Zivilreligion bei Rousseau und Durkheim. Ein Vergleich


Term Paper, 2011

17 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zivilreligion bei Rousseau

3. Zivilreligion bei Durkheim

4. Vergleich

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Ich werde mich in dieser Arbeit mit der Idee der Zivilreligion bei dem Genfer Philosophen Jean-Jacques Rousseau(1712 -1778) und dem französischen Soziologen Émile Durkheim(1858 - 1917) beschäftigen. Daher ist eine Definition eines modernen Verständnisses von Zivilreligion nachgestellt:

„Zivilreligion bezeichnet ein System von Sprachformeln[...], Symbolen, Ritualen und Mythen in repräsentativer Öffentlichkeit und Politik, das die Bedeutung und die Grenzen einer Gesellschaft von Status wegen definiert, ihre Ziele legitimiert, sinnstiftend und gemeinschaftsfördernd wirkt, die Bevölkerung mit den verkörperten Werten und Grundhaltungen vertraut macht und Kräfte zur Verwirklichung dieser Ziele mobilisiert. [...] Zivilreligiöse Motive tauchen somit losgelöst von konkreter organisierter Religiösität im 'zivilen Raum' auf.“1

Der Begriff der Zivilreligion hat seinen Ursprung in den Werken „zur Zeit der“ Aufklärung von Rousseau. Rousseau selber verwendet diesen Begriff jedoch sehr selten; genauso wie Durkheim, der sich erst ca. 150 Jahre später hiermit auseinandersetzt. Rousseau spricht von einem bürgerlichem Glaubensbekenntnis und Durkheim von der Religion der Menschheit. Aber im Wesentlichen ist auch die Bezeichnung „Zivilreligion“ jeweils angemessen, weswegen ich diesen Ausdruck in meiner Arbeit verwenden werde.

In den Kapiteln zwei und drei wird jeweils dargestellt, worin Rousseau und Durkheim die Notwendigkeit einer Zivilreligion sehen, wodurch sie entsteht und wie sie letztlich konzipiert wird. Dabei muss bei Durkheim auch Bezug auf seine allgemeine Religionssoziologie genommen werden, die jedoch nur stark gekürzt vorgestellt werden kann.

Im vierten Kapitel werde ich dann die Ergebnisse, das jeweilige Verständnis von Zivilreligion, vergleichen. Für mich ist es interessant zu untersuchen, worin sich Durkheim und Rousseau diesbezüglich unterscheiden, da beide die wesentlichen Begründer des heutigen Verständnisses von Zivilreligion sind. Auf diese Weise wird die Idee der Zivilreligion in ihren Ursprüngen deutlich.

2. Zivilreligion bei Rousseau

Zum Konzept der Zivilreligion gelangt Rousseau in seinem Hauptwerk „Der Gesellschaftsvertrag“. Hierin versucht er gewissermaßen ein ideales Staatsmodell zu entwickeln, das auf grundlegenden Annahmen zum Naturzustand des Menschen oder zu Begriffen wie dem Gemeinwillen basiert.

Das Werk besteht aus vier Büchern. Im letzten Buch, indem er institutionelle „Einzelheiten“ nach antiken Vorbildern erläutert, befindet sich das für diese Arbeit relevante und gleichzeitig inhaltlich letzte (achte) Kapitel: „Von der bürgerlichen Religion“. Hierin beschreibt er sozusagen die passende Religion für das von ihm entworfene Staatsmodell.

Rousseau beginnt seine Ausführungen über die bürgerliche Religion mit der Thematisierung des vorherrschenden Konflikts zwischen der Kirche und dem Staat, also dem religiösen und politischen Bereich. Jedoch wird deutlich, dass das Verhältnis dieser beiden Ebenen nicht immer „problematisch“ war bzw. dies erst mit der Entstehung des Christentums.

Warum man erst zwischen christlicher Religion und Politik von einem Spannungsverhältnis sprechen kann, begründet er historisch. Im antiken Rom war beispielsweise das weltliche Oberhaupt zugleich religiöses Oberhaupt, sodass die Treue zum politischen Gemeinwesen gleichermaßen auch der Religion galt. In diesem Prinzip blieb der Geltungsbereich der Götter immer auf das jeweilige Gemeinwesen beschränkt. Weil „man Gott an die Spitze jeder politischen Gesellschaft stellte, folgte, daß[sic] es ebenso viele Götter wie Völker gab.“2 Bei kriegerischen Auseinandersetzungen wird nicht nur ein Gemeinwesen attackiert, sondern immer auch der dazugehörige Gott - genauso wie eine Gotteslästerung o.ä. einem Angriff auf das gesamte Gemeinwesen entsprach. Rousseau benennt das „die religiöse und bürgerliche Unduldsamkeit, die […] ihrem Wesen nach identisch sind“3. Dementsprechend gab es auch keine reinen Glaubenskriege (wie Kreuzzüge). Es gab zwar durchaus religiös motivierte Kriege, nur implizierte dies von sich aus ebenso politische Gründe.

