Zweisprachigkeit als Kapital in unserer Gesellschaft. Soziologische und bildungswissenschaftliche Perspektiven


Hausarbeit, 2015

21 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Unterschiedliche Arten von Mehrsprachigkeit

3. Ingrid Gogolin zum Thema Mehrsprachigkeit
3.1 Von der Einsprachigkeit zur Mehrsprachigkeit
3.2 Bildungssprache

4. Pierre Bourdieus Kapitaltheorie in Bezug zur Mehrsprachigkeit
4.1 Die Theorie
4.2 Mehrsprachigkeit als Kapital

5. Bildungswissenschaftliche Perspektive
5.1 Aktueller Stand und Chancen
5.2 Die Didaktik der Mehrsprachigkeit

6. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die Kapitalarten nach Bourdieu mit Beispielen (Quelle: eigene Darstellung) S.11

1. Einleitung

Mehrsprachigkeit ist in unserer Gesellschaft mittlerweile fest verankert. In Deutschland ist sie zu einem Politikum geworden. Die Frage, ob Mehrspra- chigkeit z.B. die Integration von Migrantinnen und Migranten fördert oder er- schwert, wird in Politik und Gesellschaft kontrovers diskutiert (Bundeszentrale für politische Bildung, 2010, Absatz 1). Wieviel Gewicht dieses Thema hat, zeigt die zum Teil hitzig geführte Diskussion Anfang des Jahres 2015, hervor- gerufen durch die Aussage der CSU „ Wer dauerhaft in Deutschland leben will, soll dazu angehalten werden, im öffentlichen Raum und in der Familie deutsch zu sprechen.“, die in einem Leitantrags-Entwurf zu einem Parteitag veröffentlich wurden.

Interessanterweise gibt es anscheinend Unterschiede in der Ansichtsweise innerhalb unserer Gesellschaft, was Mehrsprachigkeit angeht, gerade wenn es um Menschen mit Migrationshintergrund geht. Eine Ansicht ist, dass Zwei- oder Mehrsprachigkeit ein erstrebenswertes Ziel schulischer Bildung ist. Dies ist daran zu erkennen, dass Eltern ihre Kinder beispielsweise schon nach der Geburt an bilingualen Kindergärten anmelden. Bilinguale Schulen, die in Ko- operation mit anderen Staaten betrieben werden, sind überlaufen (Fürstenau & Gomolla, 2011, S.13). Die bilinguale Förderung durch Eltern und Schule wird also gesellschaftlich positiv anerkannt. Anders scheint die Ansicht bei Kindern und Jugendlichen, die migrationsbedingt zweisprachig aufwachsen, auszusehen. Die Familiensprache von ausländischen Kindern wird in Schule oft eher als Behinderung, und nicht als förderlich betrachtet. Es gibt sogar Bil- dungseinrichtungen, in denen der Gebrauch der anderen Sprache per Schul- ordnung untersagt ist (Fürstenau & Gomolla, 2011, S.13). Doch warum gibt es diese unterschiedlichen Ansichtsweisen in unserer Gesellschaft und ist es korrekt, so zu handeln? Diese Hausarbeit soll u.a. diese Frage klären. Die leitende Forschungsfrage lautet: Inwieweit gibt es Unterschiede im Bildungs- bereich zwischen Kindern, die aufgrund ihrer Herkunft zweisprachig aufwach- sen und Kindern, die durch Förderung zweisprachig aufwachsen, und wie wird in unserer Gesellschaft damit umgegangen?

Wissenschaftliche Theorien sollen dabei fundierte Erkenntnisse liefern. Dazu gehören auch der Kapitalbegriff von Bourdieu und sein Bezug zur Sprache bzw. Mehrsprachigkeit.

Nach dieser kurzen Einleitung wird zunächst eine kurze Einführung in die Thematik der unterschiedlichen Arten von Mehrsprachigkeit, die in dieser Ar- beit von Bedeutung sind, durchgeführt. Danach werden die Arbeiten von Ingrid Gogolin zum Thema Mehrsprachigkeit erläutert. Darauf folgt eine Analyse des Kapitalbegriffs von Pierre Bourdieu in Bezug zur Mehrsprachigkeit. Die ge- wonnenen Erkenntnisse sollen dann mit dem aktuellen Stand in unserem Bil- dungssystem verglichen werden. Auch die damit einhergehenden Bildungs- und späteren Berufschancen für bilingual aufwachsende Kinder werden erläu- tert. Eventuelle Missstände im Bildungssystem werden dargelegt und Lö- sungsversuche werden aufgezeigt.

