Strategischer Einsatz von Normen als „Drohpotential“ und „Tauschmittel“. Gründe, Beispielfälle, verfassungsrechtliche Bedenken und "Deal" im Strafprozess


Trabajo de Seminario, 2013

19 Páginas, Calificación: 13


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1 Hinführung zum Thema

2 Gründe für Absprachen

3 Praktische Beispiele
3.1 Fall 1: Martin - Einspruch gegen Steuerbescheid
3.1.1 Sachverhalt
3.1.2 Analyse
3.1.3 Abwandlung
3.1.4 Analyse
3.2 Fall 2: Tom - Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid
3.2.1 Sachverhalt
3.2.2 Analyse
3.3 Verfassungsrechtliche Bedenken

4 Der „Deal“ im Strafverfahren
4.1 Einführung
4.2 Drohpotential
4.3 Vorteile
4.4 Nachteile

5 Zusammenfassung und Fazit

6 Literaturverzeichnis

1 Hinführung zum Thema

Ein strategischer Einsatz von Normen scheint bei einem Blick in Art. 20 III GG denknotwendig ausgeschlossen. In der durch die Ewigkeitsklausel (Art. 79 III GG) abgesicherten Norm heißt es: „ Die Gesetzgebung ist an die verfassungsm äß ige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. “ Mithin sollen - vereinfacht ausgedrückt - Verwaltung und Rechtsprechung auf einen Sachverhalt, die im Gesetz vorgesehene Rechtsfolge anwenden.1 Einen Raum für etwaige Absprachen scheint es nicht geben zu kön- nen, weswegen auch ein strategischer Einsatz von Normen zwingend ausschei- den müsste.

Tatsächlich aber sind Absprachen sowohl in der Verwaltung als auch in der Straf- justiz gängige Praxis und mittlerweile zu einem Modethema nicht nur in der ver- waltungs- und strafrechtswissenschaftlichen Literatur geworden.2 Gerade die Ver- ständigung im Strafprozess (der sogenannte „ Deal “) ist durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 20133 in eine breite öffentliche Dis- kussion geraten. Ein neuartiges Phänomen stellen Absprachen hingegen nicht dar. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert sind Absprachen zwischen Verwal- tung und Normadressaten nachgewiesen.4 Wahrscheinlich fand bei Verwaltungen niemals ein Idealvollzug, wie im bürokratisch-hoheitlichen Modell zugrunde gelegt, statt.5 Dennoch ist man sich einig, dass die Zahl der Absprachen sowohl in der Verwaltung als auch in der Strafjustiz in der Bundesrepublik Deutschland perma- nent zunimmt.6

Gerade aber, weil in der Rechtwirklichkeit solche Absprachen existieren, bestehen vielfältige Möglichkeiten Normen als „ Drohpotential “ oder „ Tauschmittel “ einzuset- zen. Das heißt, mit den Möglichkeiten, welche die Rechtsordnung zur Verfügung stellt, kann eine einschüchternde Wirkung erzeugt und so die Bereitschaft zur Ein- gehung einer Absprache mit der gewünschten Rechtsfolge erhöht werden („ Droh- potential “). Auch kann eine Leistung angeboten werden, um so eine Gegenleis- tung zu bekommen („ Tauschmittel “). Hierbei ist zu beachten, dass beide Seiten (Verwaltung - Bürger; Strafgericht - Angeklagter/Verteidigung) in der Lage sind zu „ drohen “ oder „ Tauschmittel “ anzubieten. Wegen der steten Zunahme von Ab- sprachen spielen auch Verhandlungstechniken der Akteure eine immer größere Rolle.

In der Arbeit stelle ich zunächst die Gründe für Absprachen dar, die im Wesentlichen gleichermaßen für die Verwaltung als auch für die Strafjustiz gelten. Im Anschluss daran werde ich anhand zweier praktischer Beispielsfälle zeigen, wie Normen als „ Drohpotential “ und „ Tauschmittel “ eingesetzt werden können und in knapper Form diesbezügliche verfassungsrechtliche Bedenken erläutern. Hiernach folgen - aufgrund der besonderen Aktualität - detaillierte Ausführungen zur Verständigung im Strafprozess („ Deal “) bezüglich der Themenstellung. Zum Abschluss erfolgt ein kurzes persönliches Fazit.

