Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Status quo in Mecklenburg im 21. Jahrhundert: Probleme und grundlegender Handlungsbedarf
3. Reformoptionen: Vier Modelle als Idealtypen von Veränderungen
3.1. Die Interkommunale Zusammenarbeit (IKZ) als Kooperationsansatz (Modell 1)
3.2. Reformvarianten mit Gebietsveränderung: Punkt-, Paar- und Regionalmodell
3.2.1. Punktmodell / Punktuelle Anpassung (Modell 2)
3.2.2. Paarmodell / Reform mittlerer Reichweite (Modell 3)
3.2.3. Regionalmodell (Modell 4)
4. Mecklenburg-Vorpommern: Regionalmodell - Urteil - Paarmodell?!
4.1. Der erste Anlauf in Mecklenburg-Vorpommern: Die Regionalkreisbildung
4.2. Das Scheitern der Regionalkreisbildung: Begründungen des Urteils von 2007
4.3. Der zweite Anlauf in Mecklenburg-Vorpommern: Lehren aus dem Urteil?
5. Fazit: Haben Regionalkreise eine Zukunft in Deutschland?
Literaturverzeichnis
Hinweis: Dies e Arbeit bedient sich der amerikanischen Zitierweise. Trotzdessen wurde ein Fußnotenapparat beigefügt, der weiterführende Informationen bietet, die ansonsten im Rahmen der amerikanischen Zitierweise den Lesefluss erheblich beinträcht igen würde.
1. Einleitung
Betrachtet man die Verwaltungsreformen des 21. Jahrhunderts genauer, so scheint insgesamt eine Tendenz in Richtung größerer Verwaltungseinheiten beobachtbar zu sein. Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern hat sich aufgrund der strukturellen Herausforderungen im Jahre 2006 mit dem Verwaltungsmodernisierungsgesetz - in seinem Kernstück bestehend aus gesetzlichen Vorgaben bzgl. der Kreisstruktur und einer Funktionalreform - für einen gesamtheitlichen Reformansatz entschieden. Unter anderem hat der Gesetzgeber des deutschlandweit am dünnsten besiedelten Bundeslands mit der Bildung von fünf Regional- bzw. Großkreisen als erstes Bundesland versucht, solch ein Reformvorhaben durchzusetzen. Dabei ist er allerdings am Urteil seines Landesverfassungsgerichts in Greifswald mit Urteil vom 26. Juli 2007 gescheitert, in dem das Gesetz für verfassungswidrig erklärt wurde. So kritisierten die Greifswalder Verfassungsrichter in ihrem in der Wissenschaft sehr kontrovers diskutierten Urteil (vgl. dazu v.a. Beiträge in Büchner / Franzke / Nierhaus 2008), dass das Verwaltungsmodernisierungsgesetz wegen des Verstoßes gegen das kommunale Selbstverwaltungsrecht verstoßen würde. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber keine schonenderen Alternativen in einem notwendigen Abwägungsprozess berücksichtigt.
Es kann überdies konstatiert werden, dass der Faktor „Raum“ bzw. „Größe“ in Bezug auf die Neugliederung von Territorialeinheiten (hier den Landkreisen) einen besonderen Faktor einnimmt. Bei sämtlichen Eingriffen in das zuvor erwähnte Selbstverwaltungsrecht dürfe der Fokus nicht alleinig auf der Verbesserung bzw. Einführung von effizienten und effektiven Strukturen liegen, sondern muss das Wesensmerkmal der bürgerschaftlich-demokratischen Entscheidungsfindung ebenso in den Abwägungsprozess miteinbeziehen.
Diese kurzen einführenden Worte lassen bereits anklingen, dass Verwaltungsreformen „nicht unbedingt das einfachste Geschäft einer Landesregierung dar[stellen]“ (Gundlach 2013: 114). Gleichermaßen herausfordernd ist es, einen dermaßen von Komplexität geprägten Reformprozess ganzheitlich zu analysieren, sodass eine Einschränkung des Analysefokus auf die Bildung von Regionalkreisen sinnvoll erscheint. Im nachfolgenden Kapitel wird vorerst der besorgniserregende Status quo in Mecklenburg-Vorpommern beleuchtet werden, bevor das dritte Kapitel in Anlehnung an Hesse vier idealtypische Reformoptionen in Bezug auf Kreisgebietsreformen auf theoretischer Ebene vorstellen und gegeneinander abwägen wird. Das vierte Kapitel befasst sich unter der Überschrift „Mecklenburg-Vorpommern: Regionalkreismodell - Urteil - Paarmodell?!“ mit dem deutschlandweit aufsehenerregenden Prozess der dortigen Kreisgebietsreform, um daraus im letzten Kapitel die Erkenntnisse dieser Arbeit in einem Fazit zu bündeln und die Ausgangsfrage „Haben Regionalkreise eine Zukunft in Deutschland?“ zu beantworten.
