Liberalismus vs Positive und negative Freiheit. Freiheitskonzeptionen bei Hannah Arendt und Isaiah Berlin


Term Paper, 2016

20 Pages


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Inhalt

1. Einleitung

2. Isaiah Berlins zwei Freiheitskonzeptionen
2.1 Negative Freiheit
2.2 Positive Freiheit

3. Hannah Arendts Freiheitsbegriff

4. Arendts Freiheitsbegriff in Bezug auf die Konzepte negativer und positiver Freiheit
4.1 Menschenbild
4.2 Gemeinsamkeiten
4.3 Unterschiede

5. Hannah Arendts Kritik am Liberalismus

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Freiheitsbegriff und dessen unterschiedliche Auslegung ist in der politiktheoretischen De- batte zwischen Liberalismus und Republikanismus zentral. Verschiedene Vorstellungen von Freiheit führen zu verschiedenen Versionen, wie ein politisches System aussehen kann. Isaiah Berlin, ein liberaler Denker, hat in seiner Antrittsvorlesung für die Professur ‚Social and Poli- tical Theory‘ an der Universität Oxford eine viel geachtete Konzeptualisierung von Freiheits- begriffen, die der negativen und der positiven Freiheit, aufgestellt (vgl. Berlin 1998; vgl. Stel- temeier 2015: 406). Hannah Arendt ist eine politische Theoretikerin, die nur schwer in Den- krichtungen einzuordnen ist. Ein bekannt gewordenes Leitbild ihres Schaffens ist das ÄDenken ohne Geländer“, welches eigentlich schon ausschließt sie in eine Denktradition einreihen zu wollen (Arendt 2006). Nichtsdestotrotz wird sie in der republikanischen Tradition verortet, ins- besondere mir ihren Schriften über Freiheit oder den Äöffentlichen Raum“ (vgl. Benhabib 1991: 147; Ladwig 2008).

Das persönliche Verhältnis von Arendt und Berlin lässt sich nicht als freundschaftlich bezeichnen. Beispielsweise sagt Berlin über Arendt: ÄIch gebe zu, daß ich die Ideen dieser Dame nicht besonders schätze. Viele ausgezeichnete Leute haben ihr Werk bewundert. Ich kann das nicht.“ (Berlin/Jahabegloo 1994: 108) Zudem antwortete er auf die Vermutung des Interviewers, dass ja eine inhaltliche Nähe zu Arendt bestehe in Bezug auf Thesen in Arendts Buch ÄThe Jew as Pariah“: Ä[A]ber Sie machen mir Angst, wenn Sie sagen, sie sei mir nahe.“ (ebd.: 110) Wie nah oder fern Arendts Freiheitsauffassung den von Berlin aufgestellten Freiheitskonzeptionen ist, darum soll es unter anderem in dieser Arbeit gehen. So geht sie der Frage nach: In welchem Verhältnis steht Arendts Freiheitsbegriff zu den Konzeptionen negativer und positiver Freiheit von Isaiah Berlin, inwiefern gibt es Unterschiede und Gemeinsamkeiten und inwieweit lässt sich daraus eine Kritik Arendts am Liberalismus erkennen?

Zuerst werden im zweiten Kapitel die zwei Freiheitskonzeptionen Berlins der Änegativen“ und

Äpositiven“ Freiheit beschrieben, wie er sie in seiner Vorlesung ÄTwo Concepts of Liberty“ formuliert hat (Berlin 1998). Das dritte Kapitel widmet sich dem Freiheitsbegriff von Hannah Arendt, hauptsächlich entwickelt aus ihrem Aufsatz ÄFreiheit und Politik“, sowie aus Stellen der Bücher ÄWas ist Politik?“, ÄÜber die Revolution“ und ÄVita Activa.“. Im vierten Kapitel folgt dann der Analyseteil, in dem vergleichend auf das Menschenbild Arendts und Berlins (4.1), sowie auf Gemeinsamkeiten (4.2) und Unterschiede (4.3) der Freiheitsauffassungen ein- gegangen wird. Daneben wird im fünften Kapitel eine mögliche Kritik Arendts an liberalen Vorstellungen Berlins formuliert, basierend auf einem Aufsatz von Rahel Jaeggi, der Arendts Kritik am Liberalismus behandelt (vgl. Jaeggi 2003). Zum Schluss das Fazit.

2. Isaiah Berlins zwei Freiheitskonzeptionen

Isaiah Berlin nimmt in seiner Antrittsvorlesung an der University of Oxford eine grundsätzliche Unterscheidung in zwei verschiedene Begriffe von Freiheit vor: Den der negativen Freiheit und den der positiven Freiheit.