2 Gründe für Absprachen

Die Verwaltung wie die Strafjustiz wendet abstrakt generelle Normen auf konkrete Einzelfälle an.7 Bei eben diesem Prozess der konkreten Anwendung ergeben sich die Gründe für Absprachen: Der Sachverhalt lässt sich nicht oder nur mit unver- hältnismäßigen Aufwand ermitteln. Die Rechtsnormen räumen der Verwaltung ein Ermessen ein. Gleiches besteht auch bei der Strafjustiz; die Verhängung einer Strafe ist weitgehend in das Ermessen des Gerichts gestellt.8 Darüber hinaus ver- wendet der Gesetzgeber häufig unbestimmte Rechtsbegriffe, dessen Auslegung im konkreten Einzelfall zwar vollends einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt, über die aber gleichwohl trefflich gestritten werden kann.9 Zudem ist die Rechtsla- ge häufig unklar.10 Die eben genannten Aspekte liegen häufig sogar kumulativ vor. Je mehr solcher Umstände vorliegen, je weniger der Sachverhalt feststellbar ist, je unklarer die Rechtslage ist, desto mehr Entscheidungsspielräume entstehen und bieten ein Einfallstor für Absprachen.11 Konfliktentscheidungen werden so von der Gesetzgebung in den Gesetzesvollzug verlagert.12 Die Verwaltung wird zuneh- mend als Ebene der Konfliktaustragung betrachtet, auf der Verhandlungsspiel- räume ausgenutzt werden können, man sich also nicht automatisch staatlichen Anordnungen unterwerfen muss.13 Gleichzeitig aber besteht auch die Möglichkeit flexible Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten ein besseres Ergebnis bieten, als der harte Gesetzesvollzug.14 Das ganze wird unterstützt durch die begrenzten Ressourcen der Verwaltung und der Strafjustiz. Das Handeln der jeweiligen Akteu- re auf Seiten des Staates schlägt sich in der Bearbeitung von Fällen nieder. Gleichgültig ob es sich um Revisionen durch das Gewerbeaufsichtsamt, um Ver- anlagungen zur Einkommensteuer durch das Finanzamt, um die Bewilligung von Sozialhilfe durch das Sozialamt oder die Ausstellung von Pässen durch das Mel- deamt handelt. Die Fallzahlen lassen sich nicht manipulieren und müssen bewäl- tigt werden.15 Insofern ergeben sich Zwangsläufigkeiten: Der Sachverhalt kann nicht vollends geprüft werden, die Rechtslage detailliert zu beleuchten benötigt zu viel Zeit. Um die Fallzahlen bewältigen zu können ist man „offen“ für Abspra- chen.16 Bei der Strafjustiz wird als primäre Ursache für die Entstehung von Ab- sprachen Überlastung gesehen.17 Der Arbeitsanfall sei ohne Absprachen nicht zu bewältigen. 81 % von insgesamt 142 im Strafrecht tätigen Juristen gaben an „ Ur- teilsabsprachen sind f ü r mich ein unverzichtbares Instrument zur Bew ä ltigung von Wirtschaftsstrafsachen “.18 Daneben werden als weitere Ursachen die Ausdehnung des strafbaren Verhaltens, insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht gesehen, und die damit einhergehenden Beweisschwierigkeiten, weil bei diesen Straftaten häu- fig ein größerer Lebenszusammenhang zu ermitteln ist.19 Darüber hinaus die Mög- lichkeiten der Verteidigung, das Verfahren komplexer zu gestalten (wie zum Bei- spiel Beweisanträge, Befangenheitsanträge, Rechtsmittel).20

3 Praktische Beispiele

Zur Veranschaulichung der Thematik soll im Folgenden der strategische Einsatz von Normen als „ Drohpotential “ und „ Tauschmittel “ anhand zweier einfacher Beispielsfälle erläutert werden.

