Demokratie leben lernen und Projekthandeln. Einführung in die Demokratiepädagogik

3. erweiterte Auflage 2018


Livre Spécialisé, 2018

163 Pages


Extrait


Gelebte Demokratie schließt eine aktive Mitverantwortung für die Menschen und die Mitwelt ein.
Hans E. Gerr

Inhalt

Vorwort … 5

Einleitende Gedanken zur Thematik … 7

1. Demokratie leben lernen … 13

1.1 Zum Begriff „Demokratie“ … 13
1.1.1 „Demokratie“ als Staatsform … 14
1.1.2 „Demokratie“ als pädagogischer Begriff … 15
1.1.3 Demokratische Werte … 19

1.2 Kompetenzen für das demokratische Zusammenleben … 21
1.2.1 Förderung der motorischen und kognitiven Fähigkeiten … 22
1.2.2 Förderung der Selbstkompetenz … 29
1.2.3 Förderung der Sozialkompetenz … 35

1.3 Wichtige Kompetenzen für das politische Handeln in einer Demokratie … 46
1.3.1 Toleranz, Kompromissfähigkeit und Kritikfähigkeit … 46
1.3.2 Konflikt- und Friedensfähigkeit … 48
1.3.3 Tätige Solidarität … 51
1.3.4 Handlungskompetenz, Eigeninitiative und Kreativität … 52

2. Demokratie leben lernen beim Projekthandeln … 57

2.1 Zum Begriff „Projekt“ … 57

2.2 Kennzeichnung des Projekthandelns … 61
2.2.1 Merkmal „Offenheit“ … 63
2.2.2 Lernen durch Tun und Handlungsorientierung … 66
2.2.3 Orientierung an demokratischen Werten und Regeln beim Handeln … 70
2.2.4 Überdenken des Handelns im Hinblick auf demokratische Werte … 71
2.2.5 Erfahrungslernen in Kleingruppen … 76

2.3 Pädagogische Intentionen und Wege zum Projekthandeln … 89
2.3.1 Pädagogische Intentionen … 89
2.3.2 Verändertes Rollenverständnis der Lehrerinnen und Lehrer … 91
2.3.3 Strukturelle Hilfen … 93
2.3.4 Erlernen von Projekttechniken … 96

2.4 Zum Projektverlauf … 98
2.4.1 Initialphase … 101
2.4.2 Explorationsphase … 104
2.4.3 Informationsauswertung und Planung … 111
2.4.4 Vorbereitung und Durchführung der Aktion … 115
2.4.5 Reflexionsphase … 115
2.4.6 Dokumentationsphase … 117
2.4.7 Projektabschluss … 119

3. Anregungen für die Umsetzung an den öffentlichen Schulen … 122

3.1 Zur pädagogischen Konzeption „Integrated Day“ … 122

3.2 Bedürfnisorientierte Programmgestaltung … 125

3.3 Interkulturelles Lernen … 126

3.4 Inklusives Lernen … 129

3.5 Ökologisches Lernen … 139

3.6 Abschließende Gedanken zum „Integrationstag“ … 141

Literatur … 143

Sachregister … 155

Glossar … 156

Der Autor … 158

Vorwort

Hohe Gewaltbereitschaft, fortschreitende Natur- und Umweltzerstörung, Ausbeutung der Arbeitnehmer durch Lohndumping, die der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ vom 10. 12. 1948 (vgl. Art. 23!) widerspricht, eine Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung durch die Einschränkung der Persönlichkeitsrechte oder der intransparente Lobbyismus, der im Widerspruch zu demokratischen Prinzipien steht, kennzeichnen unter anderem den gegenwärtigen Verfall demokratischer Werte in Gesellschaft und Politik. Durch den starken Zustrom muslimischer Flüchtlinge nach Deutschland und Europa, die demokratische Werte wie Gleichberechtigung von Frau und Mann oder religiöse Toleranz bisher kaum gelebt haben, verschärft sich die Situation antidemokratischer Tendenzen eher noch.

Nicht nur Kinder und Jugendliche aus muslimischen Familien, sondern auch deutsche Schulpflichtige sind im Hinblick auf demokratische Lernprozesse förderungsbedürftig, was beispielsweise durch die existierende Gewaltbereitschaft belegt werden kann. Einem fortschreitenden Werteverfall kann man nur Einhalt gebieten, wenn Kinder und Jugendliche in den Familien und Schulen zu einem Verhalten angeregt werden, das sich an demokratischen Werten orientiert.

Will man den Fortbestand der Demokratie nicht aufs Spiel setzen und das Entstehen von Parallelgesellschaften verhindern, muss an den öffentlichen Schulen und in den Bildungseinrichtungen (vom Kindergarten an) eine systematische Förderung demokratischen Lernens sichergestellt wer-den. „Demokratie leben“ muss zur Leitlinie allen pädagogischen Handelns erhoben werden. Da in der BRD das „gesamte Schulwesen“ unter der „Aufsicht des Staates“ steht (vgl. GG Art. 7 Abs. 1), können von den Schulbehörden in den Bundesländern Regelungen bezüglich einer Förderung von Demokratiefähigkeit getroffen werden.

Auch um das Ziel eines friedlichen und demokratischen Zusammenlebens in unserer Gesellschaft zu erreichen, ist eine systematische Förderung demokratischen Lernens unerlässlich. In pädagogischer Hinsicht bedeutet dies große Herausforderungen an den Schulen.

Eine Vernachlässigung demokratischen Lernens an den öffentlichen Schulen kann man daran erkennen, dass eine „Demokratiepädagogik“ im Schulalltag häufig nicht umgesetzt wird.

In der BRD existieren nur wenige öffentliche Schulen, an denen das demokratiepädagogische Konzept eines Schülerparlaments verwirklicht wird.

So wird beispielsweise eine Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler bei allen schulinternen Entscheidungen über ein demokratisch gewähles Schülerparlament meist nicht wahrgenommen.

Bernhard Heinzlmaier , Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien, stellt die provokante These auf, dass die deutsche Jugend „nicht für das Leben, sondern für die Wirtschaft“ lerne; damit prangert er ein Erziehungs- und Bildungssystem an, das sich vor allem an „ökonomischen Gesichtspunkten“ orientiere. Die „Lehrinhalte“ würden danach ausgewählt, „was später auf dem Arbeitsmarkt (…) verwertbar“ sei. „Der Verzicht auf kulturelle Bildung“ würde unsere „demokratische Grundordnung (…) gefährden, weil der „Nachfolgegeneration die politische Urteilsfähigkeit“ fehle (vgl. Heinzlmaier 2013; in: Panorama vom 18.07.2013).

Das vom Verfasser im Jahre 2015 entwickelte Konzept „DEMOKRATIE LEBEN“, in dem vorgeschlagen wird, an den öffentlichen Schulen an einem Nachmittag wöchentlich einen „Integrationstag“ („Integrated Day“) durchzuführen, an dem Schülerinnen und Schüler bei hoch motivierenden Aktivitäten (Workshops, Spiel- und Sportnachmittage, Schulfeiern, Abenteuerunternehmungen, soziale Projekte etc.) nach den Grundsätzen „Handeln – Orientierung an demokratischen Werten beim Handeln – Überdenken des Handelns im Hinblick auf demokratische Verhaltensregeln“ ein demokratisches Miteinander leben, wurde von den Kultusministerien insgesamt positiv aufgenommen, eine Rückmeldung von den Bundesländern über eine praktische Durchführung des Projekts erfolgte jedoch nicht.

Die von den Kultusministerien bereitgestellten Materialien für eine Demokratie- und Werteerziehung an den öffentlichen Schulen können zwar Unterrichtshilfen sein, eine Sicherstellung, dass die in den Lehrplänen, Programmen und Handreichungen vorhandenen Anregungen tatsächlich an allen Schulen umgesetzt werden, kann jedoch nicht gewährleistet werden.

Eine Vermittlung theoretischer Erkenntnisse über die Demokratie ist im Hinblick auf das „Leben von demokratischen Werten“ nicht ausreichend.

Die vorliegende Schrift wendet sich vor allem an die Hochschulen, in der Hoffnung, dass von ihnen Impulse für eine Umsetzung der Demokratiepädagogik an die öffentlichen Schulen ausgehen.

In der zweiten Auflage wurden die Kapitel über inklusives und ökologisches Lernen hinzugefügt. In der dritten Auflage wurden weitere Aspekte, beispielsweise zur Praxis gruppendynamischer Arbeit, thematisiert.

Bad Kissingen, 3. April 2018

Der Verfasser

Einleitende Gedanken zur Thematik

Eine demokratische Staatsform sagt noch nichts darüber aus, ob die Demokratie von den Menschen des Gemeinwesens im Alltag auch tatsächlich gelebt wird. So werden auch in der Bundesrepublik Deutschland im täglichen Umgang miteinander Grundrechte wie die der Menschenwürde oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt.