Die Didaktik der Mehrsprachigkeit, von Rita Zellerhoff, ist so ein Lösungsver- such. Es ist ein Konzept, das Theorie und Praxis verschränkt. Auf dieses Kon- zept und welche Auswirkungen es auf die Bildungslandschaft haben kann, wird dann weiterführend eingegangen. Das Ende der Arbeit bilden dann ein Fazit und ein Ausblick.

Wichtig ist, dass während der Arbeit immer ein wissenschaftlicher Hintergrund geschaffen wird. Gesellschaftliche Ansichten dürfen also nicht als „gut“ oder „schlecht“ stehengelassen werden, sondern müssen analysiert werden. Dafür darf wissenschaftliche Literatur, aus der zitiert wird, nicht fehlen.

2. Unterschiedliche Arten von Mehrsprachigkeit

Weltweit wachsen ca. 50 Prozent aller Menschen zwei- oder mehrsprachig auf. Sprachliche Vielfalt gehört zu den Stärken moderner Gesellschaften, denn sie ist eine wertvolle Ressource (Schroeder, Wiese & Bracker, 2014, Absatz 1). Als Vorteile von Mehrsprachigkeit gelten z.B. größere geistige Fle- xibilität, besseres Verständnis beim Erwerb von weiteren Sprachen und ein fitter Geist bis ins Alter hinein (Schroeder et al., 2014, Absatz 3). In den meis- ten Ländern ist Englisch die erste Fremdsprache, die erlernt wird. Darauf auf- bauend werden oft weitere Sprachen gelehrt und erlernt. Kinder früh mit Mehrsprachigkeit zu konfrontieren bedeutet nicht einfach nur den Spracher- werb, sondern die Öffnung für neue Kulturen (Goethe-Institut, 2015, Absatz 2). Allein diese Fakten sprechen für eine Förderung von Mehrsprachigkeit in jeder Hinsicht.

Doch an die Stelle der herkömmlichen Zweiteilung in eine Muttersprache und eine (schulische) Fremdsprache ist eine große Bandbreite von Spracherfah- rungen und sprachlicher Praxis getreten, z.B. Familiensprachen, die von einer Zweitsprache überholt werden, Fremdsprachen, die zu Kommunikationsspra- chen werden oder Migrantensprachen, aus denen Redewendungen oder Wör- ter in die Kommunikation im Deutschen übernommen werden (Universität Hamburg, 2015, Absatz 1). Diese Arbeit stellt vor allem die Unterschiede in der Gesellschaft von zwei Arten der Mehrsprachigkeit gegenüber. Mehrspra- chigkeit als gezielte Förderung, z.B. durch eine bilinguale Erziehung von Kin- dern auf Wunsch der Eltern, in einer angesehenen Sprache wie z.B. Englisch oder Französisch. Und Mehrsprachigkeit als Folge von Migration.

Wenn in Medien, Wissenschaft und Forschung von Nachteilen mehrsprachi- ger Erziehung diskutiert wird, dann geht es meistens um migrationsbedingte Mehrsprachigkeit. Allgemein können als Nachteile von mehrsprachiger Erzie- hung folgende genannt werden: Es könnte die Gefahr bestehen, dass bei ei- ner bilingualen Erziehung von Beginn an, beide Sprachen nicht richtig erlernt werden. Außerdem könnten bei Kindern mit physischen Sprachproblemen, die Fehler nach einer mehrsprachigen Erziehung deutlich schwerer zu beheben sein. Bei einer aufmerksamen Erziehung ist die Chance aber gering, dass diese Art von Nachteilen entsteht. Das Ansehen von mehrsprachigen Men- schen ist generell hoch, doch könnte es auch in einigen Gesellschaftsschich- ten passieren, dass Kinder- und Jugendliche aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit von gesellschaftlichen Gruppen ausgeschlossen werden (Bilingual erziehen, 2015, Absatz 7 ff.). Stellt man die erwähnten Nachteile den Vorteilen gegen- über, die eine mehrsprachige Erziehung mit sich bringt, wird deutlich, dass eine mehrsprachige Erziehung in unserer Gesellschaft als ein Gewinn zu be- trachten ist, zumal die Nachteile nur bei einem Bruchteil von Kindern entste- hen. Wie u.a. die PISA Studien in den letzten Jahren gezeigt hat, ist es aber Fakt, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, aufgrund ihrer Sprachkenntnisse, einen Nachteil in unserem Bildungssystem haben und in vielen Fächern schlechter abschneiden als gleichaltrige Kinder ohne Migrati- onshintergrund (Gogolin, 2013, S.38). Wenn nun gezeigt wurde, dass eine mehrsprachige Erziehung eigentlich von Vorteil ist, warum haben es dann gerade die mehrsprachigen Kinder und Jugendlichen aus Migrantenfamilien schwer, in unserem Bildungssystem zurechtzukommen? Prof. Dr. Ingrid Go- golin geht genau auf diesen Punkt ein. Ihre Ergebnisse werden im folgenden Kapitel erläutert.

