Sein und Dasein. - Eine entfernte Annäherung oder der Versuch eines Vergleichs zwischen Carmelo Bene (1937-2002) und Heiner Müller (1929-1995).


Trabajo Escrito, 2004

20 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Eine Einführung

2. Eine entfernte Annäherung oder der Versuch eines Vergleichs zwischen Carmelo Bene (1937-2002) und Heiner Müller (1929-1995)

3. Eine resümierende Feststellung

4. Eine Abschluss-Betrachtung

5. Eine Quellenangabe

1. Eine Einführung

Vorweg ein Vorwort. Meine Aufgabenstellung war, mich mit dem Thema der Maschinisierung bei Carmelo Bene („Schauspielermaschine“) und Heiner Müller („Schreibmaschine-Hamletmaschine“) auseinander zu setzen. Dieser Aufgabenstellung entspricht meiner Hausarbeit nur partiell. Nach ausführlicher Betrachtung der Künstler, marginalisierte sich diese Thematik dramatisch. In den Vordergrund rückten stattdessen überraschende Übereinstimmungen und gravierende Asymmetrien in der Persönlichkeit und dem Werk beider. Diese ‚verführten’ mich dazu, weiter auszuholen und den Versuch eines Vergleichs, der vielleicht Unvergleichlichen, zu wagen.

Im Bezug auf Carmelo Bene verzichte ich darauf, werkspezifische Zusammenhänge ausführlicher zu erläutern, es sei denn, meine Beobachtungen weichen von der bestehenden Bene-Forschung ab, oder ergänzen sie. Ebenso bei Heiner Müller, bei dem aber noch anzumerken sei, dass ich überproportional oft, die unglaublich klar- und weitsichtige Arbeit von Sabine Pamperrien zu Rate gezogen habe. Größtenteils versuche ich, aufgrund von eigenen Beobachtungen zu Ergebnissen zu gelangen. Meine Arbeit beginnt sogleich und uneingeschränkt mit dem Vergleichs-Versuch und mündet in einer resümierenden Abschluss-Betrachtung.

Nichtsdestotrotz möchte ich gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass meine Hausarbeit für einen umfassenden Vergleich zwischen Carmelo Bene und Heiner Müller nicht herhalten kann. Als zu begrenzt betrachte ich meinen Wissenshorizont im Bezug auf beide Künstler zum jetzigen Zeitpunkt. Vielmehr sei es mein Ziel zu zeigen, dass eine Gegenüberstellung dieser zwei ‚theatertotalitären Kahlschlagkonstrukteure’ möglich und aufschlussreich, und nicht an den ‚Haaren herbeigezogen’ ist.

Abschließend noch einige, wenige Worte zu dem von Ihnen Ende April, Anfang Mai abgehaltenen Seminar. Carmelo Benes Hinterlassenschaft ist von einem dichten Nebel umgeben. Diesen unter Ihrer Anleitung, vielmehr noch, mit Hilfe Ihres behutsamen Herantastens durchstreift zu haben, war wissenswert und erfahrungsverfänglich. Gewiss haben wir diesem Bene-Nebel so manches Geheimnis abgetrotzt. Nun aber dieses Dickicht in Verhältnis zur Turbo-Müller-Nebelmaschine zu setzen, war wirklich ‚weiter(ab)trotzend’.

2. Eine entfernte Annäherung oder der Versuch eines Vergleichs zwischen Carmelo Bene (1937-2002) und Heiner Müller (1929-1995)

Auf dem ersten Blick verhalten sich Carmelo Bene und Heiner Müller zueinander wie zwei verschiedene Paar Schuhe. Aber immerhin paarweise. Zu Beginn überzeugen die Unterschiede: Carmelo Bene ist Schauspieler, Heiner Müller Autor. Bene ein Italiener, Müller Deutscher. Während Bene sich ästhetisch verwirklicht, politisiert Müller. Während Bene auf der Bühne in sich verschwindet, veräußert Müller die Ideologie des Kommunismus. Doch all diese Unterschiede führen bei differenzierter Betrachtung, auch, zueinander.