Antidemokratische Tendenzen zeigen sich in unserer Gesellschaft unter anderem in einer steigenden Gewaltbereitschaft. Die in der gesellschaftlichen Realität zunehmende personale Gewalt gehört heute zu den Alltagserfahrungen von Kindern und Jugendlichen. Auch an den allgemeinbildenden Schulen ist eine Zunahme an Brutalität in Verbindung mit einer sinkenden Hemmschwelle schon bei Jüngeren erkennbar. Kinder nehmen häufig die Schmerzreaktionen der anderen kaum noch wahr und beenden selbst dann ihre aggressiven Handlungen nicht, wenn der Unterlegene wehrlos oder verletzt am Boden liegt.

Studien (Lukesch 1989 u. a.) ergeben beispielsweise einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem „Konsum von Gewaltvideos“ und der steigenden „Aggressivität gegen Mitschüler und Sachen“. Als schädigende Wirkungen, die von der Mediengewalt ausgehen, konnten unter anderem „Tendenzen zu einer „Dosissteigerung“ aggressiver Reize, ein „fehlendes Mitfühlen“, eine Nachahmung von Gewalttaten sowie eine „angstgeladene und misstrauische Grundstimmung“ festgestellt werden (vgl. Gratzer 1993, S. 26). Gewaltdarstellungen in den Medien haben also auf Kinder und Jugendliche eine stimulierende Wirkung und regen zur Nachahmung an; gleichzeitig kommt es bei häufiger Betrachtung von Gewaltszenen nicht nur zu einer Abstumpfung der Gefühle, sondern es wird auch eine enthemmende Wirkung bei den Konsumenten erzielt (vgl. Gerr 2000, S. 102 f.).

Erschreckend ist auch das Ausüben von Gewalt an Kindern, so zum Beispiel die sexuellen Übergriffe, die häufig eine psychische Fehlentwicklung der betroffenen Kinder zur Folge haben. In einer Talk-Show vom 1. April 2001, moderiert von Sabine Christiansen, vertrat der Erziehungswissenschaftler Peter Struck die Auffassung, dass nicht selten in Familien an die Stelle einer „liebevollen Väterlichkeit“ eine „gewalttätige Männlichkeit“ tritt.

Verletzungen demokratischer Grundrechte kommen auch in einer zunehmenden Anzahl von Übergriffen gegen Ausländer zum Ausdruck. In der deutschen Bevölkerung besteht bei nicht wenigen Menschen eine ablehnende, teilweise sogar feindselige Haltung gegenüber Arbeitsmigranten, Asylanten und Aussiedlern. Viele Bürger befürchten bei einem weiteren Zustrom von Ausländern unter anderem eine zunehmende Drogenkriminalität und eine kulturelle Überfremdung des deutschen Volkes. Besonders in den östlichen Bundesländern werden ausländische Menschen Opfer von gewalttätigen Deutschen; auf ausländische Mitbewohner werden manchmal regelrecht Hetzjagden veranstaltet.

Bei solchen Gewalttätern kann man nicht selten eine rechtsextreme Orientierung, die mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verbunden ist, feststellen (vgl. Gerr 2000, S. 14 f.).

In der gesellschaftlichen Wirklichkeit unseres demokratischen Rechtsstaates existiert nicht nur eine personale, sondern auch eine „strukturelle Gewalt“ (Galtung); sie ist unter anderem durch „soziale Ungerechtigkeit“, durch Not und Unterdrückung von Minderheiten sowie durch eine Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen gekennzeichnet. Trinkwasser, saubere Luft oder eine intakte Natur sind beispielsweise Güter, die der Allgemeinheit gehören; sie müssen vor einem Missbrauch aus wirtschaftlichen Interessen geschützt werden; erst nach einer Veränderung dieser gesellschaftlichen Situation kann man von einem „positiven Frieden“ sprechen (vgl. Galtung 1975, S. 33).

Das nicht selten von Politikern mit der Schaffung von Arbeitsplätzen oder mit Argumenten eines wirtschaftlichen Fortschritts begründete Handeln trägt unter anderem zur Klimaveränderung und zur Luftverunreinigung bei und gefährdet die Gesundheit der Menschen (Hautkrebs- und Atemwegserkrankungen, Lungenkrebs, Asthma etc.). Damit wird indirekt das Grundrecht auf „körperliche Unversehrtheit“ (Art. 2 Abs. 2 GG) verletzt.

Die gegenwärtige gesellschaftliche Situation ist nicht nur durch eine zunehmende Gewaltbereitschaft, durch Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus, sondern unter anderem auch durch eine Zunahme an medialen Erfahrungen in Verbindung mit einem Verlust an authentischen Erfahrungen und einer verringerten Handlungskompetenz, durch Werteverlust und Orientierungsprobleme sowie durch eine Verringerung an Sozialerfahrungen gekennzeichnet.

Die gegenwärtig stattfindenden Flüchtlingsströme nach Deutschland aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Pakistan oder afrikanischen Staaten wie Somalia können zu einer zusätzlichen Gefährdung der Demokratie beitragen. Der Anteil muslimischer Bürger dürfte sich voraussichtlich in den nächsten Jahren noch erhöhen. Da viele Muslime keine säkulare Auffassung in Glaubensfragen vertreten, wird häufig eine Trennung von religiösem und privatem Leben nicht gesehen. Für viele muslimische Bürger bildet die Scharia die Rechtsgrundlage für das menschliche Zusammenleben (vgl. Gerr 2015, S. 6). So warnt beispielsweise der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (vgl. Gespräch im BR24 vom 12. November 2017) vor einer neuen Generation von Dschihadisten; Kinder, die in den Familien oder in den Koranschulen lernen, nach der Scharia zu leben und die Werte westlicher Gesellschaften ablehnen, können radikalisiert werden. So ist die Radikalisierungsstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg alarmiert; hier gingen im Jahr 2016 etwa tausend Anrufe von Lehrkräften ein, dass Schüler auf den Schulhöfen in den Pausen IS-Propagandavideos zeigen und Terroranschläge befürworten.

Auch bei einer relativ liberalen Auslegung der Scharia kann es zu Konflikten bezüglich der demokratischen Rechtsauffassung kommen, beispielsweise hinsichtlich der Rechte der Frauen in Familie und Gesellschaft. Die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (fdGO), deren Respektierung von allen Bürgerinnen und Bürgern, unabhängig von ihren religiösen Auffassungen und kulturellen Lebensgewohnheiten, erwartet wird, ist nicht im Bewusstsein vieler Muslime.

Solche Randbedingungen stellen keine günstige Ausgangslage für eine Weiterentwicklung der Demokratie in unserer Gesellschaft dar.

Die in der politischen Diskussion vertretene Auffassung, dass ein Familiennachzug von Flüchtlingen eine wichtige Hilfe für die Integration darstellen würde, geht von einem verkürzten Integrationsbegriff aus. Zwar kann festgestellt werden, dass sich muslimische Familien angepasster verhalten und – auch aufgrund der geringeren Frustrationen – die Gewaltausübung in geringerem Ausmaß stattfindet, von echter Integration kann jedoch nur gesprochen werden, wenn Asylsuchende demokratische Werte (Toleranz gegenüber Andersgläubigen etc.) verinnerlicht haben und im Alltag leben.

Integrationshilfen wie die sprachliche Förderung oder die berufliche Eingliederung sind für Muslime zwar hilfreich, garantieren jedoch nicht, dass sie nach demokratischen Werten leben; damit wird dem Entstehen einer Parallelgesellschaft noch nicht vorgebeugt.

Will man das „Entstehen von Parallelgesellschaften verhindern“, so ist eine soziale sowie politische Integration aller Bürgerinnen und Bürger in unser demokratisches Gemeinwesen von elementarer Bedeutung (vgl. Gerr 2015, S. 6). Diese stellt einen langen Lernprozess dar und ist vor allem über eine systematische Förderung eines Verhaltens, das sich an demokratischen Werten und Regeln orientiert, erreichbar. Am Beispiel der internationalen Pfadfinderbewegung kann aufgezeigt werden, dass über den pädagogischen Weg ein friedliches Miteinander erreicht werden kann; so leben Pfadfinderinnen und Pfadfinder eine „Freundschaft zu allen Menschen“; ethnische oder religiöse Unterschiede spielen dabei keine Rolle (vgl. WOSM 1997, S. 4).

Die gesellschaftlichen Gegebenheiten machen in den Erziehungsinstitutionen eine verstärkte intentionale Erziehung zur „Demokratie als Lebensform“ (Dewey) notwendig. Für eine systematische Erziehung zur Demokratiefähigkeit ist unter anderem eine gezielte Förderung von tolerantem und solidarischem Verhalten von frühem Alter an von Bedeutung. So sollten beispielsweise der Abbau von Vorurteilen, das Akzeptieren von anderen Verhaltensweisen, die Anerkennung von Andersartigkeit, die Offenheit gegenüber Andersdenkenden, die Sensibilität für die Bedürfnisse, Ansprüche und Hilfsbedürftigkeit der Mitmenschen sowie die Mitverantwortung für Arme, Schwache und Minderheiten in unserer Gesellschaft Ziele politischen Lernens an den Schulen sein (vgl. Gerr 1998, S. 28 f.).

