Das Gottesurteil und Isoldes List. Der Versuch einer Deutung von "Tristan und Isolde"


Term Paper, 2013

17 Pages, Grade: 1,7


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Inhaltsverzeichnis

1. Gottesurteil im Tristan
1.1 Gottfrieds Gottesurteil
1.2 Isoldes List
1.3 Isoldes List – eine Deutung
1.4 Bérouls Gottesurteil

2. Gott in Gottfrieds Tristan – der Versuch einer Deutung
2.1 Deutungsperspektiven des Exkurses
2.2 Versuch der eigenen Deutung

3. Fazit

4. Literatur
4.1 Primärliteratur
4.2 Sekundärliteratur

Das Gottesurteil ist im Mittelalter als ein Instrument zur Wahrheitsfindung verankert. „Gott entscheidet, was der Richter nicht wissen kann“[1], indem man dem Beschuldigten eine Aufgabe stellt, die er allein mit menschlichen Kräften und Gegebenheiten nicht bestehen kann. Besteht er sie dennoch, muss Gott ihm zur Seite gewesen sein, weil der Beschuldigte unschuldig und rechtschaffen sei.

Die zu bestehenden Aufgaben gingen über das Schwimmen in eiskaltem Wasser, das Aushalten von Schmerzen jeglicher Art und andere Brutalitäten. Das Gottesurteil bzw. -gericht wurde angewendet beim Verdacht der Untreue von Ehefrauen gegenüber ihren Männern, bei mutmaßlichen Häretikern und diente, zumindest offiziell, der Wahrheitsfindung.

1. Gottesurteil im Tristan

So auch im Falle Gottfrieds Tristan und Isolde, in dem Isolde ein heißes Eisen umfassen, nachdem sie einen Schwur über ihre Treue zu Marke ableisten muss.

1.1 Gottfrieds Gottesurteil

In der Version Gottfrieds folgt das Gottesurteil Markes Mehl-List. Diese stellt einen Versuch Markes dar, herauszufinden, ob bzw. zu bestätigen, dass Tristan und Isolde eine Beziehung miteinander haben: Hierfür verlässt Marke früh am Morgen das Ehebett, in dem Isolde noch schläft, und lässt um das Bett herum Mehl ausstreuen, daz man in spurte ab oder an. (Gottfried von Straßburg[2], V. 15150) Er hofft, damit Tristan überführen zu können, wenn dieser zu Isolde ins Bett steigt.

Tatsächlich versucht Tristan an diesem Morgen erneut zu Isolde zu gelangen, reißt sich jedoch während des Versuchs, auf das Ehebett Markes und Isoldes zu springen, seine Wunde vom gemeinsamen Aderlass auf und hinterlässt Blutspuren – jedoch keine Fußspuren im Mehl, da er auch bei seinem Rückzug über das Mehl hinwegspringt.

Als Marke zurückkommt und die Szenerie vorfindet, erscheint ihm diese einerseits als Beweis, da er das blutige Bett und den blutenden Tristan in dessen Bett vorfindet. Andererseits lässt es Zweifel bzgl. seiner Verdachtes zurück, da keine Fußspuren im Mehl zu finden sind und Isolde sagt, das Blut im Ehebett sei ihr eigenes: mîn âder brast, dâ gieng ez van. (GS, V. 15216)

So hin und hergerissen und voller Unsicherheit möchte Marke Gewissheit, indem er sich schlussendlich für ein Gottesurteil über Isolde entscheidet: Isolde soll einen Schwur leisten, nicht mit Tristan vereinigt gewesen zu sein, und hiernach ein glühendes Eisen umfassen. Verbrennt sie sich, wurde sie nicht von Gott geschützt, da sie die Unwahrheit gesagt hat. Verbrennt sie sich nicht, steht sie unter göttlichem Schutz, der ihr zuteil wird, weil sie rechtschaffen sei und die Wahrheit gesprochen hat. So die Annahme Markes und seiner Berater[3]. Doch das Gottesurteils ist in vielerlei Hinsicht uneindeutig, was nicht zuletzt mit Isoldes List zusammenhängt, die ihr helfen soll, das Gottesurteil zu bestehen.

