Gewalt in Medien als Ursache gesellschaftlicher Gewalt? Zwei qualitative Studien und ihre Schlussfolgerungen


Seminar Paper, 2003

18 Pages, Grade: 1,3


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Gewaltbegriff
2.1 Personale Gewalt
2.2 Strukturelle Gewalt
2.3 Gewalt in den Medien

3. Gewalt und Medien aus der Sicht zweier Studien
3.1 Die qualitative Sozialforschung
3.2 Die Rezeption fiktionaler Gewalt
3.3 Die Rezeption nichtfiktionaler Gewalt
3.3 Vergleich der vorgestellten Studien
3.3.1 Gemeinsamkeiten
3.3.2 Unterschiede

4. Gewalt in Medien als Ursache gesellschaftlicher Gewalt?

5. Literaturverzeichnis:

1. Einleitung

Gewalt in den Medien ist ein Thema, welches immer dann breit diskutiert wird, wenn es zu besonders grausamen Akten physischer Gewaltanwendung gekommen ist. Dies war insbesondere nach dem Amoklauf von Erfurt zu beobachten, als der vielfache Mord eines Schülers an LehrerInnen, MitschülerInnen, einer Sekretärin und einem Polizisten überwiegend als Reaktion auf den übermäßigen Konsum gewaltverherrlichender Computerspiele beschrieben wurde. Doch auch weniger intensiv diskutierte Gewalttaten zeigen ähnliche Rezeptionsmuster:

Nach dem Mord an einem 17-jährigen Schüler im uckermärkischen Potzlow kam die Berliner Morgenpost vom 26.05.03 (Mielke, 2003) zu der Erkenntnis, dass sich das Leben und Handeln der rechtsradikalen Täter mit dem Film "American History X" vergleichen lässt. Denn genau wie im Film wurde das Opfer gezwungen, "in die Kante eines Bürgersteigs zu beißen", um "ihm einen tödlichen Tritt in den Nacken" (Mielke, 2003) zu versetzen. Diese Analyse, die gesellschaftliche Prozesse nicht beleuchten will, sondern Gewalt in der Realität immer mit Gewalt in den Medien in Verbindung bringt, indem sie diese aus jener ableitet, führt dazu, dass das Individuum von der Verantwortung für das eigene Handeln entlastet wird und endet konsequenterweise in Forderungen, bestimmte Ausformungen medialer Gewalt (zumindest für Jugendliche) zu verbieten, sprich den Jugendschutz zu stärken. Welche Ausformungen medialer Gewalt betroffen sein sollen, hängt dabei stark vom politischen oder gesellschaftlichen Standpunkt ab und kann von der Fernsehserie "die Simpsons" bis hin zum Computerspiel "Counterstrike" alles treffen, was als nicht akzeptabel für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen betrachtet wird.

Diese Arbeit wird sich der Frage widmen, wie Kinder und Jugendliche sowohl fiktionale, als auch nichtfiktionale Gewalt im Fernsehen rezipieren und ob sich vor dem Hintergrund der Ergebnisse moralisierende Verbotsdebatten als sinnvoll erweisen.

Kapitel 2 wird versuchen den Gewaltbegriff einzugrenzen, Kapitel 3 wird sich mit der Auswertung zweier qualitativer Studien beschäftigen und Kapitel 4 wird Raum für Schlussfolgerungen bieten. Auf eine Beschäftigung mit kommunikationswissenschaftlichen Medienwirkungstheorien werde ich in diesem Rahmen aus Platzgründen verzichten. Ich verweise an dieser Stelle auf G. Maletzkes (1988) kompakte Darstellung zur Thematik.

2. Der Gewaltbegriff

Sich dem Gewaltbegriff zu nähern, bedeutet zuerst einmal zu versuchen, verschiedene Gewaltebenen zu differenzieren. Gesellschaftliche Diskurse beziehen sich zuvorderst auf physische Gewaltphänomene, was sich auch auf die Forschung zur Gewaltthematik auswirkt. Bei der Beschäftigung mit Gewalt und Medien wird unter Gewalt vornehmlich "das Hauen und Stechen verstanden, das in den verschiedenen Unterhaltungsmedien in vielfältigen Variationen mal mehr, mal weniger blutrünstig in Szene gesetzt ist. Jenseits der fiktional inszenierten Gewaltpräsentation werden gerade noch Katastrophen- und Kriegsberichte der Medien damit assoziiert." (Theunert, 1997, S.126/127) Diese Konzentration auf einen Ausschnitt von Gewalterscheinungen führt zu einer inhaltlichen Reduktion des Begriffes von "Gewalt" und somit zu einer verkürzten Analyse. Für das medienpädagogische Ziel, gesellschaftliche Debatten mitzuprägen, kann dies nicht nützlich sein, da komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge so nicht fassbar sind.