Zu den Zielen einer Erziehung zur Demokratie gehören weiterhin unter anderem, junge Menschen zu befähigen, die für die Demokratie relevanten gesellschaftlichen und politischen Aufgaben zu erkennen und ihre Handlungskompetenz zu fördern, damit sie einen Beitrag zur Bewältigung solcher wichtigen Zukunftsaufgaben wie die „Bewahrung der Schöpfung“ oder die aktive Wahrnehmung einer „Mitverantwortung für Unterprivilegierte und Menschen mit Behinderung“ leisten können.

Hinsichtlich der Initiierung von sozialen und demokratischen Lernprozessen kann das Projekt ein wirkungsvolles Handlungskonzept bedeuten. Projekthandeln stellt einen Weg zielgerichteter Erziehung zur Demokratie als Form des Zusammenlebens von Menschen im Gemeinwesen dar. Das Projektlernen an den allgemeinbildenden Schulen ist deshalb nicht nur bezüglich der schulischen Unterrichts- und Erziehungszielsetzungen, wie zum Beispiel die Optimierung des Lernens durch das selbständige und selbstbestimmte Handeln der Schülerinnen und Schüler beim Projektunterricht, bedeutungsvoll, sondern es gewinnt seine eigentliche Relevanz im Hinblick auf eine Weiterentwicklung der Demokratie in unserer Gesellschaft.

Da zu den wichtigen Zielen des Projekthandelns die konkrete Auseinandersetzung mit den Realitäten gehört, sollten digitale Medien nur sehr bedingt eingesetzt werden. Bei der Durchführung von Projekten mit älteren Schülerinnen und Schülern können beispielsweise in der Erkundungsphase Informationen über das Internet gewonnen werden, diese sollten aber möglichst in der Wirklichkeit überprüft werden.

In einer Zeit, in der von den Heranwachsenden vorwiegend mediale Erfahrungen gewonnen werden und authentische Erfahrungen häufig fehlen, sollten auch im normalen Unterricht digitale Medien sparsam eingesetzt werden. Positive Auswirkungen können sich erfaahrungsgemäß hinsichtlich der Steigerung der Konzentration und Motivation zeigen.

Bei Kindern im Grundschulalter darf der didaktische Grundsatz „Vom Konreten zum Abstrakten“ nicht vernachlässigt werden. Bevor beispielsweise in Mathematik digitale Medien eingesetzt werden, sollten mit konkreten Mengen Operationen durchgeführt werden. Wenn diese Phase zu kurz kommt, kann es vor allem bei schwächeren Kindern zur Rechenschwäche (Dyskalkulie) kommen. Gut eignet sich das „Goldene Perlenmaterial“ von Maria Montessori, da man damit bis in die hohen Zahlenräume konkrete Operationen durchführen kann. Gemäß dem von Edgar Dale 1946 entwickelten Erfahrungskegel sollte erst nachdirekten Erfahrungen („Learning by Doing“) die Stufe ikonischer Erfahrungen („Learning by Observation“), zu der auch das digitale Lernen zählt, folgen. Danach kann zur Stufesymbolischer Erfahrung übergegangen werden („Learning by Abstraction“), also zur Arbeit mit Buchstaben und Zahlen (vgl. Dale 1969).

Kinder und Jugendliche haben heute in den Familien Zugang zu Smartphones oder Tablets, was sich auch auf das Freizeitverhalten auswirkt. Neben Online-Spielen werden die Medien vor allem auch für die Kommunikation benutzt; so bleibt weniger Zeit für unmittelbare Sozialkontakte. Neben Risiken wie Gewaltverherrlichung, pornografische Inhalte und verzerrte Inhalte bezüglich der Werte (vgl. Livingstone/Haddon 2009, S. 10) besteht auch die Gefahr einer exzessiven Nutzung, die als Folge Nervosität, Schlafstörungen oder Leistungsabfall verursachen kann (vgl. Schaumburg 2015, S. 24 ff.); bei einer Computer- und Internetsucht können auch Angststörungen, ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) und Depressionen auftreten (vgl. Mößle et al. 2014). Von großer Bedeutung ist heute deshalb die Erziehung zur Medienkompetenz, die auch den Umgang mit den persönlichen Daten einschließt.

Einen guten Überblick über den aktuellen Forschungsstand gibt Heike Schaumburg (2015).

Die inhaltliche Darstellung der Abhandlung gliedert sich in drei Teile:

Im Teil über das „demokratische Lernen“ wird der Begriff „Demokratie“ geklärt. Danach werden grundlegenden Kompetenzen wie die „Wahrnehmungsfähigkeit“ und die allgemeinen Fähigkeiten der „Selbst- und Sozialkompetenz“ hinsichtlich ihrer Bedeutung für demokratische Lernprozesse erörtert. Daran schließt sich eine Auseinandersetzung mit den für die Demokratiefähigkeit bedeutungsvollen Komponenten wie Hand-lungskompetenz, Friedens- und Konfliktfähigkeit, Toleranz, tätige Solidarität, Kompromissfähigkeit und Kreativität an.

Im Hauptteil wird das Projekthandeln hinsichtlich seiner Bedeutung für das Leben von Demokratie thematisiert. Zu Beginn der Ausführungen erfolgt eine terminologische Abgrenzung von Begriffen wie „Projekt“ und „Vorhaben“. Dabei wird der Versuch unternommen, die in der Fachliteratur verwendete Begriffsvielfalt zu systematisieren. Es schließt sich eine Kennzeichnung des Projekts als Handlungsform im Dienste des demokratischen Lernens an; dabei werden die für demokratische Lernprozesse charakteristischen Merkmale wie „Offenheit“, „Handlungsorientierung“, „Wertorientierung“ und „Reflexionsorientierung“ erörtert.

Danach werden Wege zum Projekthandeln im Unterricht wie „organisatorische und pädagogische Hilfen“ oder das „Erlernen von Projekttechniken“ thematisiert. Es schließen sich Ausführungen über Strukturmöglichkeiten des Projekthandelns an. Die möglichen Projektphasen werden im Hinblick auf das Leben demokratischer Werte analysiert.

Im abschließenden Teil wird auf die Bedeutung einer systematischen Förderung des Lebens von demokratischen Werten eingegangen; dabei wird auf die, vom Verfasser entwickelte pädagogische Konzeption, in der ein „Integrationstag“ („Integrated Day“) angeregt wird, eingegangen.

Für einzelne Förderbereiche werden nach den theoretischen Ausführungen beispielhaft praktische Anregungen gegeben. Die Praxisbeispiele und methodisch-didaktischen Hinweise werden nicht in einem eigenen Kapitel dargestellt, sondern an den entsprechenden Stellen in Kursivschrift ̶̶ wie hier dargestellt ̶ eingeschoben.

Eine Auswahl an weiterführender Literatur mit Anregungen für eine praktische Umsetzung und zur intensiveren theoretischen Beschäftigung mit der Thematik wird im Anschluss an das Literaturverzeichnis gegeben.

1. Demokratie leben lernen [1]

Demokratisches Lernen ist immanenter Bestandteil des Erziehungsauftrages an den öffentlichen Schulen. Gerade in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation, in der antidemokratische Tendenzen erkennbar sind, kommt der Förderung der Demokratiefähigkeit eine besondere Bedeutung zu. „Demokratie leben lernen“ beinhaltet deshalb eine umfassende Förderung der Kinder und Jugendlichen, damit sie als künftige Erwachsene fähig und bereit sind, das demokratische Leben mitzugestalten und weiterzuentwickeln. „Demokratie als Form des Zusammenlebens“ (Dewey), die in einem demokratischen Handeln zum Ausdruck kommt, bleibt eine ständige pädagogische Aufgabe (vgl. Gerr²2009, S. 12).

Im ersten Teil der Schrift erfolgt zunächst eine terminologische Klärung des Begriffs „Demokratie“. Da Prozesse der Selbsterziehung ohne eine Orientierung an Werten nicht möglich sind, wird im ersten Teil auch auf demokratische Werte eingegangen. Danach werden wesentliche, für die Demokratiefähigkeit notwendigen Kompetenzen thematisiert.

1.1 Zum Begriff „Demokratie“

Der Terminus „Demokratie“ kann unterschiedlich interpretiert werden. Im umgangssprachlichen Gebrauch wird er meist in Verbindung mit einer Staats- oder Regierungsform in Verbindung gebracht.

Demokratisches Verhalten wird auch im Umgang miteinander erwartet. Dazu gehört unter anderem, dass man den Mitmenschen mit Achtung begegnet. Demokratie kann deshalb auch als Lebensform gelten.

Da der Begriff in der vorliegenden Schrift auch im Hinblick auf Lernprozesse an den öffentlichen Schulen und in Erziehungsinstitutionen Verwendung findet, ist zu Beginn der Abhandlung eine begriffliche Klärung von Bedeutung.

