden und Krieg - lassen sich wie folgt definieren: Wichtige Aspekte einer Demokratie sind eine durch Wahlen legitimierte Regierung, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs-, Versammlungs- und Informationsfreiheit sowie durch die Regierung garantierte Grundrechte (Petersen 2009: 30). Auch die umfassende Responsi- vität des politischen Staates zählt zu der Definition einer Demokratie (Lauth 2006: 91). Ihre Qualität wird zudem anhand einer Demokratiemessung (Polity IV-Index und Freedom House) untersucht: Auf einer Skalierung zwischen sieben und zehn Punkten lassen sich die unterschiedlichen Demokratietypen beurteilen (ebd.: 93). Unter dem positiven Friedensbegriff versteht man die „Abwesenheit struktureller und nicht nur personeller Gewalt“ (Rudolf 2010: 280). Ein stabiler oder struktureller Frieden wird zudem verstanden als Nichteinbeziehung eines Krieges in die Handlungsoptionen von Staaten (ebd.). Krieg wird schließlich definiert als „organisierter Einsatz von Gewalt zwischen Staaten mit mehr als 1000 Toten“ (ebd.: 526).
2. Theorieentwicklung: Von Kant zu Doyle
Das folgende Kapitel dient dazu, die theoretischen Grundzüge, dessen Vorläufer und die Einteilung in das Gebiet der Internationalen Beziehungen des Demokratischen Friedens zu skizzieren. Zuerst werden die drei Definitivartikel Immanuel Kants erläutert. Da die dritte von Kant genannte Bedingungjedoch kaum Bedeutung für den Demokratischen Frieden hat, wird dieser nur kurz erläutert. Anschließend wird die Theorie des Liberalismus anhand Andrew Moravcik erklärt, bevor der heutige Stand der Forschung zum Demokratischen Frieden durch Michael W. Doyle beschrieben wird. Diese Schritte sind für die Fragestellung insofern wichtig, als dass sie einführend das Modell des Demokratischen Friedens erläutern, bevor im darauffolgenden Kapitel auf dessen Problematik eingegangen werden kann.
2.1. Kants Theorem - mit drei Artikeln „zum Ewigen Frieden“
Im historischen Kontext der Französischen Revolution verfasste der Königsberger Philosoph Immanuel Kant 1795 den Artikel „Zum Ewigen Frieden“. Neben sechs Präliminarartikel stellte er drei Thesen („kantische Trias“) auf, die sich mit der Frage auseinandersetzen wie Frieden entstehen und stabil sein kann. Zwar haben sich auch andere Philosophen wie Niccolo Machiavelli oder Jean Jacques Rousseau mit dem Zusammenhang zwischen außenpolitischem Verhalten von Staaten und innerer Organisation auseinandergesetzt (Czempiel 1996: 80), aber nur Kant gelang es mit diesem Werk eine Basis zu schaffen, die „das grundlegende Verständnis von Politik, Recht und Moral auf ein neues bis dato unbekanntes und seitdem selten erreichtes Niveau“ (Hidalgo 2012: 9) hob.
Bereits vor ihrer Veröffentlichung erregte Kants Schrift allgemeine Aufmerksamkeit und schon bald herrschte in der zeitgenössischen Wissenschaft eine heftige Diskussion darüber, inwieweit sich die kantische Theorie in der Realität bewahrheiten lassen würde. Auch heute noch streiten sich Politikwissenschaftler über den Nutzen der drei Definitivartikel für die gegenwärtigen Internationalen Beziehungen und Friedens- und Konfliktforschungen (Hidalgo 2012: 12-14). Explizit die Forderung des ersten Definitivartikels wird im wissenschaftlichen Diskurs „als ,Kants Theorem' bezeichnet und gesetzt als Ausgangspunkt für die Annahme der Kriegsresistenz von Demokratien, die in ihren wechselseitigen Beziehungen den Krieg als Mittel zur Lösung von Konflikten zu überwinden vermögen“ (Kater 2011: 18).
