Underachievement in der beruflichen Bildung


Bachelor Thesis, 2015

38 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Problemstellung

2. Underachievement
2.1 Begriffsbestimmung und Definitionsansätze
2.2 Diagnostik von Underachievement
2.3 Persönlichkeitsmerkmale von Underachievern
2.4 Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Underachievement

3. Underachievement und Berufsbildung
3.1 Schulische und berufliche Karrierewege von Underachievern

4. Prävention von Underachievement und Fördermöglichkeiten

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Underachievement nach sozialer Herkunft für Jugendliche at risk (Uhlig et al., 2009, S. 20)

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: 3-Ebenen-Modell der Intelligenz nach Carroll (1993) (Spinath, 2010, S. 13)

Abb. 2: Persönlichkeitsmerkmale begabter Underachiever versus Achiever in der 10. Klasse (Perleth & Sierwald, 2001, S. 284)

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Problemstellung

Viele kennen sie: Schüler und Schülerinnen, die trotz ihrer hohen Begabung schlechte Zensuren erzielen und in der Schule versagen (Stamm, 2014, S. 131). Mütter und Väter bekommen von den Lehrkräften ihrer Kinder immer wieder zu hören, dass sie doch einen klugen Jungen oder ein kluges Mädchen hätten. Offensichtlich bilden viele Lehrkräfte und Eltern vordergründlich eine Erwartung über das Leistungsvermögen der Schüler[1], bspw. im Sinne einer Begabungseinschätzung aus, und vergleichen die tatsächlich erbrachten Schulleistungen mit diesen Erwartungen. Gezeigte tatsächliche Schulleistungen können sich mit erwarteten Schulleistungen entsprechen, so ist die Rede von sogenannten Achievern. Sie können jedoch auch voneinander abweichen. Liegt die gezeigte Leistung deutlich unterhalb der erwarteten Leistung, wird ein Phänomen genannt, welches im deutschsprachigen Raum als erwartungswidrige Minderleister bezeichnet wird. Aus dem angloamerikanischen Raum stammend hat sich dafür in der pädagogischen Psychologie und in den Erziehungswissenschaften die Bezeichnung „Underachievement“ durchgesetzt (Rost & Sparfeldt, 2009, S. 138).

Die Intelligenz bildet in wissenschaftlichen Untersuchungen die Grundlage der Erwartungsbildung. Das Leistungspotenzial eines Schülers wird als allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit (Intelligenz) erfasst. Anhand von standardisierten Intelligenztests erfolgt die Messung des Leistungspotenziales (Sparfeldt, Buch, & Rost, 2014, S. 365).

Dieses Phänomen des Underachievements ist nicht neu, sondern eines, welches es schon immer gegeben hat und es vermutlich auch immer geben wird. International erhält das Underachievement-Konzept gegenwärtig einen Aufschwung (Stamm, 2007, S. 11). Dieses verdeutlicht sich besonders in den Medienberichten und in der populärwissenschaftlichen Literatur, in der teilweise mit polemischen Lettern Zusammenhänge zwischen „Today’s underachieving – tomorrow’s unemployed youth“ (Smith, 2004, S. 283) hergestellt werden, Underachiever als Leistungsverweigerer gekennzeichnet und ihnen darüber hinaus deviantes Verhalten unterstellt wird (Stamm, 2007, S. 11, zitiert nach Rimm, 1995, o.S.). Auf dem deutschen Bücher- und Zeitschriftenmarkt lassen sich ebenfalls eine Vielzahl von Beratungsliteratur finden, welche eine Art von Rezept für die Identifizierung von Underachievern und Vorschläge für Intervenztionen bereit hält, die sich nur marginal auf wissenschaftliche Erfahrungen beziehen und mit teilweise polemischen Aussagen versehen sind (Badel, 2014, S. 124).

