Die Darstellung und Reflexion von Armut und Reichtum in Harsdörffers Erzählsammlungen


Epreuve d'examen, 2016

75 Pages

Anonyme


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gesellschaftsökonomische Strukturen und monetäre Bewertungsmuster der Frühen Neuzeit
2.1 Sozialwirtschaftliche Hintergründe
2.2 Bewertung von Geld und Reichtum
2.3 Bewertung von Armut

3. Exemplarische Textanalyse ausgewählter Erzählungen
3.1 Der Grosse Schauplatz jämmerlicherMordgeschichte von Georg Philipp Harsdörffer
3.1.1 I. Der unglückselige Geitzhals
3.1.2 VIII. Der falsche Freund
3.1.3 XIV. Straf der Unbeständigkeit
3.1.4 XXXII. Das unglückselige Glück
3.1.6 LIX. Die gottesvergessne Eifersucht
3.1.7 LXVI. Des überwundenen Obsieg
3.1.8 LXXVII. Der treuvergessne Freund
3.1.9 LXXXI. Der unkeusche Wucherer
3.1.10 CIV. Der bestraffte Rauber
3.2 Der Grosse Schauplatz Lust-und Lehrreicher Geschichten von Georg Philipp Harsdörffer
3.2.1 I. Das gluckselige Almosen
3.2.2 CV. Die verkehrte Bekehrung
3.2.3 CXIX. Die kluge Bauren-Magd
3.2.4 CXXV. Saalbader
3.2.5 CXXXIII. Der guldene Zahn
3.2.6 CLXV. Der Gern-Goldmacher
3.2.7 CLXVI. Der betrogene Geiz
3.2.8 CLXXIV. Die Lehn- oder Leyhäuser
3.2.9 CXCVIII. Der Glückstopff

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Schon immer nahmen soziale Spannungen einen wichtigen Bestandteil der literarischen Darstellung ein. Ziel der vorliegenden Arbeit soll die Analyse der Darstellung und Reflexion von Armut und Reichtum in Georg Philipp Harsdörffers Erzählsammlungen sein. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Abschlussarbeit, ist eine detaillierte Textanalyse der insgesamt 400 Erzählungen nicht möglich, weswegen bereits im Vorhinein eine repräsentative Auswahl getroffen wurde. Diese orientierte sich an der Thematik der Geschichten und diente dazu, speziell diejenigen Erzählungen auszusuchen, die inhaltlich stark auf die Hauptthemen Reichtum und Armut verweisen. In logischer Konsequenz zu den beiden genannten Themen, muss sich die vorgesehene Analyse auch mit Geld und Geldmitteln beschäftigen, deren Ab- bzw. Anwesenheit die beiden Vermögensverhältnisse Armut und Reichtum bedingen. Dazu wurden zehn Geschichten aus dem Schauplatz Jämmerlicher Mordgeschichte und neun Geschichten aus dem Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte ausgewählt, die laut der jeweiligen Register der beiden Sammelbände die genannten Themenbereiche behandeln.

Bezüglich der Forschungsliteratur des letzten Jahrzehnts zu Georg Philipp Harsdörffer lassen sich zwei Hauptschwerpunkte erkennen: Einerseits bilden die Verarbeitung der Quellen durch Harsdörffer sowie seine Kompilationsstrategien einen zentralen Forschungsgegenstand.[1] Hierzu fasst Judith M. Ecsedy in ihrem Aufsatz zur Quellenverwertung und Kompilationsstrategie viele wichtige Informationen zusammen.[2]

Weiterhin stehen im Zentrum der Quellenforschung die Übersetzungsstrategien Harsdörffers aus den romanischen Sprachen, sowie die konfessionelle Differenzierung dieser. Bezugnehmend auf den Prozess des Übersetzens finden sich in Jörg Roberts Aufsatz, der die „Nachahmungs- und Übersetzungstheorien Harsdörffers“[3] untersucht, aktuelle Ergebnisse. Antworten darauf, auf welche Art und Weise Harsdörffer konfessionelle Fragen bei seiner Übersetzung berücksichtigte, werden in dem Aufsatz von Doms (2007)[4] gegeben.

Die bedeutendsten Ergebnisse zur Verbrechensliteratur, dem zweiten Forschungsschwerpunkt der letzten Jahre, werden u.a. von Hania Siebenpfeiffer in ihrem Aufsatz Narratio crimen[5] präsentiert.

Beide genannten Forschungsschwerpunkte wurden im Hinblick auf Harsdörffers Schauplätze vielfach untersucht, da es sich bei den Erzählungen um einen uneinheitlichen Quellenkorpus handelt, dem insbesondere französische Quellen von Jean-Pierre Camus zu Grunde liegen.[6] Die Forschung geht davon aus, dass die meisten Erzählungen der Schauplätze ihren Ursprung in Jean-Pierre Camus Werk Amphithéâtre sanglant und in Thrésor d’histoires admirables et mémorables von Simon Goulart haben.[7] Weiterhin werden besonders im Grossen Schau=Platz jämmerlicher Mordgeschichte Geschichten nacherzählt, die innerhalb der Forschung entweder als „Frühform literarischer (Kurz-)Prosa“[8] oder als eine Art Frühform der Kriminalgeschichte gehandelt werden.[9]

Speziell zur Fragestellung dieser Arbeit liegen noch keine Untersuchungen vor; es finden sich lediglich einige Aufsätze, die sich mit der didaktischen Lehre der Erzählungen der Schauplätze beschäftigen, die auch für die Darstellung und Reflexion von Armut und Reichtum eine Rolle spielen.[10] [11] [12]

Bevor nun ein ausführlicher Praxisteil folgen soll, der aus einer eingehenden Textanalyse und Interpretation im Hinblick auf diese Themenstellung besteht, ist es ebenfalls notwendig, auf bestimmte Strukturen und Bewertungsmuster der Frühen Neuzeit im Hinblick auf Armut und Reichtum einzugehen. Da beide Schauplätze Harsdörffers dieser Epoche zuzuordnen sind, soll in Kapitel 2 verkürzt dargelegt werden, welche sozialwirtschaftlichen Hintergründe zu dieser Zeit vorherrschten. In Kapitel 2.2 soll speziell darauf eingegangen werden, welchen Status das Geld und der Reichtum in einer Gesellschaft hatten, die wenige Jahre zuvor noch Tauschhandel betrieb. Das folgende Unterkapitel soll aufzeigen, welche Konsequenzen die Armut mit sich brachte und wie diese gesellschaftlich bewertet wurde. Nach Abhandlung dieser theoretischen Bereiche schließt sich die Textanalyse der ausgewählten Erzählungen aus den Schauplätzen an.

