Warum kommt es zu keiner Reform des UN-Sicherheitsrates?

Ein Erklärungsversuch mit dem Konzept der Pfadabhängigkeit


Dossier / Travail de Séminaire, 2016

22 Pages, Note: 2,3

Anonyme


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Der Sicherheitsrat
2.1 Zusammensetzung
2.2 Aufgaben und Befugnisse

3. Das Konzept der Pfadabhängigkeit
3.1 Sozialwissenschaftliches Konzept der Pfadabhängigkeit nach Paul Pierson

4. Reformbedarf des UN-Sicherheitsrates
4.1 Repräsentativität
4.1.1 Dahls Konzept von Macht
4.2 Legitimität/Effektivität

5. Analyse verschiedener Reformvorschläge
5.1 Razali- Plan
5.2 Die „Gruppe der Vier“
5.3 Entwurf der Afrikanischen Union
5.4 Die Gruppe „Vereint für den Konsens“

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wir leben in einer globalisierten, interdependenten und multipolaren Welt mit zahlreichen Risikofaktoren und neuen Bedrohungsszenarien. Die Weltgemeinschaft ist der wachsenden Gefahr von zunehmenden Klimakonflikten, Großen Migrationsströmen, dem transnationalen Terrorismus und einer ungelösten Ressourcenfrage ausgesetzt. (Baeriswyl et. al 2014: 30 f.) In der Vergangenheit sorgten die Weltmächte, allen voran die USA und die ehemalige Sowjetunion als Ordnungsmächte für eine stabile Weltordnung. Seit Ende des kalten Krieges und der Überwindung der Bipolarität entstand eine komplexe multipolare Weltordnung mit mehreren globalen Großmächten und Regionalmächten. Die Wahrung von Frieden und Sicherheit ist zu einer hoch komplexen Aufgabe geworden, bei der Staaten eine immer unwichtigere Rolle spielen und internationale Institutionen allen voran der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen weiter an Bedeutung für die Bearbeitung von Sicherheitsproblemen gewinnen. (Baeriswyl et. al 2014: 31) Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist das wichtigste, mächtigste und weltweit einzige völkerrechtlich legitimierte Organ zur Wahrung und Durchsetzung des Weltfriedens. (Andreae 2002: 1) Nur der Sicherheitsrat kann Resolutionen zum Erhalt des Friedens und der Sicherheit in der Welt verabschieden, und sogar die Ausübung von internationaler Gewalt legitimieren. (Dörfler 2009: 1) Schon seit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 in San Francisco wird heftig über die Zusammensetzung und über die Demokratisierung des wichtigen Entscheidungsorgans debattiert. (Dörfler 2009: 1) Die Diskussion um eine Reform nahm 1987 wieder Fahrt auf nachdem der Sicherheitsrat nach mehr als vierzigjähriger Lähmung aufgrund des Ost-West-Konflikts seine Handlungsfähigkeit wiedererlangte. (Dörfler 2009: 1) (Andreae 2002: 1) Nach Ansicht nahezu aller VN-Mitgliedsstaaten ist der Sicherheitsrat ein Abbild der Machtverhältnisse von 1945 und sein Aufbau als auch die Arbeitsweise entsprechen nicht den geopolitischen und wirtschaftlichen Realitäten des 21. Jahrhunderts. (Rittberger & Baumgärtner 2006: 47) Auf dem Weltgipfel 2005 kam die Generalversammlung zu dem Ergebnis eine baldige Reform des Sicherheitsrates zu unterstützen: „um ihn repräsentativer, effizienter und transparenter zu gestalten und somit seine Wirksamkeit und die Legitimität und die Durchführung seiner Beschlüsse weiter zu verbessern.“ (Resolution 60/1 2005: 23) Zwar plädiert die Mehrheit der VN-Mitgliedsstaaten für eine Reform des Sicherheitsrates, jedoch unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessen und mit der ständigen Befürchtung das strukturelle Veränderungen sich nachteilig für sie auswirken könnten. (Rittberger & Baumgärtner 2006:47) (Andreae 2002: 1) Bisher sind alle Versuche den Sicherheitsrat zu reformieren gescheitert und das wird sich vermutlich mittelfristig auch nicht ändern. Keiner der unterschiedlichen Reformvorschläge konnte als konsensfähige Basis für eine mögliche Reform des Sicherheitsrates dienen. (Rittberger & Baumgärtner 2006: 47 f.) Deshalb stellt sich die Frage Warum es bisher zu keiner Reform des Sicherheitsrates gekommen ist? In der folgenden Arbeit soll versucht werden diese Frage anhand des aus den Wirtschaftswissenschaften adaptierten Konzeptes der Pfadabhängigkeit zu beantworten. Zunächst soll ein Überblick über die Zusammensetzung und die Aufgaben des Sicherheitsrates gegeben werden. Daraufhin folgt der Theorieteil indem in das Konzept der Pfadabhängigkeit eingeführt werden soll. Im Anschluss soll der Bedarf einer Reform herausgearbeitet werden in dem insbesondere auf die drei Zielsetzungen Effektivität, Legitimität und Repräsentativität des Sicherheitsrates eingegangen werden soll. Folglich soll mithilfe der Theorie der Pfadabhängigkeit die Stabilität beziehungsweise Kontinuität des Sicherheitsrates erklärt werden. Hierbei werden die wichtigsten Reformvorschläge im Lichte der eingeführten Theorie analysiert. Abschließend sollen Alternativen zum Sicherheitsrat diskutiert und ein Fazit gezogen werden.