Der wissenschaftliche Diskurs verhält sich bislang deutlich zurückhaltender. Gerade im deutschsprachigen Raum ist die Beachtung des Underachiviements in den letzten Jahren etwas verloren gegangen. Ferner wird das Phänomen traditioneller weise vor allem im Zusammenhang mit Hochbegabung erforscht und in die Verantwortung des Individuums selbst gelegt (Stamm, 2007, S. 11). Drei große Forschungsprojekte sind insbesondere im deutschsprachigem Raum zur Hochbegung zu nennen: Das Marbuger Hochbegabtenprojekt, das Münchner Hochbegabtenprojekt und die in der Schweiz durchgeführten Untersuchungen unter der Leitung von Margrit Stamm zu überdurchschnittlich begabten Jugendlichen in der Berufsbildung. Einzelne Ergebnisse der jeweiligen Projekte werden in den nachfolgenden Kapiteln kurz erläutert. Jedoch handelt es sich primär um Forschung mit dem Schwerpunkt der Hochbegabung. Aufgrund des immensen Aufwandes der Datengewinnung und der kleinen Menge von Underachievern, sind Untersuchungen hierzu nicht in gleichwertiger Dimension zu finden (Badel, 2014, S. 125).

In den Ländern Großbritanien, Kanada und Australien wird Underachievement im Rahmen der bildungspolitischen Diskussion um Leistungsmessung und Effektivität des Bildungssystemes viel intensiver diskutiert und als wesentliches, von der Schule mitverantwortetes Problem betrachtet (Stamm, 2007, S. 11).

Schwerpunkt vorliegender Arbeit ist das Phänomen des Underachievements in der beruflichen Bildung unter dem Gesichtspunkt, welchen beruflichen Karriereweg Underachiever nehmen und welchen Einfluss Persönlichkeitsmerkmale sowie sozioökonomische Herkunftseffekte hierauf haben.

Die Arbeit ziellt auf die Begriffbestimmung des Underachievements und der Diagnostik von Underachievern ab. Hier wird spezeziell die Intelligenzforschung angesprochen und auf einen Intelligenztest eingegangen. Er wendet sich dann Persönlichkeitsmerkmalen und den sozialen Herkunftseffekten zu. Ein spezielles Augenmerk liegt auf der Berufsbildung von Underachievern sowie ihrem beruflichem Karriereweg. Den Abschluss bilden zum einen eine Betrachtung von Präventions- und Fördermöglichkeiten sowie eine kritische Schlussbetrachtung.

2. Underachievement

Das Konzept des Underachievements fußt auf der Denkfigur der erwartungswidrigen Schulleistung (Stamm, 2007, S. 14). Dieses Phänomen beschreibt eine Diskrepanz zwischen dem Leistungspotenzial (Kompetenz) eines Schülers, welches nicht in entsprechender Leistung (Performanz) umgesetzt wird (Rost & Sparfeldt, 2008, S. 56). Die gezeigte Leistung liegt weit unter dem Niveau, welches der Schüler aufgrund der gemessenen Intelligenz erbringen sollte und könnte. Es handelt sich um erwartungswidrige Schulleistungen. Eine solche Erklärung beruht sowohl auf Standards, welche die zu erwartende Schulleistung bestimmen, als auch auf der Erfassung der Fähigkeiten und der tatsächlichen Schulleistung. Als Begabungsindikatoren werden meistens Intelligenztests, als Leistungsindikatoren Zensuren in der Schule oder Schulleistungstests herangezogen (Stamm, 2007, S. 14). Allerdings kann die Schulleistung wegend der mittelhohen Korrelation nicht perfekt durch die kognitive Leistungsfähigkeit vorhergesagt werden sowie die Intelligenz nicht perfekt durch die Schulleistung zu bestimmen ist. Leistung und Intelligenz bzw. Intelligenz und Leistung, korrespondieren nicht einstweilig (Rost & Sparfeldt, 2008, S. 57). Badel (2014, S. 123) hingegen beschreibt die Korrelation zwischen Intelligenz und Schulleistung, der typische durchschnittliche Korrelationswert beträgt ca. .45, liegt niedrig genug, um eine Gruppe Schüler mit geringen Fähigkeiten aber relativ hohen Leistungen identifizieren zu können. Für Rost (2007, S. 8) müssen offenbar noch andere Variablen wie etwa Persönlickeitsmerkmale des Lernenden und die sozioökonomischen Herkunftseffekte eine Rolle spielen. Dies schmälert die Bedeutung der Intelligenz als Prädikatorvariable (Stamm, 2007, S. 14). Die Korrelation von Begabung und Leistung ist jedoch stets positiv, nämlich mittelhoch. Dies ist eines der am besten gesicherten Ergebnisse der pädagogisch-psychologischen Forschung, so Rost & Sparfeldt (2008, S. 56). Gleichwohl wird die Umsetzung des Prozesses von hoher Begabung in hohe Leistung von internalen und externalen Moderatoren beeinflusst (Badel, 2014, S. 321).