Die beiden Erzählsammlungen eignen sich besonders gut für die Analyse der literarischen Darstellung und Reflexion von Armut und Reichtum, da ihnen, u.a., drei Hauptaspekte zu Grunde liegen. Zum einen sollen die Schauplätze die reale Welt repräsentieren, zum anderen wird diese Welt durch Harsdörffer mit „dem Status von Histoire und Geschichtsschreibung als traditionsgesättigter Erfahrungsschatz verbunden.“[13] Durch diese Verbindung wird die Möglichkeit der moralischen Bildung unterstützt, die bei den ausgewählten Geschichten mittels der Darstellung hinsichtlich der Wertung von Armut und Reichtum angestrebt wird. Inhaltlich orientiert sich die Analyse primär an den Fragen, wie Geld, Armut und Reichtum innerhalb der Erzählungen gewertet werden und inwiefern der Erzähler hierbei eine große Rolle spielt. Weiterhin liegt ein wichtiges Augenmerk darauf, wie arme bzw. reiche Menschen in sozialer Hinsicht angesehen sind und wie man arm oder reich wird. Interessant für die Untersuchung sind auch Sünden und Laster, die mit Armut, Reichtum oder Geld einhergehen und mit ihnen verbunden werden. Schließlich spielen auch die Konsequenzen, die sich aus den drei Hauptaspekten dieser Arbeit ergeben eine entscheidende Rolle im Hinblick auf die Interpretation.

Im Anschluss an die Analyse der ausgewählten Erzählungen aus beiden Schauplätzen sollen die Ergebnisse hinsichtlich der Darstellung und Reflexion von Armut und Reichtum miteinander verglichen werden, um fundierte Rückschlüsse auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede ziehen zu können. Berücksichtigt werden hier sowohl die formale Ebene, die sich mit der Erzählweise auseinandersetzt und unmittelbar mit der Darstellung von Armut und Reichtum zusammenhängt, als auch die strukturellen und inhaltlichen Ebenen der Geschichten, die Indizien hinsichtlich der Bewertung von Armut und Reichtum liefern. Insbesondere gilt es an dieser Stelle zu untersuchen, ob die Analyse der Erzählungen ein übereinstimmendes und klares Bild ergibt oder ob sich Unterschiede festmachen lassen. In dem Fall, dass sich Differenzierungen bei der Bewertung von Armut und Reichtum zeigen, müssen deren Bedeutungen hinsichtlich der Themenstellung geklärt werden.

2. Gesellschaftsökonomische Strukturen und monetäre Bewertungsmuster der Frühen Neuzeit

2.1 Sozialwirtschaftliche Hintergründe

Die Frühe Neuzeit lässt sich als eine Zeit des Umbruchs und der Veränderung beschreiben, was sich durch die Heterogenität der „wahrnehmbaren geistigen Strömungen, Handlungen und Geschehnisse“[14] begründet. Obwohl der Adelsstand kaum mehr als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, war er nach wie vor der bestimmende Stand. Seine wirtschaftliche Bedeutung begann jedoch allmählich, gegenüber dem Stadtbürgertum, zu verschwinden, wohingegen sie allerdings in den Bereichen des Militärs gleich zu bleiben schien.[15] Zu dieser Zeit befand sich das Bürgertum in einem stetigen Aufstieg, wodurch sich der Adel in seiner Vormachtstellung bedroht fühlte.[16] Weiterhin hatte kaum ein anderer Stand so stark unter der spätmittelalterlichen Agrardepression gelitten wie der Adel, der dabei auch große Teile seines Vermögens verloren hat.[17]

Da es in der Frühen Neuzeit eine enge Verbindung zwischen den Bereichen von Wirtschaft, Politik, Religion und Recht gab, beeinflusste das Geld auch die politische Domäne sehr stark. Die Geldeinkünfte spielten für die Herrschaftsträger eine immer wichtigere Rolle und so wurde es möglich, dass Personen, die geburtsmäßig von hohem Stand waren, in Abhängigkeit von Menschen niederen Standes geraten konnten, was vorher undenkbar gewesen war.[18]

Betrachtet man sich den deutschen Handel der damaligen Zeit, kann man, bezüglich seines wirtschaftlichen Aufbaus, in erster Linie von einem Binnenhandel sprechen. Da jedoch die einzelnen Gebiete durch Zölle und andere Handelshemmnisse voneinander abgeschottet waren, handelte es sich aus Sicht der Handeltreibenden eher um eine Art Außenhandel.[19]

Was die Organisation des Handels in der Frühen Neuzeit betrifft, lassen sich wie auch heutzutage „verschiedene Handelsstufen und Betriebsformen […] unterscheiden“.[20] Die kleinsten Handelsgeschäfte spielten sich auf dem Lokalhandel ab, der entweder innerhalb einer Stadt oder zwischen verschiedenen Produktionsstätten stattfand. Es wurde mit Produkten des täglichen Bedarfs, wie beispielsweise Nahrungsmitteln, gehandelt, welche auch auf unterschiedlichen Märkten eingetauscht wurden.[21] Noch im frühen Mittelalter bestimmte der Tauschhandel das wirtschaftliche Treiben, es wurde mit Salz gerechnet und man tauschte untereinander Schweine und Eier ein.[22] Seit dem 12. und 13. Jahrhundert breitete sich das Geld jedoch vermehrt aus und ersetzte im Fernhandel wie auch im regionalen Handel das Tauschgeschäft.[23]

Welche Konsequenzen diese Neuerung mit sich brachte, soll im folgenden Kapitel erläutert werden.

