Der deutsche Bundespräsident nimmt als Staatsoberhaupt im politischen System unserer Bundesrepublik eine primär repräsentative und zeremonielle Stellung ein. Er stellt somit weniger eine machtpolitische Persönlichkeit als vielmehr eine moralische Instanz dar, die einen bedeutsamen Fixpunkt im bundesdeutschen Regierungssystem bildet. Das Staatsoberhaupt der zweiten deutschen Demokratie unterscheidet sich in seinen Kompetenzen deutlich von denen des Reichspräsidenten der Weimarer Republik, dem Staatsoberhaupt der ersten deutschen Demokratie, mit dessen maßgeblicher Beteiligung ebenjene Republik unterging.
Doch hatte dieses "Trauma" tatsächlich einen Einfluss auf die Gründungsphase der BRD? Beeinflussten die Erfahrungen der Mitglieder des Parlamentarischen Rates mit dem Weimarer System die Grundgesetzerarbeitungen? Wie wurde das politische System der Weimarer Republik im retrospektiven Diskurs des Parlamentarischen Rates von 1948/49 bewertet und welche möglichen Lehren zogen die Mitglieder für die Kompetenzgestaltung des Staatsoberhauptes? Wie fällt der Kompetenzvergleich zwischen dem Reichspräsidenten der Weimarer Reichsverfassung und dem Bundespräsidenten des Grundgesetzes aus? Die Beantwortung jener Fragen soll im Fokus dieser Arbeit stehen.
Um jene Nachwirkungen der Weimarer Reichsverfassung auf die Arbeit des Parlamentarischen Rats zu eruieren, werden unter anderem Auszüge ausgewählter Reden einiger Abgeordneter herangezogen, die den verfassungsrechtlichen Diskurs von 1948/49 exemplarisch skizzieren sollen. Es wird versucht, einen Einblick in das Meinungsspektrum des Parlamentarischen Rates über das politische System der ersten deutschen Republik zu gewinnen, da dieser Einblick als Schlüssel für die Frage dient, inwieweit das politische Erbe der Weimarer Demokratie die Entscheidungen über die Autoritätsvergabe des Bundespräsidentenamtes mitprägten und was sie im Vergleich zum Amt des Reichspräsidenten veränderten.
Inhaltsverzeichnis
- A. Die Überwindung eines „Traumas“?
- 1. Die Weimarer Republik und die Bundesrepublik im Vergleich
- 2. Der verfassungspolitische Diskurs über die Weimarer Reichsverfassung im Nachkriegsdeutschland
- 3. Die Rolle des Staatsoberhauptes im Parlamentarischen Rat
- 4. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Auswirkungen der Weimarer Reichsverfassung auf die Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland und die Gestaltung des Amtes des Bundespräsidenten. Sie analysiert, inwieweit die Erfahrungen der Mitglieder des Parlamentarischen Rates mit dem Weimarer System die Grundgesetzerarbeitungen beeinflussten.
- Die Unterschiede in den Kompetenzen des Reichspräsidenten der Weimarer Republik und des Bundespräsidenten der Bundesrepublik
- Die Rolle des „Traumas“ von Weimar im verfassungspolitischen Diskurs des Parlamentarischen Rates
- Die Bewertung des politischen Systems der Weimarer Republik durch die Mitglieder des Parlamentarischen Rates
- Die Bedeutung des Prinzips der „wehrhaften Demokratie“ für die Gestaltung des Grundgesetzes
- Die Bedeutung des Konvents von Herrenchiemsee für die Entwicklung des Grundgesetzes
Zusammenfassung der Kapitel
- Der erste Teil der Arbeit vergleicht die Kompetenzen des Reichspräsidenten der Weimarer Republik mit denen des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland und zeigt die Unterschiede in den beiden politischen Systemen auf.
- Der zweite Teil befasst sich mit dem verfassungspolitischen Diskurs über die Weimarer Reichsverfassung im Nachkriegsdeutschland und analysiert die unterschiedlichen Perspektiven auf das Weimarer System.
- Der dritte Teil analysiert die Rolle des Staatsoberhauptes im Parlamentarischen Rat und die Bedeutung des Prinzips der „wehrhaften Demokratie“ für die Gestaltung des Grundgesetzes.
Schlüsselwörter
Weimarer Reichsverfassung, Bundespräsident, Reichspräsident, Parlamentarischer Rat, Grundgesetz, „wehrhafte Demokratie“, Konvent von Herrenchiemsee, präsidiale Diktatur, Kanzlerdemokratie.
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- Alexander Koch (Autor), 2015, Die Überwindung eines Traumas? Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus der Weimarer Reichsverfassung am Fall des Staatsoberhauptes, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/354576