1.2 Isoldes List

Isoldes List besteht darin, den Zuschauern des Gottesurteils eine Situation vorzuspielen, die den von ihr verlangten bzw. von ihr sorgfältig formulierten Eid wahr macht:

daz mînes lîbes nie kein man / dekeine künde nie gewan / noch mir ze keinen zîten / weder ze arme noch ze sîten / âne iuch nie lebenden man gelac / wan der, vür den ich niene mac / gebieten eit noch lougen, / den ir mit iuwern ougen, / mir sâhet an dem arme, / der wallaere der arme. (GS, V. 15707-15716)

Wahr wird dieser Eid dadurch, dass Isolde und Tristan – dieser in Verkleidung eines Pilgers – es so arrangieren, dass sie nebeneinander, Arm in Arm, vor allen auf den Boden fallen. Tristan wird dabei von den Zuschauen nicht erkannt und Isolde kann somit den ,Pilgerʻ in ihren Schwur aufnehmen, ohne dass jemand diesen mit Tristan in Verbindung bringt. Somit spricht sie aus Sicht der Zuschauer – inklusive Marke – zwar von einem Pilger, sie selbst allerdings weiß, dass sie damit ebenso Tristan meint.

Mithilfe dieser List kann sie einen wahren Eid schwören und das glühende Eisen in der Hand halten, was als Beweis ihrer Ehrlichkeit gilt, und Marke ohne Zweifel bezüglich ihrer Treue und Ehre zurücklässt.

1.3 Isoldes List – eine Deutung

Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, an wen Isoldes List adressiert war, denn die Antwort auf diese Frage bringt uns der Interpretation von Gottfrieds Christus-Exkurs[4] näher, von der ich mir erhoffe, das Gottesbild im Tristan besser verstehen zu können:

Hoffte Isolde, Gott überlisten zu können? Oder galt die List ihrem eigenen Gewissen, das vor Gott keine Lüge aussprechen wollte? Oder hoffte sie vielmehr auf dessen informierte Hilfe und versuchte lediglich die Zuschauer des Gottesurteils zu überlisten?

Ich möchte für meinen Versuch einer Antwort zunächst lediglich das von Gottfried übernommene Gottesurteil und damit Isoldes List betrachten. Den von ihm hinzugefügten Christus-Exkurs[5] werde ich erst unter Punkt 3 in meine Überlegungen mit einbeziehen, um so mehr Klarheit in die verschiedenen Ebenen Gottfrieds Erzählung zu bringen.

Die Besonderheit des Isoldschen Gottesurteils liegt in der Unterwanderung durch eine kleinliche Formulierung und durch das inszenierte Zusammentreffen mit dem vermeintlichen Pilger, aufgrund dessen Isolde die ,Wahrheitʻ sagen kann, ohne dafür die Beziehung zu Tristan offenlegen zu müssen.

Sie wählt daher ihre eigene Formulierung und räumt damit andere aus dem Weg, die ihre List unmöglich machen würden: ir aller lêre ist ze vil. / vernemet, wie ich iu sweren wil. (GS, V. 15705f.)

Versucht sie damit Gott zu überlisten und hält ihn damit für einen genauen Analytiker von Sätzen und deren Wahrheitsgehalt?

Wenn dem so wäre, würde sie ihn in gewisser Weise abwerten und auf die Ebene und den Wissensstand der Figuren reduzieren. Dies scheitert zum einen an der damit einhergehenden Paradoxie, dass Isolde Gott in diesem Falle zwar für allmächtig, aber nicht für allwissend halten würde. Er könnte sie vor den Verbrennungen bewahren, aber eben nur weil er ihren Geschichten und ihrem Gesagten vertrauen muss aus Ermangelung an einem allumfassenden Wissen über die wirkliche Beziehung zwischen Tristan und Isolde.

Zum anderen hofft Isolde auf gotes höfscheit[6] (GS, V. 15552) und auf dessen Mithilfe bei ihrer List, über die er damit im Bilde sein muss. Hinzu kommt ihr Fasten und ihr Gebet, das ein klassisches Symbol bzw. einen Ritus für den Lobpreis Gottes darstellt und seine Wichtigkeit und Macht in Isoldes Denken deutlich macht.

Es scheint daher nicht sinnvoll, anzunehmen, dass Isolde versucht, Gott zu überlisten und dass das überlieferte Isoldsche Gottesurteil ein blasphemisches Gottesbild ausdrücken soll, das auf der Figurenebene[7] vorherrscht.