2.2 Bewertung von Geld und Reichtum

In Forschungskreisen wurde oftmals davon gesprochen, dass das Geld der ‘Neuen Welt‘ zwar zur Vergrößerung der Edelmetallvorräte Europas beitrug, sich dadurch aber gleichzeitig das Preisniveau erhöhte, was die soziale Ungleichheit weiter förderte und so auch zur Entwicklung des Kapitalismus im 16. Jahrhundert beitrug.[24] Weiterhin darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Geld nicht nur eine ökonomische Funktion als Zahlungsmittel hatte, sondern von da an auch als Instrument zur Speicherung von Werten gebraucht werden konnte. Außerdem lag eine weitere Bedeutung in seinem „generellen Prestigewert und der anschaulichen Verdichtung von Reichtum“.[25] Dieses Zitat unterstützt die oben getätigte Aussage, dass die Einführung des Geldwesens die soziale Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft weiter vorantrieb. Insgesamt legte die Einführung von Geld zudem einen gewissen Standard fest, der jegliche Austauschbeziehungen eindeutig regelte, wodurch ein einheitliches Wirtschaftssystem seine Anfänge fand.[26]

Was die positiven Seiten von Geld betraf, war insbesondere die gesteigerte Beweglichkeit zu nennen, die den Handel in vielerlei Hinsicht vereinfachte. So mussten beispielsweise nicht mehr Rinder von einem Ort zu nächsten transportiert werden, um sie gegen andere Waren eintauschen zu können, sondern das Geld kam zum Einsatz, weil es viel leichter zu lagern und zu verleihen war. Wegen der genannten Gründe vervielfachten sich auch die Handelsströme mit dem Einführen des Geldwesens, wodurch sich eine positive Wertung abzeichnet.[27]

Im Hinblick auf soziale Umstände, die mit der Einführung des Geldwesens einhergingen, erweist sich besonders die Tatsache als interessant, dass zumeist von fremden Personen, Übeltätern, Personen niedrigeren Rangs oder gar Feinden Geld geliehen wurde oder aber man Geld an eben diese verlieh. Mit Personen, die zum eigenen Bekanntenkreis oder zur Familie gehörten, verkehrte man weiterhin ohne Geld und tauschte viel eher Geschenke oder Dienstleistungen aus. Somit ergibt sich also eine negative Bewertung von Geld, da dieses – aufgrund des Mangels seiner „persönliche[n] Aura“[28] – nicht in ausreichendem Maße eine persönliche Wertschätzung ausdrücken konnte. Weiterhin wird Geld als Gegensatz zum Begriff der Ehre gesehen, da es dort, wo Geld gefordert wurde, keinen Platz mehr für freiwillige Gaben gab, die vor der Einführung des Geldwesens gerade in sozialer und zwischenmenschlicher Hinsicht eine große Rolle spielten. Weiterhin entstanden immer mehr finanzielle Abhängigkeiten, die den Umgang miteinander verkomplizierten.[29]

Betrachtet man Reichtum im religiösen Kontext, wurde dieser zu den sogenannten verderblichen Reizen der Welt gezählt, denen man als guter Christ zu entsagen hatte.[30] Obwohl das Geld also gerade in wirtschaftlicher Sicht viele positive Aspekte mit sich brachte, gab es von religiöser Seite aus dennoch ein Plädoyer für die alten Werte, wonach man den Wert des Geldes gering schätzen sollte.[31]

Im Unterschied zum Geld, mit welchem eine große Beweglichkeit assoziiert wurde und welches die Möglichkeit bot, praktisch jedem zur Verfügung zu stehen, wurde Reichtum als unbeweglich angesehen. Er wurde einer bestimmten Person zugerechnet und war dadurch im Stammbaum der vermögenden Person verankert[32], was ihn vom Zahlungsmittel des Geldes unterscheidet.

2.3 Bewertung von Armut

Bevor sich konkrete Äußerungen zur Bedeutung und Bewertung von Armut in der Frühen Neuzeit tätigen lassen, bedarf es zunächst einer kurzen Definition des Begriffs. Wolfgang von Hippel bezeichnet Armut als „eine relative, in den jeweiligen politischen und ökonomischen, sozialen und mentalen Kontext eingebettete Größe“[33]. Armut lässt sich in mehrere unterschiedliche Unterklassen einteilen, jedoch ist für diese Arbeit die Art von Armut besonders interessant, in deren Zusammenhang die Betroffenen oftmals auch in sozialer Hinsicht ab- oder ausgegrenzt werden. Eine weitere wichtige Rolle spielt ebenso die gesellschaftliche Wahrnehmung und Beurteilung von Armen, die aus kulturgeschichtlichen Gründen einem stetigen Wandel unterworfen sind. Die Ursachen für Armut sind stets vielfältig, nimmt man jedoch speziell auf die Frühe Neuzeit Bezug, lässt sich im Besonderen eine wechselseitige Beziehung zwischen Armut und Arbeit erkennen. Damit ist gemeint, dass die Personen, die keiner Tätigkeit nachgingen, meistens in den Zustand von Armut gerieten.[34]

Zudem hatte Armut in der Frühen Neuzeit vielseitige Konsequenzen für die betroffenen Personen: Einerseits bedeutete dies einen Mangel an Möglichkeiten, sich an rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Prozessen innerhalb der Bürgergemeinde zu beteiligen.[35] Dies führte also zu einer gewissen Ausgrenzung armer Menschen, die selbst nicht aktiv an Entscheidungsfindungen in den genannten Bereichen teilnehmen und sich somit auch keine Ansprüche am Gemeindeeigentum oder aber an Gemeindehilfen geltend machen konnten.[36] Andererseits bestand neben dem offensichtlichen Aspekt des Mangels an Vermögen oftmals zudem ein Mangel an Einkommen und Ausbildung, durch welchen keine wirtschaftliche Selbstständigkeit möglich war. Eng verbunden mit diesen Mängeln steht laut Hippel „ein bestenfalls beschränktes Kapital an sozialer ‚Ehre‘, das nicht zuletzt von Herkunft und angemessenem Lebensstil abhing.“[37] Dieses Zitat stellt deutlich den Zusammenhang von Armut und niedrigem sozialen Ansehen heraus. Somit wurde Armut als ein Zustand bewertet, der mit geringem Ansehen und Anteil am bürgerlichen Leben einherging. Was die gesellschaftliche Bewertung von Armut betrifft, kann diese nochmals präziser in zwei Kategorien differenziert werden: Zur ersten Klasse zählten die sogenannten „würdigen‘“[38] Armen, zu denen unter anderem Waisen, alleinstehende Frauen und Invaliden zählten, die meist unverschuldet arm geworden waren. Aus diesem Grund waren diese Menschen auch zumindest mäßig sozial integriert. Im Gegensatz zu dieser Gruppierung steht die als „mobile Armut“[39] deklarierte Gruppe, die seit Beginn des Spätmittelalters immer stärker sozial abgewertet, ausgegrenzt und teilweise auch kriminalisiert wurde. Die Rede ist hier vom professionellen Bettlertum, welches weder sozial integriert war, noch gesellschaftlich geachtete wurde.[40]

