Kognitionswissenschaft - Der Status der Sprache im Kognitionssystem


Dossier / Travail de Séminaire, 1996

22 Pages, Note: 91/100


Extrait


In der kognitiven Linguistik wird die Frage nach dem Status der Sprache im Kognitionssystem mit zwei entgegengesetzten Hypothesen diskutiert (Schwarz 1992:44):

"Es lassen sich bei einer groben Differenzierung innerhalb der kognitiven Linguistik zwei Richtungen unterscheiden, die einen Dualismus offenbaren, der die gesamte Kognitionsforschung prägt: der modulare und der holistische Ansatz"

Zuerst möchte ich die holistische Kognitionstheorie erläutern, damit der modulare Ansatz besser verstanden wird.

Die Vertreter dieser Theorie (wie z.B. J.R. Anderson Jackendoff, Langacker) betrachten die Sprache folgenderweise:

„ [betrachten die Sprache] nicht als ein autonomes Subsystem, sondern eher als Epiphänomen der Kognition. Ziel der holistisch ausgerichteten Kognitionsforschung ist es die Menge der universalen Prinzipien (wie Konzeptualisierung, Mustererkennung, Kategorisierung usw.) zu beschreiben, die allen mentalen Fähigkeiten gleichermaßen zugrunde liegen. Ein universelles System des menschlichen Gedächtnisses soll entworfen werden, dass die vielfältigen Kenntnisstrukturen in einem einheitlichen Format abbilden kann.“ (Schwarz 1992: 49-50)

Es wird auch weiter behauptet, dass die Struktur des sprachlichen Systems sich nicht von seiner Funktion trennen lässt, denn die Funktionalität der Sprache sei eine wesentliche Eigenschaft natürlicher Sprachen. Eine rein formorientierte Analyse könne die kognitive Zweckgebundenheit der Sprache nicht erfassen. Die modulare Autonomiehypothese wird abgelehnt. Natürliche Sprachen stellen vielmehr offene Systeme dar, die den Einflüssen des kognitiven Verarbeitungssystems (und seinen Determinanten) unterliegen. Die Grammatik einer Sprache sei symbolisch. Die Grammatik wird wie das Lexikon einer Sprache als das Ergebnis komplexer Konzeptualisierungprozesse betrachtet. Unter Konzeptualisierungen versteht Langacker mentale Prozesse, die Informationen aus verschiedenen Bereichen menschlicher Erfahrung aufeinander beziehen. Beide Komponenten erfüllen deshalb repräsentationelle Funktionen. Syntaktische Phänomene lassen sich weitgehend als Widerspiegelungen semantisch-konzeptueller und funktionaler Prinzipien beschreiben. Es wird keine strikte Trennung zwischen Semantik und Pragmatik gezogen. Sprachliche Bedeutungen stellen keine diskreten linguistischen Einheiten dar. (Schwarz, 1992: 50-51) Im Mittelpunkt der holistischen kognitiven Linguistik stehen die Analyse des Zusammenhangs zwischen semantischen Phänomenen und konzeptuellen Universalien sowie die Untersuchung der Schnittpunkte zwischen Syntax und Semantik (Rudzka-Ostyn).

Der modulare Ansatz in der kognitiven Linguistik dagegen ist untrennbar an die generative Grammatik geknüpft.

In der modularen Sprachtheorien wird die Sprache als ein eigenständiges Modul auf der Interebene der Kognition von anderen Kenntnissystemen abgegrenzt. Der kognitiven Linguistik geht es um die Explikation der I-Sprache (als der im Kognitionssystem verankerten Sprachstrukturen). Grammatische Erklärungen sind somit immer auch Beschreibungen von Strukturen eines spezifischen Teils unseres Geistes.

Untersuchungsgegenstand der modularen Linguistik ist das sprachliche Kenntnissystem (mit den Komponenten Phonologie, Morphologie, Syntax und Semantik), dass als ein im menschlichen Gehirn verankertes Modul angesehen wird. Das sprachliche System ist aber auch ein funktionales System, das sowohl durch ein Kenntnissystem als auch die dazugehörigen Realisierungsmechanismen konstituiert wird (Schwarz 1992:46).

Das grammatische Wissen, über das ein Mensch verfügt, ist ein implizites Wissen, d.h. es ist dem Bewusstsein nicht direkt zugänglich. Die Sprecher und Hörer befolgen die Regeln automatisch und meist unbewusst. Grammatisches Wissen ist deshalb nicht mit dem gleichzusetzen, was man normalerweise (d.h. im psychologischen Sinn) unter Wissen versteht, nämlich die im Langzeitgedächtnis gespeicherten Strukturen, die Informationen über die Welt repräsentieren. Die Grammatik ist kein Glaubenssystem, das bestimmte Bereiche unserer erlebten Welt repräsentiert. Die syntaktische Sprachkenntnis ist ein mentaler Zustand.

Das zentrale Problem betrifft also die mentale Repräsentation sprachlichen Wissens und dessen Erwerb.

Bei der Erforschung der menschlichen Sprachfähigkeit stellen sich Fragen nach der Struktur des sprachlichen Kenntnissystems und nach dessen Erwerb und Gebrauch. Für Chomsky besitzt die Beantwortung der Frage nach der Organisation des Kenntnissystems logische Priorität. Das heißt, zuerst müssen wir eine Vorstellung von der Struktur des sprachlichen Kenntnissystems besitzen, um die restlichen Fragen adäquat beantworten zu können.

