Anspruch und Wirklichkeit im Sportunterricht. Eine Differenzanalyse zum Thema "Rituale" im Sportunterricht an Grundschulen


Thèse de Master, 2016

96 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Rituale im Sportunterricht
2.1 Handlungsorientierungenvon Sportlehrkräften
2.2 Die pädagogische Bedeutung von Ritualen
2.3 Möglichkeiten des Einsatzes von Ritualen im Sportunterricht an Grundschulen

3. Deutungen des differenzanalytischen Forschungsansatzes
3.1 Zur Genese differenzanalytischer Forschung in der Sportpädagogik
3.2 Differenzstudien: Empirie desNormativen

4. Empirischer Teil - Durchführung einer Differenzanalyse
4.1 Anspruchsebene aufunterrichtspraktischerEbene
4.1.1 Interviews mit zwei studierten und zwei fachfremden Sportlehrkräften
4.2 Wirklichkeitsanalyse
4.3 Differenzen untersuchen
4.4 Vertikale Betrachtung
4.4.1 Differenzanalyse für Lehrkraft 1 mit Facultas
4.4.2 Differenzanalyse für Lehrkraft 2 mit Facultas
4.4.3 Differenzanalyse für Lehrkraft 1 ohne Facultas
4.4.4 Differenzanalyse für Lehrkraft 2 ohne Facultas
4.5 Horizontale Betrachtung

5. Zusammenfassende Stellungnahme und Ausblick

6. Literatur- und Quellenverzeichnis

7. Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Methodentriangulation

Abb. 2 Differenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Abb. 3 Ablaufplan in differenzanalytischen Untersuchungen

Abb. 4 Anspruchsebenen und Wirklichkeitsfacetten in Differenzstudien

Abb. 5 Vertikale und horizontale Betrachtung

Abb. 6 Beobachtungsbogen der Lehrkraft 1 mit Facultas

Abb. 7 Evaluationsdarstellung der Wirklichkeitsanalyse aus Schülersicht für Lehrkraft 1 mit Facultas

Abb. 8 Beobachtungsbogen der Lehrkraft 2 mit Facultas

Abb. 9 Evaluationsdarstellung der Wirklichkeitsanalyse aus Schülersicht für Lehrkraft 2 mit Facultas

Abb. 10 Beobachtungsbogen der Lehrkraft 1 ohne Facultas

Abb. 11 Evaluationsdarstellung der Wirklichkeitsanalyse aus Schülersicht für Lehrkraft 1 ohne Facultas

Abb. 12 Beobachtungsbogen der Lehrkraft 2 ohne Facultas

Abb. 13 Evaluationsdarstellung derWirklichkeitsanalyse aus Schülersicht für Lehrkraft 2 ohne Facultas

Tabellenverzeichnis

Tab. 1 Auswertung des Beobachtungsbogens für Lehrkraft 1 mit Facultas

Tab. 2 Auswertung des Beobachtungsbogens für Lehrkraft 2 mit Facultas

Tab. 3 Auswertung des Beobachtungsbogens für Lehrkraft 1 ohne Facultas

Tab. 4 Auswertung des Beobachtungsbogens für Lehrkraft 2 ohne Facultas

1. Einleitung

Der Diskurs in der Sportpädagogik nimmt an, dass die Beziehungen zwischen Sollen und Sein keineswegs unproblematisch und selbstverständlich sind. Pädagogisches Handeln basiert auf normativen Vorstellungen, denen eine wahrgenommene Wirklichkeit gegenübergestellt wird. Kurz (2014) hat erläutert, dass der deutschen Sportpädagogik in der Vergangenheit zu Recht der Vorwurf gemacht werden konnte, sie sei zu stark in der Projektion und Begründung immer komplexerer Zielvorstellungen, aber spärlich in der empirischen Erforschung der pädagogischen Wirklichkeit aufgestellt. Heute kann dem entgegen gebracht werden, dass sich die sportpädagogische Forschung als empirisch darstellen lassen kann. Angestoßen von Eckart Balz und Peter Neumann sind Differenzanalysen zwischen Anspruch und Wirklichkeit mittlerweile ein fester Bestandteil sportpädagogischer Forschung. Ihnen ist es zu verdanken, dass der Grundgedanke in diesem Bereich der Forschung seit über 20 Jahren auf immer neue bildungsrelevante Bereiche theoretisch und methodologisch weiter ausgearbeitet wird. Der Gefahr, dass sich die heutige sportpädagogische Forschung hinsichtlich der empirischen Studien verselbstständigt (vgl. Kurz 2014) ist zu entgegnen, dass Differenzstudien, so wie sie Balz und Neumann vorsehen, beides enthalten und aufeinander beziehen: ein empirisches Forschungsdesign und eine explizite Zieldiskussion. Herausgestellte Differenzen werden nicht mehr nur gründlich dokumentiert, sondern zugleich pädagogisch interpretiert. Sollen und Sein ist demnach so zu interpretieren, dass ein formulierter pädagogischer Anspruch und die schulische Wirklichkeit so aufeinander bezogen werden, dass sich potenzielle Differenzen erkennen, verstehen und handhaben lassen. Das besondere Interesse gilt hierbei den Unterschieden, also dem „Dazwischen“ von Anspruch und Wirklichkeit (vgl. Balz 2000).

