Die Beschreibung und Darstellung der Dido-Figur im mittelhochdeutschen Erzählen. Ein Vergleich von Heinrich von Veldekes "Eneasroman" und seiner altfranzösischen Vorlage, dem "Roman d' Eneas"


Essai, 2016

15 Pages, Note: 2,0-2,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Beschreibung und Darstellung der Dido in Heinrich von Veldekes „Eneasroman“ und seiner altfranzösischen Vorlage, dem „Roman d‘ Eneas“

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis
4.1. Primärliteratur
4.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Das Faszinosum um Didos tragisches Schicksal, das ihre unerwiderte Liebe zu Eneas und ihren anschließenden Selbstmord umfasst, ist bis heute ungebrochen und hat nicht nur zahlreiche Schriftsteller, sondern auch Künstler wie Rembrandt und Jacob Jordaens und Komponisten wie Henry Purcell, Tomaso Albinoni und Hector Berlioz dazu inspiriert, den Stoff künstlerisch neu zu verarbeiten und neu zu interpretieren.1 Besonders im Mittelalter gab es eine breite literarische Rezeption des Dido-Stoffes, deren beträchtliches Ausmaß vor allem durch die große Bekanntheit und die weite Verbreitung der Dido-Darstellungen von Vergil und Ovid2 zu erklären ist. Sowohl der altfranzösische “Roman d’ Eneas“, der um 1160 von einem französischen Anonymus verfasst wurde, als auch Heinrich von Veldekes „Eneasroman“, der ca. 20 Jahre später entstand und sich an dem Konzept des französischen „Roman d‘ Eneas“ orientiert, folgen vor allem im Lavinia-Teil Ovids Vorlage, indem sie die Thematik der Liebe als neue literarische Innovation mittelalterlichen Erzählens einführen und den römischen Heldenepos der klassischen Antike in einen frühhöfischen Minneroman umgestalten.3 Beide Texte begründen darüber hinaus eine neue Art der mittelalterlichen Erzählkunst, die sich durch die Verwendung zahlreicher Beschreibungen, insbesondere der descriptio personae, auszeichnet.4

Die Forschungsliteratur hat ihre Aufmerksamkeit bei einem Vergleich der beiden Werke bislang jedoch hauptsächlich auf die Frage gerichtet, auf welche Weise Heinrich von Veldeke die Dido-Erzählung inhaltlich umgestaltet und bewertet.5 So gibt es in der Forschung nur vereinzelt Beiträge zu den zahlreichen beschreibenden Passagen der Dido- Episode, die sich sowohl in Heinrich von Veldekes „Eneasroman“ und seiner altfranzösischen Vorlage, dem „Roman d‘ Eneas“ finden lassen.6 Ein ausführlicher Vergleich der Beschreibung und der Darstellung Didos in den beiden Werken, der sowohl inhaltliche als auch stilistische Gemeinsamkeiten und Unterschiede berücksichtigt, liegt indessen nur bei +DODþ und Schmitz vor. Dieses Forschungsdesiderat soll durch die Untersuchung der folgenden Fragen geschlossen werden: Wie wird Dido in den beiden Romanen beschrieben und dargestellt? Welche Techniken verwenden die beiden Autoren für die Beschreibung und die Darstellung der Dido? Welche Funktion und Wirkung hat die descriptio ? Und welche zentralen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Darstellung und der Bewertung der Didofigur lassen sich durch einen Vergleich der beiden Texte finden?

Um diese Fragen im Rahmen der vorliegenden Arbeit beantworten zu können, sollen die Beschreibung und die Darstellung der Dido-Figur im „Roman d‘ Eneas“ und in Heinrich von Veldekes „Eneasroman“ anhand einiger ausgewählter Textstellen7 vergleichend interpretiert und analysiert werden. Die Schlussbetrachtung soll die erarbeiteten Ergebnisse zusammenfassen, klären, ob die gestellten Fragen beantwortet werden konnten, sowie Perspektiven weiterer Forschung aufzeigen.