2. Der Status quo in Mecklenburg im 21. Jahrhundert: Probleme und grundlegender Handlungsbedarf
Nach der Wiedervereinigung hatte der Landtag des neuen Bundeslands MecklenburgVorpommern bereits im Jahre 1993 beschlossen, die Anzahl der Landkreise von 31 auf 12 zu verringern und jene der kreisfreien Städte (Schwerin, Neubrandenburg, Greifswald, Rostock, Stralsund und Wismar) beizubehalten. Der CDU-Politiker Eckhard Rehberg sprach in der zweiten Lesung zu dem Gesetzentwurf davon, dass „die Kreisgebietsreform eine Zementierung der neuen Strukturen für mindestens 50 Jahre darstelle“ (vgl. Scheele 2013: 273, zit. n. Landtag MV 1993) - schaut man sich das Bundesland zu Beginn des 21. Jahrhunderts an, so wird deutlich: Rehberg hat sich deutlich geirrt.
Die von Hilbertz wohlbemerkt eher unwissenschaftliche Aussage „Stell‘ dir vor, alle wollen kommunale Selbstverwaltung, aber keiner lebt mehr dort“ (2010: 128) trifft genau eines der bekannten Kernprobleme sämtlicher Debatten: Die des demografischen Wandels und des Bevölkerungsrückganges, welche gerade Mecklenburg-Vorpommern vor große Herausforderungen stellt. Bereits bis zum Jahre 2020 werden neun der 12 Landkreise die damalige Regeleinwohnerzahl von 100.000 deutlich unterschreiten (vgl. Mehde 2007: 332). Neben dem stetigen Anpassungsdruck (vgl. Mecking / Oebbecke 2009: 1), dem Verwaltungsstrukturen insgesamt unterliegen, wird sich konsequenterweise die finanzielle Einnahmesituation deutlich verschlechtern. So führt Lenz deutliche Rückgänge u.a. in den Steuereinnahmen und EU-Mitteln an (vgl. 2013: 98), während das Auslaufen des Solidarpaktes II die finanzielle Situation ersichtlich erschweren wird. Betrachtet man nun die oft als „überkommende[n] […]Strukturen mit begrenzter Leistungsfähigkeit“ kritisierten Verwaltungsstrukturen (vgl. Franzke 2013: 2), so wird der Handlungsbedarf des Gesetzgebers deutlich. Dieser wird dadurch verstärkt, dass dem Ziel der Herstellung von gleichwertigen Lebensverhältnissen verwaltungstechnisch nur durch „Gleichwertigkeit der Verwaltungsleistungen“ begegnet werden kann (Naßmacher / Naßmacher 2007: 53, zit. n. Scheuner 1973). Wie Hesse 2008 in einem Gutachten feststellt, wird in Hinblick auf die zu erwartenden Entwicklungstrends einer Aufrechterhaltung des Status quo nicht entsprochen werden können. Auf Mecklenburg-Vorpommern bezogen würde vor allem die Bevölkerungsentwicklung zu einer sinkenden Nachfrage von Verwaltungsleistungen führen und weitergehend sich stark voneinander unterscheidende regionale Ausgangsbedingungen die Konsequenz sein (vgl. ebd.: 60 f.).
Wegen der zuvor aufgeführten Problemen lässt sich ein Konzentrationszwang vermuten, der letztendlich auf Reformen hinauslaufen wird, bei denen es sich um einen Zielkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit (Effizienz) und Effektivität einerseits, und Bürgernähe andererseits, handelt, der - so Mecking und Oebbecke - ein „fragile[s] Gleichgewicht“ (2009: 28) darstellt (mehr dazu in Kapitel 4.2.). Einen ersten Reformansatz stellt dabei eine Gebietsreform dar, die oftmals einer Funktionalreform vorgeschaltet wird (vgl. Bauer / Büchner / Franzke 2013: 7). Eine „Vergrößerung des Verwaltungsbezirkes durch die Zusammenlegung von Verwaltungseinheiten“ (Brüning 2013: 30) stellt dahingehend eine Voraussetzung für eine nachfolgende, umfangreiche Aufgabenübertragung im Rahmen von Funktionalreformen dar (vgl. Meyer 2009: 283)1.