Die geringe empirische Forschung zum Bereich des Underachievements lässt eine systematische Gesamtbetrachtung des Phänomens noch nicht zu, so dass weder Geltungsbereiche abgesteckt sind, noch die Messstabilität bekannt ist (Stamm, 2007, S. 14). Rost & Sparfeldt (2008, S. 57) bekräftigen dieses und erläutern, dass es kaum ein Konzept im Bereich der Hochbegabungsforschung gibt, welches so viele Mutmaßungen, Unsicherheiten und Meinungen aufweist, wie es bei Underachievement der Fall ist.

Tatsache ist, dass es einen signifikanten Personenkreis gibt mit hohem Leistungspotenzial bei gleichzeitig niedriger Leistungsperformanz. Diese Gruppe unterscheidet sich deutlich von anderen (Badel, 2014, S. 176).

2.1 Begriffsbestimmung und Definitionsansätze

Der Begriff des Underachievements wird in der Literatur nicht einheitlich definiert (Greiten, 2012, S. 43). Z. B. versteht Greiten (2007, S. 61) hierunter, dass es hochbegabte Schüler gibt, „[...,] die vorrübergehend „lerngehindert“, d.h. im Lernen und in der Entwicklung ihrer Leistungsmotivation „gehindert“ sind und damit unter ihrem Leistungsniveau bleiben“ (Greiten, 2007, S. 61). Einen anderen Definitionsansatz liefern Uhlig, Solga und Schupp (2009, S. 4 f.), die „die indivieduell-psychologische Dimension des kognitiven Lernpotenzials mit dem bildungssoziologischen Verständnis von Bildungserfolg“ (Uhlig et al., 2009, S. 4 f.) sehen. Sie meinen, dass die Verteilungen der Schüler auf die drei großen Schultypen, Hauptschule, Realsschule und Gymnasium sowie die Bestimmung derer durchschnittlichen kognitiven Lernpotenziale differenziert nach Schultypen dargestellt werden können. Diese Häufigkeitsverteilung kann mit Blick auf Überlappungsbereiche analysiert werden und als Basis für die Klassifikation von Schülern als Underachiever behilflich sein. Zu den Überlappungsbereichen gehören Schüler, die z. B. Hauptschüler sind, deren kognitives Potenzial allerdings über dem Median der Realschulverteilung liegt. An diesem Punkt bedeutet eine Überschneidung der Verteilungskurven von Haupt-. bzw. Realschülern, dass die identifizierten Hauptschüler zwar über ein vergleichbares Lernpotenzial wie die besseren 50 Prozent der Realschüler verfügen, aber in der Regel keinen vergleichbaren Schulabschluss erwerben, wenn sie auf der Hauptschule verbleiben (Uhlig et al., 2009, S. 5). Diese Schüler werden als Underachiever klassifiziert, da ihr jeweiliges individuelles kognitives Lernpotenzial über dem Besuch des Schultypens liegt (Uhlig et al., 2009, S. 17).

