Die Schreibung von Nominalkomposita im Deutschen. Eine empirische Untersuchung am Beispiel der Süddeutschen Zeitung und der BILD


Bachelor Thesis, 2017

46 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Varianten der Schreibung von Komposita

3. Funktionen der Kompositaschreibung
3.1. Segmentationshilfe
3.2. Grenzmarkierung
3.3 Weitere Funktionen

4. Rahmenbedingungen der empirischen Untersuchung
4.1. Die untersuchten Zeitungen
4.2. Fragestellungen und Hypothesen
4.3. Das Korpus

5. Ergebnisse und Diskussion der empirischen Untersuchung
5.1. Segmentationshilfe
5.2. Grenzmarkierung
5.3. Weitere Funktionen

6. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Globaler Anteil der Schreibvarianten in den Zeitungen

Abbildung 2 Anteile der Schreibvarianten bei zweigliedrigen Nominalkomposita in der SZ

Abbildung 3 Anteile der Schreibvarianten bei zweigliedrigen Nominalkomposita in der BILD

Abbildung 4 Anteile der Schreibvarianten bei dreigliedrigen Nominalkomposita in der SZ

Abbildung 5 Anteile der Schreibvarianten bei dreigliedrigen Nominalkomposita in der BILD

Abbildung 6 Häufigkeitsverteilung abhängig von der Wortlänge

Abbildung 7 Vergleich der Zeitungen auf den Prozentualen Anteil der Zusammen­schreibung abhängig von der Wortlänge bei zweigliedrigen Nominal- komposita

Abbildung 8 Anteile der Schreibvarianten bei rein nativen Nominalkomposita in der SZ

Abbildung 9 Anteile der Schreibvarianten bei fremdworthaltigen Nominalkomposita in der SZ

Abbildung 10 Anteile der Schreibvarianten bei rein nativen Nominalkomposita in der BILD

Abbildung 11 Anteile der Schreibvarianten bei fremdworthaltigen Nominalkomposita in der BILD

Abbildung 12 Vergleich der Häufigkeit verschiedener Erstglieder.

Abbildung 13 Anteile der Schreibvarianten bei Eigennamen als Erstglied in der BILD

Abbildung 14 Anteile der Schreibvarianten im Textkörper der SZ

Abbildung 15 Anteile der Schreibvarianten im Textkörper der BILD

Abbildung 16 Anteile der Schreibvarianten in Überschriften der SZ

Abbildung 17 Anteile der Schreibvarianten in Überschriften der BILD

Abbildung 18 Anteile der Schreibvarianten in Bildunterschriften der SZ

Abbildung 19 Anteile der Schreibvarianten in Bildunterschriften der BILD

1. Einleitung

Die Komposition, insbesondere die Nominalkomposition, ist ein hochproduktives Mittel der Wortbildung im gegenwärtigen Deutschen (Schlücker 2012:2). Wörter oder wortähnliche Elemente (Stämme, Konfixe, Phrasen) können dabei beinahe beliebig mit einem substantivischen Grundwort kombiniert werden. Der Status von Nominal­komposita als Wörter ist unstrittig (Scherer 2012:57). Dennoch verhalten sie sich in ihrer Schreibung anders als die meisten anderen Wörter im Deutschen.

Im Schriftsystem gilt: Wörter werden zusammengeschrieben. Bei Nominal­komposita ist jedoch eine große Variation in der Schreibung zu beobachten (Barz 1993:167; Donalies 2005:56; Scherer 2012; Stein 1999:267f.). Schreiber machen von verschiedenen Möglichkeiten Gebrauch, die morphologischen Grenzen im Wort zu kennzeichnen. Das Bedürfnis dies zu tun ist vermutlich bei Komposita deshalb besonders groß, da die Konstituenten von Komposita mehr Wortcharakter haben als andere Morpheme (Scherer 2012:61). Da die Konstituenten nicht in jedem Fall graphisch gekennzeichnet werden, stellt sich die Frage, welche Faktoren bedingen, ob Konstituentengrenzen markiert werden oder eben nicht und mit welchen Mitteln dies geschieht. Neben individuellen Strategien von Schreibern (Scherer 2012), lässt sich eine weitere Systematik hinter der Variation erkennen.