Da aber als Voraussetzung die Beherrschung einer Sprache als solche dadurch charakterisiert wird, dass man Sätze einer Sprache versteht und Sätze produziert, tauchen zwei voneinander unabhängig zu beschreibende Problembereiche auf: einerseits die Struktur dieses Kenntnissystems und andererseits die Realisierungsmechanismen( Bierwisch).

Man geht davon aus, dass man bei der Analyse des Kenntnissystems die folgenden drei Aspekte berücksichtigen müsste:

1. Jedes System determiniert bestimmte Repräsentationen, die als Strukturen mentaler Zustände aufzufassen sind.
2. Die Repräsentationen des sprachlichen Kenntnissystems beruhen auf sprachspezifischen Regeln.
3. Die Regeln des Systems werden durch universale Prinzipien determiniert. (Schwarz 1992: 47-48)

"Die Untersuchung der Realisierungsmechanismen (welche die Mechanismen der Rezeption und Produktion betreffen) wird in der generativen Grammatik immer noch primär als eine Domäne der Psycholinguistik angesehen." (Schwarz, 1992:48)

In der kognitiven Linguistik dagegen beschäftigt man sich nur auf einer abstrakten Ebene mit dem sprachlichen System, obwohl man annimmt, dass den sprachlichen Strukturen neurophysiologische Muster zugrunde liegen.

"Dem neueren Funktionalismus der kognitiven Wissenschaft folgend, werden kognitive Phänomene losgelöst von ihrer materiellen Grundlage beschrieben." (ebd.)

Bierwisch und Lang unterteilen die Kognition im Rahmen der modularistisch ausgerichteten kognitiven Linguistik mit ihrer Zwei - Stufen - Semantik - Theorie in zwei Teile:

1. Semantische Repräsentationsebene
2. Konzeptuelle Repräsentationsebene

Semantische Einheiten sind an lexikalische Einheiten gebunden und werden von den Prinzipien des Sprachsystems determiniert. Das konzeptuelle System ist sprachunabhängig und stellt den Rahmen für alle Erfahrungen des Menschen dar.

Neben Bierwisch und Lang appelliert Günther Grewendorf die Modularität im Zusammenhang mit der pragmatischen Kompetenz, es sei denn, die pragmatische Kompetenzform regelt die Situierung von Sätzen in Kontexten. Aber diese geregelte Situierung von Sätzen in Kontexten kann nicht als eine einzige spezifische Fähigkeit angesehen werden. Dabei spielen vielmehr eine ganze Reihe unterschiedlicher Faktoren eine Rolle. Diese Faktoren betreffen Prinzipien, die unsere Wahrnehmung steuern, betreffen das System der sozialen Beziehungen, Prinzipien, nach denen wir begriffliche Unterscheidungen vornehmen, affektive Prozesse etc. D.h., wir müssen diese pragmatische Kompetenz als ein komplexes, "systematisches" Konglomerat unterschiedlicher, zusammenspielender Faktoren ansehen.

Man darf annehmen, dass die pragmatische Kompetenz Resultat vielfältiger interagierender Fähigkeitssysteme ist. Das heißt, dass diesen Fähigkeiten jeweils ein eigenes, durch universelle Prinzipien gesteuertes System zugrunde liegt.

Eine solche Annahme, wonach komplexe Fähigkeiten durch das Zusammenspiel autonomer kognitiver Fähigkeitssysteme erklärbar sind, nennt man Modularitätsannahme.

Grewendorf unterstützt diese Modularitätsthese der menschlichen Kognition, indem er sich auf die Untersuchungen der Nobelpreisträger Hubel und Wiesel bezieht. Denn sie haben gezeigt, dass das visuelle System bei Säugetieren nicht nur modular aufgebaut ist - etwa durch die autonomen Bereiche des visuellen, den auditiven oder des taktilen Systems- sondern auch, dass für diese autonomen Teilsysteme jeweils sozusagen eine "universale Grammatik sui generis" anzunehmen ist.

Bierwisch geht ein Schritt weiter und versucht dann eine Unterscheidung zwischen den Subsystemen zu machen, als einer pragmatischen Kompetenz zugrunde liegenden interagierender Systeme zu klassifizieren:

- Das perzeptive System, das den Bereich der Wahrnehmung als autonomes, selbst wiederum modular organisiertes Verhaltenssystem ausweisen würde;
- Das motorische System, das für die Effektor-Organe (z.B. Artikulationsorgane, Gestik etc.) und deren interne Steuerung einen autonomen Bereich postuliert;
- Das motivationale System, das unsere Verhaltensabläufe als durch strukturierte Hierarchien von Zielen und Teilzielen organisiert zu betrachten ist, deren oberste Dominanten in fundamentalen, phylogenetisch herausgebildeten Bedürfnissen und Antrieben bestehen;
- Das konzeptuelle System, das für die Unterscheidungen und Beziehungen in unserem Inneren begrifflich strukturierte Modelle Umwelt als angeborene autonome Prinzipien annimmt;

[...]

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Kognitionswissenschaft - Der Status der Sprache im Kognitionssystem
Université
Gazi University  (Institut für Sozialwissenschaften)
Cours
Kognitive Methode
Note
91/100
Auteurs
Année
1996
Pages
22
N° de catalogue
V3542
ISBN (ebook)
9783638121866
ISBN (Livre)
9783638638180
Taille d'un fichier
504 KB
Langue
allemand
Mots clés
Kognition, Kognitionswissenschaft, kognitive Linguistik
Citation du texte
Dr. Mesut Gönç (Auteur)Orhan Bozdemir (Auteur), 1996, Kognitionswissenschaft - Der Status der Sprache im Kognitionssystem, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3542

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