Der Definitionskern, der am meisten verwendet wird, stellt die Diskrepanz zwischen Hochbegabung und erbrachter Leistung dar (Greiten, 2012, S. 43). Rost (2007, S. 8) definiert Underachievement folgendermaßen: „Underachievement (in unserem Sprachraum häufig etwas unglücklich als „Minderleistung“ bezeichnet; besser wäre es, von „erwartungswidrig schlechter [Schul-]Leistung“ zu sprechen) liegt dann vor, wenn bei einem Schüler/einer Schülerin zwischen der aufgrund seiner/ihrer intellektuellen Kompetenz (z. B. IQ) zu erwartenden Schulleistung und der gezeigten Performanz (beobachtete Schulleistung, z. B. Zensurendurchschnitt) eine pädagogisch-psychologisch relevante Diskrepanz vorliegt, wobei die gezeigte Schulleistung wesentlich schlechter als die zu erwartende ist“ (Rost, 2007, S. 8). Mit anderen Worten ausgedrückt, bleiben die schulischen Leistungen (Performanz) deutlich hinter dem Leistungspotenzial (Kompetenz) zurück, worüber Einigkeit bzgl. der allgemeinen Fassung von Underachievement in der Literatur herrscht (Sparfeldt et al., 2014, S. 365). Diese Überlegungen stützen sich auf Ergebnisse, nach denen der IQ die schulischen Leistungen gut vorhersagt und Intelligenz und Schulleistung mittelhoch miteinander korrelieren (Greiten, 2012, S. 45).

Zur Bestimmung von Underachievern wird im deutschsprachigen Raum das Prozentrangverfahren bevorzugt. Es setzt für die Ermittlung des IQ und der Schulleistung gegebene Standards fest und benennt auf dieser Grundlage Cut-off-Werte (Badel, 2014, S. 132). Underachiever werden folglich von Hanses und Rost (1998, S. 56) mit einem IQ-Prozentrang ≥ 96 (IQ ≥ 126) und einem Leistungs-Prozentrang ≤ 50 definiert. Einen strengeren Wert verwenden einige andere Untersuchungen, der bzgl. des IQ-Wertes bei einem Prozentrang ≥ 98 (IQ ≥ 130) liegt. Wird hierbei die durchschnittliche Schulleistung mit einem Prozentrang von ≤ 50 festgelegt, befänden sich bei einer Korrelation von r = 0.45 bis r = 0.50 zwischen Intelligenz und Schulleistung unter den Hochbegabten knapp 12% Underachiever. Für die Untersuchung von 100 Underachievern auf der Grundlage der vorangegangenen Angaben, würden 830 Hochbegabte benötigt. Um 830 Hochbegabte mit einem IQ ≥ 130 ausfindig zu machen, müssten knapp 40000 Schüler diagnostisch untersucht werden. Liegt der Leistungs-Prozentrang ≤ 20, entspricht unterdurchschnittliche Schulleistung, und der IQ ≥ 130, wären rund 2% der Hochbegabten Underachiever. Da dementsprechend Underachiever unter Hochbegabten relativ selten vorkommen, beziehen sich empirische Studien zu diesem Thema fast immer auf kleine Stichproben (Rost & Sparfeldt, 2009, S. 142 f.).

Ein Grund für die verschiedenen theoretischen Ansätze bzgl. Underachievement liegt an dem breiten Interesse, welches die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen an diesem Thema haben. Es ist erstrebenswert, dass das Interesse interdisziplinär ist, welches jeweils einen eigenen Fokus auf das Underachievement besitzt. Im deutschsprachigen Raum liegt dieser vorwiegend unter individuell-psychologischer Perspektive auf das Individuum, das im Vergleich zu seinen gemessenen Leistungspotenzialen erwartungswidrig schlechte Leistungen erlangt. Die Gemeinsamkeiten der Definitionen fußen auf der Diskrepanz zwischen dem durch Tests ermitteltem Potenzial und der beobachteten Leistung, welche jeweils zum Ausgangspunkt der verschiedenen Untersuchungen herangezogen werden (Badel, 2014, S. 127 f.).