Es lässt sich also festhalten, dass gerade in der Frühen Neuzeit, in welcher durch die Aus- und Verbreitung von gesellschaftlichen Normen durch Obrigkeiten, Tendenzen zur Ausgrenzung einzelner Personengruppen innerhalb der Gesellschaft gefördert wurden. So wurden auch arme Menschen, die kein gängiges soziales Verhalten zeigten oder sich nicht an die vorgegebenen Normen hielten, als Bedrohung für den sozialen Frieden angesehen und somit ausgegrenzt.[41]

3. Exemplarische Textanalyse ausgewählter Erzählungen

3.1 Der Grosse Schauplatz jämmerlicherMordgeschichte von Georg Philipp Harsdörffer

3.1.1 I. Der unglückselige Geitzhals

Diese erste Erzählung verhandelt gleich zwei der großen Sünden der Frühen Neuzeit, avarizia und ira[42], durch die die gesamte Erzählung bestimmt wird. Konkret wird die Erzählung um den unglückseligen Geizhals Bergold damit eingeleitet, dass dieser gleich zu Beginn als Adeliger, also vermögender Mann, dargestellt wird, dem jedoch sofort die bereits oben genannte Sünde der avarizia zur Last gelegt wird: „In dieser Gegend hatte seine Geburtstat ein unglückseliger geitziger von Adel / welcher diesen grossen Schauplatz jämmerlichen Mordgeschichte eröffnen sol.“[43]

Die Geschichte um Bergold erzählt, dass dieser nach dem Tode seines Vaters dessen großes Vermögen erbte und die Anteile seiner beiden Schwestern so lange verwahren sollte, bis diese heiraten würden. Aber Bergold war mit dem Testament nicht einverstanden und wollte „sich mit so reichem Haab nicht vernügen [lässt] / sondern lüstert auch seiner Schwestern Antheil zu besitzen: massen des Geitzes Eigenschafft ist niemals genug haben / und täglich ein mehrers zu wünschen.“[44] Diese zitierte Textstelle kann man in zwei Teile untergliedern: Die erste Partie bis zum Doppelpunkt bezieht sich speziell auf Bergold und dessen unersättlicher Gier nach Geld, die derartig stark ausgeprägt ist, dass er sogar das Vermögen seiner Schwestern für sich beansprucht. Hier lässt sich bereits die implizite Interpretation von Geld erkennen, dass es einen Menschen gierig und gewissenlos machen kann.

Die zweite Partie trifft eine allgemeingültige Aussage über die Eigenschaft des Geizes und damit verbundene Tätigkeiten, wie beispielsweise zu immer mehr Geld gelangen zu wollen und sich niemals mit dem eigenen Besitz zufrieden zu geben. Insgesamt bewirkt der Erzähler an dieser Stelle eine untrennbare Verbindung zwischen Geld, Reichtum und Geiz. Es wird vermittelt, dass also derjenige Mensch, der zu großem Besitz gelangt ist, automatisch auch geizig sein muss und so die genannten schlechten Charaktereigenschaften in sich vereint.

Bergold wird gegenüber seiner eigenen Schwester gewalttätig, weil er nicht akzeptieren kann, dass sie den Anteil der jüngeren Schwester erhalten soll. Das Geld wird hier durch den Erzähler sehr schlecht dargestellt, weil es als Ursache für Bergolds Verhalten gilt. Der Richter spricht zwar dennoch Spinellä das Geld zu, jedoch sollte diese ihren Anteil erst dann erhalten, wenn sie in den Ehestand trete. Um diesen Besitzwechsel vorzubeugen, versucht Bergold, alle Buhler seiner jüngeren Schwester mit Betrug und Lügen zu vertreiben. Einer der Buhler, Sidonius, der jüngste Sohn eines armen Edelmanns, „der mehr Hertz im Leib / als bahres Geld in dem Beutel gehabt“[45], ließ sich jedoch nicht abschrecken. Der kurze Textbeleg gibt einerseits Aufschluss über die Besitzverhältnisse des jungen Sidonius, der relativ arm zu sein scheint. Andererseits wird sofort ein positives Bild des jungen Buhlers vermittelt, dem ein guter Charakter nachgesagt wird. Hier erfolgt also eine Verbindung zwischen Armut und einem guten Charakter bzw. Herzen, im Gegensatz zu Reichtum, der mit schlechten Eigenschaften verbunden wird.