Die Relevanz meines Themas Anspruch und Wirklichkeit im Sportunterricht: Eine Differenzanalyse zum Thema „Rituale “ an Grundschulen erscheint offensichtlich: Ansprüche im sportunterrichtlichen Alltag sollten so umgesetzt werden, dass die Wirklichkeit ebendiese Ansprüche wiederspiegelt. Dass diese Annahme in der schulsportlichen Wirklichkeit jedoch nicht so einfach umzusetzen ist erscheint dabei trivial. Mit meiner Master Thesis versuche ich aufzuzeigen, dass die pädagogischen Ansprüche, welche vier Sportlehrkräfte[1] in Form von Ritualen benennen, keineswegs in der schulsportlichen Wirklichkeit immer so umzusetzen sind, wie es sich wünschenswerter Weise gedacht wird. Beginnend werde ich darauf eingehen, welche Handlungsorientierungen es für Sportlehrkräfte gibt und mich dann im Folgenden darauf konzentrieren, die pädagogische Bedeutung von Ritualen zu erörtern. Basierend darauf zeige ich Möglichkeiten des Einsatzes von Ritualen im Sportunterricht an Grundschulen auf, die im fachdidaktischen Diskurs zu dieser Thematik vorliegen und diskutiert werden (Kap. 2). Basierend darauf erläutere ich, wie ein differenzanalytischer Forschungsansatz gedeutet werden kann (Kap. 3.1) und beziehe mich dabei auf die Genese differenzanalytischer Forschung in der Sportpädagogik. Ich kläre über die Empirie des Normativen auf, nehme begriffliche Eingrenzungen, sowie konzeptionelle Einordnungen vor und gebe eine idealtypische Beschreibung des Forschungsansatzes (Kap. 3.2). Dies dient dem Verständnis des theoretischen Hintergrunds, um darauf aufbauend in den empirischen Teil überzugehen (Kap. 4). Hierfür führe ich eine Differenzanalyse auf unterrichtspraktischer Ebene durch und orientiere mich dabei am Zehnschritt, welchen Balz und Neumann (2005) formuliert haben. In meiner Anspruchsanalyse erhebe ich meine Daten durch Interviews mit zwei Sportlehrkräften, welche Sport studiert haben und zwei Sportlehrkräften ohne Facultas. Ich erhoffe mir dabei Unterschiede bereits bei der Formulierung der Ansprüche seitens der Lehrkräfte feststellen zu können (Kap. 4.1). Dem stelle ich im folgenden Kapitel 4.2 zwei Wirklichkeitsfacetten gegenüber, nämlich die Schulsport-Wirklichkeit aus Beobachtersicht, indem ich selbst Unterrichtsbeobachtungen anstrebe (je drei Sportstunden pro Lehrkraft) und die Schulsport-Wirklichkeit aus Schülersicht, indem ich von den Schülerinnen und Schülern Fragebögen ausfüllen lasse (mithilfe der Likert-Skala). Diese qualitativen Daten vergleiche und verarbeite ich. Abschließend untersuche ich die vorliegenden Differenzen, bestimme diese, strebe ein Verständnis über ebendiese an und formuliere für die Lehrkräfte Empfehlungen (Kap. 4.3). Mein Praxissemester, welches ich im Februar 2016 angetreten habe, konnte ich nutzen um die erforderlichen Interviews mit den Sportlehrkräften, die Beobachtungen in den unterschiedlichen Klassen und die Fragebogenuntersuchung mit den Schülern durchzuführen.

2. Rituale im Sportunterricht

Der schulpraktische Alltag eines Sportlehrers umfasst viele Teilbereiche. Die Sportpädagogik hat sich dieser Thematik bereits in den 70er Jahren angenommen (vgl. Lange 1984). Dabei stellt sich vorrangig die Frage wozu sich Sportlehrer reflektiert mit dem auseinandersetzen sollen, womit sie sich generell den ganzen Tag beschäftigen. Die Sportdidaktik hat hierzu eine ganze Reihe von Einsichten, Ansätzen und Konzeptionen zur Praxis des Sportunterrichts hervorgebracht, um diese Frage hinreichend beantworten zu können. Dabei ist sie nicht auf der Ebene des Theoretischen geblieben, sondern zu praktischen Konsequenzen vorgedrungen. Der nachstehende Abschnitt befasst sich mit der Thematik der Handlungsorientierungen, welche für eine Sportlehrkraft möglich sind. Nach der Erläuterung unterschiedlicher Handlungsorientierungen vertiefe ich die Thematik der pädagogischen Bedeutung von Ritualen und benenne ausführliche Möglichkeiten des Einsatzes von Ritualen im Sportunterricht an Grundschulen.

2.1 Handlungsorientierungen von Sportlehrkräften

Eckart Balz hat zu dieser Thematik einen übersichtlichen Beitrag verfasst, wobei er der Frage nachgeht, woran sich Sportlehrkräfte halten sollen, um dem eigenen Handeln in der beruflichen Entwicklung und in der schulischen Tätigkeit eine angemessene Richtung zu geben (vgl. hierfür auch Krieger 2014, Balz 2014). Zunehmend höhere Anforderungen, welche an die Sportlehrer gestellt werden, führen dazu, dass der Orientierungsbedarf wachsen dürfte und nicht unbedingt leichter wird. Verlässliche Orientierungspunkte jedoch schwinden (vgl. Miethling 2011, S.121-126). Gesellschaftliche, sowie bildungspolitische Veränderungen in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass der Frage nach dem eigenen reflektierten Handeln weiter nachgegangen wird. Unumstritten ist, dass die Lerngruppen immer heterogener werden und die Erwartungen an die Ausbildung der Sportlehrer stetig steigen. Pädagogische Anspruchsakkumulationen und sportbezogene Wandlungsprozesse unterstreichen diese Thematik (Balz 2014).