2. Die Beschreibung und Darstellung der Dido-Figur in Heinrich von Veldekes „Eneasroman“ und dem „Roman d‘ Eneas “ im Vergleich

Noch bevor Dido in den beiden Erzählungen als Protagonistin aktiv in Erscheinung tritt, geben die Autoren beider Romane Auskunft über Didos Vergangenheit und ihre Vita vor der Begegnung mit Eneas. In beiden Werken liegt der Akzent nicht auf der lobenden Beschreibung von Didos weiblicher Schönheit, sondern es werden denjenigen Eigenschaften Didos hervorgehoben, die ihre Position als Stadtgründerin und kluge, reiche und mächtige Herrscherin von Karthago begründen und legitimieren.8 Der „Roman d‘ Eneas“ weist darauf hin, dass Dido das Land, auf dem Karthago errichtet wurde, durch ihren Reichtum, ihre List und ihre Tapferkeit erworben habe:

„ O celes a tant terre prise, qu ’ une cit é i a asise; puis conquist tant par sa richece,/ par son engin, par sa proece,/ que ele aveit tot le pa ï s/ et les barons a sei sozmis. “ (RdE 401-405).

Henkel, Nikolaus: ‚Fortschritt‘ in der Poetik des höfischen Romans. Das Verfahren der Descriptio im „Roman d’ Eneas“ und in Heinrich von Veldeke „Eneasroman“. In: ZfdPh 124 (2005), S. 96-116; sowie Schmitz, Die Poetik der Adaptation.

Zitiert wird nach den folgenden Ausgaben: Le Roman d‘ Eneas (=RdE). Übersetzt und eingeleitet von Monica Schöler-Beinhauer. München 1972 (Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben Bd. 9); sowie Heinrich von Veldeke: Eneasroman (=ER). Mittelhochdeutsch/ Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Dieter Kartschoke. Stuttgart 1986.

Heinrich von Veldeke hingegen führt Didos Aufstieg zur Herrscherin über Karthago auf ihre große Weisheit zurück:

„ in den selben z î ten/ stihte frouwe D î d ô / veste torne unde h ô ,/ eine sch ô ne m û re./ des nam si lutzel t û re,/ wande si was vil r î che:/ und warb d ô listich î lche,/ unz si s ô verre vore quam,/ daz ir wart geh ô rsam/ Lib îâ daz lant al/ uber berch und uber tal. “ (ER 338-348).9

Gegenüber dem „Roman d‘ Eneas“ wird Didos Position als weise und mächtige Landesherrin in Heinrich von Veldekes „Eneasroman“ noch verstärkt.10 So legt Heinrich einen besonderen Akzent auf die detaillierte Beschreibung der Landnahme mit der Rinderhaut, die im „Roman d‘ Eneas“ wesentlich knapper ausfällt (Vgl. ER 313-337, RdE 391-401). Durch die ausführliche Beschreibung der Landnahme im „Eneasroman“ wird Didos kluges und überlegtes Vorgehen konkret veranschaulicht und ihr Scharfsinn und ihre Intelligenz werden betont.11 Darüber hinaus wird durch die Beschreibung der Landnahme auch Didos legitimer Rechts- und Machtanspruch auf Karthago hervorgehoben.12 Didos Reichtum ist im „Eneasroman“ bloß von sekundärer Bedeutung für ihren Aufstieg zur Herrscherin.13 So bleibt ihr Reichtum „funktional“14 der Stadtgründung vorbehalten und hat keine direkten Auswirkungen auf die Unterwerfung Libyens (Vgl. ER 344-348). Nichtsdestotrotz wird Didos Herrschaft durch die wehrhaften Mauern und Türme der mächtigen Festung von Karthago gesichert, da die Burg Didos machtvolle, einflussreiche und solide Position als Herrscherin nach außen repräsentiert und kein Widerstand gegen Dido gewagt wird.15