Zunächst gelingt es Bergold, den beiden den Umgang mittels eines Gerichtsurteils zu verbieten. Doch dieses Verbot facht die Liebe von Spinellä und Sidonius zusätzlich an, woraufhin die beiden fliehen, um sich trauen zu lassen. Diese Abwesenheit nutzt Bergold aus, um Sidonius als Jungfrauenräuber anzuklagen und ihn in effigie, durch das Aufhängen eines Bildes von ihm, am Galgen hinzurichten. Die Freunde von Sidonius wollen das Bild abnehmen und so die Ehre ihres Freundes wieder herstellen. Am Ende fordert einer der Freunde, Eleazar, Bergold zu einem Duell auf, zu welchem dieser aber nicht allein erscheint. So endet die Erzählung damit, dass Eleazar Bergold aufgrund des Betrugs tötet und selbst schwer verletzt wird. Wichtig ist die Beschreibung der Ereignisse, die sich nach dem Tod des Geizigen abspielen. Bergolds Frau und ihr ungeborenes Kind sterben, wenige Wochen danach auch der einzige Sohn. Spinella und Sidonius hingegen erhalten das ihnen zustehende Geld, wie auch Bergolds‘ Besitz. Die Familie von Bergold hingegen wird als Strafe für dessen Sünden praktisch ausgelöscht, was sich durch anschließende Textstelle belegen lässt: „Hieraus er hellt / daß der Heitz ein Wurtzel deß Neids / Mords / unversehnlicher Feindschafft der Umbarmhertzigkeit / und wird endlich mit einem jämmerlichen Ende von dem gerechten Gott / zur Warnung aller Geittzhälse abgestrafft.“[46] Geiz ist also der Auslöser für noch viele weitere Sünden und bringt Mord, Unbarmherzigkeit und Feindschaft mit sich. Letzten Endes wird jeder geizige Mensch mit einem jämmerlichen Tod für seine Sünden bestraft. Da Geld und Reichtum von Anfang an fast synonym mit dem Wort ‚Geiz‘ verwendet werden, lässt sich hier eine deutliche Aussage über die Bewertung dieser treffen. Geld und Besitz sind nicht erstrebenswert und werden scharf verurteilt, da durch sie viele schlimme Dinge geschehen. Im Vordergrund dieser Erzählung steht die Lehre, dass Geld den Charakter der Menschen verdirbt und sogar Familien zerstören kann.

Zum Abschluss dieser Geschichte präsentiert der Erzähler die Grabinschrift von Bergold, welche als „Epitaph“[47] verfasst ist. Diese Inschrift tituliert Bergold noch einmal ausdrücklich als jemanden, „[d]er nie war deß Geltes satt“[48], und fasst die Moral der Erzählung noch einmal zusammen, indem er den Leser unmittelbar in die Diegese mit einbezieht.[49] Die folgenden satirischen Verse, „Willst du Leser nicht entweichen Wird er aus dem Graben reichen / Zu dir / nach des Beutels Same.“[50], richten sich direkt an den Leser der Geschichte mittels der Du-Form und verurteilen Bergolds Geldgier auf satirische Art und Weise. Durch die direkte Ansprache an den Leser, werden die narrativen Ebenen der Geschichte durcheinander gebracht, da sich der Leser einerseits auf der extradiegetischen Ebene befindet, andererseits aber durch den Erzähler, als Referenzobjekt der Grabinschrift, zu einem Bestandteil der diegetischen Ebene wird.[51] Das Epitaph setzt sich in dieser Weise fort und birgt in seinem unteren Drittel einen weiteren interessanten Aspekt: „Arme hassen und verachten“[52]. Man findet hier also nicht nur eine allgemeine Bewertung von Armut, sondern das Urteil eines reichen Menschen gegenüber den Armen. Diese Wertung kontrastiert stark mit der positiven Wertung von Armut innerhalb der Geschichte, die durch den Erzähler mit Hilfe der Person des Sidonius zum Ausdruck gebracht wurde.

3.1.2 VIII. Der falsche Freund

Die Ausgangslage der Geschichte besteht darin, dass zunächst über die innige Freundschaft der beiden französischen Adeligen Cratis und Politian berichtet wird. Noch im gleichen Atemzug klärt der Erzähler den Leser darüber auf, dass die Freundschaft der beiden jedoch nur so lange anhielt, bis sich einer der beiden verliebte. So kam es also, dass sich Politian in Phebe verliebte, „die mitgrossem Reichthum / und noch grösserer Schönheit begabet / welches beedes zur Liebneigung die Jugend zu vermögen mehr als genugsam ist.“[53]

Durch die Charakterisierung Phebes als sehr reiche und wunderschöne Frau, vermittelt der Erzähler eine eher oberflächliche Art von Liebe zwischen von Politian zu Phebe. Weiterhin lässt sich aus der Textstelle schlussfolgern, dass für Harsdörffer besonders junge Menschen nach Schönheit und Reichtum streben und diese beiden Faktoren eine große Rolle bei der Partnerwahl spielen. Der Charakter einer Person scheint eher im Hintergrund zu stehen, die äußere Erscheinung und das Vermögen im Vordergrund.

Als Politian schließlich begann um Phebe zu werben, waren ihre Freunde der Meinung, dass Politian „mehr das Gut als die Person zu besitzen [suchte].“[54] Da die Freunde der Überzeugung waren, dass Politian viel mehr an Phebes Besitz, als an ihr als Person interessiert war, lässt der Erzähler durch sie ein indirektes, negatives Urteil über Politian vermitteln. Um nun doch noch Phebes Freunde von seinen ehrlichen Absichten zu überzeugen, sollte Politians bester Freund Cratis ein gutes Wort für ihn gegenüber der Verwandtschaft von Phebe einlegen. Dieser fand allerdings selbst Gefallen an der reichen Jungfrau, was von der erzählenden Instanz wie folgt dargestellt wird: „Nach dem ihm aber die Liebe die Augen eröffnet / betrachtet er Phebe / als eine reiche Jungfrau / die ihm auch nicht übel solte anstehen“.[55] Fortan sprach er über seinen Freund Politian sehr schlecht, um sich selber bessere Chancen bei Phebe zu verschaffen und sie dazu zu bringen, jenen zurückzuweisen, obwohl sie beide bereits einander versprochen hatten. An dieser Textstelle wird deutlich, dass Cratis, als er Phebes Reichtum in seiner unmittelbaren Reichweite sah, von der Gier nach Geld gepackt wurde, die zu einem Verrat an seinem besten Freund führte. Der Gebrauch des Begriffs ‘Liebe‘, der als Auslöser für diesen Verrat genannt ist, lässt sich in diesem Zusammenhang eher als Liebe zum Geld erklären, da innerhalb der Textstelle wieder einmal die Vermögensverhältnisse von Phebe explizit erwähnt werden. Der Erzähler bricht an dieser Stelle der Erzählung mit der intuitiven Lesererwartung, indem er den Begriff ‘Liebe‘ ironisch gebraucht. Steht dieser normalerweise in direktem Zusammenhang mit menschlicher Liebe, wird er an dieser Stelle als Ausdruck für eine überaus stark ausgeprägte Geldgier gebraucht.