Die Trennlinie zwischen dem Schauspieler- und Autorendasein ist nicht starr. Carmelo Bene ist ebenso wie Heiner Müller auch Autor und Regisseur. Das Metier Theater kennen beide aufs Beste, aus allen Perspektiven. Allerdings ist Heiner Müller definitiv kein Schauspieler, vielleicht auf der Bühne des Lebens, aber nicht auf der des Theaters. „Carmelo Bene ist vor allem Schauspieler“[1], als dieser destruiert und konstituiert er sich. Alle Aktivitäten Benes dienen dazu, die Schauspieler-Existenz neu, modern zu definieren, vor allem aber, um sich selbst zu spüren, beziehungsweise aufzuspüren durch sein ‚Sich-aus-Leben’ auf der Bühne. Müller kann diesen Weg von Bene nicht beschritten haben. Er arbeitet mit Stoffen, mit Geschichte, mit seiner eigenen Geschichte. Müller ist Materialist, Bene ein Schöpfer. Das verdeutlicht, trotz der kleinen Annäherung, einen enormen Kontrast. Während Bene nach Innen reflektiert, veräußert Müller Politik. Während Bene auf der Bühne fühlt, verkühlt Müller zwischen all seinen Stoffen. Bene tritt in Erscheinung, wenngleich auch in einer sich Auflösenden, Müller bleibt distanziert, verloren hinter Fassaden. Es bliebe an diesem Punkt, die Frage zu stellen: kann ein Autor überhaupt in Erscheinung treten? Nicht physisch, aber spürbar. Heiner Müller kann nicht empfunden werden, hierfür sind seine Stücke zu stark politisch determiniert, Emotionen sind ausgespart. Für Müller zählt der Auftrag, für Bene der Ertrag der Selbstfindung.

Müllers Politikmanifestierung ist schnell erklärt und erklärt vieles. Er ist überzeugter Kommunist, Marxist, dazu Stalinist. Sein Vater war es ebenso. Müller entscheidet sich frühzeitig dafür, in der DDR leben zu wollen. Er wird zu einem Dichter zweier Deutschlands, die er literarisch unterschiedlich bedient. „Im Westen sollten seine Werke destruktiv, im Osten konstruktiv wirken“, „destruiert werden sollte der Kapitalismus, konstruiert der Kommunismus“[2]. Müller entwickelt sich zum kommunistischen Agitator und bleibt noch nach der Wende 1989 „ein Kalter Krieger“[3], scheinbar ohne weiteren Auftrag. In der DDR war Müller „staatsfeindlicher Oppositioneller, ohne einer zu sein“[4], „vom Literaturbetrieb weitgehend ausgeschlossen“[5].

Vielmehr gehörte Müller zu der großen Gruppe von DDR-Intellektuellen, deren Bestreben es war, innerhalb des bestehenden Systems die Erstarrung des Politapparats aufzubrechen, um zu verhindern, dass der Traum vom neuen Menschen im Kommunismus ad acta gelegt werden würde.[6]

Nach Sabine Pamperrien Meinung ist in Müllers Stücken seine politische Positionierung deutlich abzulesen. „Müllers gesamte Arbeit ist von der anthropologischen Prämisse der kommunistischen Idee bestimmt.“[7] Jedoch, insbesondere im Westen, wurde Heiner Müller kult-iviert und zunehmend „zu einem Markenartikel stilisiert“[8]. Die Feuilletonmaschine versuchte Müller, der hierfür mit seinen „informationsüberladenen Dramen“[9] genügend Material lieferte, philosophisch und ästhetisch zu erklären und verklärte ihn dadurch. Ein scheinbares Verwirrspiel, indem Heiner Müller „virtuos begann, die an ihn herangetragenen Interpretationsmuster zu bedienen“[10]. Seine politischen Ambitionen wurden verwässert oder stillschweigend toleriert. Erst teilweise, fast zehn Jahre nach Müllers Tod setzt, obgleich einer fortschreitenden, kultischen Mythologisierung Müllers, eine zunehmende Ernüchterung in der Auseinandersetzung mit seinem Werk ein. Heiner Müllers Arbeiten sind ausschließlich politisch geprägt, deren „Ansichten sich in ihrer brachialen Einfachheit restlos überlebt haben“[11]. Heiner Müllers Werk hängt am Tropf der Geschichtsschreibung. Für Gerhard Stadelmeier wirken mit dem Zusammenbruch des Kommunismus „Müllers Stücke seit 1989 wie Grabplatten“[12].