2.2 Diagnostik von Underachievement

Das im Kapitel 2.1 vorgestellte, im deutschsprachigen Raum bevorzugte Prozentrangverfahren, setzt für die Ermittlung des IQ-Wertes und der Schulleistung gegebene Standards fest und benennt auf dieser Grundlage Cut-off-Werte. Diese Cut-off-Werte sind willkürlich festgelegt. Aus diesem Grund ist es nicht bestimmbar, welche Diskrepanz zwischen Potenzial und Leistung die einwandfreie für die Ermittlung von Underachievern ist (Badel, 2014, S. 132 f.). Rost (2007, S. 8) bekundet in seiner Ausführung: „Wenn die Verteilungsformen (in der Regel bivariate Normalverteilung) der zu Grunde gelegten intellektuellen Leistungsfähigkeit (z. B. IQ) und des Schulleistungsindikators (z. B. standardisierte Schulleistungstests oder Zensuren) sowie die Korrelation dieser beiden Variablen (liegt üblicherweise bei r = 0.45 bis r = 0.50) bekannt sind, kann bei gegebener Diskrepanzdefinition der Anteil der möglichen Underachiever, also auch der hochbegabten Underachiever, genau kalkuliert werden“ (Rost, 2007, S. 8). Ferner bezeichnen Rost und Sparfeldt (2008, S. 58) unter anderem Underachiever als Schüler mit einem Intelligenzquotienten von IQ ≥ 130, dies entspricht ungefähr einem Prozentrang von PR ≥ 98, und höchstens durchschnittlicher Schulleistung, entspricht einem Prozentrang von PR ≤ 50, dann sind rund 12% der Hochbegabten (IQ ≥ 130) Underachiever. Jedoch fügt Badel (2014, S. 135) an, dass diese 12% mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Öffentlichkeit eklatant überschätzt wird. Greiten (2012, S. 48) bestärkt dieses und verweist auf die Schulpraxis, in der häufiger diejenigen Schüler auffallen, welche nur sehr niedrige Schulleistungen bei gleichzeitiger Hochbegabung erzielen und zudem noch Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten aufweisen.

Es wird deutlich, dass die Diagnostik von Underachievern untrennbar mit ihrer Definition und den festgelegten Cut-off-Werten verbunden ist. Die begriffliche Varianz des Kriteriums der Minderleistung zeigt sich noch größer. Es unterscheiden sich hierbei nicht nur die zugrunde gelegten Schwellenwerte, sondern auch die festgesetzten Grundgesamtheiten, z. B. Schule, Klasse bzw. untersuchte Gesamtgruppe sowie das Leistungskriterium, unter anderem Notendurchschnitt, standardisierte Leistungstests bzw. Abweichungen zwischen vorhergesagter und tatsächlicher Leitung, selbst (Badel, 2014, S. 137).

Nichtsdestotrotz ist die Bestimmung der Intelligenz von zentraler Bedeutung für das Prozentrangverfahren, um einen IQ-Wert zu bestimmen. Die Messung des Intelligenzquotienten wird anhand eines aktuellen und normierten Intelligenztests ermittelt (Rost & Sparfeldt, 2009, S. 140). Ein Intelligenztest ist eine Sammlung von Aufgaben, bei denen die Testentwickler davon ausgehen, dass sie Aufschluss über die Intelligenzleistung des Getesteten geben können (Holling & Kanning, 1999, S. 24).