2.1 Negative Freiheit

Die negative Freiheit wird als negativ bezeichnet, weil sie die Freiheit von etwas beschreibt, also die Abwesenheit von jeglichen äußeren Eingriffen, von Zwängen in einen bestimmten pri- vaten Bereich - hier wird Freiheit als Nichteinmischung verstanden (vgl. Berlin 1998: 137; 141). ÄPolitische Freiheit in diesem Sinne bezeichnet den Bereich, in dem sich ein Mensch ungehindert durch andere betätigen kann.“ (ebd.: 132f.) Abzugrenzen ist eine politische Un- freiheit von einem Unvermögen oder einem Nicht-Tun-Können, zum Beispiel dem Nicht-Voll- bringen einer bestimmten Leistung durch körperliche Einschränkungen, da Äbloße[s] Unvermögen, ein Ziel zu erreichen, […] nicht politische Unfreiheit [ist]“ (ebd.: 133). So kommt Berlin auf den Begriff des Zwangs. Damit meint er genau den Vorgang, der einen Eingriff von Menschen in einen persönlichen Bereich darstellt, der jemanden daran hindert, etwas zu tun, was er sonst hätte tun können oder den persönlichen Bereich über ein bestimmtes Mindestmaß hinaus einengt (vgl. ebd.). Weiter kann Zwang auch bedeuten, dass ein Unvermögen, eine bestimmte Sache zu erlangen, durch Abmachungen oder Maßnahmen anderer Menschen, die jemandem etwas vorenthalten, hervorgerufen wird (vgl. ebd.). Dem negativen Freiheitsverständnis zufolge ist man in einer solchen Situation unfrei, man unterliegt einem Zwang oder bei einem sehr drastischen Eingriff - man ist versklavt (vgl. ebd.).

Die Frage nach Gehorsam und Zwang ist zum Verständnis negativer Freiheit zentral.

ÄIn welchem Bereich muß (oder soll) man das Subjekt - einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen - sein und tun lassen, wozu es imstande ist, ohne daß sich andere Menschen einmischen?“ (ebd.: 132)

Diese Fragestellung setzt voraus, dass es einen Bereich geben muss, in den nicht eingegriffen werden darf, dass dieser Grenzen hat und dass der Mensch nur dort bestimmte Fähigkeiten entwickeln kann. Die Existenzberechtigung dieses bestimmten Bereichs und dessen Grenzen erklärt Berlin mit Rückgriff auf Denker wie John Locke, John Stuart Mill, Benjamin Constant und Alexis de Tocqueville, die davon ausgehen, dass es einen solchen Bereich geben muss, weil jedes Individuum ein Mindestmaß an Platz benötige, um seine natürlichen Fähigkeiten zu entwickeln (vgl. ebd.: 134). Daraus erschließt sich auch, dass es eine bestimmte Grenze zwi- schen dem Bereich des Privatlebens und dem der öffentlichen Gewalt geben muss (vgl. ebd.). Wo die genaue Grenze in einer Gesellschaft gezogen werden soll, ist laut Berlin Aushandlungs- sache, da die Menschen stark voneinander abhängig sind und niemand so leben kann, dass er zu keinem Zeitpunkt in den Bereich des anderen eingreift (vgl. ebd.). ÄÄDie Freiheit der Wölfe ist der Tod der Lämmer“; die Freiheit der einen verlangt eine Einschränkung der anderen.“

(ebd.)

Berlin konstatiert, dass das Eindringen in diesen bestimmten persönlichen Bereich, der frei von sozialer Kontrolle ist, wie groß oder klein er auch sein mag, Despotismus ist (vgl. ebd.: 136). Auf die Frage, wie genau das Minimum dieses Bereichs aussehen könne, gibt Berlin keine Ant- wort, er stellt nur fest, dass es einen solchen Bereich der Nichteinmischung geben muss.

ÄAber gleichgültig, mit welchem Prinzip das Gebiet der Nichteinmischung umrissen wird, […] Freiheit in diesem Sinne ist immer Freiheit von etwas; das Fehlen von Übergriffen jenseits einer unfesten, aber stets erkennbaren Grenze.“ (ebd.: 137)

Gänzlich voraussetzungsfrei kommt die negative Freiheit trotzdem nicht aus. Berlin schreibt, dass beispielsweise ein ägyptischer Bauer vor der Freiheit erst einmal Medikamente und Klei- der oder auch Bildung benötigt (ebd.:135). Die Erfüllung der Notwendigkeiten des Lebens ist Voraussetzung für politische Freiheit. Erlangt man diese, ist die politische Freiheit eines Pro- fessors, Künstlers oder Millionärs identisch mit der des ägyptischen Bauern (ebd.).