Hier spielen die Landkreise insbesondere bei einem zweistufigen Verwaltungsaufbau wie in Mecklenburg-Vorpommern (sprich ohne Mittelinstanz) als „kommunale Gebietskörperschaften mit gemeindeverbandlichen Funktionen“ (Henneke 2009: 225) und sind gleichzeitig untere staatliche Verwaltungsbehörde (vgl. Bogumil / Holtkamp 2013: 23). Mit anderen Worten „schließen [sie] die kommunale Selbstverwaltung der Ortstufe nach oben und die Staatsverwaltung nach unten hin ab“ (Büchner / Franzke / Tessmann 2008: 17). Auf der Landkreisebene wird in Anlehnung an das in Deutschland vorherrschende Gebietsorganisationsmodell2 eine Bündelung von Verwaltungsaufgaben vollzogen (vgl. Bogumil / Jann 2009: 86).
3. Reformoptionen: Vier Modelle als Idealtypen von Veränderungen
Nachdem im vorausgegangenen Kapitel die Ausgangslage Mecklenburg-Vorpommerns sowie ein deutlicher Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers zur Verbess erung des strukturellen Verwaltungsaufbaus deutlich geworden ist, stellt sich nun auf theoretischer Ebene die Frage, welche Strategien ein Landesgesetzgeber zur Veränderung des Status quo in Betracht ziehen kann.
In Anlehnung an Hesse (vgl. u.a. 2009) können dabei unterschiedliche Strategien (siehe unten) der kreislichen Strukturoptimierung unterschieden werden, die sich in einem Spannungsfeld zwischen Kooperation und Gebietsreform (Fusion) bewegen (vgl. Tessmann 2012: 20). Bei der Kooperation wird in einigen Teilbereichen3 eine Zusammenarbeit zwischen mindestens zwei Gebietskörperschaften auf freiwilliger, vertraglicher Basis angestrebt (siehe Kapitel 3.1.), bei der die Beteiligten ihre wirtschaftliche und rechtliche Selbstständigkeit behalten. Im Gegensatz dazu führt ein Zusammenschluss im Rahmen einer Fusion (Kreisgebietsreform) zum Verlust eben jener Selbstständigkeit. Im Endeffekt entsteht eine neue Gebietskörperschaft mit neuem Verwaltungsapparat (vgl. ebd.: 102 f.). Allgemein gesprochen steigt der Konzentrationsgrad zwischen dem Status quo (Eigenfertigung), Kooperation und einer Kreisfusion weiter an, wie folgende Abbildung verdeutlicht (vgl. ebd.: 104):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 13: Kooperations-u. Fusionsformen nach Autonomiegrad
3.1. Die Interkommunale Zusammenarbeit (IKZ) als Kooperationsansatz (Modell 1)
Mögliche Kooperationsarten sollen hier nicht weiter vertieft werden (siehe dazu z.B. Tessmann 2012: 106 ff.). Stattdessen wird der Vollständigkeit halber kurz der Fokus auf die Minimallösung der kreisüberschreitenden IKZ gelegt, die nach Hesse einen verfassungsrechtlich „vollständig risikolosen Weg “ einer Optimierung des Status quo darstellen kann, ohne dabei in den territorialen Bestand einzugreifen (vgl. 2009: 146). Hier können sich allerdings unter Umständen „Steuerungs-, Kontroll- und […] Demokratiedefizite“ (ebd.: 150) ergeben. Je nach den spezifischen Gegebenheiten kann eine IKZ schon kleine Synergieeffekte nach sich ziehen, stellt aber bzgl. der minimalen Eingriffsintensität ein unzureichendes Modell für Mecklenburg-Vorpommern dar.
Insgesamt können die im Anschluss in Kapitel 3.2. vorgestellten drei Modelle (Punkt-, Paarund Regionalmodell) sowohl auf freiwilliger, als auch auf zwangsweiser Basis durchgeführt werden. Ebenso ist ein komplementärer Ansatz vorstellbar, nach welchem vorerst auf Freiwilligkeit und im Anschluss - im Notfall - auf Zwang gesetzt wird (vgl. ebd. 148). Ein solches Verfahren ist natürlich zeitlich langwieriger, stößt aber gegebenenfalls bei den betroffenen Akteuren auf weniger Reformwiderstand.
3.2. Reformvarianten mit Gebietsveränderung: Punkt-, Paar- und Regionalmodell
Legt man nun den Fokus auf die Reformvarianten, die in irgendeiner Form eine Veränderung des Gebietszuschnitts nach sich ziehen, so kommt Tessmann in Anlehnung an Hesse (vgl. 2007) auf folgende drei Modelle im Rahmen von Kreisgebietsreformen:
Punkt-, Paar- und Regionalmodell.