Grobe Orientierungspunkte lassen sich hierfürjedoch ausmachen. Sportlehrkräfte können daran ihr Handeln auf reflektierte Weise ausrichten. Die Orientierungspunkte vermögen dem Handeln faktisch zu dienen, nämlich dann, wenn Handlungsorientierungen von Sportlehrkräften formuliert werden. So können diese potenziell genutzt werden, sofern Handlungsorientierungen für Sportlehrkräfte formuliert sind. Dazu zählen, neben berufsbiografischer Einflüsse (vgl. Kuhlmann 2014) und typischer Bewältigungsmuster beruflicher Belastungen (vgl. Kastrup 2014), Routinen als alltägliche, Konzepte als systematische, Kompetenzen als erwartete und Rezepte als vereinfachte Handlungsorientierungen (Balz 2014).

Konzepte sind Entwürfe, die dem eigenen Handeln eine angemessene Richtung vorgeben können. Vorstellungen vom Sportunterricht werden gebündelt und markieren (durch weitere Konzepte ergänzt) ein breites Orientierungsangebot für den Sportunterricht. „Jeder Sportlehrer hat sein eigenes didaktisches Konzept im Kopf“ (Bräutigam 2003 S. 92). Basierend auf diesem Zitat kann den Schulsportkonzepten, die die Sportlehrkräfte auf persönlicher Ebene selbst entworfen haben, eine besondere Bedeutung zugetragen werden.

Der Begriff Kompetenz ist ein Synonym für Sachverstand und Fähigkeit. Kompetenzen gilt es zu erwerben. Das deutsche Bildungssystem und damit verbunden auch die Schulen sind mit einer Vielzahl von Kompetenzerwartungen und Bildungsstandards überzogen worden. Für das Fach Sport bedeutet dies, dass die Kernlehrpläne auf diese Kompetenzerwartungen hin umgestellt wurden. Es existiert jedoch bislang noch kein konsensfähiges Kompetenzmodell. Weiterhin fehlen verlässliche Umsetzungsstrategien, sowie eine hinreichende empirische Forschung (vgl. Roth, Balz, Frohn & Neumann 2012). Trotz alledem werden Sportlehrkräfte jeden Tag auch daran gemessen, welche Kompetenzen sie bei den Schülern entwickeln und welche eigenen Kompetenzen sie als Lehrkraft dafür an den Tag legen.

Rezepte, als vereinfachte Handlungsorientierungen, sind ähnlich zu verstehen, wie es beispielsweise auch beim Kochen der Fall ist. Man nehme etwas hiervon, dann noch etwas davon und eine kleine Prise von dem. Jedoch kommt es auch im Sportunterricht auf die richtige Dosierung an. Pädagogisches Handeln ist weitaus komplizierter als Kochen. Daher ist zu hinterfragen, ob simple Rezepte weiterhelfen, um den Alltag eines Sportlehrers zu vereinfachen. Balz (2014) erläutert, dass sie in der Lehrerbildung und ambitionierten didaktischen Kreisen oft gar verpönt werden und bloße Imperative oder schlichte „To-do-Listen“ darstellen. Grell und Grell (2010) entgegnen den Vorurteilenjedoch, dass Rezepte sich als gut begründete und bewusst vereinfachte Handlungsempfehlungen flexibel verstehen lassen (vgl. auch Balz 2014). Inwieweit sich solche Rezepte bei Sportlehrern durchsetzen oder einprägen bleibt jedem dabei selbst überlassen, denn Rezepte sind immer typabhängig und passen nicht zu jeder Lehrerpersönlichkeit. Sie können dennoch, je nach Klasse, Thema und Situation, eine hilfreiche Ergänzung darstellen.

Unumstritten ist der Fakt, dass Orientierung gibt, was sich im Laufe der Zeit für einen selbst bewährt hat. Routinen schleifen sich ein durch Erfahrungen, die man mit der Zeit sammelt. Sie verleihen Sicherheit im eigenen Handeln und wenn es zu unübersichtlichen Situationen kommt. Die Verlockung dabei besteht darin, dass man immer wiederkehrende Tätigkeiten zur Gewohnheit werden lässt. Es ist aus sportpädagogischer Sicht gegen solche Routinen an für sich nichts einzuwenden, zumal diese sich mit der Zeit automatisieren und für die Sportlehrkräfte den Handlungsdruck entlasten. Bedeutsam erscheint es zu hinterfragen, ob sich die Sportlehrkräfte bewusst mit ihren Alltagsroutinen auseinandersetzen bzw. um diese wissen und schließlich für sich reflektieren. Man könnte beispielsweise überprüfen, welche Routinen bei einem selbst wie weit ausgeprägt sind und welche Chancen und Grenzen sie (vgl. Balz 2014), z.B. durch Rituale, für das eigene Handeln mitbringen. Rituale beispielsweise dienen dazu den eigenen Unterricht zu strukturieren und sie helfen den Schülern, da sie ein Gefühl der Sicherheit, da bekannt und eingewöhnt, vermitteln. Hier setzt nun der Schwerpunkt meiner Master Thesis an. In den folgenden Abschnitten gehe ich speziell auf den Begriff „Ritual“ ein, da dieser in meinem empirischen Teil (Kap.4) den Forschungsgegenstand darstellt.

2.2 Die pädagogische Bedeutung von Ritualen

„Ein Ritual ist eine Reihenfolge stilisierten sozialen Verhaltens, das von normaler Interaktion durch seine besonderen Fähigkeiten unterschieden werden kann, die es ermöglichen, die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer - seiner Gemeinde - seines Publikums - auf sich zu ziehen und welche die Zuschauer dazu bringt, das Ritual als ein besonderes Ereignis, das an einem besonderen Ort und/oder zu einer besonderen Zeit, zu einem besonderen Anlass und/oder mit einer besonderen Botschaft ausgeführt wird, wahrzunehmen. Dies wird dadurch erreicht, dass das Ritual geeignete (...) Kernsymbole benutzt." (Bellinger & Krieger 2013).