3. Ingrid Gogolin zum Thema Mehrsprachigkeit

3.1 Von der Einsprachigkeit zur Mehrsprachigkeit

Prof. Dr. Dr. h.c. Ingrid Gogolin ist u.a. an der Universität in Hamburg in der Fakultät für Erziehungswissenschaften tätig. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit dem Thema Sprache in Bezug auf Mehrsprachigkeit. Dabei nimmt sie vor allem Menschen mit Migrationshintergrund und deren Chancen im Bildungssystem in den Fokus.

Wie in der Einleitung erwähnt, gibt es bei der Frage nach dem Nutzen von Mehrsprachigkeit oder bilingualem Aufwachsen in unserer Gesellschaft keinen Konsens. Auch die Politik kommt noch auf kein abschließendes Ergebnis. Go- golin erklärt den Ursprung dieses Streitpunktes. Die historische Vorstellung ist es, dass ein Staat - und mit ihm alle ihm Angehörigen - normalerweise ein- sprachig sind. Ein Mensch bekennt sich mit der Sprache, in der er lebt, zu seinem Staat (Gogolin, 2009, S.15). Diese Ansicht besteht bei Politikern und Wissenschaftlern z.T. auch noch heute, wie das eingangs erwähnte Zitat der CSU zeigt. Besonders im ausklingenden 18. und im 19. Jahrhundert war die Förderung der Einheit des Staates und der Menschen, die darin lebten, ein wichtiges Thema (Gogolin, 2009, S.16.).

„Die Einheit eines Staates und zwar des Culturstaates erfordert schon wegen

der Gemeinsamkeit seiner Interessen und damit die Wohltaten, Vortheile und Rechte allen Angehörigen zu Theil werden, dass die Sprache desjenigen Stammes Gemeingut aller Bewohner werde, der durch Bildung überhaupt, durch Gewerbefleiß, Industrie, Handel, Kunst und Wissenschaft eine in weitem hervorragende Stellung vor den übrigen einnimmt…“ (Schubert, 1873, zitiert nach Gogolin, 2009, S.16) ,so beschrieb Schubert die Situation 1873. Daraus lässt sich schließen, dass es nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für jede Einzelperson das Bes- te war, in nur einer Sprache zu leben (Gogolin, 2009, S.16), Auch im weiteren Verlauf der Geschichte wurde Mehrsprachigkeit nur aus Gründen der Nütz- lichkeit empfohlen, wenn es z.B. um den Beruf des Dolmetschers ging (Gogo- lin, 2009, S.17).

