Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Grundzügen des Rechtsinstituts „Richtervorbehalt“. Der Richtervorbehalt wird an sich kurz vorgestellt, in verschiedene Arten unterteilt und in einem weiteren Schritt der Praxisbezug hergestellt. Viele Maßnahmen – sowohl polizeirechtlicher als auch strafrechtlicher Art – unterliegen einem Richtervorbehalt. Vier Maßnahmen, welche in der nahen Vergangenheit Schlagzeilen machten und gleichzeitig Alltagsgeschäft der entsprechenden Behörden sind, sollen erläutert werden. Ferner wird kurz dargestellt, welche Probleme mit den entsprechenden Maßnahmen einhergehen und welche Möglichkeiten bestehen könnten, diesen Problemen Herr zu werden. Wird das Polizeigesetz angesprochen, so handelt es sich um das des Landes NRW.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Richtervorbehalt
2.1. Was versteht man unter dem Begriff „Richtervorbehalt“?
2.2. Behördenleitervorbehalt
2.3. Arten der Richtervorbehalte
2.3.1. Verfassungs- und einfachgesetzliche Richtervorbehalte
2.3.2. Primäre und sekundäre Richtervorbehalte
3. Rechtsprechung im Hinblick auf Richtervorbehalte
3.1. Urteil vom 20.02.2001 zu Art. 13 II GG
3.1.1. Sachverhalt
3.1.2. Leitsätze zur Entscheidung des BVerfG
3.2. Beschluss vom 15.05.2002 zu Art. 104 II GG
3.2.1. Sachverhalt
3.2.2. Leitsätze zur Entscheidung des BVerfG
4. Umsetzung des Richtervorbehaltes
4.1. Relevante Vorschriften
4.2. Wohnungsdurchsuchung gem. Art. 13 II GG
4.2.1. Anordnungskompetenzen
4.2.2. Gefahr im Verzug
4.2.3. Rolle der Exekutive
4.2.4. Vollstreckungsfristen
4.2.5. Übertragung der Entscheidung vom 20.02.2001 auf andere Richtervorbehalte?
4.2.6. Verwertungsverbot
4.3. Freiheitsentziehungen gem. Art. 104 II GG
4.3.1. Begriff der Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung
4.3.2. Gefahr im Verzug
4.3.3. Nachträgliche richterliche Entscheidung
4.4. Richtervorbehalt im Zusammenhang mit
Telefonüberwachungsmaßnahmen
4.4.1. Zustandekommen des Berichts
4.4.2. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchung
4.4.3. Rolleneinschätzung der Beteiligten
4.4.4. Fazit des Berichts
4.5. DNA-Analysen unter Richtervorbehalt
4.5.1. Der „gläserne“ Mensch?
4.5.2. Gleichsetzung der DNA-Maßnahmen mit § 81 b StPO
4.5.3. Freiwilligkeitserklärung der DNA-Abgabe
4.5.4. Justizministerkonferenz und die Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes
4.5.5. Fazit
4.5.6. Gesetzesinitiative von CDU/CSU
4.6. Anderweitige allgemeine Problembereiche
4.6.1. Der „unwillige“ Bereitschaftsrichter
4.6.2. Erreichbarkeit des Richters
4.6.3. Prüfung des Sachverhalts und Anordnung einer Maßnahme durch den Richter
5. Lösungsansätze
5.1. Zentraler Ermittlungsrichter
5.2. Verbesserte Geschäftsverteilung bei den Gerichten
5.3. Berichtspflichten auf Bezirksebene
5.4. Schlusswort / Stellungnahme des Verfassers
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Grundzügen des Rechtsinstituts „Richtervorbehalt“. Der Richtervorbehalt wird an sich kurz vorgestellt, in verschiedene Arten unterteilt und in einem weiteren Schritt der Praxisbezug hergestellt. Viele Maßnahmen – sowohl polizeirechtlicher als auch strafrechtlicher Art – unterliegen einem Richtervorbehalt. Vier Maßnahmen, welche in der nahen Vergangenheit Schlagzeilen machten und gleichzeitig Alltagsgeschäft der entsprechenden Behörden sind, sollen erläutert werden. Ferner wird dargestellt, welche Probleme mit den entsprechenden Maßnahmen einhergehen und welche Möglichkeiten bestehen könnten, diesen Problemen Herr zu werden. Wird das Polizeigesetz angesprochen, so handelt es sich um das des Landes NRW.