Seit dem Aufkommen psychologischer Tests zu Anfang des 20. Jahrhunderts ruht ein unidimensionaler Hochbegabungsbegriff mit einer Schwerpunktsetzung auf der allgemeinen Intelligenz „g“ im Vordergrund. Er ist solide zu operationalisieren und führt vergleichsweise zu einem homogenen Begriffsverständnis (Rost, 2008, S. 10). Intelligenztests, die „g“ messen, eigenen sich sehr gut für die Prognose vieler externer Kriterien, z. B. Erfolg in der Schule, in der Universität oder in der Ausbildung. Des Weiteren erzielen Talentierte in Intelligenztests praktisch nie unterdurchschnittliche Werte und intellektuell einseitige Spitzenbegabungen stellen eine Ausnahme dar (Rost, Sparfeldt, & Wirthwein, 2009, S. 470). Weiterhin fügen Rost, Sparfeldt und Schilling (2006, S. 198) an, dass die allgemeine Intelligenz „g“, zusammen mit der Erfassung bereichsspezifischen Wissens, eine sehr gute Vorhersage in unterschiedlichen Bereichen erlaubt und „g“ als Fähigkeit zum Lernen verstanden werden kann. Für die Orientierung an „g“ gibt es psychologische, methodische und erfassungspraktische Gründe, zumal kognitionspsychologische Indikatoren eine alternative Operationalisierung der allgemeinen Intelligenz „g“ darstellen (Rost, 2008, S. 10 f.).

Eine einheitliche Definition bzgl. der Intelligenz ist nicht vorhanden. Es existieren dementsprechend zahlreiche Definitionsangebote. Auf Grundlage zahlreicher empirischer Arbeiten besteht ein breites konsensfähiges Verständnis dafür, dass zur Intelligenz ein hierarchisch organisiertes Set spezifischer variabler und kognitiver Fähigkeiten gehört. Dieses Set enthält bspw. die Bereiche Wortschatz, verbale Produktion, numerische und räumliche Fähigkeiten, Gedächtnisleistungen, Wahrnehmungsgeschwindigkeiten und schlussfolgerndes Denken. Ein von vielen Intelligenzforschern akzeptiertes Modell intellektueller Fähigkeiten, welches als adäquater Integrationsversuch betrachtet werden kann, stellt das 3-Ebenen-Modell der Intelligenz von Carroll (1993) dar (Spinath, 2010, S. 12 f.). Auf der Basis einer Vielzahl faktoranalytischen Studien entwickelte Carroll auf induktivem Weg ein übergreifendes hierarchisches Strukturmodell der Intelligenz (Rost, 2009, S. 59). An der Spitze dieses Modelles, d.h. auf der dritten, oberen Ebene befindet sich ein Faktor allgemeiner (general) Intelligenz oder „g“. Auf der zweiten, mittleren Ebene, befinden sich unterschiedliche Fähigkeitsbereiche. Diese hängen in einer Reihe von links nach rechts abnehmend stark mit dem „g“-Faktor zusammen. Auf der untersten Ebene sind insgesamt 69 Primärfaktoren von Carroll angeordnet. Hierzu zählen unter anderem spezifische Fähigkeiten wie schlussfolgerndes Denken, abstraktes Problemlösen oder auch Sprachverständnis (Spinath, 2010, S. 13). Die umfangreichen Auswertungen sowie der große Datensatz verdichten die bis dahin umfassende Diskussion der inhaltlichen Auswahl und strukturellen Anordnungen der Fähigkeitsbereiche der Intelligenz (Badel, 2014, S. 60). Rost (2009, S. 61) ergänzt hierzu, dass die langandauernde Auseinandersetzung mit dem psychomotorischen „g“ oder dem psychomotorischen Gruppenfaktor zum Vorteil von „g“ und dem Gruppenfaktor aufgehoben ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: 3-Ebenen-Modell der Intelligenz nach Carroll (1993) (Spinath, 2010, S. 13)