Für das alltägliche Funktionieren von Schule und Unterricht im Allgemeinen sind Rituale unverzichtbar. Rituale, definiert als regelmäßige, wiederkehrende Handlungsmuster, die nach vorhersagbaren und bekannten Strukturen verlaufen, geben Halt, Orientierung, Kraft und Schutz (vgl. Klink, 2013, S. 7). Wiederkehrende Handlungen vermitteln darüber hinaus ein Gefühl von Vertrautheit, Verlässlichkeit und Sicherheit (vgl. Hummel & Krüger, 2015). Der Umgang miteinander wird erleichtert und entlastet, speziell zwischen Schülern und Lehrern. Für viele Außenstehende wirken Rituale manchmal albern oder dumm. Oft wird dabei jedoch ihre Bedeutung nicht verstanden und der Sinn geht verloren. Hierbei wird meist vergessen, wie wichtig Rituale eigentlich sind. Sei es das tägliche Frühstücken oder der Handschlag, wenn wir einem Freund begegnen. Sie rhythmisieren zeitliche und soziale Abläufe und sind gekennzeichnet durch eine feste Gruppe (Straub 2015), weswegen sie optimaler Weise in der Schule ihre Berechtigung finden. Nichts desto trotz ist die Ambivalenz von Ritualen nicht außer Acht zu lassen, beispielsweise wenn Entwicklungen durch immer gleich bleibende - da bewährte - Vorgehensweisen gehemmt werden und die Kreativität durch Neuerungen eingeschränkt oder gar behindert wird. Eine Reflexion der eigenen Rituale sollte demnach angestrebt werden, sobald es zu Störungen im normalen Ablauf kommt (vgl. ebd.). In unserer heutigen Gesellschaft spiegeln Rituale ein Grundbedürfnis wieder, nämlich „nach festen Haltepunkten im Kontinuum des fließenden Geschehens: sei es in der Gestaltung des Tages, eines Jahres, des gemeinsamen Lebens und der Umgangsformen zwischen Menschen, (...) in denen eine Gemeinschaft sich selbst, ihre Werte und Stärke demonstriert“ (von der Groeben, 2000 S. 12). Wie bereits erwähnt sind Rituale auch in der Schule ein fester Bestandteil des täglichen Ablaufs. Immer heterogenere Klassen, aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten, mit und ohne Migrationshintergrund, stellen die Lehrkräfte vor immer größere Herausforderungen. Straub (2015) erläutert weiterhin, dass Rituale an Bedeutung gewinnen, da sie ein Sich-wohl-Fühlen, ein Sich-zugehörig-Fühlen und ein Sich- sicher-Fühlen mitbegründen können. Im didaktischen Diskurs sind diese bei den Pädagogen jedoch nicht unumstritten. Neben den vielen positiven Assoziationen können diese auch negative Empfindungen auslösen. Sobald Rituale den Status von ,,kalkulierbaren Verhaltenserwartungen für Lehrer und Schüler schaffen, die der Demonstration der Macht der Institution dienen“ (vgl. Meyer 1987, S. 191), wird Schule als ein Ort gesehen, der angstmachende und bloßstellende Rituale produziert (vgl. Alberts 1991, S. 19). Diese Ambivalenzen gilt es zu bedenken. Weiterhin sollte man nicht hinterfragen, was Rituale „gut“, sondern was sie „stimmig“ macht. Somit ist auch die Frage nach der Zielrichtung der Rituale von großer Bedeutung. Sie haben nur dann einen Sinn, wenn sie „gleichzeitig dazu beitragen, Entwicklungen in Richtung der allgemeinen pädagogischen Ziele auf Demokratisierung, Welterkenntnis, kritischer Aufklärung und Förderung der Lebenskompetenz anzuleiten“ (Kaiser 2000, S. 38). Die Einführung von Ritualen kann daher auch soziales Lernen ermöglichen. Die Schüler können eigene Ideen altersangemessen einbringen und werden im Prozess der Ritualisierung von Abläufen beteiligt, sodass diese auch fortan mit Blick auf einen gemeinsamen Konsens von Schülern und Lehrkraft weiterentwickelt und erprobt werden können. Trotzdem ist gelegentlich eine Tendenz zu einem eher inflationären Gebrauch von Ritualen zu erkennen, der dann fälschlicherweise mit dem Begriff „Regel“ gleichgesetzt wird. Rituale und Regeln stellen jedoch etwas gänzlich Unterschiedliches dar, da Regeln erzieherische Abmachungen darstellen und erzwungen werden können, Rituale indessen auf Konsens ausgelegt sind und eine Symbolkraft entfalten. Hierbei ist zu beachten, dass Rituale nur einen Teil des Schullebens darstellen und sinnvoll mit anderen Elementen verknüpft werden müssen. Aber durch welche Merkmale zeichnen sich Rituale aus, wenn diese pädagogisch förderlich sein sollen? Wie Straub (2015) es bereits formuliert hat, ist deren Stimmigkeit mit Blick auf die Lerngruppe, der Unterrichtssituation und weiteren Aspekten immer neu zu prüfen und zu überdenken. Rituale sind Symbolhandlungen, die von allen beteiligten Akteuren sofort verstanden werden sollen. Demnach ist ihnen eine Signalwirkung zu zusprechen. Es bedarf einer Einübung, sprich sie müssen schrittweise eingeübt und regelmäßig praktiziert werden, damit sie sich in den Köpfen der Lerngruppe verankern. Darüber hinaus haben Rituale eine entlastende Funktion, da sie nicht neu eingeführt werden müssen, sobald diese erst einmal verstanden wurden, allerdings müssen sie von allen Beteiligten akzeptiert werden. Ist dies der Fall, so stärken sie das Gemeinschaftsgefühl und vermitteln ein Gefühl der Zugehörigkeit und Akzeptanz. Somit dienen sie der Gemeinschafts- und Konsensbildung. Weiterhin dürfen sie nicht aufgezwungen werden, da sie durch ihre Symbolkraft praktisch von selbst einen gewissen Zwang auslösen und ihnen unwillkürlich gefolgt wird. Der letztlich jedoch entscheidende Faktor bei der Nutzung von Ritualen ist die Lehrkraft selbst. Wie bereits erwähnt darf der Begriff „Ritual“ kein Synonym für den Begriff „Regel“ darstellen. Wenn die Lehrkraft der Versuchung widersteht, Rituale als Disziplinierungsmittel zu verwenden, dann ist sie in der Lage, Rituale als pädagogisch bedeutsames Hilfsmittel zu nutzen und diese selbst für sich zu reflektieren. Darüber hinaus kann eine Ritualkultur nur förderlich gedeihen, wenn diese im Kollegium mit den anderen Lehrkräften offen diskutiert und reflektiert wird. Die Ambivalenz, die Ziele und anwendbare Formen von Ritualen müssen gemeinsam pädagogisch diskutiert werden. Das Ziel ist es hierbei vielfältige Ideen, Formen und Zugänge mit Blick auf die Förderung der Schüler durch den Einsatz von Ritualen zu ermöglichen. Es ist allerdings wichtig Rituale nicht zu vereinheitlichen, sondern diesen den pädagogischen Konsens und eine Vielfalt zu zusprechen, um damit das Schulleben für jeden Beteiligten zu bereichern. Besonders in der Grundschule erscheint es wichtig sich nicht auf Rituale zu versteifen. Bei einschneidenden Lebensabschnitten beispielsweise können Schwierigkeiten auftreten, welche dazu führen, dass man die eigenen Rituale zu sehr verhärtet und sie dadurch ihre Wirkung verfehlen. Passen die Rituale nicht mehr in den Alltag hinein oder fühlen sich gezwungen an, dann sollte die Lehrkraft sie entsprechend der Situation anpassen und weiterentwickeln. Wenn also nun eine Lehrkraft Rituale im Unterricht einführen und anwenden möchte, dann lassen sich genügend Anlässe für deren Daseinsberechtigung finden. Sie sollen jedoch von Lehrenden und Lernenden gleichermaßen als hilfreich, orientierungsgebend und gemeinschaftsstiftend empfunden werden (vgl. Straub, 2015).