2. Der Sicherheitsrat

2.1 Zusammensetzung

Der Sicherheitsrat übernimmt nach Art. 24 der Charta der Vereinten Nationen die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Das wichtigste und mächtigste der sechs Hauptorgane der Vereinten Nationen setzt sich aus fünfzehn Mitgliedern zusammen, davon sind fünf ständig und zehn nicht-ständig. (Rittberger & Baumgärtner 2006: 52) Die fünf ständigen Mitglieder China, Frankreich, Russland, Großbritannien und die USA nehmen nicht nur aufgrund ihres ständigen Sitzes eine privilegierte Sonderrolle ein, sie sind zusätzlich mit einem Vetorecht ausgestattet. Die verbleibenden zehn nicht-ständigen Mitglieder werden von der Generalversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit für zwei Jahre gewählt, und können nach Ablauf der zwei Jahre nicht unmittelbar wiedergewählt werden.(UNRIC :6) Die Auswahl der nicht-ständigen Mitglieder erfolgt nach einem festgelegten geographischen Muster wonach Je zwei Staaten aus Asien und Lateinamerika, drei afrikanische Staaten, ein Staat aus Osteuropa und zwei Staaten aus der Gruppe der westeuropäischen und anderen Staaten im Sicherheitsrat vertreten sein müssen.(dgvn 2009: 1) Ein weiterer Gesichtspunkt der bei der Wahl der nicht-ständigen Mitglieder berücksichtigt wird ist der Beitrag den die Mitglieder der VN zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit als auch zur Erreichung anderer Ziele der Organisation leisten.(Artikel 23 Absatz 1 VN-Charta) Bei Abstimmungen im Sicherheitsrat steht jedem Mitgliedsstaat eine Stimme zu, um eine Resolution verabschieden zu können müssen neun der fünfzehn Mitglieder zustimmen. Die permanent five (P-5) können aufgrund des Vetorechts jederzeit eine Entscheidung beziehungsweise eine Resolution blockieren. Hier zeigt sich schon, dass die Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrates sehr stark abhängig ist von den Interessen und dem Willen der P-5.(Krisch 2010: 140) Beschlüsse des Sicherheitsrates über alle sonstigen Fragen d.h. substantielle Fragen wie Sanktionen oder Zwangsmaßnahmen erfordern ebenfalls der Zustimmung von neun Mitgliedern, einschließlich der fünf ständigen Mitglieder.(UNRIC :7)(dgvn 2009: 2) Somit ist eine Abschaffung des durch die UN-Charta eingeräumten Sonderstatus der fünf ständigen Mitglieder aufgrund der erforderlichen Autorisierung durch den Sicherheitsrat, was eine Zustimmung aller ständigen Mitglieder erfordert, fast unmöglich.(Zürn 2007: 694f.) Das Vetorecht wiederspricht in erheblichem Maße dem in Artikel 2 Absatz 1 der VN-Charta niedergeschriebenen: „Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder“. (Artikel 2 Absatz 1 VN-Charta) Um zu verstehen warum diese „institutionalisierte Ungleichheit“ besteht ist ein Blick in die Gründungsphase der UN von Nöten. Die Gründungskonferenz 1945 in San Francisco war geprägt durch die Erfahrungen zweier Weltkriege und dem Scheitern des Völkerbundes und hatte deshalb zum Ziel das Ausbrechen eines dritten Weltkrieges zu verhindern. (Luck 2010: 62) Zudem ist der Sicherheitsrat ein Abbild der Machtkonstellation der Nachkriegszeit. Die Siegermächte des zweiten Weltkrieges beschlossen die Zusammensetzung des Sicherheitsrates und sicherten sich mit einem ständigen Sitz und dem dazugehörigen Vetorecht eine privilegierte Stellung, damit ihre nationalen Interessen im Sicherheitsrat immer ausreichend berücksichtigt werden. Auf Wunsch der USA bekam China als Gegenmacht zu Japan einen ständigen Sitz und auf Drängen Großbritanniens, wurde Frankreich als Gegenstück zur Sowjetunion auf dem europäischen Kontinent in den Kreis der P-5 aufgenommen. (Andreae 2002: 10)