In dieser Bachelorarbeit wird diese Systematik dargestellt und eine synchrone Untersuchung des Systems der Kompositaschreibung in der deutschen Zeitungssprache vorgenommen. Diese Textsorte soll am ehesten die Standardschriftsprache abbilden (Buchmann 2015:58). Darüber hinaus neigt die Pressesprache vermehrt dazu Komposita spontan neu zu bilden, was Lüger (1995:11,26,31) auf die Anforderung nach einem ökonomischen Sprachgebrauch zurückführt. Dieser Umstand macht die Zeitungssprache zur Untersuchung der Schreibung von Nominalkomposita besonders geeignet.

Als Untersuchungsgrundlage dienen die beiden auflagenstärksten deutschen Tageszeitungen, die in verschiedener Hinsicht einen deutlichen Kontrast bilden: Die Süddeutsche Zeitung und die BILD. Durch den Vergleich einer überregionalen Qualitätszeitung und einer Boulevardzeitung lassen sich verschiedene Funktionen der Schreibvarianten untersuchen. Denn die Unterschiede hinsichtlich Adressaten und Verkaufsstrategie lassen Unterschiede in der Schreibung erwarten, die sich durch das System der Kompositaschreibung erklären lassen sollten.

Auch die aktuell gültige Orthographie erlaubt in einigen Fällen eine Variation in der Schreibung von Nominalkomposita (DR §§45, 51, 52). Es zeigen sich im Schreib­gebrauch aber auch nicht in der Norm vorgesehene Varianten und Variation in Fällen, in denen die Norm keine gestattet. Für diese regelabweichenden Schreibungen wird auch eine Systematik beschrieben (Dürscheid 2000:237; Krause 2014:68). Damit erfasst die Norm das gegenwärtige Schriftsystem in diesem Bereich nicht ganz treffend. Offenbar spiegelt die Norm nicht alle Bedürfnisse von Schreibern wieder. Daher betrachtet die vorliegende Arbeit den tatsächlichen Schreibgebrauch und bezieht die amtliche Regelung nur dort ein, wo sie zur Verdeutlichung des Systems dienen kann.

Zuerst werden in Kapitel 2 kurz die relevantesten Schreibvarianten von Nominalkomposita vorgestellt. Danach geht Kapitel 3 als Grundlage für die empirische Untersuchen der Frage nach, wie die Variation zu erklären ist, und fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Forschung zusammen. Die konkreteren Fragestellungen und die Methodik werden in Kapitel 4 beschrieben. Anschließend werden die Ergebnisse in Kapitel 5 präsentiert und diskutiert.

2. Varianten der Schreibung von Komposita

Wenn wir synchron über die Variation bei der Schreibung von Nominalkomposita sprechen, sind vor allem vier Varianten von Bedeutung. Darüber hinaus gibt es weitere Varianten, die jedoch sehr selten auftreten und bisher kaum auf ihren systematischen Gebrauch hin untersucht wurden. Sie werden daher nicht im theoretischen Teil dieser Arbeit berücksichtigt werden.

Die häufigste Variante der Kompositaschreibung ist sie, wie andere Wörter im Deutschen auch, zusammenzuschreiben. Nominalkomposita werden als Substantive, den Regeln des Schriftsystems folgend, für gewöhnlich mit großem Anfangsbuchstaben, ansonsten aber in Minuskeln und ohne Spatien oder Wortzeichen geschrieben (DR §37). Nominalkomposita sind synchron zweifellos als Wörter zu werten, da sie syntaktisch und semantisch eine Einheit bilden (Ortner et al. 1991:3). Dennoch gibt es, wie in den folgenden Kapiteln näher erläutert wird, eine Reihe von Gründen, die dafür sprechen, von der gewöhnlichen Zusammenschreibung abzuweichen. An dieser Stelle werde ich es weitgehend dabei belassen die Varianten zu beschreiben, ohne auf ihre Funktion vorwegzugreifen.