Bezieht man diese Erkenntnisse auf den Sportunterricht, so lässt sich eine Vielzahl an Ritualen finden. Welche letztlich Anerkennung bei der Lehrkraft finden ist ganz unterschiedlich und individuell. Schaut man sich den Sportunterricht in Grundschulen an, so ist dahingehend nochmal ein breiteres Feld an pädagogischen Handlungsorientierungen gefragt, wie es in der Sekundarstufe I zu sein scheint. Rituale, die in der Sekundarstufe I ihre Anerkennung finden, vermögen in der Grundschule nicht ganz angebracht zu sein. Im Folgenden werde ich mich nun auf Rituale für die Primarstufe festlegen, da ich den Master of Education mit dem Profil Grundschule studiere. Dass Rituale im Sportunterricht an Grundschulen zum Einsatz kommen, können wir aus eigener Erfahrung noch selbst bestätigen, sei es nur das gemeinsame „in die Halle Gehen“ oder auch der gemeinsame Sitzkreis in der Hallenmitte zu Beginn der Sportstunde. Welche Möglichkeiten der Nutzung von Ritualen hat eine Sportlehrkraft im Sportunterricht in der Grundschule? Der folgende Abschnitt wird sich mit dieser Fragestellung beschäftigen.

2.3 Möglichkeiten des Einsatzes von Ritualen im Sportunterricht an Grundschulen

Nicht nur der Unterricht in der Klasse, sondern auch der Sportunterricht kann durch Rituale strukturiert werden. Es wird oft vergessen, dass es sich bei der Turnhalle, dem Schwimmbad und dem Sportplatz auch um einen „Klassenraum“ handelt. Besonders in diesen Örtlichkeiten ist es wichtig, dass Struktur, Ruhe und Ordnung vorherrschen, da es der große Raum der Turn- und Schwimmhalle, mit seiner meist schlechten Akustik, der Lehrkraft fast unmöglich machen würde einen vernünftigen Sportunterricht abzuhalten. Darüber hinaus würden sich Schüler und Lehrer kein Gehör verschaffen können, wenn es durchweg zu laut in diesen Räumen ist. Rituale bieten sich demnach sehr gut an dieser Problematik entgegenzuwirken. Viele Grundschulen nutzen Morgenrituale, Wochenrituale, Rituale vor, während und nach dem Unterricht und Rituale zur Stille oder Konzentration. Diese geben den Schülern Orientierung und entlasten den Lehrer, geben Zeit und sparen Energie. Nur welche Möglichkeiten bieten sich einer Lehrkraft im Sportunterricht die Vielfalt unterschiedlicher Rituale nutzen zu können? Um dieser Frage nachkommen zu können sollte vorab erläutert werden, dass das eine Ritual nicht für jede Lehrkraft kompatibel ist. Jede Lehrkraft nutzt vielfältige, individuell auf sich zugeschnittene und bewährte Rituale. Dahingehend ist die Suche nach Einsatzmöglichkeiten von Ritualen im Sportunterricht an Grundschulen keineswegs eindeutig. Vielmehr können die nachstehenden Einsatzmöglichkeiten als Sammelsurium von Ideen betrachtet werden. Welche Rituale zu welchem Lehrkrafttypen passen ist eine individuelle Entscheidung. Am wichtigsten sollte es sein, dass die Nutzung von Ritualen die Lehrkraft authentisch bleiben lässt. Eine Lehrkraft hat mehrere Handlungsschritte zu vollziehen, welche die gesamte Sportstunde umfassen. Von Ritualen während der Planung der Stunde, über Rituale vor der Stunde, hin zu Ritualen am Stundenbeginn, im Stundenverlauf und am Stundenende und schließlich zu Ritualen nach der Sportstunde sind somit sechs Handlungsschritte festgelegt. Für den später dargestellten empirischen Teil ist es nicht von Belang, welche Rituale bei der Stundenplanung und nach der Sportstunde eingesetzt werden, da die Schüler diese meist nicht mitbekommen. Diesbezüglich konzentrieren sich die Einsatzmöglichkeiten auf die restlichen vier benannten Punkte.