Wenn sie jedoch an die Allwissenheit Gottes glaubt, wieso inszeniert Isolde dieses Schauspiel um den verkleideten Tristan?

Betrachtet man Isolde also als gläubige Christin, kann sie sich mit ihrer List nicht vor einem allwissenden Gott verstecken, er weiß bereits um ihre Beziehung zu Tristan. Sie arrangiert das Ganze daher nicht, um reinen Gewissens einen Eid leisten zu können[8]. Sie sorgt sich vielmehr um ihr Ansehen am Hof[9], was außerdem eine Erklärung für ihr Gebaren gegenüber dem verkleideten Tristan ist: sie verschont den Pilger, der sie hat fallen lassen, betont großzügig und gibt sich gütig, was ihr direkt Anerkennung zukommen lässt: Nu seiten sî's ir sêre / beidiu genâde und êre / und lobeten s'in ir muote […]. (GS, V. 15607-15609)

Doch warum dann überhaupt diese List? Wenn sie in der Figurenlogik auf Gottes Hilfe angewiesen ist, da sie an ihn als allwissenden oder zumindest als nicht betrügbaren Gott glaubt, kann ihr eine List nicht aus der Misere helfen. Entweder Gott ist ihr wohlgesonnen oder er ist es nicht.

Ist die List dann an die Zuschauer des Gottesurteils, also die höfische Gesellschaft gerichtet?

Auch dieses Motiv, ihre Ehre am Hofe wiederherstellen zu wollen, erklärt nicht die Pilger-List, denn die höfische Gesellschaft kann ja gerade nicht den Wahrheitswert ihres Eides überprüfen – was das Gottesurteil für sie notwendig macht. Und mit der oben erläuterten Logik des Isoldschen Gottesbildes ist dafür nur Gottes Gnade relevant, nicht der Wahrheitswert eines Satzes. Und lediglich auf den Ausgang dieses Urteils von Gott kommend bezieht sich auch die höfische Gesellschaft, bezieht sich Marke.

Wie ist dann die List Isoldes zu erklären, wenn sie nicht versuchte Gott, ihr eigenes Gewissen oder die Zuschauer zu überlisten?

Eine Antwort kann meines Erachtens nur eine andere Analyseebene geben, während die bisherigen Überlegungen auf die figurenpsychologische Motivation für die List beschränkt waren. Dieses Konzept bzw. diese Deutungsperspektive greift in der Beschäftigung mit mittelalterlichen Texten meist zu kurz, wie auch in diesem Fall: es lässt sich kein Adressat und keine Figurenmotivation für Isoldes List finden, die mit den übrigen Annahmen der Textstelle konsistent wären.

Eine mögliche andere Ebene wäre die der Rezeptionswirkung: Fasst man die bisherigen Ergebnisse zusammen, ist Isoldes Schicksal von einem höfischen Gott abhängig. Zu dieser Instanz tritt jedoch noch Isolde hinzu, die eine List geplant hat, die nicht unbedingt erforderlich ist, ja sogar gefährlich werden kann – soll doch der Pilger verprügelt werden und steht in großer Gefahr, erkannt zu werden.

Und dennoch – trotz dieser Erhebung über die übrigen Figuren, über die höfische Gesellschaft[10] – übersteht sie das Gottesurteil.

Kurz: ein wahrhaft höfischer Gott hilft Isolde ihre vermeintlich unhöfische Beziehung zu Tristan zu verstecken und somit unversehrt zu bleiben.

Dieses Werteparadox stellt eine Legitimation der Liebe[11] zwischen Tristan und Isolde dar, hinweg über höfische Regeln und Gepflogenheiten. Eine Legitimation aus höchster Instanz – dargelegt durch den Dichter.

An dieser Stelle stellt es sich allerdings als große Herausforderung dar, das tatsächliche Rezeptionsverhalten zu analysieren, da wir dieses nicht sicher rekonstruieren können: So stellt sich z.B. die Frage, ob diese Darstellung, die tradiert und von Gottfried ebenfalls übernommen wurde, tatsächlich als eine Legitimation Gottes verstanden werden kann oder ob man nicht vielmehr den Dichter bzw. Verfasser als Instanz der Legitimation verstehen muss.