Damit das Kompositum weiterhin als Wort erkennbar ist, kommt häufig der Bindestrich als Wortzeichen überall dort zum Einsatz, wo es Gründe für die Abweichung von der Zusammenschreibung gibt. Sowohl in diachroner (Erben 2007; Kauffer 1999), als auch in synchroner Betrachtung spielt die Bindestrichschreibung von Nominalkomposita eine große Rolle. Sie ist neben der Zusammenschreibung die einzige von der amtlichen Rechtschreibung zugelassene Schreibvariante für Nominalkomposita (Lotto-Annahmestelle, DR, S. 48). Im synchronen Schreibgebrauch wird das durch den Bindestrich abgegrenzte nominale Zweitglied stets groß geschrieben (Bredel 2008:74f.; Kauffer 1999:256f.). Die Bindestrichschreibung nimmt eine Zwischenstellung zwischen Getrennt- und Zusammenschreibung ein. Zwar wird die Buchstabenkette durch den Bindestrich durchbrochen, aber es handelt sich dennoch um eine durchgehende Zeichenkette. Dies hat Implikationen für die Verarbeitung von Bindestrichkomposita beim Lesen, wie in Kapitel 3.1 beschrieben wird.

Die Getrenntschreibung von Nominalkomposita ist im gegenwärtigen Schreibgebrauch außerhalb von Werbesprache und Produktaufschriften eher selten zu finden (Barz 1993). Bei der Getrenntschreibung werden die Konstituenten des Kompositums durch ein Spatium voneinander abgegrenzt, z.B. Heimat Momente, Ringelblumen Shampoo (Produktaufschrift von Lavera Naturkosmetik). Kapitel 3 wird zeigen, dass sich zwar ein System hinter ihrem Gebrauch erkennen lässt (vgl. Krause 2014: 68), aber, dass die jeweiligen Funktionen durch die andere Schreibvarianten besser umgesetzt werden können (Dürscheid 2000:244; Krause 2014:76f.).

Die letzte, wegen ihrem quantitativem Vorkommen, erwähnenswerte Schreibvariante ist die Schreibung mit Binnenmajuskel. Das Kompositum wird ohne Wortzeichen zusammengeschrieben, jedoch wird das nominale Zweitglied trotz, dass es im Wortinneren steht, groß geschrieben (BahnCard). Obwohl diese Schreibung vor allem seit den 1990er Jahren vermehrt in Erscheinung tritt (Donalies 2011:44), ist sie keineswegs neu (Bergmann/Nerius 1998:904; Kauffer 1999). Die Schreibung mit Binnenmajuskel, ähnlich wie die Getrenntschreibung von Nominalkomposita, findet sich vor allem in der Werbesprache und bei Produktnamen (Donalies 2011:44; Stein 1999), und gilt als sehr markierte und normferne Form (Stein 1999).

3. Funktionen der Kompositaschreibung

Nach der Vorstellung der relevantesten Schreibvarianten von Nominalkomposita, wird nun auf die Funktionen, die sie im Schriftsystem erfüllen, eingegangen. Die Zusammenschreibung erfüllt zwar die Funktion, Wörter als Einheiten kenntlich zu machen, da Komposita aber als Wortbildungsprodukte aus wortähnlichen Konstituenten eine besondere Struktur und Semantik aufweisen, genügt die Zusammenschreibung dem Bedürfnis diese graphisch zu kennzeichnen in vielen Fällen nicht.