Auf die Lobpreisung der Regentin folgt in beiden Werken eine anerkennende Beschreibung der Stadt Karthago, mit der wiederum auf Didos Reichtum, ihre Intelligenz und ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten als Herrscherin verwiesen wird.16 Während im „Roman d‘ Eneas“ die Lage von Karthago, die Festung und die Stadt selbst äußerst detailfreudig und ausführlich beschrieben werden, greift Heinrich von Veldeke nur die Hauptbestandteile dieses Städtelobes auf (Vgl RdE 406-548, ER 354-432). So kürzt Heinrich die Beschreibung von Karthago im Vergleich zur französischen Vorlage fast um die Hälfte.17 Durch die verkürzte descriptio steht Didos Position als kluge und mächtige Regentin im „Eneasroman“ weitaus mehr im Vordergrund als im „Roman d‘ Eneas“.18 Das Städtelob dient bei Heinrich von Veldeke primär dazu, Didos unanfechtbare und sichere Position als Herrscherin über Karthago zu verdeutlichen und gleichzeitig ihre ausgezeichneten Herrscherqualitäten hervorzuheben.19 Heinrichs descriptio von Karthargo ist aus diesem Grund auch sehr viel prosaischer gestaltet als die französische Vorlage.20 So werden die 500 Türme Karthagos aus dem „Roman d‘ Eneas“ (Vgl. RdE 443) beispielsweise auf 100 (Vgl ER 373) reduziert und die 700 Ritter, die jeder der sieben Grafen im Kriegsfall für Dido bereitstellen muss (Vgl. RdE 465-470), auf 300 (Vgl. ER 367) verringert. Überdies verzichtet Veldeke auf eine Beschreibung der Exotik und der Pracht von Karthago, die im „Roman d’ Eneas“ in starkem Maße thematisiert werden (Vgl. RdE 422-514).21 Während der französische Anonymus detailliert und ausführlich den Reichtum, die Exotik, die Pracht, den Luxus, den Glanz und die gute Lage22 der Stadt Karthago beschreibt, konzentriert sich Heinrich von Veldeke auf die Darstellung von Karthagos Wehrhaftigkeit und Uneinnehmbarkeit. Auf diese Weise wird Didos unanfechtbare Stellung als Herrscherin verdeutlicht und ihre Tugenden hervorgehoben.23 Eine Beschreibung von Didos weiblicher Schönheit folgt in beiden Erzählungen erst an späterer Stelle.

[...]


1 Zur Rezeption des Dido-Stoffes in Literatur, Musik und Kunst siehe Kailuweit, Thomas: Dido - Didon - Didone. Eine kommentierte Bibliographie zum Dido-Mythos in Literatur und Musik, Frankfurt am Main [u.a.] 2005.

2 Während Vergil der Begegnung zwischen Dido und Eneas eine historische Bedeutung zuschreibt, die den Beginn der Feindschaft zwischen Karthago und Rom markiert, steht bei Ovid das persönliche Schicksal einer unglücklich verliebten Frau im Vordergrund. Vgl. +DODþ 1HUPLQD 'LGR 0HGLHYDO 'HVFULSWLRQV RI DQ Ancient Female Ruler, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 11 (1999), S. 9-20. Hier, S.

3 Zum Einfluss von Ovids Vorlage auf die mittelalterliche Rezeption des Dido-Stoffes siehe ausführlicher Kartschoke, Dieter: Didos Minne - Didos Schuld, in: Rüdiger Krohn (Hrsg.): Liebe als Literatur. Aufsätze zur erotischen Dichtung in Deutschland, München 1983, S. 99-116; sowie Kistler, Renate: Heinrich von Veldeke und Ovid (Hermaea 71), Tübingen 1993.

4 9JO +DODþ 0HGLHYDO 'HVFULSWLRQV 6 -11.