Das Schlechtreden seines Freundes gelang Cratis sehr gut „und weil er seinem Freund den Vorkauff abgeloffen / war die Waar mehr als halb sein.“[56] Interessanterweise setzt diese Textstelle die Liebe genau hier gleich mit einem Besitz, den man mit Geldmitteln erwerben muss. Phebe selbst, die sehr vermögend ist, wird als ein Besitztum und nicht als eine menschliche Person dargestellt. Dadurch ergeben sich weitere negative Assoziationen beim Rezipienten der Erzählung. Eine derartige Beschreibung des Erzählers kann einerseits so interpretiert werden, dass ein reicher Mensch sich keiner Liebe sicher sein kann, sondern viel eher als eine Art Besitz gehandelt wird. Andererseits denunziert diese Beschreibung den Reichtum im Allgemeinen, da er die anderen Menschen dazu bringt, Ihresgleichen nicht mehr als lebendige Wesen zu sehen und zu behandeln.

Gleichzeitig erzählt Cratis seinem Freund so viel Schlechtes über Phebe, dass dieser sie nicht mehr ehelichen will, und so kommt es schließlich zur Heirat zwischen Phebe und Cratis. Doch der Erzähler reißt den Leser gleich im Anschluss an diese Information durch einen Lehrsatz aus der Erzähldiegese: Konkret warnt Harsdörffer an dieser Stelle, dass die Geschichte kein gutes Ende finden kann, da es „mit dem Betrug wie mit Weiberschminke beschaffen [ist] / beedes dauret kurtze Zeit / und giebt ein böses End“.[57] Durch diesen Erzählerkommentar wird der Ausgang der Geschichte bereits angedeutet, wodurch ein weiteres, pejoratives Urteil bezüglich Geld und Reichtum impliziert wird.

Die Erzählhandlung endet schließlich damit, dass Phebe mit Politian Ehebruch beging, in Folge eines großen Ehestreits, der durch den Betrug Cratis ausgelöst wurde. Als die beiden Männer danach in Streit geraten, ersticht Politian Cratis, woraufhin er und Phebe durch die Schergen seines ehemaligen Freundes getötet wurden und so „mußten beede eines schmählichen Todes sterben.“[58]

Im 11. Abschnitt der Erzählung, welcher gänzlich aus Lehr- und Merksätzen des Erzählers besteht, die in unmittelbarem Zusammenhang zur Erzählhandlung stehen, merkt Harsdörffer an, dass „[d]er Rauff- und Handelsleute Freundschafft in dem Gewinn“[59] liegt. Dieser Merksatz bestätigt wiederum die Annahme, dass Geld und Gewinn nicht Teil einer ehrlichen Freundschaft sein können, sondern nur bei „Rauff- und Handelsleuten“[60] mit einer Freundschaft gleichgesetzt wird, die aber von unehrlicher Natur ist.

Hinsichtlich des Endes der Erzählung gilt es zu analysieren, aus welchem Grund alle drei Hauptpersonen der Erzählung sterben. Zunächst ist der Fall für Cratis relativ eindeutig, weil er seinen Freund um Phebe betrogen hat. Phebe selbst begeht Ehebruch, was für die Moralvorstellungen der Frühen Neuzeit dermaßen verwerflich war, dass sich dadurch auch ihr Tod erklären lässt. Wieso jedoch stirbt am Ende der Erzählung auch der betrogene Freund Politian? Argumentieren könnte man in diesem Fall damit, dass dieser hauptsächlich des Geldes wegen an Phebe interessiert war und sich mit ihrer Hilfe bereichern wollte. Diesen Verdacht unterstützt zum einen der Unmut der Freunde Phebes gegenüber diesem, zum anderen aber auch die Textstelle in der es heißt, dass es Politian an schönen Worten nicht mangelte.[61] Diese Darstellung könnte man als eine Art Manipulation durch gut gewählte Worte auslegen. Besonders stichhaltig scheint jedoch die in Abschnitt drei getätigte Aussage, dass Politian wegen ihres Reichtums und ihrer Schönheit ein Auge auf Phebe wirft.[62] Zwar lässt sich mittels dieser Erzählung nicht genau feststellen, ob Harsdörffer hier generell Geld und Reichtum über Liebe stellt; eindeutig geht jedoch aus der Erzählung hervor, dass der Besitz über eine langjährige Freundschaft gestellt wird. Noch heute gibt es das Sprichwort ‘Bei Geld hört die Freundschaft auf‘. Dieses Sprichwort beschreibt sehr präzise den Grund für das Ende dieser Freundschaft. Weiterhin lässt sich sagen, dass in dieser Erzählung das Streben nach Geld und Besitz die große Sünde invidia zur Folge hat, welche in Kombination mit der Missachtung der zehn Gebote, die ehemals innige Freundschaft zwischen Politian und Cratis in Hass und Rivalität verwandelte.[63] So kann in diesem Fall das Verlangen nach Geld und Reichtum als Auslöser für eine schlimme Sünde gesehen werden.

3.1.3 XIV. Straf der Unbeständigkeit

Der Beginn der Erzählung nimmt mit dem Promythion „Wer viel betrügt / wird endlich betrogen“[64], die Moral der vorliegenden Erzählung bereits vorweg und gibt dem Leser einen Hinweis auf den Inhalt der sich anschließenden Erzählung.