Das System der Kompositaschreibung enthält viele interagierende Faktoren und ist, wie alle Systeme der Sprache, im ständigen Wandel. Bei einem einzigen Wort gibt es daher häufig Gründe für der Wahl sowohl der einen, als auch einer anderen Schreibvariante. Die Wahl der Schreibvariante wird sowohl durch Eigenschaften des Kompositums und seiner Glieder, als auch durch Merkmale der Kommunikations­situation beeinflusst.

3.1. Segmentationshilfe

Dieses Unterkapitel wird darstellen wie die Variation in der Schreibung von Nominalkomposita das Lesen und Verstehen erleichtern kann. Graphische Gliederungszeichen zwischen die Konstituenten eines Nominalkomposita zu setzten, kann unter bestimmten Bedingungen zu einer schnelleren Erfassung des Wortes führen. Diese Unterkapitel wird umreißen, wieso es sich so verhält und darauf eingehen welche Gliederungszeichen, also welche der von von der Zusammenschreibung abweichende Schreibvarianten, sich als am hilfreichsten für den Leser erwiesen haben.

Zu Erläuterung des beobachten Schreibgebrauchs lohnt sich ein Blick in die Leseforschung. Es sollte nicht selbstverständlich angenommen werden, dass Schreiber in ihrem Schreibgebrauch intuitiv das umsetzen, was tatsächlich bei der Verarbeitung hilft. Im Allgemeinen scheinen sich aber die Erkenntnisse aus der Leseforschung im Schreibgebrauch widerzuspiegeln. So beschreibt Bredel (2008: 99), dass das moderne Interpunktionssystem, zu dem sie auch Wortzeichen wie den Bindestrich zählt, okulomotorische Aktivitäten und damit den Leseprozess optimiert.

Die aktuelle orthographische Norm, die zwar vor allem eine präskriptive Funktion hat, sich dabei aber auch auf den beobachten Schreibgebrauch stützt, gibt vor, dass Nominalkomposita im Regelfall zusammenzuschreiben sind (DR, S. 45). Es kann aber von der Zusammenschreibung abgewichen und ein Bindestrich gesetzt werden, wenn ein Kompositum „unübersichtlich“ ist (DR §45). In diesem Punkt wird eine Überregelung vermieden und nicht weiter spezifiziert, was als unübersichtlich zu gelten hat. Eine plausible Lesart wäre, dass es dem Leser (also dem vorgestellten Adressaten) schwer fällt, ein Kompositum auf Anhieb in seine Glieder zu zerlegen um es zu verstehen. Wann ist dies der Lall? Wann profitiert der Leser von Segmentationshilfen?

Segmentationshilfen sind natürlich nur unter der Annahme sinnvoll, dass das jeweilige Kompositum beim Leseprozess in seine Glieder zerlegt wird, was möglicherweise nicht auf alle Komposita zutrifft. Es wird davon ausgegangen, dass stark lexikalisierte Komposita ihren eigenen Lexikoneintrag haben und somit direkt als ganzes erfasst werden ohne, dass die Konstituenten einzeln erfasst werden und dann eine Gesamtkompositabedeutung daraus ermittelt wird (Meibauer et al. 2015:18,40f.; Ortner et al. 1991:16). Darüber hinaus wird angenommen, dass graphische Gliederungs­hilfen eine sequentielle Verarbeitung der Konstituenten erzwingen (Bertram/Hyönä 2013; Bredel 2008:115f.), auch dort, wo eine simultane Verarbeitung der Glieder eigentlich möglich wäre.

Ob Komposita als ganzes oder sequentiell verarbeitet werden, scheint neben dem Grad der Lexikalisierung vor allem von ihrer Länge abzuhängen. Laut Bertram und Hyönä (2013) kann immer nur eine bestimmte Anzahl an Buchstaben auf einmal vom Leser erfasst und verarbeitet werden. Damit haben lange Komposita als unübersichtlich zu gelten. Bertram und Hyönä (2013) nehmen an, dass lange Komposita, im Gegenzug zu kurzen, deshalb immer sequentiell erfasst werden. Die Ergebnisse ihrer Experimente belegen, dass der Bindestrich als graphische Gliederungshilfe bei kurzen Komposita eher hinderlich für den Lese- und Verstehensprozess ist und bei langen eher hilfreich.