Gewalt lässt sich in einer ersten umfassenden Definition als "Manifestation von Macht und/ oder Herrschaft, mit der Folge und/ oder dem Ziel der Schädigung von einzelnen oder Gruppen von Menschen" (Theunert, 1996, S.59) beschreiben. Dieser Gewaltbegriff wird wiederum in Personale und Strukturelle Gewalt unterteilt. (vgl. Theunert, 1997, S. 128-130)

2.1 Personale Gewalt

Personale Gewalt ist "die beabsichtigte physische und/ oder psychische Schädigung einer Person, von Lebewesen und Sachen durch eine andere Person." (Kunczik, 1998, S. 13) Diese personalen Gewaltverhältnisse sind normalerweise auf allen Stufen beobachtbar: "in der ausübenden Person und der Gewalttat, in der betroffenen Person und ihrer Schädigung". (Theunert, 1997, S. 130) Das bedeutet, dass sowohl bspw. Schläge, Tritte und Erschießen als physische, als auch bspw. Beleidigungen, Drohungen und Einschüchterungen als psychische Gewaltakte Teil dieser Definition personaler Gewalt sind und sich diese Definition auf situative Machtverhältnisse bezieht, was heißt, dass diese Machtverhältnisse von einem konkreten Moment abhängig und jederzeit wandelbar sind, weil sie auf einer individuellen Ebene reproduziert werden, jedoch nicht unbedingt allein durch individuelle Bedingungen erklärt werden können. Dies resultiert aus der engen Verknüpfung von personaler und struktureller Gewalt, wobei strukturelle Gewaltverhältnisse oft die Voraussetzungen für personale Gewalt schaffen.

2.2 Strukturelle Gewalt

"Strukturelle Gewalt ist in die Grundlagen einer Gesellschaft integriert und äußert sich in dauerhaften Zuständen der Ungleichverteilung von Lebens- und Verwirklichungschancen." (Theunert, 1997, S.130) Das heißt, "sie äußert sich, ohne dass ein konkreter Akteur sichtbar sein muss und ohne dass sich das Opfer der strukturellen Gewalt (...) bewusst sein muss" (Kunczik, 1998, S. 14)

Wenn wir ein strukturelles Gewaltverhältnis, wie bspw. den Rassismus, welches in die Grundlagen der Gesellschaft auf mannigfaltige Weise eingewebt ist, betrachten, kann man sehr wohl die Folgen dieser strukturellen Gewalt beobachten, aber nicht unbedingt die Ursache; diese muss erschlossen werden. Wenn Neonazis einen Menschen aufgrund seiner Hautfarbe verprügeln oder gar umbringen, dann ist dies zuerst einmal personale Gewalt: die Akteure und die Gewalt; die Opfer und die Schädigungen, alles ist beobachtbar. Dies als personale Gewalt zu begreifen, hat den Vorteil, den oder die Täter direkt für sein Handeln verantwortlich zu machen.

Jedoch ist das gesellschaftliche Umfeld, inklusive Gesetzgebung, so beschaffen, dass Menschen ohne deutschen Pass systematisch bzw. strukturell benachteiligt werden. Dies beruht auf einem gesellschaftlich verbindenden Ressentiment gegenüber 'dem Fremden' (In-Group versus Out-Group) und den benutzten Kollektivsymboliken: "Das eigene System wird durch Symbole codiert, die mit Ordnung und Rationalität verbunden werden, das Außensystem wird durch chaotische, nicht berechenbare Ereignisse und Zustände präsentiert. So ist zum Beispiel die Flutmetapher als Kollektivsymbol in der Presse besonders häufig anzutreffen. Oft ist von 'Asylantenflut' oder auch vom 'Flüchtlingsstrom', den es 'einzudämmen' gelte, die Rede." (Jäger et al, 1998, S. 22) Jäger et al kommen in der Folge bei der Betrachtung der medialen Beschreibung ausländischer Straftäter wenig überraschend zu dem Ergebnis, dass genau die beschriebenen Kollektivsymboliken von Innen versus Außen oder Ordnung versus Unordnung auch in den Berichten über Straftaten wieder auftauchen (Vgl. Jäger et al, S.162-163). Wenn eine Gesellschaft diese Art von "Ungleichverteilung von Lebens- und Verwirklichungschancen" (Theunert, 1997, S.130) in das alltägliche Leben eingebettet hat - und dies spiegelt sich in Gesetzen wieder, die Ausländer immer nur aus dem Blickwinkel des Kostenfaktors betrachten bzw. in polizeilicher Praxis, Menschen nur aufgrund ihrer Erscheinung bzw. ihre Hautfarbe zu kontrollieren - dann ist dies ein Paradebeispiel für strukturelle Gewalt, bei dem zusätzlich ein weiteres Kriterium, nämlich das der gesellschaftlichen Vermeidbarkeit (vgl. Theunert, 1997, S. 130), erfüllt ist.