Nun hat sich im Lauf der Geschichte bis heute eine neue Situation ergeben. Aktuell ist es die Migration, die dazu führt und dazu geführt hat, dass es in einem Land nicht mehr nur noch eine Sprache gibt. In Deutschland gehören andere Sprachen schon längst zum alltäglichen Bild. Im Jahr 2010 wurden 69 Sprachen indexiert (Bundeszentrale für politische Bildung, 2010, Absatz 7). Gogolin kommt nach Betrachtung mehrerer Forschungsergebnisse zu der Meinung, dass sich mit der zweisprachigen Erziehung überwiegend Vorteile ergeben (Gogolin, 2010, S.538). Explizit nennt Sie die Vorteile, dass Zwei- sprachigen ein größeres Repertoire an lexikalischen Mittel zur Verfügung steht. Und mit Blick auf die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten des Kindes gibt es ebenfalls Vorteile in der Mehrsprachigkeit. Zweisprachige Menschen besit- zen im Gegensatz zu Monolinguisten die Fähigkeit, leichter grammatikalische Form und inhaltliche Aussage eines Satzes zu unterscheiden (Gogolin, 2010, S.538). Dabei ist es wichtig, die Kinder so früh wie möglich mit beiden Spra- chen zu konfrontieren, da beim zweisprachigen Aufwachsen, im Alter von zwei bis vier Jahren, die syntaktische Grundstruktur einer anderen Sprache ähnlich aufgenommen und verinnerlicht wird, wie es bei einer einsprachigen Entwick- lung der Fall ist (Gogolin, 2010, S.537). Gogolin hält es also für sinnvoll, mehrsprachig aufzuwachsen, besonders wenn Kinder einen Migrationshinter- grund haben. Die Muttersprache ist nämlich äußerst wichtig für Kinder und Jugendliche, da sie in ihr ihre Gefühle ausdrücken und sie ihnen familiär er- scheint (Gogolin, 2014, S.25). Vernetzungen werden von Migranten meist nicht komplett aufgeben und in ihren wichtigen, heimischen Vernetzungen spielt ihre heimische Sprache eine ebenso wichtige Rolle, besonders für die Entwicklung der Kinder (Gogolin, 2014, S.25). Eine der wichtigsten Thesen, die Gogolin aufstellt, ist, dass der Wortschatz bei Kindern mit Migrationshintergrund in den sprachlichen Welten, z.B. Familie und Schule, nicht deckungsgleich ist (Gogolin, 2010, S.538). Dieser Nachteil ist ein Schlüsselpunkt, der zur Beantwortung der Frage, warum mehrsprachige Kinder mit Migrationshintergrund im Gegensatz zu mehrsprachig geförderten Kindern, Nachteile im Bildungssystem erfahren, führt. Er bringt Gogolin zu der Auseinandersetzung der sogenannten Bildungssprache.

3.2 Bildungssprache

Bevor der Begriff genauer erklärt wird, soll der Anlass dafür, sich mit einer Bildungssprache auseinanderzusetzen, genauer erklärt werden. Für Gogolin war die Auseinandersetzung mit der Bildungssprache das Resultat aus dem genannten Unterschied im Wortschatz in den sprachlichen Welten von Kin- dern mit Migrationshintergrund in Verbindung mit Ergebnissen der Bildungs- forschung. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in deutschen Schulen erzielen schlechtere Leistungen als solche, die aus Familien ohne Migrationsgeschichte stammen. Dabei ist unumstritten, dass eine unzu- reichende Beherrschung der Sprache, in welcher der Unterricht in unserem Bildungssystem stattfindet, zu den wesentlichen Ursachen für einen Leis- tungsrückstand gehört (Gogolin, 2009, S.264). Gogolin nimmt in ihren Ausfüh- rungen aber nicht die Migrantenfamilien in den Fokus, sondern konzentriert sich auf die Bildungseinrichtungen. Dabei macht auch sie deutlich, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern, schlecht abschneidet, was die Leistungsunterschiede zwischen Migrantenkindern und Kindern ohne Migrati- onshintergrund angeht (Gogolin, 2009, S.265).

Um dem entgegenzuwirken, gab es bereits verschiedene Ansätze im Bil- dungssystem. Zunächst wurde auf eine kompensatorische, auf Eingliederung und Anpassung der Kinder an die deutschen Gegebenheiten in Schule und Gesellschaft, gerichtete Zielsetzung verfolgt. Ab Mitte der 90er Jahre zeichne- te sich eine Umorientierung an, weg von dem Gedanken, dass Kinder mög- lichst schnell in das einsprachige deutsche Schulsystem eingegliedert werden sollen, hin zu dem Ansatz, dass die Schülerschaft in Deutschland sprachlich heterogen ist und dass darauf nicht nur in Form von Sondermaßnahmen, son- dern mit interkultureller Erziehung als Querschnittsaufgabe reagiert werden soll (Gogolin, Neumann & Roth, 2003, S.67). Doch alle Versuche haben die Situation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Schule höchstens verbessert, führen aber zu keinem zufriedenstellenden Er-gebnis.

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Details

Titel
Zweisprachigkeit als Kapital in unserer Gesellschaft. Soziologische und bildungswissenschaftliche Perspektiven
Hochschule
FernUniversität Hagen
Autor
Jahr
2015
Seiten
21
Katalognummer
V339069
ISBN (eBook)
9783668287662
ISBN (Buch)
9783668287679
Dateigröße
788 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zweisprachigkeit, Bilingualität, Mehrsprachigkeit, Kinder, Sprachenlernen, Bildungssystem, Migration, Chancen
Arbeit zitieren
Jannis Ender (Autor:in), 2015, Zweisprachigkeit als Kapital in unserer Gesellschaft. Soziologische und bildungswissenschaftliche Perspektiven, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339069

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