Abriss einer Kritik über Émile Durkheims Sozialisationsbegriff


Trabajo Escrito, 2010

16 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhalt:

1 Einleitung

2 Durkheims Sozialisationsbegriff in „Erziehung und Gesellschaft“

3 Abriss einer Kritik zu Émile Durkheim
3.1 Durkheim zwischen normativen Aussagen und deskriptiver Analyse
3.2 Die Rolle des Erziehers und des Zöglings bei Durkheim
3.3 Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis:

1 Einleitung

Der Franzose Émile Durkheim, welcher 1858 im lothringischen Epinal geboren wurde, gehörte um 1900 zu den Gründervätern der heutigen Sozialwissenschaften und wird in der Literatur auch heute noch als „Begründer der modernen Soziologie“ (Baumgart: S. 31) angesehen. Zusammen mit dem bedeutenden, deutschen Sozialforscher Max Weber wird Durkheim noch heute die Entwicklung der deskriptiven Sozialwissenschaft und die Weiterentwicklung des bis dato herrschenden Erziehungsverständnisses zugeschrieben. Seine Texte und Vorlesungen bilden dabei die Basis für die Entstehung einer neuen Forschungsrichtung, welche heute auch interdisziplinär in anderen Wissenschaften genutzt wird. Die sozialwissenschaftlichen Theorien Durkheims gründen sich auf den Erkenntnissen der Pädagogik und der Erziehung Anfang des 20. Jahrhunderts. Zu der Zeit, als es den Begriff „Sozialisation“ und das Verständnis von Sozialisationsprozessen auf der Welt noch gar nicht gab, versuchte Durkheim neue Wege der Forschung zu betreten. Dabei lehnte er die utopischen Zukunftsvisionen von der „eine[n] (…) Erziehung“ (Durkheim: S. 44) ab, wie sie beispielsweise von Kant und Humboldt bisher vertreten worden waren. Durkheim betrieb neuartige Forschung, indem er sich mit schlichten Beobachtungen, Statistiken und historischen Veränderungen auseinandersetzte und diese im Rahmen einer neuen Theorie über die Erziehung zu manifestieren versuchte. Sein Ziel war es dabei, die bisher im Rahmen der Geisteswissenschaften angesiedelte Pädagogik in eine „am Beispiel der Naturwissenschaften geschult[e] Wissenschaft“ (Baumgart: S. 31) zu verwandeln. Soziale Einflüsse und deren Folgen auf die Erziehungskonzepte der Zukunft sollten laut Durkheim empirisch und statistisch erfassbar sein.

Die Beiträge Durkheims zur Forschung über die Bedeutung der Sozialisation für die Erziehung und Entwicklung von Kindern, sowie die Reproduktion von Gesellschaft, sind dabei bis heute aktuell und essenziell für die Auseinandersetzung und das Verständnis von Sozialisationstheorien und deren Einfluss auf die kindliche Entwicklung (vgl. Baumgart: S. 32). Insbesondere die Sozialisationstheorien Pierre Bourdieus, die sozial-historischen Werke Hans Ulrich Wehlers und die Forschung zur Entwicklung und Determination sozialer Ungleichheit gehen hierbei auf das Wirken Émile Durkheims zurück.

Als Begründer einer neuen Forschung, die sich auf die deskriptive Analyse von Sozialisations- und Erziehungsvorgängen beschränkt, basiert Durkheims grundlegende Erziehungstheorie auf einem Anspruch der Wertneutralität und der Unparteilichkeit. Somit belässt es Durkheim in seinen Texten bei einer deskriptiven Analyse der Erziehungs- und Sozialisationsprozesse von Kindern. Damit erhebt er den Anspruch, den bisherigen Erziehungstheorien, welche wie bei Kant auf die Entfaltung aller möglichen Kräfte des Menschen gerichtet waren, abzuschwören und eine nüchterne Sachanalyse durchzuführen. Im Folgenden soll nun in dreifacher Hinsicht der Frage nachgegangen werden, inwiefern es Durkheim gelingt, seinem Anspruch an eine wertneutrale und unparteiliche Forschung in vollem Umfang gerecht zu werden. Dabei wird zunächst in einem ersten großen Abschnitt die Argumentationsstruktur der Vorlesung „Erziehung und Gesellschaft“, welche Durkheim 1902 als Antrittsvorlesung an der Universität Sorbonne hielt, analysiert. In einem zweiten Abschnitt wird die Argumentation Durkheims in dreifacher Hinsicht näher untersucht: Zunächst soll überprüft werden, ob Durkheim in seinen Darstellung wirklich auf normative Aussagen im Sinne Kants verzichtet, um die Wertneutralität seiner Argumentation zu hinterfragen. In einem zweiten Schritt wird die Sichtweise Durkheims auf den Erzieher und den Zögling im Erziehungsprozess kritisch hinterfragt, um abschließend in einem dritten Schritt auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft in Durkheims Texten näher einzugehen. Ein dritter Abschnitt bildet die Zusammenfassung der Kritik.