Diese strukturelle Gewalt wird zu EINER Voraussetzung personaler Gewalt, wenn rechtsradikale Täter sich nach ihren rassistischen Gewaltattacken auf einen gesellschaftlichen Konsens bzw. gesellschaftliche Strukturen berufen, sich in der Rolle des konsequenten Vollstreckers des Willens der Gemeinschaft sehen und somit im konkreten auch kein Unrechtsempfinden besitzen (können). Allerdings sollte man vorsichtig sein, physische, rassistische Gewalt NUR über die zugrundeliegenden Strukturen zu erklären, da dies sehr schnell zu einer Position führt, die den Menschen als quasi willenlos der Sozialisation ausgesetztes Wesen charakterisiert. Dies könnte wiederum nicht erklären, warum Menschen antirassistische Positionen vertreten. In dieser Analogie gilt der selbe Schluss für alle strukturellen Gewaltverhältnisse (bspw. Kapitalismus, Umweltverschmutzung etc.).

Wie sich also in diesem Abschnitt zeigte, stehen strukturelle und personale Gewalt in enger Verbindung zueinander. Der gesellschaftliche Fokus auf personale Gewalttaten wird somit noch unverständlicher.

2.3 Gewalt in den Medien

"Zum einen reproduzieren die Medien reale Gewalt, zum anderen haben die Medien einen aktiven Anteil an der Produktion von struktureller Gewalt." (Theunert, 1997, S.130, kursiv im Original) Zum einen bedeutet dies, dass aus der kommunikationswissenschaftlichen Erkenntnis, dass die Funktion des Journalismus die ist, "aktuelle Informationsangebote aus den diversen sozialen Systemen (Umwelt) zu sammeln, auszuwählen, zu bearbeiten und dann diesen sozialen Systemen (Umwelt) wieder zur Verfügung zu stellen" (Weischenberg, 1994, S.429), folgt, dass Medien reale Gewalt aufgreifen und in bearbeiteter Form den Rezipienten zur Verfügung stellen. Dies beinhaltet auf einer logischen Ebene eine Reduktion komplexer Gewaltverhältnisse mit dem Ziel, Realität und somit auch nichtfiktionale Gewalt vereinfacht darzustellen. Realität wird somit konstruiert. "Durch Präsentation, und Kommentierung der Berichte mit fernsehspezifischen Mitteln und Techniken [...], durch Versprachlichung werden Inhalte verändert und gleichzeitig kommentiert." (Merten, 1999, S.32) Diese Reproduktion realer Gewalt durch vereinfachte Realitätsdarstellung mittels Nachrichtenproduktion, die auf der Rezeption der Gewaltereignisse, nicht aber der Hintergründe beruht, lässt sich mit einem schlichten "Es bombt und tickt überall!" (Jäger et al, 1998, S. 36) zusammenfassen und führt direkt zu den aktiven Anteilen der Produktion struktureller Gewalt. Da eine komplexe Welt auf physische Gewalttaten reduziert wird, verfestigen sich In-group und Out-Group-Rollen und strukturelle Gewalt wird aktiv produziert, da die Welt 'da draußen' bedrohlich und fremd erscheint und von medialer Darstellung immer mit Klischees vermischt wird; Klischees, "mit denen Personengruppen, Beziehungen zwischen Menschen, menschliches Verhalten und Handeln, gesellschaftliche Institutionen, Konflikte und Konfliktlösungen, gesellschaftliche Verhältnisse und Problembereiche gleichermaßen typisiert werden." (Theunert, 1997, S.131)

Medien nehmen somit keine Rolle ein, die Erkenntnisgewinn verspricht, sondern produzieren Gut-Böse-Schemas und bestätigen somit Denkmodelle, die den Problemen der Welt nicht gerecht werden.

3. Gewalt und Medien aus der Sicht zweier Studien

3.1 Die qualitative Sozialforschung

Die zwei im folgenden vorgestellten Studien wurden mittels qualitativer Methoden erhoben. Die qualitative Sozialforschung grenzt sich insbesondere durch drei entscheidende Punkte von der quantitativen Methode ab:

"1. Subjektbezogenheit,
2. Offenheit bezüglich der Fragen, Antworten und Methoden
3. Untersuchung in alltäglichen Situationen" (Dieckmann, 2002, S. 444)

Das bedeutet, dass die qualitative Forschung sich durch Offenheit im Untersuchungsdesign auszeichnet. Im Gegensatz zu den festen Standardisierungen der quantitativen Untersuchungen wird hier nur ein Thema vorgegeben und die Art und Weise, wie sich die Studie entwickelt, hängt von den Inhalten der Aussagen der befragten Personen ab.

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Details

Title
Gewalt in Medien als Ursache gesellschaftlicher Gewalt? Zwei qualitative Studien und ihre Schlussfolgerungen
College
University of Leipzig  (Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft)
Course
Seminar Medienpädagogik
Grade
1,3
Author
Year
2003
Pages
18
Catalog Number
V36172
ISBN (eBook)
9783638358651
File size
545 KB
Language
German
Keywords
Gewalt, Medien, Ursache, Gewalt, Zwei, Studien, Schlussfolgerungen, Seminar, Medienpädagogik
Quote paper
Matthias Kießling (Author), 2003, Gewalt in Medien als Ursache gesellschaftlicher Gewalt? Zwei qualitative Studien und ihre Schlussfolgerungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36172

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