1.1.1 „Demokratie“ als Staatsform

Der Terminus „Demokratie“ wird im Allgemeinen in Verbindung mit einer Staatsform verwendet. Der aus dem Griechischen stammende Begriff setzt sich aus „démos“ („Volk“) und „kratia“ („Herrschaft“) zusammen und bedeutet „Volksherrschaft“. Im antiken Griechenland bedeutete der Begriff die „direkte Volksherrschaft“, wobei nur die Männer das Privileg besaßen, an den Volksversammlungen teilnehmen zu dürfen.

Heute wird der Terminus „Demokratie“ vor allem als Sammelbegriff für Herrschaftsformen wie „direkte“ oder „repräsentative“ Demokratie benutzt. In diesem Sinne will „Demokratie“ verdeutlichen, dass die Staatsgewalt unmittelbar oder mittelbar vom Volk ausgeübt wird.

Grundlegende Bedeutung für die Entwicklung der modernen Demokratien hatten die Lehren Jean Jacques Rousseaus (1712 – 1778) von der Volkssouveränität als einem unveräußerlichen und unteilbaren Recht des Volkes. In seinem im Jahre 1762 in Amsterdam erschienenen Werk „Du contrat social ou Principes du droit politique“ („Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts“) entwickelte Rousseau eine Lehre von der Volkssouveränität. Er stellte den Gemeinwillen (volonté générale) als Recht gegenüber einem absolutistischen Staat heraus. Damit wurde Rousseau zum geistigen Wegbereiter der Französischen Revolution. Der Staat wird als „Gesellschaftsvertrag“, der von freien Bürgern geschlossen wird, aufgefasst; im „contrat social“ vollzieht sich die freiwillige Vereinigung der Einzelwillen zu einem Gesamtwillen. Rousseau fordert eine Verfassung, in der die „natürliche und unveräußerliche Freiheit“ in Einklang mit der Ausübung staatlicher Gewalt zu bringen ist (vgl. Rousseau 1977, S. 17 ff.).

Auf dem von Rousseau geprägten Begriff „Volkssouveränität“ basiert auch die gegenwärtige Legitimation von allgemeinen Wahlen und Volksentscheiden. Aus diesem Recht kann der demokratische Grundsatz einer „Herrschaft der Mehrheit“ des Gemeinwesens abgeleitet werden. In der Bundesrepublik Deutschland hat man sich nicht für eine unmittelbare, sondern für eine repräsentative, parlamentarische Demokratie entschieden. Die demokratische Ordnung ist im Grundgesetz verankert.

Entscheidungen werden in einer repräsentativen, parlamentarischen Demokratie nicht unmittelbar vom ganzen Volk, sondern von den gewählten Volksvertretern (Parlamentariern) getroffen.

Ein weiteres Charakteristikum der parlamentarischen Demokratie ist die Einhaltung des Prinzips der Gewaltenteilung (Legislative, Judikative und Exekutive); so darf beispielsweise kein politischer Einfluss auf die Rechtsprechung erfolgen.

Neben freien Wahlen und der Gewaltenteilung ist vor allem die Einhaltung der im Grundgesetz verankerten Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein Merkmal der Demokratie. Zu diesen gehören unter anderem das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die Meinungsfreiheit, die Versammlungs- und Pressefreiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Gleichheit vor dem Recht. Werden diese Rechte in der politischen Realität verletzt, so kann man nicht mehr von einer echten Demokratie sprechen. Das politische Handeln der Volksvertreter muss den im Grundgesetz verankerten Rechten entsprechen.

1.1.2 „Demokratie“ als pädagogischer Begriff

Der Terminus „Demokratie“ kann aber nicht nur im Sinne einer Staatsform, sondern auch als pädagogischer Fachbegriff interpretiert und verwendet werden.

So benutzt John Dewey (1859-1952), der wohl wichtigste Vertreter des philosophischen Pragmatismus, in seinem Hauptwerk „Demokratie und Erziehung“ (1916) den Begriff im pädagogischen Sinne. Im Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe von 1993 bezeichnet Jürgen Oelkers diese wichtige Schrift im Hinblick auf eine Überwindung von „totalitären Ansätzen der Pädagogik“ als ein „Schlüsselwerk der internationalen Reformpädagogik“ (vgl. S. 3 f.). Die Bedeutung dieses wegweisenden Werks ist in Deutschland über lange Zeit kaum wahrgenommen worden.

Die Termini „Erziehung“ und „Demokratie“ sind in der philosophischen Pädagogik John Deweys – im Gegensatz zur traditionellen Pädagogik – aufeinander bezogen.

J. Dewey rückt ab von den platonischen Grundlagen einer idealistischen Pädagogik, die durch Festlegung von verbindlichen Erziehungszielen den Heranwachsenden in eine Richtung steuern will, die staats- bzw. gesellschaftskonform ist.

In seinem „Nachwort zur Neuausgabe“ von „Demokratie und Erziehung“ (1993, S. 503) schreibt Jürgen Oelkers zu John Deweys „pädagogischer Wendung“: „Die Idee ist, ‚Erziehung’ als demokratische Erfahrung zu begründen, wie andererseits ‚Demokratie’ als Medium der Erziehungserfahrung zu verstehen. Erziehung ist nicht Funktion oder Instrument der Politik, sondern sie verwirklicht sich als Demokratie. Dabei sind Schulen embryonale Orte der Gesellschaft, nicht Anstalten des Staates.“

J. Deweys Erziehungsbegriff basiert auf der Vorstellung einer wechselseitigen Beziehung zwischen Mensch und seiner natürlichen sowie sozialen Umwelt. Damit wendet er sich gegen dualistische Theorien in „klassischen philosophischen Systemen“, die beispielsweise „Geist und Stoff“, „Körper und Geist“ oder „Individuum und Gruppe“ gegenüberstellen (vgl. Dewey 1993, S. 416).

John Dewey vertritt die Auffassung, dass „zwischen menschlichen Impulsen und Instinkten und den Kräften der Natur ein enger Zusammenhang besteht (...)“ und dass „geistiges Wachstum die Teilnahme an zielstrebigen Gemeinschaftsbetätigungen voraussetzt“ (vgl. Dewey 1993, S. 216).

In John Deweys Erziehungsphilosophie besitzt der Begriff „Erfahrung“ eine zentrale Bedeutung. „Erziehung“ kann nach Dewey als „beständige Erneuerung der Erfahrung“ begriffen werden (vgl. Dewey 1993, S. 112). Dabei spielt bei dem Prozess der Erfahrung das „Denken“ eine besondere Rolle; nach Dewey gibt es „keinerlei sinnvolle Erfahrung“, die nicht das „Element des Denkens“ enthält (vgl. Dewey 1993, S. 193). In diesem Zusammenhang spricht Dewey von „denkender Erfahrung“, die er als absichtliches „Bemühen, zwischen unserem Handeln und seinen Folgen, die Beziehungen (… ) aufzudecken“, definiert (vgl. Dewey 1993, S. 195).

J. Dewey charakterisiert die „denkende Erfahrung“ mit folgenden „allgemeinen Zügen“ (Dewey 1993, S. 201):

1. „ Befremdung, Verwirrung, Zweifel (…);

2. (…) eine probeweise Deutung der gegebenen Elemente (…);

3. eine sorgfältige Erkundung (…) aller (…) Umstände (…);

4. eine versuchsweise Ausgestaltung der vorläufigen Annahme (…);

5. Entwicklung eines Planes für das eigene Handeln (…).“

Bei der existenzphilosophischen Auffassung von „Erfahrung“ kann es zum Umdenken und zu Verhaltensänderungen durch „erlittene Ereignisse“ kommen; diese werden als „grundsätzliche Unsicherheit“ und als „Grenzen menschlicher Existenz“ erfahren (vgl. Duncker 1987, S. 19). Im Gegensatz zu dieser Auffassung betont John Dewey das aktive Element beim Erfahrungsprozess.

In seiner Schrift „Demokratie und Erziehung“ (1993, S. 186 f.) schreibt Dewey: „Die aktive Seite der Erfahrung ist Ausprobieren, Versuch – man macht Erfahrungen.“ Für Dewey ist „Erfahrung“ nicht nur eine passive Hinnahme oder Erduldung; er sieht auch die Möglichkeit, dass Menschen aktiv auf Erfahrungen Einfluss nehmen können, indem sie beispielsweise selbst entscheiden, ob sie Erfahrungen vermeiden oder sich ihnen stellen. „Erfahren“ bedeutet für Dewey auch ein „Versuchen“, ein „Experiment mit der Welt zum Zwecke ihrer Erkennung“ (Dewey 1993, S. 187).

Ein weiteres Kennzeichen des Erfahrungsbegriffs John Deweys ist der soziale Bezug des Individuums. Der „Philosoph und Pädagoge der Demokratie“ (vgl. Bohnsack 1979, S. 85) unterscheidet zwischen „pädagogisch wertvollen und pädagogisch wertlosen Erfahrungen“ (vgl. Dewey 1986, S. 283).