Vor der Stunde können Rituale bereits auf dem Sporthallenweg genutzt werden. Beispielsweise sollen sich die Schüler immer zu zweit aufstellen und den Weg als Paar bestreiten (je nach Lage der Sporthalle). Die Anwesenheitskontrolle, welche eine normative Handhabung ist, sowie die Kontrolle der Sportkleidung stellen weitere Einsatzmöglichkeiten dar. Am Stundenbeginn nutzen viele Lehrkräfte einen offenen Anfang, sodass die Schüler ihrem natürlichen Bewegungsdrang nachkommen können. Andere versammeln die Klasse erst einmal im Sitzkreis. Je nach Thematik beginnt die Sportstunde auch mit einem gemeinsamen Geräteaufbau. Im Stundenverlauf strukturieren Rituale beispielsweise bei der Erwärmung, Gruppenbildung und auch die Verständigung. Die Lehrkraft könnte pfeifen oder ein rein visuelles Zeichen geben, sodass sich die Klasse versammelt. Am Stundenende sind der Geräteabbau, der abschließende Sitzkreis zur Reflexion und auch die Verabschiedung mögliche Varianten von Ritualen. In der Grundschule nutzen manche Lehrkräfte die Verabschiedung für ein gemeinsames, bei allen Schülern bekanntes Lied. Die Einsatzmöglichkeiten könnten sich nun noch ausführlicher darstellen lassen. Weitere Möglichkeiten werden in meinem empirischen Teil (Punkt 4.1 f.) erläutert, da bei der Anspruchsanalyse meiner Differenzstudie seitens der Lehrkräfte die individuell genutzten Rituale zu oben genannten Handlungsschritten im ausführlichen Rahmen benannt werden.

3. Deutungen des differenzanalytischen Forschungsansatzes

„Sportpädagogische Forschung spannt sich also auf zwischen Normativem und Faktischem, d. h. zwischen dem, was sein soll (nämlich Bildung, Erziehung und Qualifizierung im und durch Sport) und dem, was in Wirklichkeit geschieht‘

(Ehni 2002, S. 13).

Betrachtet ein Sportpädagoge das Spannungsverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit im Sportunterricht, so ist dies keineswegs eine Neuerung. Wie bereits in meiner Einleitung erwähnt liegt es nahe einen formulierten Anspruch dahingehend zu untersuchen, ob dieser mit der schulischen Wirklichkeit übereinstimmt. Balz, Bräutigam, Miethling & Wolters (2011) haben beispielsweise in ihren empirischen Untersuchungen zur Koedukation, zum Lehrerhandeln und zur Gesundheitsförderung von Schüler/innen festgestellt, dass dies impliziert geschieht. Differenzstudien machen das Forschen zwischen Anspruch und Wirklichkeit allerdings explizit (vgl. Balz 2009). Hierdurch wird der Zugang zu einem breiten Themenspektrum eröffnet, der mit Hilfe geeigneter Forschungsmethoden hinsichtlich der jeweiligen pädagogischen Ansprüche nun auch deren Wirklichkeiten und der dazwischen liegenden Differenzen analysiert werden kann .

3.1 Zur Genese differenzanalytischer Forschung in der Sportpädagogik

Dieser Abschnitt zeichnet die von Eckart Balz und Peter Neumann zusammengetragene Genese des sogenannten differenzanalytischen Forschungsansatzes nach. Hierzu werden drei Entwicklungsphasen beschrieben, die differenzanalytische Eröffnung (als erste Phase), die differenzanalytische Vertiefung (als zweite Phase) und die differenzanalytische Ausweitung (als letzte Phase).[2]

Phase 1: Differenzanalytische Eröffnung

Die praktische Erprobung und empirische Prüfung hat in den vergangenen Jahren einige Qualifikationsarbeiten, unter anderem zur Schullandheimpädagogik von Balz (1988) oder zur Gesundheitsförderung von Balz (1995) hervorgebracht. Aus ebendiesen Arbeiten wird erkennbar, dass es lohnend erscheint, die konzeptionelle Grundlegung mit einer empirischen Untersuchung mittels inhaltsanalytischer Auswertung, narrativer Dokumentation und problemzentrierter Interviews zu verbinden. Normative und faktische Aussagen werden gegenübergestellt, um beispielsweise „Differenzen zwischen gesundheitspädagogischem Anspruch und schulsportlicher Wirklichkeit“ auszumachen (vgl. Balz 1995, S. 192). Neben seinen eigenen Erprobungen zu differenzanalytischen Zugangsmöglichkeiten ist der Forschungsansatz schon früh ein kooperatives Vorhaben gewesen. Ein erstes Beispiel stellt das Projekt „Wie Lehrer/innen die Richtlinien Sport einschätzen“ dar (Balz, Benning, Neumann & Trenner 1993). In diesem werden eine schriftliche Fragebogenuntersuchung und eine problemzentrierte Interviewstudie kombiniert, um besser nachvollziehen zu können, wie Sportlehrkräfte ihren Sportunterricht mit Blick auf curriculare Vorgaben handhaben. Am Ende des Durchgangs wurde bilanziert. In den oben genannten Qualifikationsarbeiten ist differenzanalytisches Vorgehen allerdings noch nicht systematisch entfaltet, jedoch wird mit diesem Projekt ein Ansatz in der qualitativen Studie zum Handeln von Sportlehrern erkennbar. Fachdidaktische Ansprüche an Sportlehrkräfte werden ermittelt und verglichen mit der von Sportlehrkräften wahrgenommenen Realisierung (durch leitfadengestützte Interviews). Festzuhalten ist nun, dass die Grundfigur des differenzanalytischen Forschungsansatzes und die Orientierung an den Begrifflichkeiten Anspruch - Wirklichkeit - Differenz in kleinen Forschungsgruppen entwickelt und transportiert wurde. Ein systematisches Konzept zu Differenzstudien ist allerdings noch nicht zu verzeichnen (vgl. Balz 2015, S. 9-11).