Bertram und Hyönä (2013) machen keine absolute Angabe darüber, ab wie vielen Buchstaben es zu erwarten ist, dass Segmentierungshinweise hilfreich sind. Dies lässt sich nicht absolut sagen, da was in diesem Zusammenhang als lang oder kurz zu bewerten ist, von der Erfahrung des Lesers abzuhängen scheint. Geübtere Leser können vermutlich längere Buchstabenketten auf einmal verarbeiten, als weniger geübte (Häkio et al. 2009).

Neben dem Laktor Länge spielt auch die Komplexität von Nominalkomposita dahingehend eine Rolle, ob ein Kompositum als unübersichtlich gilt und ein graphisches Gliederungszeichen gesetzt wird. Mit Komplexität ist in diesem Kontext vor allem die rekursive Anwendung der Komposition (DonaudampfschifffahrtsgeseUschafts- kapitänskajüte), weniger Komplexität im Sinne von Derivation oder Konversion der Glieder gemeint. Dabei gelten Komposita mit mehr als drei Glieder allgemein als unübersichtlich (Gallmann 1985:85; Hennig et al. 2016:161; Stang 1993:165). Damit die graphische Markierung tatsächlich ein sinnvoller und akzeptierter Segmentierunghinweis ist, ist er an der Hauptfuge, also zwischen den unmittelbaren Konstituenten zu setzten (Gallmann 1985:85; Geilfuß-Wolfgang 2013; Hennig et al. 2016:161).

Oft werden aber auch weniger komplexe Komposita mit graphischen Gliederungszeichen versehen und nicht immer erhalten Komposita mit vier oder mehr Glieder welche. Dies könnte zusätzlich zum Einfluss der Länge darauf zurückzuführen sein, dass die innere Struktur des Kompositums eine Rolle spielt, ob ein Gliederungszeichen hilfreich ist. Am besten ist dies für dreigliedrige Nominalkomposita untersucht. Leser scheinen bei rechtsverzweigenden dreigliedrigen Nominalkomposita (Schleim\feuerwerk) mehr von graphischen Gliederungszeichen zu profitieren als bei linksverzweigenden (Windrad\mafia) Komposita (Geilfuß-Wolfgang 2013).

Dass Fremdwörter als Kompositaglieder als unübersichtlich gelten, zeigt sich deutlich im Schreibgebrauch. Diese Komposita werden wesentlich häufiger graphisch gegliedert (Buchmann 2015:237f.; Stein 1999:265f.). Fremdwörter können in ihrer Schreibung in verschiedener Hinsicht vom Kernwortschatz abweichen, z.B. in ihrer Graphotaktik (Bibliophilie. Bodybuilder, Strizzi; Duden 2015:122) und damit unübersichtlich wirken. Was ein unübersichtliches Fremdwort ist, lässt sich wahrscheinlich nicht gleichermaßen für alle Leser und Schreiber beantworten. Es ist zu erwarten, dass dieses Urteil ähnlich wie das Urteil über die Verständlichkeit von Fremdwörtern (Lüger 1995:16) damit zusammenhängt, wie gut und mit welchen Fremdwörtern Schreiber vertraut sind oder was sie in dieser Hinsicht von ihren Lesern vermuten.

Als unübersichtlich sind außerdem solche Komposita zu werten, bei denen die Konstituentengrenze aus anderen Gründen unklar ist. Dazu gehören Fälle wie Druckerzeugnis (DR, S. 48), bei denen verschiedene Segmentierungen denkbar sind (Druckerzeugnis und Druckerzeugnis), aber auch Fälle wie Blumentopferde, bei denen die Segmentierung bei Zusammenschreibung leicht fehlgeleitet werden kann (Blumento\ pferde), da Buchstabenketten von Lexemen enthalten sind, die keine Konstituenten des Kompositums sind (Gallmann 1985:85). In diesen Fällen dienen graphische

Gliederungszeichen der Disambiguierung bzw. dazu die korrekte Segmentierung auf Anhieb sicherzustellen und erleichtern somit das Lesen. Solche Fälle kommen aber nur sehr selten vor.