John Dewey vertritt die Auffassung, dass „demokratisch geregelte soziale Belange eine bessere Qualität menschlicher Erfahrung fördern“, als das bei „nicht-demokratischen (…) Formen der Fall ist (vgl. Dewey 1986, S. 284).

Projekthandeln als offene Lernform (vgl. Teil 2.2.1), bei dem den Schülerinnen und Schülern Mitbestimmung und Freiheit bei der Durchführung der selbstgewählten Projekte gewährt wird, die Zusammenarbeit der Projektgruppen auf demokratischem Weg geregelt wird sowie durch eine Erkundung der gesellschaftlichen und natürlichen Wirklichkeit dem Entdeckungs- und Forschungsdrang der Beteiligten entspricht und zu Aktivitäten motiviert, kann – im Gegensatz zu manchen schulischen Lernerfahrungen – einen pädagogisch sehr wertvollen Erfahrungszuwachs bewirken.

Projekthandeln trägt aber nicht nur zur „Höherentwicklung des Individuums“ (heute wird im Allgemeinen der Begriff „Persönlichkeitsförderung“ verwendet), sondern auch zur „Höherentwicklung der sozialen Umwelt“ ( Demokratie) bei (vgl. Hänsel 1986, S. 25). Projekthandeln kann eine Demokratisierung an den Schulen bewirken.

Demokratie“ wird von Dewey also nicht nur als „Regierungsform“, sondern vor allem als „Form des Zusammenlebens der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung“ interpretiert (Dewey 1993, S. 121).

Für Dewey ist erst in einer demokratischen Umgebung Erziehung möglich, was sich für ihn in der Schule in der „Mitbestimmung der Schüler“ zeigt (vgl. Bohnsack 1979, S. 93 f.).

Heute besteht Konsens darüber, dass das pädagogische Begleiten seiner „Grundtendenz nach ein demokratisches Geschehen“ ist; dies zeigt sich in der Achtung der pädagogischen Begleiterinnen und Begleiter (Lehrerinnen und Lehrer) vor der Individualität der Kinder und Jugendlichen (vgl. Gerr 1998, S. 71). Weil Lernen immer auch „Wahrnehmungslernen“ bedeutet (Tausch/Tausch 1979), ist der demokratische Erziehungsstil an den öffentlichen Schulen der angemessene.

Zusammenfassende Definitionen zum Begriff „Demokratie“

  • Demokratie als Regierungsform:

„Demokratie“ bedeutet „Volksherrschaft“. Man kann zwischen unmittelbarer (direkter) und mittelbarer (repräsentativer/parlamentarischer) Demokratie unterscheiden.

Der Volkswille vollzieht sich durch Mehrheitsentscheidung in Wahlen und Abstimmungen. Die demokratische Ordnung ist in einer Verfassung (Grundgesetz) verankert.

  • Demokratie als Lebensform:

„Demokratie“ kann auch als Form des Zusammenlebens aufgefasst werden. Demokratisches Handeln zeigt sich in einem respektvollen Umgang mit allem Leben.

Gelebte Demokratie schließt eine aktive Mitverantwortung für die Menschen und die Mitwelt ein (vgl. Gerr ²2009, S. 12).

Demokratisches Handeln zeigt sich auch in einer Berücksichtigung der Bedürfnisse von Minderheiten.

  • Demokratie in der Pädagogik J. Deweys:

Nach J. Dewey wird Erziehung, die er „Höherentwicklung des Individuums“ nennt, erst in in einer demokratischen Umgebung möglich. „Demokratie“ ist für ihn eine Form des (demokratischen) Zusammenlebens „gemeinsamer und miteinander geteilter Erfahrungen“ (Dewey 1993, S. 121).

1.1.3 Demokratische Werte

V on pädagogischer Bedeutung ist vor allem auch, dass das Handeln bei sozialen Projekten oder auch bei Umweltschutzprojekten einen Bezug zu demokratischen Werten besitzt. Durch die gedankliche Auseinandersetzung in den Reflexionsphasen mit dem Projekthandeln im Hinblick auf demokratische Werte und Verhaltensregeln wird im Sinne von John Dewey eine „denkende Erfahrung“ ermöglicht und damit nicht nur eine demokratische Persönlichkeitsförderung angeregt, sondern auch eine Demokratisierung der sozialen Umwelt, beispielsweise an den öffentlichen Schulen, initiiert.

In diesem Kapitel soll kurz auf einige wesentliche Werte, die für ein demokratisches Zusammenleben von Bedeutung sind, eingegangen werden.

Als zentralen demokratischen Wert kann man das „Leben“ ansehen; von ihm können alle weiteren demokratischen Werte und damit auch Normen (Verhaltensregeln) abgeleitet werden (vgl. Gerr 1998, S 60).

Ein demokratisches Zusammenleben im zwischenmenschlichen Bereich zeigt sich in einem respektvollen Umgang mit den anderen. Die „Würde des Menschen“ ist in der Bundesrepublik Deutschland als Grundrecht in Artikel 1 des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 verankert; dies zeigt, dass „Demokratie“ als Regierungsform und als Lebensform übereinstimmende Ziele haben sollten, was sowohl in der gesellschaftlichen als auch politischen Realität nicht immer der Fall ist.

Auch in der internationalen Völkergemeinschaft existieren Vereinbarungen in humanitärer Hinsicht. In der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNO) wurde bereits am 10. Dezember 1948 eine Resolution zu den Menschenrechten erlassen, in der sich die Mitgliedsstaaten zur Einhaltung verpflichtet haben. Zu diesen Rechten zählen beispielsweise die „Würde des Menschen“ (Art. 1) und das Recht auf „Leben, Freiheit und Sicherheit der Person “ (Art. 3), aber beispielsweise auch das Recht auf „soziale Sicherheit“ (Art. 22) und auf „gerechte Entlohnung (…), die „eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert“ (Art. 23) − (vgl. UNO A/RES/217 A III – Allgemeine Erklärung der Menschenrechte v. 10.12.1948!).

Trotz dieser verbindlichen Vereinbarung finden gegenwärtig permanent Menschenrechtsverletzungen in vielen Staaten statt.

Aus der Anerkennung des Lebens als Wert ergeben sich im Hinblick auf ein ethisches Handeln in Politik und Gesellschaft Aufgaben wie der Einsatz fürsoziale Gerechtigkeit und Frieden, Achtung der Menschenwürde in allen Lebensbereichen, weltweite Verständigung und Toleranz, Entwicklungshilfe und Maßnahmen gegen den Hunger und das Elend auf der Welt.

Demokratische Werte beziehen sich nicht nur auf den zwischenmenschlichen Bereich. Wenn das „Leben“ als der zentrale Wert angesehen wird, so ist bei einem wertorientierten Handeln beispielsweise auch der Schutz der Umwelt und lebenden Mitwelt zu berücksichtigen.

Zweckrationale Aspekte wie z. B. der Schutz der Regenwälder wegen negativer existenzieller Auswirkungen bezüglich einer drohenden Klimaveränderung oder der Schutz der Wälder aus ökonomischen Gründen entsprechen einer anthropozentrischen Sichtweise, bei der der Schutz der lebenden Mitwelt vor allem unter Nützlichkeitserwägungen erfolgt. Eine solche, häufig in Politik und Gesellschaft vertretene Auffassung verstellt den Blick für die Tatsache, dass das Leben einen absoluten Wert besitzt (vgl. Gerr 1998, S. 60).

Tiere gelten in rechtlicher Hinsicht in vielen Staaten häufig noch als „Sachwert“. Ein würdeloser Umgang mit Tieren (wie bei der Massentierhaltung) aus Gründen des Profits ist ein Beispiel für ein mangelndes demokratisches Wertebewusstsein im Sinne der „Demokratie als Lebensform“.

Dieser hier sehr knapp angedeutete Problembereich zeigt, dass „Demokratie“ als Lebens- und Regierungsform einer permanenten Weiterentwicklung bedarf.

In den Erziehungsinstitutionen sollte deshalb die systematische und aufbauende Förderung der Demokratiefähigkeit eine permanente pädagogische Aufgabe sein. Erfolgreiches demokratisches Lernen ist nicht nur das wohl wirkungsvollste Mittel, um personaler Gewalt vorzubeugen; demokratiefähige Politiker, die das Allgemeinwohl im Blick haben, können zur Vermeidung von „struktureller Gewalt“ (Galtung) beitragen (Ausbeutung der Arbeitnehmer durch Niedriglöhne, Lobbyarbeit für große Konzerne durch Privatisierung von Gütern, die der Allgemeinheit zustehen, und Tragen der Verluste durch das Gemeinwesen über Steuermittel, Ausbeutung von Ressourcen wie Kohle auf Kosten des Klimaschutzes etc.).

Um in Gesellschaft und Politik antidemokratischen Tendenzen vorzubeugen, stellt sich als zentrale Aufgabe in unserem Erziehungs- und Bildungs-wesen, geeignete pädagogische Konzepte zu entwickeln, mit dem Ziel, ein friedliches und tolerantes Zusammenleben in der inzwischen multikulturellen Gesellschaft zu fördern und den Zusammenhalt zu festigen. Ein Leben von Demokratie ist auch der beste Garant für einen weltweiten Frieden.