Betrachten die Rezipienten Gott als Quelle der Legitimation, dann ziehen sie diese Deutung aus einem Dichter-Verständnis, das diesen als Sprachrohr Gottes bzw. als Träger von göttlichem Talent ansieht.

[...]


[1] Dinzelbacher, Peter: Das fremde Mittelalter. Gottesurteil und Tierprozess. Essen 2006, S. 27.

[2] Gottfried von Straßburg: Tristan, hg. von Rüdiger Krohn, Bd. 2, 6., durchgesehene Auflage, Stuttgart 1993. Künftig abgekürzt mit GS.

[3] Die Mehl-List Markes war ein Versuch, die Unsicherheit ob der Verbindung zwischen Isolde und Tristan selbst zu beseitigen. Dies gelingt jedoch nicht, was Marke dazu bringt, das Gottesurteil zu befehlen. Dies macht deutlich, dass es für ihn – der pars pro toto für die gesamte höfische Gesellschaft steht – eine Entscheidung aus höchster Instanz bedeutet, die die menschliche Unsicherheit und Unwissenheit beseitigen soll.

[4] So bezeichne ich in dieser Arbeit den Kommentar nach dem eigentlichen Gottesurteil, der ein Kommentar zu ,Christusʻ, also zum christlichen Gott darstellt. Mehr dazu unter Punkt 3.

[5] Vgl. Gottfried von Straßburg: Tristan, Stellenkommentar, hg. von Rüdiger Krohn, Bd. 3, 6., durchgesehene Auflage, Stuttgart 1993, S. 217.

[6] Auch in dieser Formulierung scheint es überinterpretiert und ahistorisch diese Formulierung als blasphemisch zu interpretieren. Vielmehr geht es hier um die Übertragung einer Tugend auf mehrere Lebens- bzw. metaphysischer Bereiche.

[7],Figurenebenʻ heißt in diesem Falle figurenintern und betrifft damit Isoldes, textinternes Denken und Empfinden.

[8] Ähnlich interpretieren es auch Mieth, wenn er Isoldes Eid deutet: „[...] da verhehlt sie zwar ihre Schuld der Welt, nicht aber Gott. In ihrem Herzen betrügt sie weder sich selbst noch Gott“. Mieth, Dietmar: Dichtung, Glaube und Moral. Studien zur Begründung einer narrativen Ethik, Mainz 1976, S. 207.

[9] Sie sorgete umbe ir êre. (GS, V. 15538)

[10] Diese Legitimation und Erhebung des Liebespaares über die höfische Gesellschaft wird verstärkt durch die detaillierte List Isoldes und Tristans. Sie meinen, sich über ein höfisches Ritual hinwegsetzen zu können und werden am Ende von Gott dafür belohnt. Dies kann als radikale Infragestellung höfischer Werte, als Aufforderung zur Reflexion verstanden werden.

[11] Ernst geht sogar so weit zu sagen, dass die Liebe zwischen Tristan und Isolde „sakralisiert wird“ und dass „die Liebenden vom Ehebruch moralisch entlastet“ werden. Ernst, Ulrich: Häresie und kritische Intellektualität in der mittelalterlichen Stadtkultur. Gottfrieds von Straßburg 'Tristan' als Antwort auf die Ketzerverfolgung im 13. Jahrhundert, in: ZfdA 137, H. 4 (2008), S. 422. Diese Haltung zum Ehebruch führt der Autor auf die Kenntnisse über und Nähe zu den Amalrikanern zurück, die Gottfried aus seiner Studienzeit in Paris gehabt haben soll. Hier wird also versucht, Gottfried in einen Wertezusammenhang zu stellen, den viele Autoren nicht sehen und die in der Entstehungszeit des Tristan eine düstere, unreflektierte und verbohrte Gesellschaft annehmen.

Excerpt out of 17 pages

Details

Title
Das Gottesurteil und Isoldes List. Der Versuch einer Deutung von "Tristan und Isolde"
Grade
1,7
Author
Year
2013
Pages
17
Catalog Number
V350725
ISBN (eBook)
9783668373259
ISBN (Book)
9783668373266
File size
747 KB
Language
German
Keywords
gottesurteil, isoldes, list, versuch, deutung, tristan, isolde
Quote paper
Lisa Atzler (Author), 2013, Das Gottesurteil und Isoldes List. Der Versuch einer Deutung von "Tristan und Isolde", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/350725

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