2.2 Aufgaben und Befugnisse

Der Sicherheitsrat hat neben der übergeordneten Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit weitere Aufgaben. Dazu gehört die Untersuchung von Konflikten, die zu internationalen Spannungen führen könnten, hier appelliert der Sicherheitsrat an die am Konflikt beteiligten Parteien, diesen mit friedlichen Mitteln zu lösen. Außerdem hat der Sicherheitsrat die Pflicht der Feststellung ob eine Gefährdung der internationalen Sicherheit, eines Friedensbruchs oder einer Angriffshandlung besteht. (dgvn: 2009: 2) Er ist es auch der Gegenmaßnahmen einleiten kann. Diese Gegenmaßnahmen können zum einen Maßnahmen der friedlichen Streitbeilegung sein ohne das die Anwendung von Gewalt erfolgt. Oder Sanktionsmaßnahmen nicht-militärischer und militärischer Art, indem die Mitgliedsstaaten aufgefordert werden beispielsweise Sanktionen zu verhängen oder aber durch militärische Maßnahmen die Wiederherstellung von Frieden und internationaler Sicherheit herbeiführen. (Andreae 2002: 14) Als einziges Gremium der Vereinten Nationen darf der Sicherheitsrat rechtlich bindende Entscheidungen treffen.

3. Das Konzept der Pfadabhängigkeit

Im Folgenden soll nun in die Grundlagen und Wirkungsweisen des Konzeptes der Pfadabhängigkeit eingeführt werden. Anhand dieser theoretischen Konzeption soll dann später die Analyse der gescheiterten Reformvorschläge erfolgen.