2. Der Richtervorbehalt
2.1. Was versteht man unter dem Begriff „Richtervorbehalt“?
Richtervorbehalt bedeutet zunächst nichts anderes, als dass bestimmte Maßnahmen, die ihre Grundlage überwiegend in den Polizeigesetzen der Länder (PolG), in der Strafprozessordnung (StPO) und im Grundgesetz (GG) finden, zur Anordnung einem Richter vorbehalten sind.
Richtervorbehalte sind seit ca. 120 Jahren in der StPO, seit ca. 20 Jahren in den Polizeigesetzen und seit rund 50 Jahren im GG zu finden.[1]
Durch den Richtervorbehalt sollen die Betroffenen bei missbrauchsanfälligen und schwerwiegenden Maßnahmen, die regelmäßig bevorstehen oder noch andauern[2], einen besonderen Grundrechtsschutz genießen. Dieser wird dadurch gewährleistet, da der Richter als unabhängige und neutrale Kontrollinstanz[3] völlig wertfrei die durch die Strafverfolgungsbehörden beantragte Maßnahme bewerten und sodann entweder anordnen oder ablehnen kann. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einer seiner Entscheidungen deutlich gemacht.[4] Gerade auch weil bei den meisten Grundrechtseingriffen mit Richtervorbehalt der Betroffene von der beabsichtigten Maßnahme vorher keine Kenntnis erlangt, stellt der Richtervorbehalt einen kompensatorischen Ersatz im Hinblick auf fehlendes rechtliches Gehör dar.[5] Auf rechtliches Gehör hat vor Gericht gem. Art. 103 I GG im Regelfall jedermann Anspruch.
2.2. Behördenleitervorbehalt
Zur Abgrenzung an den Richtervorbehalt sei kurz erwähnt, dass bestimmte Maßnahmen in Polizeigesetzen auch einem sogenannten Behördenleitervorbehalt unterliegen. In diesem Falle gibt es Vorschriften im Gesetz, die dem Behördenleiter entweder die alleinige Kompetenz zur Anordnung einer Maßnahme übertragen (z.B. § 16 II PolG zur längerfristigen Observation) oder auch dass ein Antrag an den Richter nur durch den Behördenleiter vorgenommen werden darf (z.B. § 31 IV PolG zur Rasterfahndung).
2.3. Arten der Richtervorbehalte
2.3.1. Verfassungs- und einfachgesetzliche Richtervorbehalte
Grundsätzlich lassen sich die Richtervorbehalte zunächst in jene von verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Art unterteilen.[6] Verfassungsrechtliche Richtervorbehalte, wie der Name schon sagt, ergeben sich aus dem GG selbst und schlagen sich in den Artikeln 13 II, III – V, 104 II nieder. Richtervorbehalte einfachgesetzlicher Art sind durch das gängige Gesetzgebungsverfahren in die Gesetze des Bundes und der Länder eingeflossen (StPO, PolG u.a.).
2.3.2. Primäre und sekundäre Richtervorbehalte
Eine weitere Unterteilung lässt sich in die Sparte der primären und sekundären Richtervorbehalte vornehmen.