Wie die nachfolgende Abbildung schematisch darstellt, nimmt vom Punkt- zum Paar- und schlussendlich zur Maximallösung des Regionalmodells neben dem Konzentrationsgrad und den Fusionssynergien (Stichwort Wirtschaftlichkeit) allerdings gleichzeitig der politische Widerstand und Steuerungsaufwand zu (vgl. Tessmann 2012: 147):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 20: Idealtypen für Kreisgebietsreformen
3.2.1. Punktmodell / Punktuelle Anpassung (Modell 2)
Das Punktmodell kann als moderates Korrelat zu der IKZ gesehen werden. Nun finden ergänzend erste strukturelle Maßnahmen statt, die nur wenige, strukturschwache Kreise betreffen, also „räumlich-punktuell begrenzte[…] komplexe[…] Strukturdefizite“ aufweisen (Tessmann 2012: 147). Tessmann führt hierfür exemplarisch die Verbindung einer Kernstadt mit den dann aufgelösten Umlandgemeinden zu einer Stadtregion als neue Gebietskörperschaft auf, die als Gemeindeverband überörtlich-regionale Aufgaben für jene neugegründete Stadtregion wahrnimmt. Als Beispiel wird die Region Hannover genannt (vgl. ebd.). Neben einzelnen finanziellen Aspekten steht insbesondere die Stärkung der kreislichen Selbstverwaltung durch verwaltungs- und entwicklungspolitische Erwägungen im Vordergrund. Die betroffenen Gebietskörperschaften werden dadurch gestärkt und können von Verbund-, Größen- und Spezialisierungsvorteilen profitieren. Dies kann den Wettbewerb weiter befördern. Der Gesetzgeber muss allerdings im Interesse des Landes darauf achten, dass die neu geschaffenen Gebietskörperschaften nicht überstark werden und andere Regionen, die nicht gefördert wurden, währenddessen auf der Strecke bleiben (vgl. Hesse 2009: 177 ff.).
3.2.2. Paarmodell / Reform mittlerer Reichweite (Modell 3)
Beim Paarmodell hingegen sind alle Gebietskörperschaften der Landkreisstufe eines Bundeslandes betroffen. Ziel ist eine flächendeckende Optimierung der Kreisstruktur im Sinne einer Herstellung größerer und gleichwertigerer Einheiten (vgl. Hesse 2009: 160, 188), die mit einer merklich höheren Konzentration als im Vormodell einhergeht. Im Idealfall werden hier nach Hesse (vgl. 2007: 2) zwei benachbarte Landkreis mit ähnlichem Profil zu einem Fusions paar zusammengefasst. Dieser „Gebietsreformklassiker“ (Tessmann 2012: 149, zit. n. u.a. Henneke 1994) weist durch eine mittelstarke Eingriffsintensität bei ebenso mittelstarken Fusionssynergien einen gewissen Konsenscharakter aus (vgl. Tessmann 2012: 148 f.). Trotzdessen sollte das Widerstandspotenzial - wie z.B. der aktuelle Reformverlauf der Verwaltungsstrukturreform in Brandenburg zeigt - nicht unterschätzt werden.
Zusammenfassend ist die Stärke dieses Modells, dass es einen (noch) überschaubaren Gebietszuschnitt und gleichzeitig sehr akzeptablen Konzentrationsgrad aufweist, der gute Skalen- und Verbunderträge nach sich ziehen kann (vgl. Hesse 2009: 200). Tessmann konstatiert im deutschen Reformdiskurs derzeit eine deutliche Tendenz in Richtung dieses Modells (vgl. 2012: 154).
[...]
1 In welchem Verhältnis Kreisgebietsreform und Funktional reform im Land Mecklenburg-Vorpommern zueinander stehen, wird in Kapitel 4.1. genauer erläutert werden.
2 Das (räumliche) Gebietsorganisationsmodell betont die auf den Raum bez ogene Ganzheitlichkeit der Erfüllung eines Bündels von Einzelaufgaben. Hingegen beim Prinzip der sektoralen Gliederung steht die spezialisiert e Erfüllung der Einzelaufgabe im Fokus (vgl. Büchner / Franzke / Tessmann 2008: 13).
3 Nach Kiepe bieten sich u.a. folgende Aufgabenbereiche für eine Interkommunale Zusammenarbeit (IK Z) an: Verkehrsent wicklung, Infrastruktur, Ver- und Entsorgung, Klimaschutz und Kulturförderung (vgl. 2010: 144).