1.2 Kompetenzen für das demokratische Zusammenleben

Aus der Tatsache, dass sowohl beim Handeln von Politikern als auch im gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen öfters demokratische Werte verletzt werden, ergibt sich die Forderung nach einer systematischen Förderung eines demokratischen Verhaltens vom Kindergarten an.

Eine Förderung der Demokratiefähigkeit kann man dem Bereich des politischen Lernens zuordnen, das wiederum als Bereich des allgemeinen Erziehungsauftrages an den öffentlichen Schulen anzusehen ist.

Theodor Wilhelm (1977, S. 342 f.) referiert die, in den nordrhein-westfälischen „Richtlinien für den politischen Unterricht“ von 1973 ge-nannten Qualifikationen, welche die Schülerinnen und Schüler als künftige demokratiefähige Bürgerinnen und Bürgern befähigen sollen, die gesellschaftspolitischen Situationen kompetent zu bewältigen; sie können auch heute noch als gültig angesehen werden.

Zu diesen Qualifikationen gehören die „Fähigkeit und Bereitschaft,

- gesellschaftliche Strukturen und Verhältnisse kritisch auf ihre Notwendigkeit, Interessen, Normen und Werte hin zu überprüfen, was eine Auseinandersetzung mit den Realitäten voraussetzt,

- Möglichkeiten aktiver Einflussnahme auf gesellschaftliche Vorgänge zu nutzen,

- Kreativität und Eigeninitiative für politische Alternativen zu entwickeln und Wege zur Realisierung solcher Vorstellungen zu suchen,

- die Sprache (Begriffe) von Politikern und führenden Persönlichkei-ten in Parteien und Interessengruppen (z. B. Gewerkschaften) auf ih-re ideologische Bedeutung hin zu analysieren und zu durchschauen,

- gesellschaftlich-politische Aufgaben und Notwendigkeiten (z.B. Umweltschutz) zu erkennen und – unter Zurückstellung der eigenen Interessen – einen aktiven Beitrag zur Bewältigung von Problemen zu leisten,

- individuelle Lebensansprüche und -qualitäten zu bewahren und auch für andere durchzusetzen (soweit sie nicht zu Lasten anderer gehen),

- in gesellschaftlichen und sozialen Vereinigungen mitzuarbeiten,

- Vorurteile gegenüber anderen Gesellschaften und Volksgruppen abzubauen und sich für Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit auf der Welt einzusetzen und

- für Minderheiten und unterprivilegierte Gruppen Partei zu ergreifen und ihre Interessen zu vertreten und zu schützen“ (vgl. auch Gerr 1992, S. 11).

Um solche Ziele zu erreichen, bedarf es einer kontinuierlichen und permanenten Förderung demokratischen Lernens. Wenn diese Kontinuität des Erfahrungslernens im Sinne von John Dewey fehlt (vgl. Dewey 1986, S. 283 ff.), kann nicht erwartet werden, dass in unserem Gemeinwesen genügend politisch mündige und demokratiefähige Erwachsene vorhanden sind, um die politischen Aufgaben eines freiheitlich-demokratischen Staates bewältigen zu können.

Deshalb darf sich die Förderung von demokratischen Kompetenzen nicht nur auf eine vorwiegend theoretische Auseinandersetzung mit politischen Fragen beschränken. Das wesentlichste methodische Prinzip für das demokratische Lernen ist die konsequente Verwirklichung des Grundsatzes des Erfahrungslernens („learning by experience“).

1.2.1 Förderung der motorischen und kognitiven Fähigkeiten

L ernvoraussetzungen wie die Motorik, die Sprache oder die Wahrnehmungsfähigkeit bilden die Grundlage für alle Operationen, Lern- und Erziehungsprozesse. Im Hinblick auf eine systematische und aufbauende Förderung sozialer und demokratischer Kompetenzen sind solche Lernvoraussetzungen von elementarer Bedeutung.

Lernen ist ohne Motorik und Wahrnehmung nicht möglich. Kinder brauchen die Bewegung auch für ihr psychisches Wohlbefinden. Eine ausreichende psychomotorische Förderung bildet die Grundlage für die Entwicklung der Selbst- und Sozialkompetenzen (vgl. Kap. 1.2.2 und 1.2.3) sowie der Sachkompetenzen.

Eine Förderung von motorischen, kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten findet im Allgemeinen bereits in den Familien oder in Spielgruppen statt. In den Kindergärten werden die Kinder gezielt in diesen Bereichen auf spielerische Weise gefördert. Eine systematische Förderung von Wahrnehmung, Konzentration, Sprache, Fantasie oder Grob- und Feinmotorik in den Grundschulen ist für alle weiteren schulischen Lernprozesse wichtig. Solche Fähigkeiten sollten in den Grundschulen auch noch über Spiele gefördert werden.

In den folgenden Ausführungen werden in knapper Form beispielhaft die Aspekte „Motorik“ und „Wahrnehmung“ thematisiert.

Die körperliche Entwicklung im vorschulischen Alter kann unterschiedlich sein; gemeinsames Kennzeichen ist aber das häufig ausgeprägte Bedürfnis nach Bewegung und Aktivität. Kinder bevorzugen Bewegungsspiele, die sie für ihre Entwicklung benötigen; so fördert das Schaukeln beispielsweise die „sensorische Integration“ (Zusammenspiel der Sinne wie sehen, hören etc.). Beim Ausleben des Bewegungsdranges (Rennen etc.) werden motorische Grundformen menschlicher Bewegung eingeübt; unter anderem werden das Reaktionsvermögen, die Balance, die Koordination, Kraft, Ausdauer und die Beweglichkeit gefördert. Kinder brauchen die Bewegung auch für ihr psychisches Wohlbefinden. Eine „Beschneidung motorischer Möglichkeiten“ führt auch zu einer „Domestizierung der Seele“ (vgl. Baacke 1984, S. 136).

Trotz des Bewegungsdranges fehlt Kindern häufig noch die Ausdauer. Deshalb ist eine Rhythmisierung bei den Unternehmungen mit Kindern sinnvoll; auf Phasen der Bewegung, in denen Grob- und Feinmotorik gefördert werden können, sollten Phasen der Ruhe und Konzentration folgen.

Auch die kognitive Entwicklung ist bei Kindern im vorschulischen Alter häufig unterschiedlich, da sie unter anderem von der jeweiligen Förderung abhängig ist. ‒ Mit „Kognition“ werden in der Psychologie alle Vorgänge bezeichnet, die mit „Wahrnehmung “, „Erkennen“ und „Denken“ in Verbindung gebracht werden.

Die „Wahrnehmungsfähigkeit“ gehört zu den wichtigen Grundlagen, die Kindern ein Lernen ermöglichen. Eine Schulung der Sinne wie das Riechen, Schmecken, Tasten und Hören ist gerade heute von Bedeutung, um die oft vorwiegend einseitig beanspruchte optische Wahrnehmung durch den häufigen Medienkonsum zu ergänzen.

Eine umfassende Förderung der Sensibilität (Fähigkeit zur Reizwahrnehmung) ist nicht nur für das „Lernen im schulischen Sinne von Bedeutung, sondern auch für den zwischenmenschlichen Bereich“ notwendig. „Sensibilität“ ist beispielsweise für das Einfühlungsvermögen (Empathie) und für ein „sensibles Reagieren“ beim Umgang mit anderen Menschen hilfreich (vgl. Gerr 2000, S. 35).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Spielen für Kinder die angemessene Form des Lernens ist und deshalb vor allem noch in der Grundschule Berücksichtigung finden sollte. Im Spiel setzt sich das Kind handelnd mit seiner Umwelt auseinander; das Spiel kommt der operativen Denkart der Kinder entgegen. „Im Spiel erlebt das Kind sich und seine Welt und gewinnt die nötigen Fähigkeiten und Lernvoraussetzungen, die für den Erwerb der Handlungsfähigkeit in der sozialen Umwelt von Bedeutung sind. Spielen fördert motorische, sensorische, soziale, emotionale und sprachliche Fähigkeiten, welche die Grundlage für alle Lern- und Erziehungsprozesse sind. Auch die intellektuelle Leistungsfähigkeit ist unter anderem abhängig von den erlernten Reflexen und von motorischen und sensorischen“ Fähigkeiten (vgl. Gerr 2000, S. 37 f.). Kinder brauchen das Spiel für eine umfassende Förderung.