Das heißt, dass in dieser Zeit des polytheistischen Heidentums Politik und Religion eng miteinander verknüpft waren und nur gemeinsam betrachtet werden konnten.

Letztlich hatte „Das Heidentum [...] den Menschen ermöglicht, in vollkommenem Einklang mit dem Gemeinwesen, dem sie angehörten, zu leben.“4 In dieser historischen Begebenheit begann die Verbreitung des Christentums. Worin nun die Problematik liegt, beschreibt Rousseau folgendermaßen:

Unter solchen Umständen gründete Jesus ein geistiges Reich auf Erden, das durch die Trennung des theologischen Systems vom politischen die Einheit des Staates auf hob und jene inneren Spaltungen hervorrief, die nie aufgehört haben, die christlichen Völker zu beunruhigen.5

Besonders am Christentum ist nun sein universaler Anspruch, der nicht an weltliche Autorität gebunden ist bzw. dazu sogar in Konkurrenz steht (Jesus als König) und auch nicht von politischen Grenzen abhängig ist. Letzteres zeigt sich auch heute noch in missionarischen Bestrebungen einiger Christen und lässt sich biblisch begründen6. Hieraus folgt einer der zentralen Probleme des Verhältnisses zwischen der christlichen Religion und dem Staat: Die Anhänger des christlichen Glaubens waren bzw. sind sowohl dem politischen Herrscher als auch ihrem Gott zu Gehorsam verpflichtet und dies war aufgrund des universalen Anspruches gerade zu Beginn des Christentums häufig problematisch. Religion und Politik waren nun nicht mehr identitär. Durch diese Ausdifferenzierung von geistlicher und weltlicher „Macht“ kommt es einerseits zu äußerlichen Konflikten durch die aus dem Absolutheitsanspruch resultierende Intoleranz gegenüber anderen Religionen. Andererseits entstehen daher innerhalb eines Gemeinwesens Autoritätskonflikte, die einen Souveränitätsverlust des Staates und eine Destabilisierung der Gesellschaft zur Folge haben.

Deutlich wird dies, als Rousseau über Hobbes sagt, dem er als einzigen christlichen Schriftstellern zuschreibt, diesen Konflikt zu erkennen und auflösen zu wollen7, er habe „aber einsehen müssen, daß[sic] sich der herrschsüchtige Geist des Christentums mit seinem Systeme nicht in Einklang bringen ließ und der Vorteil des Priesters stets den des Staates überwiegen würde.“8

Diese Aussage gilt auch für Rousseau selbst, denn das Christentum ist ein Hindernis für sein Staatsmodell. Grundlage und Voraussetzung seines Staatsmodells ist ein Vertrag, indem sich „jedes Gesellschaftsglied mit allen seinen Rechten [...] der Gesamtheit […] hingibt“.9 Diese Hingabe ist durch die erläuterte Unsicherheit, „ob man dem Herrn oder dem Priester verpflichtet war“10, erheblich eingeschränkt. Rousseau vergleicht anschließend verschiedene „Religionskonzepte“ typologisch und prüft sie quasi auf ihre Verträglichkeit mit seinem Staatsmodell hin, wobei jedoch keines seinen Vorstellungen einer Religion gerecht wird. An dieser Stelle bezieht er sich ein weiteres Mal auf das Christentum und erkennt zwar die gemeinschaftsstiftende Funktion des Christentums an11 ; diese wird jedoch dadurch eingeschränkt, dass sie nur bei einer vollständig (religiös-)homogenen Gesellschaft Bestand hat. Aufgrund des apolitischen Charakter des Christentums und seiner Orientierung an Jenseitigem sagt Rousseau sogar, er kenne nichts, „was dem gesellschaftlichen Geiste mehr widerstreitet.“12 Die Differenz zum Politischen kann also auch nicht durch eine Eingliederung in das Staatswesen, und damit der institutionellen Einheit zwischen geistlicher und weltlicher Autorität, aufgelöst werden. Einer ideellen, gesellschaftsstärkenden Einheit wirkt die „tiefe Gleichgültigkeit“13 der Christen gegenüber dem Staat entgegen.