2 Durkheims Sozialisationsbegriff in „Erziehung und Gesellschaft“

In seinem Text „Erziehung und Gesellschaft“ thematisiert der Soziologe Émile Durkheim (1858-1917) das Verhältnis zwischen Soziologie und Erziehung im Rahmen einer Vorlesung. Die Kernthese, die Durkheim in seinem Text aufstellt, ist die Behauptung, dass Erziehung von Menschen nur innerhalb der Gesellschaft stattfinden könne und sich deshalb der Begriff der Erziehung nicht losgelöst von der Soziologie und ihren Erkenntnissen betrachten ließe.

Im ersten Abschnitt seines Textes stellt Durkheim zunächst die traditionelle Sicht auf Erziehung im Rahmen der Pädagogik dar. Dabei verdeutlicht er, dass es sich bei der Erziehung bisher um „eine rein individuelle Angelegenheit“ (Durkheim: S. 44) der Psychologie gehandelt habe und dass bisherige Forschungen über die richtige Erziehung auch nur im Rahmen dieser Wissenschaft durchgeführt worden seien. Des Weiteren stellt er heraus, dass alle Pädagogen bisher dem Begriff der „einen Erziehung“ gefolgt seien, die sich die Vervollkommnung des menschlichen Wesens zum Ziel gesetzt habe. Man sei weiterhin davon ausgegangen, es gebe nur „ eine menschliche Natur“ (Durkheim: S. 45), deren Grundlagen determinierbar seien und erschöpfend erforscht werden könnten, um das oben genannte Ziel zu erreichen. Durkheim stellt demgegenüber heraus, dass die Geschichte gezeigt habe, dass es nicht einen uniformen Menschen gebe, der das Ziel aller Erziehungsbemühungen sei (vgl. ebd.). Die Pädagogik sei bisher grundsätzlich von der Annahme ausgegangen, dass alle Fähigkeiten und Fertigkeiten, die den Menschen in Folge des Erziehungsprozesses zum Menschen machten, bereits von Geburt an in ihm verankert seien. Der Erzieher „schaff[e] nichts Neues“ (ebd.). Die Aufgabe der Pädagogik sei es demzufolge lediglich, den Zögling vor schädlichen Einflüssen zu bewahren und ihm bei der Entwicklung seiner Naturanlagen zu helfen. Die Untersuchung gesellschaftlicher Einflüsse sei daher bislang als nutzlos angesehen worden.

Durkheim ist jedoch der Ansicht, diese bisherige Betrachtung von Erziehung sei falsch. Dies mache bereits die Betrachtung der unterschiedlichen Arten von Erziehungsformen in verschiedenen Völkern und sozialen Klassen deutlich, die eindeutig widerlegten, dass es die „eine Erziehung“ überhaupt gebe. Außerdem müsse man die Erziehung auch im Rahmen des sozialen Umfeldes, beispielsweise der Eltern, betrachten, die bekanntlich ihre Kinder nicht alle auf gleiche Weise erzögen. Dabei sei das Ziel, alle Kinder hin zu Mitgliedern einer sozial gerechten Gesellschaft zu erziehen, jedoch allen elterlichen Erziehungsbemühungen gemein. Später müsse sich diese Erziehung aber jeweils individuell spezialisieren, da die Menschen im Berufsleben auch in unterschiedliche Richtungen spezialisiert werden müssten (vgl. Durkheim: S. 46). Diese Spezialisierung der individuellen Entwicklung geschehe dabei aber nicht aufgrund angeborener Veranlagungen, sondern aufgrund sozialen Drucks, durch z.B. die Arbeitsteilung in der Gesellschaft. Deshalb sei „Erziehung so vielfältig“ (Durkheim: S. 47). Durkheim erkennt an, dass es sicherlich in jedem Volk allgemeingültige Grundlagen in der Erziehung gäbe, diese sich jedoch mit steigendem Alter des Zöglings nach den Forderungen und Wünschen der Gesellschaft veränderten. Ein weiteres Argument, welches Durkheim zur Erläuterung seiner These aufführt, sei der Fakt, dass alle Erziehung „volkstypisch“ sei, also von der jeweiligen Gesellschaftsform eines Staats abhinge.