3.1 Fall 1: Martin - Einspruch gegen Steuerbescheid

3.1.1 Sachverhalt

Martin hat Einkünfte aus der Vermietung eines Hauses. Darüber hinaus ist er bei einer Lokalzeitung als Zeitungsausträger angestellt. Die Zeitungen werden von ihm mit seinem eigenen PKW im Verteilungsgebiet ausgefahren. Weil sein alter PKW so viel Sprit benötigt, kauft er sich im Jahre 2011 einen neuen PKW. Der neue PKW wird mehr als zur Hälfte für die Tätigkeit als Zeitungsausträger einge- setzt. Bei seiner Steuererklärung machte er daher den hälftigen Kaufpreis als Werbungskosten21 geltend.22 Das Finanzamt erließ einen Steuerbescheid und lehnte die Berücksichtigung dieser Kosten als Werbungskosten ohne Begründung ab.23 Gegen den Steuerbescheid legte Martin form- und fristgerecht Einspruch ein. Daraufhin erhielt er ein Schreiben vom Finanzamt, in welchem er darauf hingewie- sen wurde, dass die Kosten für das Auto nicht berücksichtigungsfähig seien, da es sich um Kosten der allgemeinen Lebensführung handle, die nicht abzugsfähig sei- en. Ferner wurde er darauf hingewiesen, dass aufgrund des Einspruchs der ge- samte Sachverhalt erneut zu überprüfen sei und der Steuerbescheid auch zu sei- nem Nachteil geändert werden könnte. Diesbezüglich wurde verlangt, dass be- stimmte Ausgaben im Rahmen der Vermietung des Hauses nachgewiesen werden und Belege vorgelegt werden müssten. Außerdem wurde argumentiert, dass die Grundsteuer im konkreten Fall nicht berücksichtigungsfähig sei. Weil im Veranla- gungszeitraum 2011 die Steuerersparnis nur 16,80 Euro betragen hätte und die Beschaffung der Belege entsprechenden Aufwand verursacht hätte, hat Martin den Einspruch zurück genommen.

3.1.2 Analyse

Die Finanzbehörde will von ihrer Rechtsauffassung nicht abweichen und den Wer- bungskostenabzug nicht zulassen. Darüber hinaus ist sie der Ansicht, dass be- stimmte Nachweise zu führen sind. Diese Nachweise hat sie zuvor nicht verlangt. Nach § 367 II AO hat die Finanzbehörde, im Falle eines Einspruchs, die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen. Hier kann sie auch eine Entscheidung zum Nachteil des Einspruchsführers treffen. Hier wirkt § 367 II AO als „ Drohpotential “. Denn die Möglichkeit einer Änderung zum Nachteil erzeugt beim Einspruchsführer eine einschüchternde Wirkung. Der nunmehr bestimmte Kosten detailliert nach- weisen müsste, und falls er dies nicht kann Gefahr liefe bestimmte Abzüge nicht zu erhalten. Die Finanzbehörde bezweckt hiermit letztlich, dass der Einspruch zu- rück genommen wird, was bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung nach § 362 AO möglich ist. Wird der Einspruch zurückgenommen entsteht bei der Be- hörde kein zusätzlicher Arbeitsaufwand, denn eine arbeitsintensive Einspruchs- entscheidung und ein möglicherweise sich anschließendes finanzgerichtliches Verfahren entfallen. Da Martin den Arbeitsaufwand (Belege suchen) vermeiden möchte und die Gefahr verhindern will, dass bestimmte Abzugsposten ohne Nachweis nicht akzeptiert werden, beugt er sich der „ Drohung “ und nimmt den Einspruch zurück.

3.1.3 Abwandlung

Im Veranlagungszeitraum 2012 hat Martin die gleichen Einkünfte wie im Aus- gangsfall. Diesmal hat er sämtliche Belege die bezüglich der Werbungskosten bei Vermietung und Verpachtung erforderlich sind aufbewahrt und dem Finanzamt vorgelegt. Er macht in seiner Steuererklärung wieder die oben erwähnte Abschrei- bung für den PKW geltend. Das Finanzamt erlässt einen Steuerbescheid und lehnte darin die Berücksichtigung der Abschreibung für den PKW ab. Martin legte form- und fristgerecht Einspruch ein. Daraufhin erhielt er ein Schreiben vom Fi- nanzamt, in welchem er darauf hingewiesen wurde, dass die Kosten für das Auto nicht berücksichtigungsfähig seien, da es sich um Kosten der allgemeinen Le- bensführung handle, die nicht abzugsfähig seien.