Carmelo Benes Theater dagegen ist zeitlos. Es bedingt nicht der Geschichte („Anti-Historizismus“[13] ), der Politik (obwohl Bene es als politisch deklariert), einer Ideologie, einer Moralvorstellung oder sonstigen Relikten historischer Versteinerungen, sondern es bedarf einzig und allein seiner selbst. Carmelo Bene kreiert seinen eigenen Spiel-Raum in einem Theater, welches nicht entdeckt werden musste, sondern das nur darauf wartete erweckt zu werden. Dieses Theater ist bahnbrechend, im Gegensatz zu Heiner Müllers Theater, der in ihm ausschließlich abrechnet und abbildet, von überholten Utopien träumend. Carmelo Bene hingegen (er)-findet das Theater und damit auch sich selbst neu. Er verwickelt sich in einen Selbstfindungsprozess, der ihn entwickelt, ihn sich konstituieren lässt und sein gesamtes Leben andauert. Doch im Gegensatz zu Müller, bearbeitet Bene nicht das Material, sondern Mechanismen des Theaters. Heiner Müller oktroyiert seine Themen dem Theater auf, Carmelo Bene erneuert es von innen heraus. Seine Ansichten vom Schauspieler-Begriff sind (r)evolutionär. Bereits zu Beginn seines Schauspieler-Spielens bricht Bene mit sämtlichen Konventionen und setzt im Laufe der Zeit Schicht um Schicht der Schauspielerexistenz und damit seiner Selbst frei. Den NON-ATTORE reduziert Bene zur MACCHINA ATTORIALE und diesen konsequenterweise zur MACCHINA D’OBLIO. Aus Personen werden LE SITUAZIONE und diese zu LE SITUAZIONE PRINZIPALE bis letztendlich zur VOCE SOLISTA. Carmelo Bene geht den Weg nach Innen, Heiner Müller den nach Außen. Allerdings ‚erfindet’ Bene das Theater im eigentlichen Sinne nicht neu, sondern er ‚findet’ es vielmehr wieder. Ein völlig anderer Ansatz als bei Müller. Während Müller das Theater gebraucht, taucht Bene in das Theater ein und geht bei weitem über Müllers Nutz-Konzept hinaus. Müller materialisiert, Bene kreiert eine Kunst und seine Theorie. Müller arbeitet horizontal, eindimensional verwurzelt, Bene bewegt sich darüber hinaus auf Vertikalen, bisweilen dreidimensional, das Theater mit (s)einer Seele einhauchend, es vitalisierend und damit sich selbst verwirklichend beziehungsweise sich belebend.

Doch nichtsdestotrotz gibt es Berührungspunkte zwischen beiden Künstlern, zumindestens (wiederum) teilweise. Dies wird anhand folgender drei Themen, der ‚Maschinisierung’, der ‚Reduktion’ und dem ‚Sprachgebrauch’, deutlich. Beide benutzen das Wort Maschine, Bene für seine MACCHINA ATTORIALE und Müller als HAMLETMASCHINE und „Schreibmaschine“. Doch bereits zu Beginn wird klar, Bene verwendet die Maschine elementar, um sie seiner Kunsttheorie zugrunde zu legen. „Bene sagt in einem Interview, er habe in seinen vielen Leben nichts anderes getan als die attore-macchina zu finden und umzusetzen.“[14] Benes Schauspielerschöpfung, „die MACCHINA ATTORIALE[,] steht nicht nur am Ende der Theatergeschichte des letzten Jahrhunderts, sondern ist spezieller Ausdruck eines Theatermannes, der über vierzig Jahre Theater gemacht hat“[15], ohne allerdings dessen Ende zu markieren. Die Schauspielermaschine ist alles und doch nur eines: Carmelo Bene. Sie ermöglicht ihm die Selbstentfremdung, um sich schlussendlich wieder anzunähern. Er wird nicht neu, sondern entdeckt sich neu. Ebenso wie er nicht das Theater neu erfindet, sondern es nur neu wieder findet. Die MACCHINA ATTORIALE ist eine Art Pfad der Selbsterkenntnis, ohne allerdings einen religiösen Charakter zu besitzen. Durch sie ergründet sich Carmelo Bene und ein wenig ergründen wir durch sie Carmelo Bene. Künstlerisch ist die MACCHINA ATTORIALE die Ganzheit einer Aufführung. Selbst scheinbare Nicht-MACCHINA-ATTORIALE-Elemente (wie Requisiten oder Mit-Spieler) dienen auf der Bühne nur der Schauspielermaschine und ihrer Konstituierung. Alles dreht sich um einen Punkt, um die Schauspielermaschine, nein, Verzeihung, um Carmelo Bene. Die Konstituierung bedingt die Ent-Körperung, das Außer-sich-Sein. Auch Müller fordert einmal in der HAMLETMASCHINE seinen Schauspieler dazu auf, aus sich herauszutreten, nicht aber im Beneschen Sinne des Außer-sich-Seins, sondern im Sinne des ‚Aus-der-Rolle-Heraustretens’, um „zwischen Rolle und Realität zu differenzieren“[16]:

[...]


[1] Pfeiffer, Gabriele, „Non esisto nunque sono”, S.141.

[2] Pamperrien, Sabine, „Ideologische Konstanten – Ästhetische Variablen: Zur Rezeption des Werks von Heiner Müller“, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2003, S.21.

[3] Ebd., S. 208.

[4] Ebd., S. 15.

[5] Ebd.

[6] Ebd.

[7] Ebd.

[8] Ebd., S. 11.

[9] Ebd., S. 193.

[10] Ebd., S. 11.

[11] Ebd., S. 170.

[12] Reitter, David, „Heiner Müller im Spiegel der Nachrufe - Presseecho auf den Tod eines Theatermanns“, Zitat von Gerhard Stadelmeier, http://www.davids-welt.de/hm/hm_kap_4.html, Zugriff am 27.07.04.

[13] Deleuze, Gilles, „Ein Manifest weniger“, in „Aisthesis“, S.379, Reclam Verlag Leipzig, 1990, S. 384.

[14] Pfeiffer, Gabriele, „Non esisto nunque sono”, S. 152.

[15] Ebd., S.152.

[16] Pamperrien, Sabine, Sabine, „Ideologische Konstanten – Ästhetische Variablen: Zur Rezeption des Werks von Heiner Müller“, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2003, S. 148.

Final del extracto de 20 páginas

Detalles

Título
Sein und Dasein. - Eine entfernte Annäherung oder der Versuch eines Vergleichs zwischen Carmelo Bene (1937-2002) und Heiner Müller (1929-1995).
Universidad
University of Leipzig  (Institut für Theaterwissenschaft)
Curso
Mehr als Ein Hamlet weniger - Versionen und Variationen des italienischen Theateravantgardisten Carmelo Bene (1937-2002)
Calificación
1,0
Autor
Año
2004
Páginas
20
No. de catálogo
V35400
ISBN (Ebook)
9783638353229
ISBN (Libro)
9783656760429
Tamaño de fichero
531 KB
Idioma
Alemán
Notas
Diese HA vergleicht die zwei Theateravantgardisten, den Italiener, Carmelo Bene (1937-2002), und Heiner Müller (1929-1995). Thema war die 'Maschinisierung', sowohl bei Bene (Erfinder der 'Schauspielermaschine' und philosophischen Anspruch: 'Non esisto: dunque sonso - Ich existiere nicht, also bin ich.'), als auch bei Müller ('Schreibmaschine' in der 'Hamletmaschine'). Vergleichende Themen: das Kunst-Werk, Ästhetik, Artaud, Politik, Theatertheorien, der Frau, Sprache, Rezeption und Publikum.
Palabras clave
Sein, Dasein, Eine, Annäherung, Versuch, Vergleichs, Carmelo, Bene, Heiner, Müller, Mehr, Hamlet, Versionen, Variationen, Theateravantgardisten, Carmelo, Bene
Citar trabajo
Thomas Seifert (Autor), 2004, Sein und Dasein. - Eine entfernte Annäherung oder der Versuch eines Vergleichs zwischen Carmelo Bene (1937-2002) und Heiner Müller (1929-1995)., Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35400

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