Phase 2: Differenzanalytische Vertiefung

Gewonnene Anhaltspunkte, Erfahrungen und Ergebnisse aus den erprobten differenzanalytischen Forschungsansätzen wurden im Anschluss auf andere Projekte übertragen und sind dort eingeflossen. Bisherige Überlegungen konnten schrittweise fundiert und ausdifferenziert werden. Das Drittmittelprojekt zur Bewegten Schule der dvs-Sektion Sportpädagogik (ausgetragen am Institut für Sportwissenschaft der Universität Regensburg im Jahr 1999) hatte dabei einen entscheidenden Einfluss. Diese Tagung geht zurück auf die Vorstellung, das differenzanalytische Vorgehen im sportpädagogischen Diskurs angemessen zu präsentieren und grundsätzlich zu diskutieren. Hieraus wurde ersichtlich, dass sich der dreigliedrige Untersuchungsansatz aus Anspruchsanalyse, Wirklichkeitsanalyse und Differenzanalyse weiterentwickelt hat.

Das Forschungsprojekt „Bewegte Schule“ lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

„Die Projektidee zur Untersuchung der bewegten Schule zwischen Anspruch und Wirklichkeit konkretisierte sich nach einigen Vorarbeiten [...] zum Jahreswechsel 1996/97. Im Absprache mit [...] dem Bayerischen Staatsministerium [wurde] ein Forschungsantrag auf Bewilligung und Unterstützung des Projekts vorgelegt. Daraufhin erhielt die Regensburger Projektgruppe die Zusage, das Vorhaben im geplanten Zeitraum von Oktober 1997 bis September 1999 realisieren und die Untersuchung an Regensburger Schulen durchführen zu können“

(RegensburgerProjektgruppe 2001, S. 11).

Die Projektgruppe richtet ihr trianguliertes Untersuchungsdesign daran aus (Abb. 1) und folgt in ihrem Vorhaben gezielt dem differenzanalytischen Forschungsansatz (Abb. 2, S. 18). Nach einer Analyse der fachdidaktischen Ansprüche und einer Analyse der qualitativ erhobenen Daten aus der Wirklichkeit der bewegten Schulen konnte die Projektgruppe im differenzanalytischen Interesse feststellen, dass sich an den untersuchten Schulen recht wenig bewegt und - trotz einer Aufgeschlossenheit für die Thematik - kaum Initiative ergriffen wird (vgl. 2001, S. 188). Vermehrt trifft dies auf weiterführende Schulen, ältere Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte ohne Facultas zu.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1. angelehnt an: Methodentriangulation (Regensburger Projektgruppe 2001, S.128)

Mit Hilfe dieser Tagung und dem geförderten Forschungsprojekt wurde die bis dato vorliegende Beschränkung des differenzanalytischen Forschungsansatzes aufgebrochen. Es wurde nachfolgend der Weg geebnet für weitere Diskussionsbeiträge und Forschungsvorhaben, wie beispielsweise „Differenzstudien zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ (Balz & Neumann 2005), auf welchen ich mich im späteren Verlauf vertiefend beziehen werde. Festzuhalten ist, dass die Grundfigur des differenzanalytischen Forschungsansatzes und das dreigliedrige Vorgehen Ausdifferenzierungen, sowie fachliche Vertiefungen erfahren. Auf diesem Wege erlangen Differenzstudien in der externen Wahrnehmung eine größere Selbstverständlichkeit.

Phase 3: Differenzanalytische Ausweitung

Bis hierhin hat der differenzanalytische Forschungsansatz eine grundlegende Basis und Systematisierung erlangt. Die erreichte Grundlegung wird nun genutzt, um sich einerseits der Begrifflichkeiten zu vergewissern und anderseits zusätzliche Vorhaben zu planen. An der Bergischen Universität Wuppertal beispielsweise wird im Arbeitsbereich Sportpädagogik die empirische Schulsportforschung durch Differenzstudien zu einem zentralen Arbeitsschwerpunkt ausgebaut. (vgl. hierzu u. a. Balz, Bräutigam, Miethling & Wolters 2011). Neben Planungsdidaktik (z. B. Mehrperspektivischer Sportunterricht) und Sportentwicklung (z. B. informelles Sportengagement), wird speziell im Master of Education ein Projekt zum Schulsport zwischen Anspruch und Wirklichkeit angeboten . Dieser Schwerpunkt findet sich jedoch nicht nur in der internen Forschung wieder, sondern wird auch in externen Forschungsvorhaben (z. B. Promotionen) behandelt.