Ein anderes hierarchisches Faktorenmodell der Intelligenz zeigte Cattell (1963) auf (Holling & Kanning, 1999, S. 27). Die kognitiven Voraussetzungen, welche nötig sind für die Erwerbung und Anwendung von Wissen, stellen für Cattell die Intelligenz dar. Nach seiner Auffassung ist das Wissen die investierte Intelligenz. In seinem Intelligenzmodell fasst er unter dem Begriff Intelligenz u. a. sprachlich- bzw. kulturelles gebundenes Wissen als benannte „wissensarme“. Von einem übergeordneten Faktor „g“ der allgemeinen geistigen Veranlagung geht Cattell aus und nimmt zwei breite sekundäre Dimensionen der Intelligenz an. Die „fluide“ und die „kristalline“ Intelligenz (Badel, 2014, S. 56).

Die kristalline Intelligenz ist ein von der Kultur abhängiger Intelligenzfaktor. Es umfasst Denk- und Urteilsprozesse, die kulturell entstanden sind und sich über Erfahrungen und Vorwissen entwickeln. Dementsprechend sind es kognitive Fähigkeiten, die von der Umwelt beeinflusst werden können. Diese Fähigkeiten sind für die Bewältigung von bildungsmäßigen, sozialen und kulturellen Anpassungsaufgaben wichtig. Höher korreliert die kristalline Intelligenz mit kognitiven Leistungen, bei denen grundlegend allgemeine Fähigkeiten durch wiederholte Lernerfahrungen zum Tragen gekommen sind (Badel, 2014, S. 56).

Die fluide Intelligenz definiert Cattell als eine von der „[…] Funktionstätigkeit hirnphysiologischer Prozesse abhängige, vorwiegend erbbedingte und wenig durch Lernen beeinflussbare Intelligenz“ (Holling & Kanning, 1999, S. 27). Sie ist bestimmt durch Fähigkeiten zur Lösung von Aufgaben mit neuartigen und komplexen Sachverhalten. Prozesse des Erkennens von Problemlösen, Beziehungen, induktives Denken und auch allgemeine Prozesse der intellektuellen Verarbeitungsgeschwindigkeit und der Aufmerksamkeit zählen hierzu. Kulturelle Einflüsse fallen dabei kaum in das Gewicht (Badel, 2014, S. 56 f.).

Nach Cattell sind kristalline und fluide Intelligenz „hoch kooperativ“. In den meisten Tests bilden sie ein Konglomerat, die Basis für den Intelligenzquotienten. Er entwickelte kulturfaire und sprachfreie Intelligenztests. Der CFT-20-Test bezieht sich größtenteils auf die Messung der fluiden Intelligenz und zeigt damit auf, was Individuen leisten können, falls sie in einer optimalen Umwelt mit individueller Förderung leben würden. Dieser fußt auf dem „Culture Fair Intelligence Test“, Scale 2 von Cattell (1960) und ist einsetzbar für Jugendliche und Erwachsene mit einfacher Schulbildung im Alter von 8 bis 70 Jahren (Badel, 2014, S. 57 f.).

Der Grundintelligenztest Skala 2 (CFT 20) hat das Ziel, den Faktor der flüssigen Intelligenz zu erfassen. Aus diesem Grund werden ausschließlich nonverbale Testaufgaben verwendet, welche Sprachbarrieren aufheben (Holling & Kanning, 1999, S. 36). Ferner misst der Test nicht, was in schulischen Lern- oder in familiären Sozialisationsprozessen gelernt wurde, sondern unversetzt die milieuunabhängige Intelligenz, welche frei ist von äußeren Einflüssen (Badel, 2014, S. 33). In vier Untertest gliedert sich der CFT 20, bei denen Figuren fortgesetzt, Figuren klassifiziert, Figurenmatrizen vervollständigt und topologische Schlussfolgerungen gezogen werden sollen. Diese Untertests bestehen aus sprachfreien, in zeichnerisch dargestellten und nach Schwierigkeit geordneten Einzelaufgaben. Der CTF 20 wird im dem Bereich der pädagogischen Diagnostik, d.h. in erster Linie für schulpsychologische, bildungs-, erziehungs- und berufsberatende Fragestellungen angewendet. Die ermittelten Rohwerte durch den Test lassen sich in klassenspezifische IQ-Werte modifizieren. Damit liefert der CTF 20 Test einen fundamentalen Beitrag für das Prozentrangverfahren (Holling & Kanning, 1999, S. 36).