A n r e g u n g e n f ü r d i e P r a x i s

Beispielhaft für die basale Förderung der Kinder sollen hier Anregungen für die Wahrnehmungsbereiche gegeben werden. Die verschiedenen Sinne können in vielen Spielen angesprochen werden. Besonders geeignet für eine Förderung der Sinne wie das Riechen, das Schmecken, das Tasten, das Sehen und Hören sind die „K i m s p i e l e“; den Namen haben diese Spiele in Anlehnung an Rudyard Kiplings Romanfigur „Kim“ erhalten. Bei diesen Spielen können Kinder durch eine bewusste Ausschaltung eines Sinnes (beispielsweise der optischen Wahrnehmung) neue Empfindungen entdecken (z. B. taktiles Wahrnehmen von verschiedenen Materialien). Bei Kindern im Grundschulalter ist es in methodischer Hinsicht sinnvoll, Reize aus nur einem Wahrnehmungsbereich anzubieten (vgl. Gerr 2000, S. 36).

Kimspiele machen nicht nur Kindern Spaß, sie benötigen keine langen Vorbereitungen und können mit einfachen Mitteln durchgeführt werden; sie bieten sich auch für eine Rhythmisierung der Unterrichtsarbeit an.

Beispiele aus den Wahrnehmungsbereichen (vgl. Gerr 2000, S. 36 f.):

Tastkim:

- Materialien mit verschiedener Oberflächenbeschaffenheit (Leder, Glas, feines Schleifpapier, Wellpappe etc.) werden von den Kindern mit verbundenen Augen ertastet;

- es werden in einer Schüssel verschiedene Früchte (Bucheckern, Kastanien, Erbsen, Hagebutten etc.) angeboten, aus der eine Sorte herausgelesen wird;

- unter einem Tuch liegende kleine Gegenstände (Radiergummi, Spitzer, Bleistift etc.) werden von den Kindern ertastet und die Begriffe der erkannten Dinge aufgeschrieben.

Riechkim:

- Verschiedene Naturmaterialien (Holz, Leder etc.) werden mit verbundenen Augen am Geruch erkannt:

- verschiedene reife und aufgeschnittene Früchte (Äpfel etc.) werden mit verbundenen Augen durch Riechen erkannt.

Schmeckkim:

- Verschiedene Getränke (Tee, Limonade, Cola, Wasser etc.) werden mit verbundenen Augen am Geschmack erkannt;

- verschiedene Obstsorten (Obststückchen von Äpfeln, Ananas, Birnen etc.) werden am Geschmack identifiziert;

- verschiedene Fruchtjoghurts sind geschmacklich zu erkennen;

- Zitrusfrüchte wie Mandarine, Orange, Pampelmuse oder Orange sollen geschmacklich unterschieden werden;

- verschiedenes Gemüse (Gurke, gelbe Rübe etc.), Wurst- oder Käsesorten etc. sollen mit verbundenen Augen erkannt werden;

- verschiedene Gewürze wie Pfeffer, Salz, Curry oder Zucker sind mit verbundenen Augen über ein Schmecken zu erkennen und zu benennen.

Hörkim:

- Von den Kindern werden mit geschlossenen Augen verschiedene Alltagsgeräusche wahrgenommen und benannt;

- die Kinder werden gruppenweise in verschiedene Tierfamilien ein-geteilt (Katzen, Hunde, Kühe, Schafe etc.) und versuchen mit verbundenen Augen die Tierlaute zu unterscheiden und zur eigenen Tiergruppe zu finden;

- mit einem Stab wird an verschiedene Gegenstände aus Holz, Glas, Blech etc. geklopft; mit geschlossenen Augen soll am Laut des Klopfens der Gegenstand erkannt werden.

Sehkim:

Bei der Förderung der optischen Wahrnehmungsfähigkeit können die

Kimspiele auch mit einem Gedächtnistraining verbunden werden.

- Verschiedene Gegenstände (Teller, Kerze, Becher etc.) liegen auf einem Tisch; die Schüler schauen sie sich an und prägen sie sich ein; nach Abdecken der Gegenstände mit einem Tuch schreiben die Kinder möglichst viele Begriffe der Gegenstände auf ein Blatt;

- jeweils zwei Kinder stehen sich gegenüber und betrachten sich genau; während ein Kind etwas an sich verändert (beispielsweise seine Körperhaltung), hat das andere Kind die Augen geschlossen; die Veränderung soll wahrgenommen werden; danach findet ein Rollenwechsel statt.

Motorische, sensorische, soziale, emotionale und sprachliche Fähigkeiten sollten nicht nur in den Kindergärten, sondern auch noch an den Grundschulen gefördert werden. Deshalb sollten Zeiten für Spiele eingeplant werden, die für die Kinder motivierend sind und sich zur Förderung grundlegender Fähigkeiten eignen. Spielen ist auch für die demokratischen Lernprozesse von Bedeutung, da Kompetenzen wie Gruppenfähigkeit oder prosoziales Verhalten für das „Leben von Demokratie“ benötigt werden.

So tragen beispielsweise R e g e l s p i e l e durch die „Handlungserfahrung“ zum „Verständnis der Notwendigkeit sozialer Regeln des Zusammenlebens“ bei (vgl. Oerter 1987, S. 230).

Auch G r u p p e n - u n d K o n t a k t s p i e l e sind geeignet, soziale Kompetenzen wie Kontakt-, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit oder Hilfsbereitschaft bei Kindern anzubahnen. Kinder lernen, die eigenen Gefühle (Ärger, Ängste, Ablehnung, Wünsche etc.) wahrzunehmen, sie zu äußern und zu akzeptieren; sie werden auch sensibel für die Situation ihrer Spielpartner. Solche Fähigkeiten tragen zur „interaktionellen Kompetenz“ und damit zur Demokratiefähigkeit bei.

Auch die beliebten T e a m s p i e l e wie Fußball sind ein Übungsfeld prosozialer Verhaltensweisen; sie können bei Kindern und Jugendlichen unter anderem Fairness, Solidarität, Hilfsbereitschaft oder freundschaftliches Verhalten fördern.

In methodischer Hinsicht ist es von Bedeutung, dass nach Spieldurchführung über die individuellen Wahrnehmungen, Gefühle und Verhaltensweisen sowie über demokratische Werte und über das Handeln nach demokratischen Regeln reflektiert wird. Auf diese Weise festigt sich bei Kindern das Bewusstsein für ein demokratisches Verhalten, das im täglichen Umgang mit anderen wirksam werden kann.

Die Förderung von Fähigkeiten wie der Psychomotorik als Grundlage für alle Lernprozesse ist nicht isoliert von der Förderung von Kompetenzen wie der Sprache oder sozialer Fähigkeiten zu sehen. Diese Fähigkeiten sind bedeutungsvoll im Hinblick auf das Gelingen einer aufbauenden Förderung der Selbst- und Sozialkompetenzen, die wiederum wesentliche Fähigkeiten für das Leben von Demokratie darstellen (vgl. Schema 1!).

Die im Schema 1 dargestellten Bereiche stellen also keine unabhängige Stufenfolge dar; persönlichkeitsbezogene, soziale und sachbezogene Förderung von Kompetenzen sind meist aufeinander bezogen und als ganzheitliche Lernprozesse zu interpretieren.

Aktive Mitverantwortung für die Menschen und die Mitwelt als Ausdruck einer Demokratiefähigkeit und Teamfähigkeit [Schema in dieser Version nicht enthalten]
Schema 1 (vgl. Gerr²2009, S. 13)

In seinem Buch „Pädagogische Anthropologie“ (II. Band) verwendet der Erziehungswissenschaftler Heinrich Roth für die „grundlegenden menschlichen Fähigkeiten“ die Begriffe „Sach-, Selbst- und Sozialkompetenz“ (vgl. Roth 1971, S. 180), von denen in den beiden nächsten Kapiteln auf die zwei zuletzt genannten eingegangen wird. Auf die „Sachkompetenzen“ und auch „Methodenkompetenzen“ wird in den Teilen über das „Projekthandeln“ Bezug genommen.

1.2.2 Förderung der Selbstkompetenz

Selbstkompetenz“ umfasst alle persönlichen Fähigkeiten, die zu einem eigenverantwortlichen Handeln qualifizieren. Da das Handeln auch in einer sozialen Umgebung stattfindet, sind die persönlichkeitsbezogenen Fähigkeiten nicht isoliert von den sozialen zu sehen. Auf die Abhängigkeit der beiden Kompetenzbereiche wird an den entsprechenden Stellen hingewiesen. Auf einige Komponenten der Selbstkompetenz wie die Reflexionsfähigkeit wird bei den Ausführungen über das Projekthandeln eingegangen.

Auf wesentliche „Komponenten der Selbstkompetenz“ geht Heidrun Knoll-Jokisch ein (vgl. 1981, S. 92 ff.):

Wahrnehmen, akzeptieren und authentisches Ausdrücken von Gefühlen und Bedürfnissen

Kleinen Kindern fällt es im Allgemeinen schwer, die Ursachen von Gefühlen wie Wut, Neid, Ärger oder Enttäuschung zu erkennen; so bleiben beispielsweise häufig Ängste diffus und werden nicht verstanden.