So sind primäre Richtervorbehalte diejenigen, bei der der Richter entscheidet, bevor eine entsprechende Maßnahme vollzogen wird und sekundäre solche, bei der eine Mitwirkung des Richters nach einer getroffenen Maßnahme durch die Strafverfolgungsbehörden stattfindet.[7]
Auch diese lassen sich weiter aufschlüsseln. So gehören zu den primären Richtervorbehalten die ausschließlichen Richtervorbehalte, bei denen der Richter ohne Ausnahme für die Anordnung der Maßnahme zuständig ist (z.B. § 98 I 2 StPO zur Beschlagnahme in Räumen von Verlagen etc.), sowie der Richtervorbehalt mit Ausnahmekompetenz im Eilfall (z.B. § 105 I StPO zur Durchsuchung und Gefahr im Verzug), der Richtervorbehalt mit Delegationsbefugnis (z.B. § 100 III StPO zur Postbeschlagnahme) und die richterliche Zustimmung (z.B. § 110 b II 1 StPO zum Einsatz verdeckter Ermittler), die auf die besondere Antragsabhängigkeit der richterlichen Entscheidung hinweist.[8]
Zu den sekundären Richtervorbehalten gehören die richterliche Bestätigung nach erfolgter Eilmaßnahme (z.B. § 98 II StPO zur Beschlagnahme), die Verlängerung einer bestehenden Maßnahme (§ 28 III BGSG zur Observation u.a.) und wiederum die nachträgliche richterliche Zustimmung (§ 110 b II 4 StPO zum Einsatz verdeckter Ermittler).[9]
Diese grobe Gliederung über die Bedeutung des Richtervorbehalts und dessen Einteilung in verschiedene Arten soll an dieser Stelle zur Verschaffung eines Überblicks über dieses Rechtsinstitut genügen.
3. Rechtsprechung im Hinblick auf Richtervorbehalte
Der Richtervorbehalt war in der längeren Vergangenheit eher weniger Diskussionen ausgesetzt und in Frage gestellt worden. Jedoch hatte dies durch Urteile des BVerfG eine Wende genommen und es wurde von Rechtsprechungsseite einiges im Hinblick auf den Richtervorbehalt hervorgehoben und klargestellt.
Zwei bedeutende Urteile sollen an dieser Stelle zunächst mit den Sachverhaltsschilderungen sowie den veröffentlichten Leitsätzen der Entscheidungen dargestellt werden.
3.1. Urteil vom 20.02.2001 zu Art. 13 II GG
3.1.1. Sachverhalt
„Eine Dienststelle der Polizei hatte im Zuge von Ermittlungen in anderer Sache den Verdacht geschöpft, einer ihrer Kollegen könne Dienstgeheimnisse verletzt haben und korrupt sein. Sie setzte die zuständige Staatsanwaltschaft davon in Kenntnis, welche eine richterliche Vernehmung der Belastungszeugin veranlasste. Die Vernehmung fand schon 50 Minuten nach der Beantragung statt. Aus organisatorischen Gründen übernahm eine andere Dienststelle der Polizei die weiteren polizeilichen Ermittlungen. Diese hielt es am Folgetag für erforderlich, bei dem verdächtigen Polizeibeamten unverzüglich zu durchsuchen, weil anzunehmen sei, dass sich beweiserhebliche Daten auf dessen PC befänden und jederzeit gelöscht werden könnten. Nach telefonischer Rücksprache ordnete die Staatsanwaltschaft in dieser Lage gegen Mittag die Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug an. Sie wurde noch am selben Tag durchgeführt und verlief ergebnislos. Der Beschuldigte wandte sich nachträglich an Amts- und Landgericht, welche die Durchsuchung nicht für rechtswidrig erklärten. Das zuständige Landgericht führte in seiner Entscheidung aus, dass es die Annahme von Gefahr im Verzug nicht überprüfen werde. Darüber hätten ausschließlich und endgültig die Ermittlungsorgane zu befinden.“[11] [10]
3.1.2. Leitsätze zur Entscheidung des BVerfG
1. a) Der Begriff „Gefahr im Verzug“ in Art. 13 Abs. 2 GG ist eng auszulegen; die richterliche Anordnung einer Durchsuchung ist die Regel, die nichtrichterliche die Ausnahme.
b) „Gefahr im Verzug“ muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus.