5 Eine ausführliche Darstellung des aktuellen Forschungsstandes ist bei Schmitz zu finden: Schmitz, Silvia: Die Poetik der Adaptation. Literarische inventio im »Eneas« Heinrich von Veldeke (Hermaea, N.F., Band 113), Tübingen 2007.

6 Die einschlägigsten Beiträge zu der Beschreibung der Dido sind: Fisher, Rodney W.: Heinrich von Veldeke Eneas. A Comparison with the Roman d ‘ Eneas, and a Translation into English (Australian and New Zealand Studies in German Language and Literature 17), Bern [u.a.] 1992. +DODþ 0HGLHYDO 'HVFULSWLRQV 6 -20;

8 9JO +DODþ 0HGLHYDO 'HVFULSWLRQV 6

9 Vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 118-120.

10 Vgl. Syndikus, Anette: Dido zwischen Herrschaft und Minne. Zur Umakzentuierung der Vorlagen bei Heinrich von Veldeke, in: PBB 114 (1992) 1, S. 57-107. Hier, S. 64-65.

11 Vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 118-119.

12 Zur Argumentation vgl. Schieb, Gabriele: Rechtswörter und Rechtsvorstellungen bei Heinrich von Veldeke, in: PBB 77 (1955), S. 159-197. Hier, S. 180.

13 Vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 120.

14 Ebenda, S. 120.

15 Zur Argumentation vgl. ausführlicher ebenda, S. 121-122. 169JO +DODþ 0HGLHYDO 'HVFULSWLRQV 6

17 Während die Beschreibung von Karthago im „Roman d’ Eneas” 142 Verse umfasst, ist die descriptio bei Veldeke nur 78 Verse lang.

18 Vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 121.

19 Zur Argumentation vgl. auch Syndikus, Dido zwischen Herrschaft und Minne, S. 67.

20 Vgl. Fisher, Heinrich von Veldeke Eneas, S. 24.

21 Vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 122.

22 Die geographische Lage der Stadt steht im „Roman d‘ Eneas“ am Anfang der descriptio und wird gegen Ende der Beschreibung nochmals erwähnt. Mit dem Exkurs über die Purpurschnecken und Wasserschlangen, soll Karthagos Reichtum veranschaulicht werden (Vgl. RdE 471-486). Veldeke hingegen beschäftigt sich mit der Topographie der Stadt erst am Ende der Beschreibung, führt den Wohlstand der Stadt auf den Ressourcenreichtum der umliegenden Natur zurück (Vgl ER 383-392). Zudem reduziert er die schützende Umgebung der Stadt auf Meer und Fluss (Vgl ER 393399), während Karthago im „Roman d‘ Eneas“ vom Meer, durch Sumpfgebiete und durch Befestigungen gesichert wird (Vgl. 409-418). Zur Argumentation vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 123.

23 Ausführlicher hierzu siehe ebenda, S. 122-123.

Fin de l'extrait de 15 pages

Résumé des informations

Titre
Die Beschreibung und Darstellung der Dido-Figur im mittelhochdeutschen Erzählen. Ein Vergleich von Heinrich von Veldekes "Eneasroman" und seiner altfranzösischen Vorlage, dem "Roman d' Eneas"
Université
University of Frankfurt (Main)
Note
2,0-2,3
Auteur
Année
2016
Pages
15
N° de catalogue
V369941
ISBN (ebook)
9783668475441
ISBN (Livre)
9783668475458
Taille d'un fichier
553 KB
Langue
allemand
Mots clés
beschreibung, darstellung, dido-figur, erzählen, vergleich, heinrich, veldekes, eneasroman, vorlage, roman, eneas
Citation du texte
Sabrina Rutner (Auteur), 2016, Die Beschreibung und Darstellung der Dido-Figur im mittelhochdeutschen Erzählen. Ein Vergleich von Heinrich von Veldekes "Eneasroman" und seiner altfranzösischen Vorlage, dem "Roman d' Eneas", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369941

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