Der französische Edelmann Hircan opferte seine Freiheit zunächst der Asterie[65], also einer Frau, die ihm jedoch nur im Ehestand „die verhoffte Belohnung“[66] erteilen wollte. Da er nicht bereit war, jene zu ehelichen, reiste er daraufhin mit dem Schiff ab, erlitt Schiffbruch und landete schließlich in Siena. Dort lernte er die junge Witwe Porcia kennen, bei der sich Hircan ein ganzes Jahr aufhielt, denn „wann die Gutthaten die Ketten sind / mit welchen die Hertzen verbunden werden: so ist Hircan mit so vielen kostbaren Beschenckungen / durch diese Italienerin befesselt worden / daß er ursach gehabt hette / die Zeit seines Lebens nicht von ihr zu lassen.“[67] Durch dieses Zitat wird ganz deutlich hervorgehoben, dass Hircan nicht aus Liebe oder wahren Emotionen bei Porcia blieb, sondern aus materiellen Vorteilen, die aus der Partnerschaft mit ihr einhergingen. Ebenso verbrachte er dieses Jahr ohne die geringsten Unkosten und konnte frei über Porcias Vermögen verfügen.[68] Porcia hingegen ließ dies alles zu, weil sie sich in Hircan verliebt hatte. Durch die Beschreibung ihrer Person und ihres Verhaltens vermittelt der Erzähler eine ambivalente Wertung dieser Frau und ihres Vermögens: Auf der einen Seite, kann sie als wohlwollend und großzügig gesehen werden, wodurch sie einen positiven Eindruck macht; auf der anderen Seite wird ihr, aufgrund ihres Reichtums, Unrecht getan, sodass in diesem Fall Reichtum als sorgenreiches Gut deklariert wird.

Als Hircan sie trotz allem nach einem Jahr verließ, „stürtzte sich Porcia wegen dieses Undankbaren in verderben“.[69] Diese Entwicklung ist als direkter Verweis auf die negative Beurteilung von Reichtum anzusehen, weil Hircan die Liebe gegenüber ihr nur vorgespielt hatte, um an ihr Vermögen zu gelangen.

Hircan gab vor, nur nach Frankreich zurück zu wollen, um sich um einige Dinge zu kümmern, jedoch bald zurückzukehren, um sie als Frau zu nehmen. Für diese Reise wurde er von Porcia stattlich ausgerüstet, doch sobald Hircan Italien verlassen hatte, vergaß er seine Geliebte.[70] Das Verhalten Hircans bestätigt erneut, dass er seiner Geliebten die wahre Liebe nur vortäuscht und sich in Wahrheit nur für ihr Vermögen interessiert.

Sobald Hircan nach Hause zurückgekehrt war, heiratete er eine betagte Witwe, die ihn zunächst mit ihrer hässlichen Tochter hatte verheiraten wollen.[71] Trotz ihres Alters kam es dazu, „daß Hircan benebenst dem Reichthum / sich an stat der Tochter / mit der Mutter trauen liesse.“.[72] Diese Aussage zeigt, dass er sich nur wegen des Reichtums mit der Mutter trauen ließ. Hinzu kommt, dass er unter keinen Umständen die Tochter der Witwe heiraten wollte, „welche so vollkommen heßlich / daß Hircan fürchtet / er würde Mißgeburten von ihr zu erwarten haben.“[73] Das fortgeschrittene Alter der Witwe und das missratene Äußere ihrer Tochter hätten eigentlich dazu führen müssen, dass keine Hochzeit zu Stande gekommen wäre. Da Hircan aber dermaßen geldgierig war, heiratete er sogar eine Frau, die viel älter war als er, nur um so reich zu werden. Man könnte an dieser Stelle der Figur der reichen Witwe unterstellen, dass sie durch ihren großen Reichtum einen Mann an sich bindet, der überhaupt nicht zu ihr gehört. So lässt diese Unterstellung insofern ein abwertendes Urteil bezüglich Reichtums zu, da er es seinem Besitzer ermöglicht, sich Dinge anzueignen, die ihm nicht zustehen.

Da sich Hircan mit dieser alten Frau nicht zufrieden gab und sie viele Male betrog, ließ sich die Witwe schließlich von ihm scheiden. Nach drei Jahren kam Porcia schließlich nach Frankreich, um Hircan an sein Eheversprechen zu erinnern, der sie jedoch nur auslachte, sein Versprechen leugnete und dieses auch vor einem Gericht glaubhaft widerlegte.[74] Porcia „schreiet die Göttliche Gerechtigkeit an / weil ihr die irdische nicht helffen wollte“.[75]

[...]


[1] Vgl. Robert, Jörg: Im Silberbergwerk der Tradition. Harsdörffers Nachahmungs- und Übersetzungstheorie. In: Georg Philipp Harsdörffers Universalität. Beiträge zu einem uomo universale des Barock. Hrsg. v. Stefan Keppler-Tasaki u. Ursula Kocher. Berlin, 2011, S. 1-22 (Frühe Neuzeit; 158), hier S. 9.

[2] Vgl. Ecsedy, Judith, M.: Thesen zum Zusammenhang von Quellenverwertung und Kompilationsstrategie in Georg Philipp Harsdörffers Schau=Plätzen. Hrsg. v. Stefan Keppler-Tasaki u. Ursula Kocher. Berlin, 2011, S. 115-146 (Frühe Neuzeit ; 158).

[3] Vgl. Robert, 2011, S. 1-22.

[4] Vgl. Doms, Misia Sophia: “Wann ein Frantzos […] ein teutsches Kleid anziehet“: die Behandlung konfessioneller Fragen bei der Übersetzung von Jean-Pierre Camus‘ “L’Amphitéâtre sanglant“ in Harsdörffers “Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte“. In: Deutsch-französische Literaturbeziehungen. Stationen und Aspekte dichterischer Nachbarschaft vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. v. Marcel Krings. Würzburg, 2007, S. 51-70.

[5] Vgl. Siebenpfeiffer, Hania: Narratio crimen – Georg Philipp Harsdörffers Der grosse Schau-Platz jaemmerlicher Mord-Geschichte und die frühneuzeitliche Kriminalliteratur. In: Harsdörffer-Studien. Mit einer Bibliografie der Forschungsliteratur von 1847 bis 2005. Hrsg. v. Hans-Joachim Jacob u. Hermann Korte. Frankfurt am Main, 2006, S. 157-176.

[6] Vgl. Ecsedy, 2011, S. 115.

[7] Vgl. Zeller, Rosmarie: Harsdörffers Mordgeschichten in der Tradition der Histoires tragiques. In: Harsdörffer-Studien. Mit einer Bibliografie der Forschungsliteratur von 1847 bis 2005. Hrsg. v. Hans-Joachim Jacob u. Hermann Korte. Frankfurt am Main, 2006, S. 177-194, hier S. 178 ff.