[...]


1 Vgl. Ellwein, S. 19.

2 Vgl. Niem ö ller, S. 73, 77; Dose, S. 88 m. w. N.; vgl. Kautz, S. 25 ff.

3 BVerfG, Urt. V. 19.3.2013, Az.: 2 BVR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 = NJW 2013, 1058.

4 Dose, S. 87 f.; Ellwein, S. 28; umfassend hierzu: Ellwein, Verwaltung in Ostwestfalen-Lippe.

5 Dose, S. 87; Ellwein, S. 28.

6 Benz, S. 31; Ellwein, S. 19 f.; L ö ffler, S. 16; Sch ü nemann, Gutachten B 28.

7 Vgl. Benz, S. 32.

8 Vgl. § 46 StGB.

9 Vgl. Benz, S. 36; Ellwein, S. 21 ff.

10 Man vgl. nur die vielen Meinungsstreitigkeiten in der Jurisprudenz.

11 Benz, S. 32.

12 Benz, S. 33.

13 Benz, S. 33.

14 Vgl. Benz, S. 36 ff.

15 Ellwein, S. 24.

16 Vgl. Ellwein, S. 25.

17 L ö ffler, S. 16; Schoop, S. 39; Heller S. 26.

18 Niem ö ller, S. 77; Altenhain, S. 55 f., 75 f.

19 L ö ffler, S. 17.

20 Vgl. L ö ffler, S. 17 f.

21 Werbungskosten mindern im Ergebnis das zu versteuernde Einkommen, so dass sich eine niedrigere Steuer ergibt.

22 Hinweis: Es ist davon auszugehen, dass es sich in vorliegender Konstellation um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 EStG handelt. Im Übrigen wurden die Vorschriften über die AfA berücksichtigt (§ 9 I 3 Nr. 7 EStG).

23 Hinweis: Ob die Kosten für das Auto bei einer Zeitungsausträgertätigkeit als Werbungskosten zu berücksichtigen sind, wurde für eine solche oder vergleichbare Tätigkeit bislang - soweit ersichtlich - nicht entschieden. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des großen Senats des BFH vom 21. September 2009 (Az.: GrS 1/06 = BStBl. 2010 II, S. 20) erscheint die Berücksichtigungsfähig- keit allerdings sehr wahrscheinlich, hierzu auch sehr instruktiv: BMF-Schreiben vom 6. Juli 2010.

Final del extracto de 19 páginas

Detalles

Título
Strategischer Einsatz von Normen als „Drohpotential“ und „Tauschmittel“. Gründe, Beispielfälle, verfassungsrechtliche Bedenken und "Deal" im Strafprozess
Universidad
German University of Administrative Sciences Speyer
Curso
Rechtliche Gestaltung und Rechtswirkung – Strategisches Denken für Juristen
Calificación
13
Autor
Año
2013
Páginas
19
No. de catálogo
V365369
ISBN (Ebook)
9783668447653
ISBN (Libro)
9783668447660
Tamaño de fichero
723 KB
Idioma
Alemán
Notas
"Die Arbeit zeigt auf, dass trotz des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, viele hoheitliche Entscheidungen vielfach im Verhandlungswege gefunden werden. Hierbei werden Vor- und Nachteile dieser Vorgehensweise näher analysiert und einer kritischen Betrachtung unterzogen. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf den Deal im Strafprozess gelegt. Die Darstellung erfolgt anhand zweier realer Fallbeispiele, die anonymisiert dargestellt werden."
Palabras clave
Deal, Absprachen, Verhandlungsmanagement, Strafprozess, Normen, Strafrecht
Citar trabajo
Patrick Schmidt (Autor), 2013, Strategischer Einsatz von Normen als „Drohpotential“ und „Tauschmittel“. Gründe, Beispielfälle, verfassungsrechtliche Bedenken und "Deal" im Strafprozess, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/365369

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