In seiner Schrift vertritt Immanuel Kant die Ansicht, dass „der Friedenszustand unter Menschen [...] kein Naturzustand“ (Kant 1795: 10) sei. Vielmehr müsse dieser durch praktisches Handeln gestiftet werden. Kant definiert somitjeden Zustand, der nicht auf der Friedensstiftung beruht, als einen kriegerischen (ebd.). Zentrale Bestandteile eines immerwährenden Friedens, die nach dem Philosophen verrechtlicht werden müssen, sind eine republikanische Verfassung, ein Völkerbund und ein Weltbürgerrecht (Eberl 2008: 183).
2.1.1. Der erste Definitivartikel
Der erste Definitivartikel bestimmt, dass die bürgerlich-republikanische Verfassung zu einem stabilen Frieden führe (Kant 1795: 10). Durch die aus der Demokratie und der Volkssouveränität resultierende Freiheit der Bürger entsteht ein bilateraler Frieden (Eberl 2008: 184), „da die Bürgerschaft vor einem Krieg gefragt werden müsse und daher wohl die Kalamitäten des Krieges - Kosten und Elend - vor[her] abwägen würde“ (Dülffer 2011: 36-37). Krieg widerspricht somit den Interessen der Bürger. Für sie gibt es keine rationale Begründung, eine kriegerische Auseinandersetzung zu beginnen (Kater 2011: 22, siehe Kapitel 3.2. ). Autokratische, totalitäre Herrscher, die nicht Staatsgenosse, sondern Staatseigentümer sind (Kant 1795: 13), entscheiden sich schneller für Kriege, da sie andere außen- und innenpolitische Interessen vertreten als das Volk. Nicht sie selbst, sondern die innerstaatliche Gesellschaft leidet unter den Konsequenzen militärischer Auseinandersetzungen, weshalb nichtdemokratisch legitimierte Regierungen diese deutlich häufiger initiieren (Levy 1988: 657-658). Immanuel Kant nennt vier Kriterien, die gegeben sein müssen, damit eine republikanische Verfassung entstehen kann: Die Freiheit aller Mitglieder einer Gesellschaft (Kant 1795: 13), das Prinzip der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (ebd.), die Unabhängigkeit der ausführenden Gewalt von der gesetzgebenden (ebd.: 14) und das repräsentative Regierungssystem mit dem Staatsoberhaupt als oberstem Staatsdiener (ebd.). Zwar beschreibt der Philosoph explizit, dass es sich bei dieser Verfassung nicht um eine demokratische, sondern eine republikanische handeln soll (ebd.: 13-15). Aber auch ohne weitere Interpretationen dieser Kriterien werden die Parallelen zu dem modernen demokratischen Rechtsstaat deutlich und es lässt sich erkennen, dass Kants Bedingungen für den ewigen Frieden hier die heutige repräsentative Demokratie definieren (Rauch 2005: 20).
2.1.2. Der zweite Defintivartikel
Der zweite Artikel schlägt zur Friedensbildung ein Völkerrecht vor, das auf einem Föderalismus freier Staaten gegründet werden soll (Kant 1795: 16). Dieser normative Artikel bezieht sich also nicht mehr, wie der erste analytische, auf die innerstaatliche Verfassung, sondern auf das Verhältnis der Staaten untereinander. Auch die Rolle des Staates entspricht der des Menschen im Naturzustand (ebd.: 17); es handelt sich also auch hier um einen kriegerischen. Kant beschreibt in diesem Artikel „die völkerrechtlichen Bestimmungen, die das Verhältnis und Verhalten der Staaten zueinander regeln sollen“ (Hidalgo 2012: 49). Problematisch sieht der Philosoph die zeitlich und lokalen begrenzten Eigenschaften der Friedensverträge: Sie beenden zwar einzelne Kriegejedoch nicht den allgemeinen Kriegszustand im in- ternationalen System (Kant 1795: 18). Kant beschreibt als geeignete Alternative den Friedensbund (ebd.), dem die Idee eines föderalen Staatensystems zugrunde liegt. Durch die Beteiligung aller liberalen Republiken bildet sich nach Kant schließlich eine Friedensgemeinschaft zwischen diesen. Bei dem Friedensbund handelt sich jedoch nicht um eine Art Weltstaat, „sondern eher [um] eine internationale Organisation wie de[n] Völkerbund oder die Vereinten Nationen, wenngleich weniger stark formalisiert und nur von wenigen Demokratien bevölkert“ (Rauch 2005: 20). Immanuel Kant beschreibt in diesem Artikel somit das Verhalten demokratischer Staaten untereinander im internationalen System.