Das Konzept der Pfadabhängigkeit ist ein in den letzten Jahren oft genutzter aber auch verstärkt kritisierter Erklärungsansatz in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Der Pfadabhängigkeitsbegriff wird meist auf den Ökonomen W. Brian Arthur und den Wirtschaftshistoriker Paul A. David zurückgeführt. (Werle 2007: 119) Sie kritisierten in ihren Arbeiten die neoklassische Effizienzthese. Anhand von nichtlinearen stochastischen Modellen zeigte Arthur (1989,1994) auf, dass sich nicht immer die effizienteste Technologie durchsetzt. (Beyer 2006: 14) Besonders gegenständlich verdeutlichen das Polya-Urnen-Modell von Arthur und die exemplarische Analyse der Entstehung und Verfestigung der heute noch genutzten QWERTY-Tastatur (in Deutschland QWERTZ) von Paul David die Pfadabhängigkeit in der Ökonomie. (Werle 2007: 119 f.) (Dörfler 2009: 11) Der Begriff der Pfadabhängigkeit beschreibt „einen vergangenheitsdeterminierten Prozess relativ kontinuierlicher bzw. inkrementeller Entwicklungen.“ (Werle 2007: 119) Pfadabhängigkeit beschreibt nicht nur ökonomische Vorgänge, sondern ist auch von großer Bedeutung für die Analyse von politischen Prozessen. (Csigó 2006: 139) Auch in der Politikwissenschaft sind vergangenheitsbedingte Phänomene wie etwa individuelle oder organisatorische Handlungsroutinen aber auch bürokratische Beständigkeit und institutionelle Behäbigkeit häufig zu beobachtende Erscheinungen. (Werle 2007: 122) Deshalb bedarf das Konzept der Pfadabhängigkeit einer sozialwissenschaftlichen Erweiterung um zur Beantwortung der Forschungsfrage verwendet werden zu können.

3.1 Sozialwissenschaftliches Konzept der Pfadabhängigkeit nach Paul Pierson

Einen zentralen Beitrag zur Pfadabhängigkeitsdiskussion hat Paul Pierson (2000) geleistet. Er hebt besonders die Bedeutung von selbstverstärkenden Mechanismen hervor. Macht, Normen, Traditionen oder auch relative Nützlichkeit oder Funktionalität können die Auslöser für solche Prozesse der Selbstverstärkung sein. (Werle 2007: 123) Ist ein Pfad einmal eingeschlagen so sinkt mit jedem Schritt entlang dieses Pfades die Wahrscheinlichkeit von diesem Pfad wieder abzuweichen und einen anderen einzuschlagen, aufgrund der steigenden Kosten die ein Wechsel auf einen anderen Pfad verursachen würde. Hinzu kommt das bei Verlassen eines institutionellen Pfades mit Widerstand seitens derer zu rechnen ist die an einem Weiterbestehen des Systems interessiert sind. (Csigó 2006: 141) Von besonderer Bedeutung ist auch die Reihenfolge von Ereignissen, da Ereignisse am Anfang eines Pfades eine wesentlich größere Bedeutung für die weitere Entwicklung einnehmen als spätere Ereignisse. Entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis von Prozessen hat also die Sequenz von Ereignissen. (Pierson 2000: 252 f.) Pierson (2000) zeigt vier Faktoren auf die für selbstverstärkende Prozesse im politischen Kontext von Belang sind.

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Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Warum kommt es zu keiner Reform des UN-Sicherheitsrates?
Sous-titre
Ein Erklärungsversuch mit dem Konzept der Pfadabhängigkeit
Université
University of Bamberg  (Sozial-und Wirtschaftswissenschaften)
Cours
Vertiefungsseminar internationale Sicherheitspolitik
Note
2,3
Année
2016
Pages
22
N° de catalogue
V340027
ISBN (ebook)
9783668294349
ISBN (Livre)
9783668294356
Taille d'un fichier
656 KB
Langue
allemand
Mots clés
Sicherheitspolitik, Un_Sicherheitsrat;, UN-Securitycouncil, Vereinte Nationen, Pfadabhängigkeit, Paul Pierson
Citation du texte
Anonyme, 2016, Warum kommt es zu keiner Reform des UN-Sicherheitsrates?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/340027

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