[8] Siebenpfeiffer, 2006, S. 159.

[9] Vgl. Siebenpfeiffer, 2006, S. 160 f.

[10] Manns, Stefan: Grenzen des Erzählens. Konzeption und Struktur des Erzählens in Georg Philipp Harsdörffers Schauplätzen. Univ. Diss. Berlin, 2013 (Deutsche Literatur: Studien und Quellen 14).

[11] Manns, Stefan: “Die merckwuerdige Geschichte lehret“. Zum Erzählen in Georg Philipp Harsdörffers Schau=Plätzen. In: Georg Philipp Harsdörffers Universalität. Beiträge zu einem uomo universale des Barock. Hrsg. v. Stefan Keppler-Tasaki u. Ursula Kocher. Berlin, 2011, S. 147-166 (Frühe Neuzeit; 158).

[12] Krebs, Jean-Daniel: Deutsche Barocknovelle zwischen Morallehre und Information: Georg Philipp Harsdörffer und die Théophraste Renaudot. In: Modern language notes 103 (1988), S. 478-503.

[13] Manns, 2013, S. 93.

[14] Helmer, Karl: Weltordnung und Bildung. Versuch einer kosmologischen Grundlegung barocken Erziehungsdenkens bei Georg Philipp Harsdörffer. Habil.-Schr. Duisburg, 1982, hier S.4.

[15] Vgl. Erbe, Michael: Die frühe Neuzeit. Grundkurs Geschichte. Stuttgart, 2007, hier S. 13 f.

[16] Vgl. Erbe, 2007, S. 14.

[17] Vgl. Hinrich, Ernst: Einführung in die Geschichte der Frühen Neuzeit. München, 1980, hier S.169.

[18] Vgl. Kamp, Hermann: Gutes Geld und böses Geld. Die Anfänge der Geldwirtschaft und der ‚Gabentausch‘ im hohen Mittelalter. In: Geld im Mittelalter. Wahrnehmung – Bewertung – Symbolik, S.91.

[19] Vgl. North, Michael: Kommunikation, Handel, Geld und Banken in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Lothar Gall. München 2000 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte Band 59), hier S. 17f.

[20] North, 2000, S. 23.

[21] Vgl. Ebd.

[22] Vgl. Kamp, 2005, hier S. 91.

[23] Vgl. Grubmüller, Klaus; Stock, Markus (Hrsg.): Geld im Mittelalter. Wahrnehmung – Bewertung – Symbolik. Darmstadt, 2005, hier: S. 91.

[24] Vgl. North, 2000, S. 80.

[25] Grubmüller, 2005, S.9.

[26] Vgl. Ebd., S. 9.

[27] Ebd., S. 10.

[28] Grubmüller; Stock, 2005, S. 94.

[29] Kamp, 2005, S. 101.

[30] Grubmüller; Stock, 2005, S. 12.

[31] Kamp, 2005, S. 104.

[32] Vgl. Grubmüller; Stock, 2005, S. 13.

[33] Hippel, Wolfgang von: Armut, Unterschichten, Randgruppen in der frühen Neuzeit. München, 1995, hier S. 3.

[34] Vgl. Hippel, 1995, S. 3 f.

[35] Vgl.Hippel,1995, S. 5.

[36] Vgl. Ebd., S. 5.

[37] Ebd.

[38] Ebd., S. 6.

[39] Ebd.

[40] Vgl. Ebd.

[41] Vgl. Ebd., S. 7.

[42] Keppler-Tasaki; Kocher, 2012, S. 102.

[43] Harsdörffer, Georg Philipp: Der grosse Schau-Platz jämmerlicher Mordgeschichte. Nachdr. d. Ausg. Hamburg 1656. Hildesheim 1975, hier S. 4 (2).

[44] Harsdörffer, 1975, S. 4 (3).

[45] Harsdörffer, 1975, S. 5 (6).

[46] Harsdörffer, 1975, S. 7 (16).

[47] Manns, 2013, S.148.

[48] Harsdörffer, 1975, S. 8 (16).

[49] Vgl. Manns, 2013, S. 148.

[50] Harsdörffer, 1975, S. 8 (16).

[51] Vgl. Manns, 2013, S. 148.

[52] Ebd.

[53] Harsdörffer, 1975, S. 28 (3).

[54] Ebd., S. 28 (4).

[55] Harsdörffer, 1975, S. 29 (5).

[56] Ebd., S. 29 (7).

[57] Harsdörffer, 1975, S. 29 (9).

[58] Ebd., S. 30 (10).

[59] Ebd., S. 30 (11).

[60] Ebd., S. 30 (11).

[61] Vgl. Ebd., S. 28 (4).

[62] Vgl. Harsdörffer, 1975, S. 28 (3).

[63] Keppler-Tasaki; Kocher, 2012, S. 103 f.

[64] Ebd., S.46f.

[65] http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834/A/Asterie+%28Mythologie%29, letzter Zugriff am

4.11.2015.

[66] Harsdörffer, 1975, S. 47 (2).

[67] Ebd., S. 47 (3).

[68] Vgl. Harsdörffer, 1975, S. 47 (3).

[69] Ebd., S. 47 (4).

[70] Vgl. Ebd., S. 48 (6).

[71] Vgl. Ebd., S. 48 (9).

[72] Ebd.

[73] Ebd.

[74] Harsdörffer, 1975, S. 48 f. (11).

[75] Ebd.

Fin de l'extrait de 75 pages

Résumé des informations

Titre
Die Darstellung und Reflexion von Armut und Reichtum in Harsdörffers Erzählsammlungen
Université
Saarland University
Année
2016
Pages
75
N° de catalogue
V337218
ISBN (ebook)
9783656986768
ISBN (Livre)
9783656986775
Taille d'un fichier
778 KB
Langue
allemand
Mots clés
Armut, Reichtum, Harsdörffer, Erzählungen, soziale Spannungen
Citation du texte
Anonyme, 2016, Die Darstellung und Reflexion von Armut und Reichtum in Harsdörffers Erzählsammlungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337218

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