2.3 Persönlichkeitsmerkmale von Underachievern

Der im Abschnitt 2.2 vorgestellte Intelligenztest CFT 20 ermittelt das Intelligenzpotenzial eines Schülers mit einfacher Schulbildung, welches für das Prozentrangverfahren relevant ist. Darüber hinaus sind unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmal von Underachievern nötig, denn sie beeinflussen unter anderem die Schulleistung (Sparfeldt et al., 2014, S. 366).

Im Prozentrangverfahren wird sowohl der IQ-Wert als auch die Schulleistung des Schülers erfasst und auf Grundlage dessen Cut-off-Werte benannt (Badel, 2014, S. 132). Im folgenden Abschnitt werden verschiedene Persönlichkeitsmerkmale von Underachievern vorgestellt.

Zunächst wird eine allgemeine Bestimmung für den Persönlichkeitsbegriff herangezogen, welche einen groben Orientierungsrahmen für die in dieser Arbeit betrachteten Variablen bieten kann. Hermann (1991, S. 25) beschreibt die Persönlichkeit als ein einzigartiges, relativ überdauerndes und stabiles Verhaltenskorrelat eines Menschen. Die Persönlichkeit als Verhaltenskorrelat bedeutet, dass die Persönlichkeit und das Verhalten grundsätzlich nicht gleichgesetzt werden können. Die Persönlichkeitseigenschaften sind latente Variablen, welche nicht direkt beobachtbar sind, vielmehr beeinflussen sie das Verhalten. Dieses ist zudem abhängig von anderen Faktoren, z. B. der jeweiligen Rolle und Situation, in der sich das Individuum befindet (Badel, 2014, S. 332 f.).

Stamm (2007, S. 332) erklärt, dass die besten untersuchten Persönlichkeitsvariablen die Motivation und das Selbstkonzept von Underachievern sind. Hierbei stellt sich ein problematisches Bild heraus, welches Rost (2007, S. 8) als „Underachievement-Syndrom“ bezeichnet. Dieses attestiert Underachievern Motivationsdefizite, fehlende oder aufgabenunspezifische Lernstrategien und Arbeitstechniken, niedrige Selbstkonzepte und mehrfach psychosoziale Probleme (Sparfeldt et al., 2014, S. 368). Das genannte „Underachievement-Syndrom“ scheint auch relativ zeitstabil zu sein, so Rost (2007, S. 8). Des Weiteren zeichnen sich Underachiever laut Sparfeldt et al. (2014, S. 368) durch eine „[…] höhere Furcht vor Erfolg, niedrige Erfolgs- und höhere Misserfolgsmotivation, höhere Leistungsängstlichkeit, unrealistische Ziele, eher externale Kontrollüberzeugungen, geringere Leistungsorientierung sowie Perfektionismus aus“ (Sparfeldt et al., 2014, S. 368).

[...]


[1] Aus Gründen einer besseren Lesbarkeit gelten Personenbezeichnungen in der Arbeit für beide Geschlechter.

Excerpt out of 38 pages

Details

Title
Underachievement in der beruflichen Bildung
College
University of Göttingen
Grade
2,0
Author
Year
2015
Pages
38
Catalog Number
V354665
ISBN (eBook)
9783668407046
ISBN (Book)
9783668407053
File size
2593 KB
Language
German
Keywords
Underachievement, berufliche Bildung
Quote paper
Marvin Munke (Author), 2015, Underachievement in der beruflichen Bildung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/354665

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