2.1.3. Der dritte Definitivartikel
Der dritte Definitivartikel beschreibt schließlich, dass das Weltbürgerrecht auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt bleiben soll (Kant 1795: 21-24). Er beschreibt die zwischenstaatlichen Beziehungen der Bürger im internationalen System untereinander und enthält Regelungen des friedlichen Zusammenlebens auf fremden Staatsgebiet. Das Besuchsrecht impliziert auch das sogenannte Weltbürgerrecht. Es umfasst den Anspruch, sich als Besucher ohne Angst vor Angriffen auf auswärtigem Territorium aufzuhalten. Dadurch wird der friedliche Austausch zwischen Staaten und das zukünftige Ziel einer weltbürgerlichen Verfassung (ebd.: 24) bezweckt.
2.2. Exkurs: Der Liberalismus in den Internationalen Beziehungen
Spätestens seit der Unfähigkeit des Realismus, den Niedergang des Ost-West-Konflikts und das Ende des Kalten Krieges zu prognostizieren, wird dem Liberalismus als Modell der Internationalen Beziehungen eine bedeutende Rolle zugesprochen (Schulz/ Tilly 2011: 27). Die IB-Großtheorie wurde insbesondere durch den US-amerikanischen Politikwissenschaftler Andrew Moravcsik und dessen Werk „Taking preferences seriously: a liberal theory of international politics“ (1997) geprägt, der in die Innenpolitik der Staaten blickt, um das außenpolitische Verhalten zu verstehen (Hidalgo 2012: 108). Moravcsik vertritt die Annahme, dass Staaten nicht - wie beispielsweise im Realismus - Hauptakteure und somit Endscheidungsträger außenpolitischer Handlungen darstellen. Die zentralen Akteure der Präferenzbildung sind vielmehr innerstaatliche, einflussreiche Gruppierungen. Sie übertragen ihre In- teressen durch Kommunikations- und Einflusskanäle auf die Politik (Moravcsik 1997: 3637). Für Moravcsik sind somit die mächtigsten Einflüsse in der gegenwärtigen Weltpolitik „not the deployment of military force or construction of international institutions, but the transformation of domestic and transnational social values, interests, and institutions“ (ebd.: 67). Nicht etwa exogene Faktoren wie schwankende Machtverteilungen bestimmen die Präferenzordnungen eines Staates: Es sind „die inneren institutioneilen Ordnungen bzw. Regierungsformen der Staaten und die bestehenden innenpolitischen Machtverhältnisse“ (Kahl/ Rinke 2011: 77), die für außenpolitische Willensbildungsprozesse verantwortlich sind. Diese definieren die sich in der Gesellschaft durchsetzenden außen- und sicherheitspolitischen Ziele (Moravcsik 1997: 38). Die Aufgabe des Staates ist es dann, als Vertreter der endogenen gesellschaftlichen Interessen, diese Ziele in der Rolle eines außenpolitisches Handlungsorgans zu verwirklichen (Schimmelfennig 2012: 145). Der Liberalismus erklärt aber auch den systematischen Ausgang von zwischenstaatlichen Interaktionen und internationalen Konflikten. Moravcsiks These ist, dass relative Intensitäten staatlicher Präferenzen das Ergebnis dieser Interaktionen zum Vorteil der schwächeren Staaten verändern können (Mo- ravsik 1997: 44).