Der Konflikt zwischen Staat und christlicher Religion ist für Rousseau der Ausgangspunkt für seine Überlegungen zu einem neuen religiösen Konzeptes, der Zivilreligion, die ganz dem Staat untergeordnet „diese Wunde heilen sollte“14. Ebenso macht er damit deutlich, worin für ihn die Notwendigkeit dieser Zivilreligion besteht. Letzteres wird in folgender Textstelle bei Rousseau noch einmal deutlich:

„Die uneingeschränkteste gesetzmäßige Macht ist diejenige, welche bis in das innerste des Menschen dringt [...]; wenn ihr wollt, daß[sic] man den Gesetzen gehorche, so macht, daß man sie liebe."15

Rousseau spricht hierbei von einem „rein bürgerlichem Glaubensbekenntnis“16, dessen Inhalte nicht über gesellschaftlich Relevantes hinausgehen. Sie betreffen also das Individuum nur in der Beziehung zum Staat und zu seinem Mitmenschen; „sonst kann jeder glauben, was er will.“17 Die Glaubensinhalte sind nicht mehr als der Glaube an einen Gott, eine Vorhersehung, ein ewiges Leben, ein „jüngstes Gericht“ und die Heiligkeit der Gesetze und des Gesellschaftsvertrages18. Jeder, der dies nicht glaubt, also nicht in der Lage ist den Gesellschaftsvertrag „aufrichtig zu lieben“19, könne aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Und weiter ist auch die (religiöse und politische) Intoleranz Grund aus dem Staat ausgeschlossen zu werden.

Diese Intoleranz gegenüber der Intoleranz erscheint in ihrer Notwendigkeit für die Funktion, die die Religion in seinem Staat erfüllen soll, nachvollziehbar. Das Prinzip weist jedoch anti-demokratische oder viel mehr totalitäre Züge auf.

[...]


1 Zitiert nach Tyrell, Hartmann: Religion und Politik - Max Weber und Émile Durkheim. In: Bienfait, Agathe(Hrsg., 2011): Religionen verstehen. Zur Aktualität von Max Webers Religionssoziologie. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. 1. Aufl., S. 57f (Künftig zitiert: Tyrell: Religion)

2 Jean-Jacques Rousseau(1762): Der Gesellschaftsvertrag oder die Grundsätze des Staatsrechtes.(übersetzt von Denhard, H., herausgegeben von Weinstock, H., 1970) Stuttgart: Reclam. 1.Aufl., S. 181 (Künftig zitiert: Rousseau: Gesellschaftsvertrag)

3 Ebd., S. 182

4 Rehm, Michael: Ein rein bürgerliches Glaubensbekenntnis. Zivilreligion als Vollendung des Politischen?. In: Brandt, R. /Herb, K.(Hrsg., 2000): Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts. Berlin: Akademie Verlag. 1. Aufl., S. 216

5 Rousseau: Gesellschaftsvertrag, S. 184

6 Ein Beispiel hierfür ist der Missionsbefehl Jesu in Markus 16, 15 „Dann sagte er zu ihnen: Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ Es finden sich zwar auch alttestamentliche Hinweise auf den universalen Anspruch Gottes (z.B. Genesis 12,13: „Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“), sodass unklar erscheint, warum Rousseau das Judentum als ein Beispiel für das „vorchristliche Verhältnis“ von Religion und Politik anführt. Jedoch fand jene Vorstellung im gelebten Judentum kaum Ausdruck, wie Rousseau z.T. selber erläutert (vgl. SEITE 217). Das Christentum war hingegen eindeutig von einem Missionsgedanken geprägt, wie z.B. die Missionsreisen des Apostel Paulus verdeutlichen.

7 Hierbei bezieht sich Rousseau auf Hobbes' Leviathan. Schon auf dem Titelbild wird deutlich, dass dieser sowohl die weltliche(Schwert) als auch die geistliche(Bischofsstab) Macht in sich vereint.

8 Rousseau: Gesellschaftsvertrag, S. 186

9 Rousseau: Gesellschaftsvertrag, S. 43

10 Ebd., S. 187

11 Vgl. ebd., S. 189 („und das Band, das sie vereint löst sich nicht einmal im Tode.“)

12 Ebd.

13 Ebd.

14 Tyrell: Religion, S. 57

15 Rousseau: Gesellschaftsvertrag, S. 42

16 Ebd., S. 193

17 Ebd., S. 192

18 Wobei für mich nicht verständlich ist, inwieweit Rousseau den Glauben an einen Gott nicht als „Privatsache“ bewerten kann. Wahrscheinlich bezieht er sich hierbei auf die von ihm als positiv herausgestellten Eigenschaft des Christentums bzgl. Moral und ihrer gemeinschaftsstiftenden Funktion(s.o.)

19 Rousseau: Gesellschaftsvertrag, S. 193

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Details

Title
Zivilreligion bei Rousseau und Durkheim. Ein Vergleich
College
University of Münster  (Institut für Politikwissenschaften)
Course
Religion und Religionskritik in der Geschichte politischer Theorien
Grade
2,3
Author
Year
2011
Pages
17
Catalog Number
V350529
ISBN (eBook)
9783668371057
ISBN (Book)
9783668371064
File size
430 KB
Language
German
Keywords
zivilreligion, rousseau, durkheim, vergleich
Quote paper
Heiko Bohlen (Author), 2011, Zivilreligion bei Rousseau und Durkheim. Ein Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/350529

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