Darüber hinaus stellt Berlin fest, dass zwischen einer individuellen Freiheit und demokratischer Herrschaft kein notwendiger Zusammenhang besteht (vgl. ebd.:140). Ein Äliberal-gesonnener Despot“ kann auch bestimmte Grundfreiheiten gewähren, genauso wie eine Demokratie einzelnen Staatsbürgern verschiedene Freiheiten vorenthalten kann (vgl. ebd.:139).

2.2 Positive Freiheit

Der positive Freiheitsbegriff zeichnet sich nach Berlin durch den Wunsch nach politischer Selbstbestimmung und Willensautonomie aus. Ein großer Unterschied zwischen der negativen Form der Freiheit, die nach einem Raum, wo jeder frei und unbehelligt handeln kann, strebt, ist oberflächlich erst einmal nicht zu erkennen (vgl. ebd.: 142). Laut Berlin ergibt er sich maßgeblich aus der historischen Entwicklung und deren ideologischen Konflikte, die die beiden Be- griffe in ihrer Rezeption genommen und bestritten haben (vgl. ebd.). Wobei der Wunsch nach politischer Selbstbestimmung historisch älter ist als der nach freiem Handeln in einem geschützten persönlichen Bereich (vgl. ebd.: 139; 141).

Den Menschen beschreiben Vertreter positiver Freiheit laut Berlin als ein vernunftbegabtes Wesen in unbedingter Abgrenzung zu einem Tier oder Sklaven (vgl. ebd.: 141). Ein Wesen, das Entscheidungen trifft und Ziele verwirklicht, ein Handelnder, ein jemand, kein niemand (vgl. ebd.).

Die Metaphern ÄIch bin mein eigener Herr“; ÄIch bin niemandes Sklave“ (ebd.: 142) drücken Willensautonomie oder auch Selbstbestimmung und Selbst-Beherrschung aus. Sie entwickelten sich gemäß Berlin in ihrem Denken aus der Gegenüberstellung des Äwirklichen“ Selbst, des vernunftbegabten Ichs, der Ähöheren“, Äwirklichen“ Natur gegenüber der Äniederen“ Natur, des Äempirischen“, Äheteronormen“ Selbst, also der Annahme und Verteidigung, dass es dieses Äwahre“, Ähöhere“ Selbst gibt (vgl. ebd.). Dieses dominierende Selbst, die Ähöhere“ Natur, hat im Laufe der Zeit die Äungezügelten“ Leidenschaften besiegt, sich aus der ÄSklaverei der Na- tur“ und der Ägeistigen Knechtschaft“ befreit (vgl. ebd.). Diese Erkenntnis wurde dann teil- weise in einem weiteren Schritt in eine höhere Entität projiziert, wie zum Beispiel in die der Rasse, der Nation, der Kirche, des Staats oder einer anderen bestimmten Gemeinschaft (vgl. ebd.). Das Äwahre“, Äbefreite“ Selbst wurde durch diese Projektion zu einem Äorganischen“, einzigartigen Willen von ganzen Gemeinschaften (vgl. ebd.). Das Äniedere“ Selbst, mit all sei- nen Verlangen, Leidenschaften und irrationalen Drängen, muss auf Grund der Erkenntnis, dass es dieses Äwahre“ Selbst eines jede Menschen gibt, dahingehend diszipliniert werden (vgl. ebd.). Nur so kann es diese Ähöhere“ oder eben positive Freiheit erlangen (vgl. ebd.). So be- schreibt Berlin die positive Freiheitsauffassung auch als ÄFreiheit nicht von, sondern Freiheit zu etwas, Freiheit, eine bestimmte, vorgeschriebene Form von Leben zu führen“ (ebd.: 141).

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Details

Title
Liberalismus vs Positive und negative Freiheit. Freiheitskonzeptionen bei Hannah Arendt und Isaiah Berlin
Author
Year
2016
Pages
20
Catalog Number
V367023
ISBN (eBook)
9783668457225
ISBN (Book)
9783668457232
File size
764 KB
Language
German
Keywords
Liberalismus, positive Freiheit, negative Freiheit, Hannah Arendt, Isaiah Berlin, Philosophie, Ethik
Quote paper
Lukas Harmeling (Author), 2016, Liberalismus vs Positive und negative Freiheit. Freiheitskonzeptionen bei Hannah Arendt und Isaiah Berlin, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/367023

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