Aber auch im Bereich der allgemeingültigen Erziehung des noch verhältnismäßig jungen Zöglings erkennt Durkheim Anzeichen einer Veränderung weg von der individuellen Erziehung hin zu einer Vergesellschaftung, einer Sozialisierung. Das wichtigste Argument für diese These sieht Durkheim dabei in der Einführung der allgemeinen Schulpflicht und deren Umsetzung an staatlichen Schulen. Denn hierdurch sei zu erkennen, dass es das „Kollektiv“ (Durkheim: S. 48) sei, welches die Richtungen der Erziehung bestimme, da es die allgemeinen Richtungen vorschreibe, nach denen das Kind sich zu entwickeln habe (vgl. ebd). Aufgrund der Notwendigkeit einer Spezialisierung des modernen Menschen sei es ohnehin die nötige Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft, den Menschen nach den Wünschen derselben zu erziehen. Sonst sei das menschliche Zusammenleben in den verschiedensten Staaten gar nicht möglich. Daher folgert Durkheim, die Gesellschaft habe ihren „Menschentypus zum Modell [der Erziehung] erhoben“(Durkheim: S. 49). Anders formuliert, bringt er somit zum Ausdruck, dass nicht die Natur die Art der menschlichen Erziehung vorgebe, sondern die Gesellschaft. Um dieser nachzukommen, verlange sie vom Erzieher, dem Zögling bestimmte historisch-geprägte Fähigkeiten beizubringen, die er im späteren Leben gesellschaftsdienlich verwenden könne. Die Hierarchie der Fähigkeiten würde im Laufe der Zeit von der Gesellschaft immer wieder verändert. Hieraus folgert Durkheim, dass die ständige Anpassung der verschiedenen Fähigkeiten schon immer darauf verwies, dass der von der Gesellschaft gewollte Mensch, und somit das „pädagogische Ideal“ (ebd.), sich im historischen Verlauf verändert habe und sich weiter verändern werde.

Im folgenden Abschnitt erläutert Durkheim nun die Gründe dafür, warum es für die Gesellschaft so wichtig sei, dass der Mensch überhaupt nach ihren Wünschen erzogen würde. So sei menschliche Erziehung eine der Grundvoraussetzungen für die Existenz einer Gesellschaftsform. Die Erziehung würde die Entstehung der Gesellschaft insofern mitbegründen, da sie dafür sorge, dass alle Menschen einer Zivilisation nach den gleichen sozialen Grundsätzen erzogen würden und die einzelnen Gesellschaftsmitglieder sich durch sie verbunden fühlten (vgl. Durkheim: S. 50). Durkheim sieht daher in jedem Menschen „zwei Wesen“ (Durkheim: ebd.). Diese nennt er individuelles und soziales Wesen. Unter dem Begriff des individuellen Wesens sei all das zu verstehen, was den Menschen einzigartig und von allen anderen Menschen unterscheidbar mache, beispielsweise die Persönlichkeit oder das eigene Leben. Das soziale Wesen hingegen ließe sich nach Durkheim mit den Attributen Gewohnheit, Überzeugung und Tradition verbinden, die in der Gesellschaft in kollektiver Form zu finden seien. Die Formung des sozialen Wesens im Menschen sei dabei die erste Aufgabe der Erziehung (ebd.). Denn der Mensch sei bei seiner Geburt nichts weiter als ein „egoistisches und asoziales“ (Durkheim: S. 51) Individuum. Die Gesellschaft würde, so folgert er, den Menschen folglich nicht aus selbstlosen Zwecken erziehen, sondern um ihren eigenen Fortbestand zu sichern. Dabei erkennt Durkheim in der menschlichen Erziehung auch eine „schöpferische Kraft“ (ebd.), die mehr täte, als bereits vorhandenes Potenzial im Menschen lediglich zur vollen Entfaltung zu bringen, wie es bei Tieren der Fall sei. Tierische Erziehung unterscheide sich deshalb in sehr elementarer Form von menschlicher Erziehung, da sie den Menschen auf ein viel spezialisierteres Leben vorbereiten müsse als bei den Tieren. Folglich zieht der Soziologe Durkheim hieraus den Schluss, dass die

Gesellschaft das soziale Wesen im Menschen forme, und die Erziehung als Institution verwende, um ihm die dafür benötigten Fähigkeiten und Fertigkeiten mitzugeben (vgl. ebd.). Die Gesellschaft definiert demnach, was unter dem „Grad relativer Vollendung“ (Durkheim: S. 52) des Menschen zu verstehen sei.

[...]

Final del extracto de 16 páginas

Detalles

Título
Abriss einer Kritik über Émile Durkheims Sozialisationsbegriff
Universidad
University of Hamburg  (Fakultät für Erziehungswissenschaften)
Curso
Seminar
Calificación
1,0
Autor
Año
2010
Páginas
16
No. de catálogo
V338387
ISBN (Ebook)
9783668277823
ISBN (Libro)
9783668277830
Tamaño de fichero
500 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Durkheim, Sozialisationsbegriff, Kritik
Citar trabajo
Bernd Appel (Autor), 2010, Abriss einer Kritik über Émile Durkheims Sozialisationsbegriff, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/338387

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