Die Unfallkassen in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg fördern eine Differenzstudie, welche von curricularen Ansprüchen des kompetenzorientierten Sportunterrichts ausgeht, hinsichtlich bestimmter Kompetenzerwartungen und prüfen die Umsetzung. Dies meint Kenntnis, Verständnis, Akzeptanz, sowie Planungs-, Durchführungs- und Auswertungsrelevanz, herausgearbeitet durch Lehrerinterviews und Unterrichtsbeobachtungen im Grundschulsport (vgl. Balz, 2015, S. 15). Anne-Christin Roth (2015), welche die Koordination im Rahmen ihrer Promotion zu diesem Forschungsprojekt leitete, kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass Lehrkräfte thematisch typisiert (z. B. „die Suchenden“), Bruchstellen (z. B. mangelhafte Aufgabenkultivierung) und identifizierbare Gelingensfaktoren (z. B. lernförderliches Klima) bei der Realisierung ausgemacht und in die Fachdiskussion eingespeist werden können (vgl. Roth, Balz, Frohn & Neumann 2012). Über dieses Forschungsprojekt hinaus ist weiterhin hervorzuheben, dass 2007 ein Themenheft der Zeitschrift Sportunterricht „Schulsport zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ erschienen ist, in welchem, neben der auswertungsdidaktischen Einführung, einige externe Beiträge, beispielsweise zum Umgang von Sportlehrkräften mit wahrgenommenen Kompetenzen (vgl. Kastrup 2015), zugänglich gemacht werden konnten. Des Weiteren ist zu erwähnen, dass zum Spannungsverhältnis zwischen Sollen und Sein, mit Unterstützung anderer Sportpädagogen, der normative Überschuss und die empirische Unterbelichtung schrittweise ausgeglichen werden konnte, naturalistische und idealistische Fehlschlüsse wurden dabei jedoch weitestgehend vermieden.

Deutliche Ausweitungen des bis hierhin gereiften differenzanalytischen Forschungsansatzes, bezogen auf Forschung, Lehre und Beratung sind zu verzeichnen. Dies ist unter anderem fachlich erkennbar (durch methodologische[3] und forschungsstrategische Reflexion), räumlich, da der Diskurs weit über die Standorte der unmittelbaren Vertreter hinaus geht und auch zeitlich, denn es wurde der Versuch einer Längsschnittstudie angestrebt (vgl. Balz 2015, S. 17). Mithilfe von Differenzstudien wird untersucht, inwieweit bestimmte pädagogische Ansprüche, speziell im Bereich des Schulsports, verwirklicht werden, sodass potenzielle Differenzen ausgewiesen werden können. Diese Differenzen müssen verstanden sowie gehandhabt (vgl. Abb. auf S. 13) und entweder ausgehalten, verringert oder vergrößert werden. Die von mir vorgestellte Genese (angelehnt an den bereits vorliegenden umfangreicheren Ausführungen von Eckart Balz) zeigt, wie sich der differenzanalytische Forschungsansatz entwickelt hat und wie breit dieser heute aufgestellt ist. Normative Untersuchungen zu Anspruch und Wirklichkeit im Schulsport sind wichtiger denn je, da sich der fachdidaktische Diskurs einig darüber zu sein scheint diese Thematik auf weitere Themenfelder auszubauen. Die von den Bildungsinstitutionen geforderten hohen Ansprüche sind in der Schulsport-Wirklichkeit viel zu häufig nicht umsetzbar. Das Resultat sind missliche Situationen im Sportunterricht, da die Differenzen zu groß erscheinen. Der nachstehende Abschnitt befasst sich mit der Empirie des Normativen, welche Peter Neumann (2009) in seiner Ausarbeitung dargestellt hat.

3.2 Differenzstudien: Empirie des Normativen

[...]


[1] Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird bei Personenkategorisierungen in der Regel auf weibliche Morpheme verzichtet. Im Folgenden wird die männliche Form Lehrer bzw. Schüler verwendet, gemeint sind damitjedoch die weiblichen und auch die männlichen Personen.

[2] Eckart Balz (2009) erläutert in seinem Buch (Schulsport: Anspruch und Wirklichkeit)'. „Die Gegenüberstellung von Anspruch und Wirklichkeit ist nicht nur im alltäglichen Gebrauch verbreitet, sondern auch im öffentlichen Blick auf Schule (und Sportunterricht), nicht zuletzt um eklatante Differenzen auszuweisen, z. B. dass trotz des Rechts auf individuelle Förderung und Inklusion aufgrund bislang mangelhafter Ausstattung und Umsetzung noch „Welten“ zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen (vgl. NW 2014, S. 3)“

[3] In dem Projekt „Schulsport zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ des Moduls I (Sportwissenschaften im fachdidaktischem Interesse) habe ich meine schriftliche Modulabschlussprüfung abgelegt, was der ausschlaggebende Punkt dafür war, dass ich nun meine Master Thesis bei Prof. Eckart Balz über den differenzanalytischen Forschungsansatz schreibe.

Fin de l'extrait de 96 pages

Résumé des informations

Titre
Anspruch und Wirklichkeit im Sportunterricht. Eine Differenzanalyse zum Thema "Rituale" im Sportunterricht an Grundschulen
Université
University of Wuppertal  (Human- und Sozialwissenschaft)
Cours
Sportpädagogik
Note
1,3
Auteur
Année
2016
Pages
96
N° de catalogue
V344916
ISBN (ebook)
9783668360587
ISBN (Livre)
9783668360594
Taille d'un fichier
1568 KB
Langue
allemand
Mots clés
Differenzstudie, Anspruch und Wirklichkeit im Sportunterricht, Rituale im Sportunterricht, Rituale in der Grundschule, Rituale Sportunterricht Grundschule, Differenzstudie Rituale, Anspruch und Wirklichkeit Grundschule, Differenzanalyse, Differenzstudie Grundschule
Citation du texte
Rolf Kramer (Auteur), 2016, Anspruch und Wirklichkeit im Sportunterricht. Eine Differenzanalyse zum Thema "Rituale" im Sportunterricht an Grundschulen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/344916

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