Aus liberaler Sicht sind kriegerische Auseinandersetzungen jedoch „soziale Katastrophen erster Ordnung“ (Hasenclever 2010: 78) - also das ultima ratio der Außenpolitik. Hier wird die ideologische Nähe zu Immanuel Kants ersten Definitivartikel deutlich: Auch die Vertreter des Liberalismus sind der Annahme, dass die Präferenzen der gesellschaftlichen Akteure nicht in Kriegen, für die sie selbst aufkommen müssen, zu finden sind. Vielmehr liegen diese „in der Steigerung der eigenen Wohlfahrt und somit - nach außen - im Handeln mit anderen Nationen“ (Kahl/ Rinke 2011: 77). Besonders Demokratien bieten eine realistische Möglichkeit, stabilen Frieden auch im internationalen System zu erreichen. In demokratischen Staaten können die gesellschaftlichen Akteure durch aktive Teilnahme am politischen Leben (Wahlen, Lobbying etc.) größeren Einfluss auf die (außen-)politische Präferenzbildung und somit auf Frieden nehmen, als diejenigen in nicht-demokratisch verfassten Staaten: „Entsprechend tendieren Demokratien auch nach außen zu friedlichem, regelgeleitetem und multilateral abgestimmten Verhalten, während undemokratische Staaten eine Tendenz zu Gewaltanwendung, Unilateralismus und Regelverletzung aufweisen“ (Schimmelfennig 2012: 146).
2.3. Der Demokratische Frieden
Das kantische Theorem ließ aber sich lange empirisch nicht belegen. Grund dafür waren die wenigen demokratisch-verfassten Staaten im internationalen System. Zu Kants Lebzeiten gab es lediglich drei demokratisch organisierte Herrschaftssysteme, die einer friedliebenden Union angehört haben: Die Schweiz, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika (Doyle 1983: 7). Auch eine mögliche Beziehung zwischen Regierungssystem und kriegerischem Verhalten ließ sich dadurch nicht nachweisen (Levy 1988: 658). Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden international deutlich mehr liberale Staaten: Nach 1945 etablierten sich weltweit 68 Demokratien (Doyle 1997: 261-263). Die heutige These des Demokratischen Friedens konnte daher erst im vergangenen Jahrhundert definiert, empirisch untersucht und belegt werden.
Bereits 1942 hat Quincy Wright „eine Fülle an Daten für Konflikte seit 1480 publiziert und dabei den Anspruch vertreten, das internationale System könne nur dann friedlich werden, wenn alle Staaten Demokratien wären“ (Dülffer 2011: 39). Damals wurdenjedoch noch keine inneren Zusammenhänge aus diesem Befund geschlossen (ebd.). 1982 gelang es J. David Singer und Melvyn Small mit ihrem „Correlates of War“-Projekt eine Datensammlung zu publizieren, die zeigte, dass es in der Zeit zwischen dem Wiener Kongress 1816 und 1980 575 Kriege gab (Doyle 1997: 267). Seitdem werden diese Daten für die Forschung der Internationalen Beziehungen als Grundlage verwendet (Dülffer 2011: 39).
Neben Vertretern wie Jack Levy, Emst-Otto Czempiel oder Bruce M. Russett war Michael W. Doyle einer derjenigen, der dem Demokratischen Frieden mit seinem 1983 erschienen Artikel „Kant, Legacies, and Foreign Affairs“ schließlich internationalen Durchbruch verschaffte und das Modell in den wissenschaftlichen Diskurs brachte. Dass Kriege zwischen demokratischen Staaten nicht stattfinden, zählt seither zu einer der beständigsten Regelmäßigkeiten der Internationalen Beziehungen (Dembinski/ Hasenclever 2011: 12). Nicht nur in der Politikwissenschaft und Literatur hat das Konzept seit Doyle an Bedeutung gewonnen.
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