2. Gerichte und Strafverfolgungsbehörden haben im Rahmen des Möglichen tatsächliche und rechtliche Vorkehrungen zu treffen, damit die in der Verfassung vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters auch in der Masse der Alltagsfälle gewahrt bleibt.
3. a) Auslegung und Anwendung des Begriffs „Gefahr im Verzug“ unterliegen einer unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die Gerichte sind allerdings gehalten, der besonderen Entscheidungssituation der nichtrichterlichen Organe mit ihren situationsbedingten Grenzen von Erkenntnismöglichkeiten Rechnung zu tragen.
b) Eine wirksame gerichtliche Nachprüfung der Annahme von „Gefahr im Verzug“ setzt voraus, dass sowohl das Ergebnis als auch die Grundlagen der Entscheidung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Durchsuchungsmaßnahme in den Ermittlungsakten dargelegt werden.
3.2. Beschluss vom 15.05.2002 zu Art. 104 II GG
3.2.1. Sachverhalt
„Der Betroffene war unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, außerdem war ihm die Abschiebung angedroht worden, falls er die Bundesrepublik Deutschland nicht bis zum 31.12.1998 verlassen haben sollte. Zwei Polizeibeamte brachten ihn am Nachmittag des 20.01.1999 auf ihre Dienststelle, weil sie seine Ingewahrsamnahme zur Sicherung der für den nächsten Morgen geplanten Abschiebung als notwendig ansahen. Sie versuchten gegen 16 Uhr – vergeblich – beim Amtsgericht einen Haftrichter zu erreichen. Der Betroffene wurde bis gegen drei Uhr des folgenden Tages in Polizeigewahrsam festgehalten, dann dem Bundesgrenzschutz übergeben und gegen 7:30 Uhr nach Gambia abgeschoben. Seinen Antrag, festzustellen, dass seine Festnahme und die daran anschließende Ingewahrsamnahme ohne richterliche Bestätigung rechtswidrig gewesen seien, wies das Amtsgericht zurück. Die sofortige Beschwerde sowie die sofortige weitere Beschwerde blieben erfolglos. Der Verfassungsbeschwerde gab das BVerfG statt.“[13] [12]
[...]
[1] vgl. Rabe von Kühlewein, Malte: Normative Grundlagen der Richtervorbehalte.
In: GA 2002, 11, 637, 637, 638
[2] vgl. Rabe von Kühlewein, Malte: Normative Grundlagen der Richtervorbehalte.
In: GA 2002, 11, 637, 638, 639
[3] Art. 97 I GG
[4] BVerfG, Az. 2 BvR 1444/00 vom 20. Februar 2001, Abs. 27, http//www.bverfg.de
[5] Kintzi, Heinrich: Die Tätigkeit des Ermittlungsrichters im Ermittlungsverfahren und Richtervorbehalt. In: DRiZ 2004, 3, 83, 83
[6] Rabe von Kühlewein, Malte: Normative Grundlagen der Richtervorbehalte.
In: GA, 11, 2002, 637, 639, 641
[7] Rabe von Kühlewein, Malte: Normative Grundlagen der Richtervorbehalte.
In: GA, 11, 2002, 637, 643, 644
[8] Rabe von Kühlewein, Malte: Normative Grundlagen der Richtervorbehalte.
In: GA, 11, 2002, 637, 643
[9] vgl. Rabe von Kühlewein, Malte: Normative Grundlagen der Richtervorbehalte.
In: GA, 11, 2002, 637, 643
[10] BVerfGE 103, 142 ff.; altern. veröffentlicht auf http://www.bverfg.de
[11] König, Josef: Richtervorbehalt im Strafverfahrens- und Polizeirecht. In: Kriminalistik 2003, 8-9, 513, 513
[12] BVerfGE 105, 239 ff.; altern. veröffentlicht auf http://www.bverfg.de
[13] König, Josef: Richtervorbehalt im Strafverfahrens- und Polizeirecht. In: Kriminalistik 2003, 8-9, 513, 514
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