H. Knoll-Jokisch schreibt zu diesem Problemkomplex (1981, S. 93): „Die eigenen affektiven Reaktionen wahrzunehmen und sie bei sich zu akzeptieren, fällt besonders schwer bei (…) negativen Empfindungen (…). Kinder lernen sehr früh, solche Gefühle zu unterdrücken.“ Dies beeinträchtigt „sowohl das eigene Wohlbefinden als auch die offene Kommunikation. (…) Wer unangenehme Gefühle bei sich nicht akzeptiert, wird sie auch bei anderen nicht zulassen wollen.“

Wenn zum Beispiel ein Kind seinen Ärger und seine Aggressionen nicht frei bekennen kann, ist eine Aufarbeitung (beispielsweise über ein Gespräch) nicht möglich; dies kann ein unkontrolliertes aggressives Verhalten zur Folge haben.

Im Hinblick auf das Leben von Demokratie, das unter anderem das Lösen von Konflikten durch Schließen von Kompromissen oder das Verständnis für Regeln eines sozialen Miteinanders beinhaltet, sind aber Fähigkeiten wie das Erkennen der eigenen Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse und das authentische Ausdrücken dieser für die sozialen Inter-aktionen von elementarer Bedeutung. Diese Fähigkeiten sind die Grund-lage für das Verstehen der Gefühle und Bedürfnisse anderer.

Eine systematische Förderung dieser und anderer Fähigkeiten ist im Kin-desalter vor allem über Spiele möglich. Bei Spielen wird Kindern ermöglicht, ohne Angst, sich lächerlich zu machen oder sanktioniert zu werden, ihre Gefühle und Bedürfnisse frei zu bekennen, was auch eine sprachliche Förderung erforderlich macht.

In Spielen, die ein freies Bekennen fördern, erfahren Kinder Anerkennung, und sie werden sensibel für die Bedürfnisse anderer. Empathie und ein freies Bekennen (auch unangenehmer Gefühle) sind wichtige Fähigkeiten für soziale und demokratische Verhaltensweisen im Erwachsenenalter.

Anerkennen der eigenen Stärken und Schwächen sowie Entwickeln von Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl

Ein Stärkung des Selbstwertgefühls ist auch von der Entwicklung des Selbstvertrauens abhängig. In pädagogischer Hinsicht gibt es nichts Wertvolleres als Kinder und Jugendliche in ihrem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken und damit ein positives Selbstbild zu vermitteln. Ein gesundes Selbstwertgefühl ist nicht nur entscheidend für die Erfolge in Schule und Beruf, sondern auch für das Glück im privaten Leben.

Wer nicht gelernt hat, seine eigenen Stärken und Schwächen, Misserfolge und Fehler anzunehmen, wird kein angemessenes Selbstwertgefühl aufbauen können. Minderwertigkeitsgefühle und geringes Selbstvertrauen aber erschweren den Umgang mit anderen Menschen. Selbstzweifel und Angst vor Misserfolgen führen auch häufig in der Schule zum Versagen.

Die Entwicklung des Selbstvertrauens und damit auch des Selbstwertgefühls ist abhängig vom sozialen Umfeld.

Eltern oder Lehrkräfte, die ihre Kinder beziehungsweise ihre Schüler und Schülerinnen häufig kritisieren, sie herabsetzen oder ihnen wenig zutrauen, behindern eine gesunde psychische Persönlichkeitsförderung. Gerade die Jüngeren sind meist noch von der Einschätzung der Bezugspersonen abhängig.

Lob, Ermunterung und Anerkennung der vollbrachten Leistung stärken dagegen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Über Erfolgserlebnisse können Kinder zur Erkenntnis gelangen, dass jeder Stärken besitzt, die unterschiedlich sein können; damit lassen sich die eigenen Schwächen leichter annehmen. Kleine Kinder, aber auch Schüler müssen spüren, dass sie trotz ihrer Schwächen und Fehler angenommen beziehungsweise geliebt werden. Die Wertschätzung von Bezugspersonen stärkt daseigene Wertgefühl und steigert das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Im Unterricht sollte deshalb den Schülerinnen und Schülern zugestanden werden, Fehler zu begehen. Pädagogisches Begleiten in den Schulen schließt ein, den Schwächeren Hilfen zu gewähren, damit sie die Erfahrungen gewinnen können, dass eine Leistungssteigerung und Weiterentwicklung der Fähigkeiten möglich sind; mit dieser Erkenntnis ist eine Stärkung desSelbstvertrauens und des Selbstbewusstseins verbunden. Dies führt zur Anerkennung der eigenen Stärken und Schwächen.

Kinder und Jugendliche, die Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl entwickelt haben, sind in ihrem Verhalten im Allgemeinen authentisch, und sie haben gelernt, auch ihre Bedürfnisse und Wünsche zu artikulieren.

Förderung von Selbständigkeit und Entscheidungsfähigkeit

Die Erziehung zur Selbständigkeit beginnt bereits in den Familien und Kindertagesstätten. Unter anderem gehören dazu, die Neugierde der Kin-der für ihre Umgebung (Spielzeug, Natur etc.) zu wecken und sie anzuregen, sich mit den Dingen handelnd auseinanderzusetzen. Auf diese Weise können Kinder auch ihre Bedürfnisse entdecken und sich bewusst für eine spielerische Tätigkeit entscheiden.

Während man im Allgemeinen kleinen Kindern ein freies und kreatives Umgehen mit dem Spielzeug ermöglicht, erwartet man in den Schulen vor allem ein sachgerechtes Arbeiten.

Über ein Angebot unterschiedlicher Aufgabenstellungen und Anforderungen kann den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geboten werden, sich frei für eine Tätigkeit zu entscheiden.

In offenen Unterrichtssituationen sind die Rahmenbedingungen für eine Förderung von Kompetenzen wie Selbständigkeit oder Entscheidungsfähigkeit besonders günstig; im Hinblick auf eine effiziente Arbeit sollten zuvor die Schüler in die entsprechenden Techniken sowie Denk- und Arbeitsweisen eingeführt werden. Freie Unterrichtsarbeit erfordert Methodenkompetenz auch bei den Schülerinnen und Schülern.

Selbständiges und eigenverantwortliches Handeln ist besonders im projektorientierten Unterricht möglich, denn den Schülerinnen und Schülern wird eine selbständige Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand gewährt.

Beim Projekthandeln können alle über die Schwerpunkte bei der Zielsetzung auf demokratischem Wege eine Entscheidung treffen; die Klassengemeinschaft legt zusammen mit der Lehrkraft fest, welche Lernwege beschritten werden, welche Handlungsformen bei der Beschaffung der Informationen geeignet sind, wie die Vorbereitung und Durchführung des Projekts organisiert werden soll und welche Sozialformen (beispielsweise Gruppenarbeit) sich anbieten und von den Projektteilnehmern gewünscht werden (vgl. auch Wagner 1979, S. 174 ff.).

Die freien Entscheidungen beziehen sich auch auf den Lernraum; da beim Projekthandeln eine Erkundung der Wirklichkeit für die Zielsetzung und die Projektdurchführung notwendig ist, sind die Projektgruppen häufig im außerschulischen Raum unterwegs.

Ein Förderung der Selbständigkeit kann auch erreicht werden, wenn den Schülerinnen und Schülern beim Lernen in den Gruppen ein freies und selbstbestimmtes Lernen ermöglicht wird. Dazu gehören auch das Treffen von demokratischen Entscheidungen, die eigenständige Kontrolle der Lernergebnisse und das Reflektieren im Team hinsichtlich demokratischer Werte beim gemeinsamen Handeln.

Selbständigkeit und Entscheidungsfähigkeit sind Kompetenzen, die im beruflichen Leben benötigt werden; zudem tragen sie bei, in den verschiedenen Lebenssituationen bereit und fähig zu sein, Verantwortung zu übernehmen. Deshalb sollte selbständiges Lernen als Unterrichtsprinzip gelten.

[...]


[1] Die Ausführungen über den Begriff „Demokratie“ und die demokratischen Werte wurden abschnittweise dem Buch „DEMOKRATIE LEBEN“ (Gerr, 2015, S. 9-13) und dem nicht veröffentlichten Manuskript „Erziehung zur Demokratie in der Pädagogik Robert Baden-Powells und Gustav Wynekens. Eine vergleichen-de Analyse“ (Gerr o. J., S. 13 ff.) entnommen.

Fin de l'extrait de 163 pages

Résumé des informations

Titre
Demokratie leben lernen und Projekthandeln. Einführung in die Demokratiepädagogik
Sous-titre
3. erweiterte Auflage 2018
Auteur
Année
2018
Pages
163
N° de catalogue
V366984
ISBN (ebook)
9783668454477
ISBN (Livre)
9783668454484
Taille d'un fichier
2638 KB
Langue
allemand
Mots clés
Projektunterricht, Demokratiepädagogik, Projektphasen, Demokratie als Lebensform, Kompetenzen der Demokratiefähigkeit, offener Unterricht, Demokratie
Citation du texte
Dr. phil. Hans E. Gerr (Auteur), 2018, Demokratie leben lernen und Projekthandeln. Einführung in die Demokratiepädagogik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/366984

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