Nach der Betrachtung der Fälle, in denen graphische Gliederungshilfen häufig gesetzt werden und förderlich für den Leseprozess sind, stellt sich die Frage, welche möglichen Gliederungshilfen, also welche Schreibvarianten, in diesen Fällen zum Einsatz kommen und am hilfreichsten sind. Der Bindestrich ist das bevorzugte Mittel in dieser Funktion und verschiedene Arbeiten legen nahe, dass der Bindestrich für die Verarbeitung von Nominalkomposita die geeignetste graphische Gliederungshilfe ist.

Um als Segmentationshilfe wirksam zu sein, muss das graphische Mittel optisch salient sein (Bertram/Hyönä 2013:157). Dies dürfte auf alle drei alternativen Schreibvarianten zur Zusammenschreibung zutreffen, wobei Binnenmajuskeln als weniger herausstechend anzusehen sind (Inhoff/Radach/Heller 2000:28,48). Das Spatium ist auch eine effektive Segmentationshilfe, jedoch dient das Spatium im Schriftsystem primär dazu, Wörter kenntlich zu machen. Diese Erwartung führt dazu, dass eine durch Spatien abgegrenzte Einheit als syntaktisch und lexikalisch selbstständig aufgefasst wird (Bredel 2008:76). Für den Leser ist in vielen Fällen erst einmal unklar, dass es sich beim Erstglied überhaupt um ein Kompositumsglied handelt (Bertram/Hyönä 2013:158) und wo sich der Kopf befindet (Inhoff/Radach/Heller 2000:41), somit kann es zu semantischen und syntaktischen Fehlinterpretationen kommen (Inhoff/Radach/Heller 2000:41). Dieser Umstand erschwert das Lesen von getrennt geschriebenen Nominalkomposita (Krause 2014:76f,; Inhoff/Radach/Heller: 2000). Eine Ausnahme hiervon stellen syntaktisch reduzierte Umgebungen, wie z.B. Überschriften oder Packungsaufschriften dar (Klein 2002:181). Dies könnte mit ein Grund sein, warum die Getrenntschreibung von Komposita in erster Linie in der Werbesprache zu finden ist.

Der Bindestrich hingegen scheint sowohl salient genug zu sein als auch die Integration der Konstituenten nicht zu behindern (Bertram/Hyönä 2013:160). Er ermöglicht die Konstituentengrenze klar zu erkennen, gleichzeitig aber anzuzeigen, dass das vorausgehende Element nicht semantisch und syntaktisch als eigenständig zu interpretieren ist (Bredel 2008:76). Demnach sollte der Bindestrich als Mittel der Wahl gelten, um im Sinne der Leserfreundlichkeit unübersichtliche Komposita zu gliedern.

Von den Erkenntnissen der Leseforschung aus betrachtet spricht auch nichts gegen die Verwendung der Binnenmajuskel als Segmentationshilfe, außer dass sie wahrscheinlich weniger effektiv ist. Im gegenwärtigen Sprachgebrauch gibt es, im Gegensatz zum Spatium, kaum konkurrierende Funktionen der Binnenmajuskel[1]. Hielten sich Schreiber an das, was für den Leser am hilfreichsten ist, sollte die Getrenntschreibung als Segmentationshilfe nicht Vorkommen und es sollte allenfalls eine Schreibvariation zwischen Bindestrich und Binnenmajuskeln in dieser Funktion geben. Jedoch sind alle drei Schreibvarianten als Segmentationshilfe im Schreibgebrauch zu beobachten.

Obwohl der Bindestrich am hilfreichsten für den Leser ist, um bei weitem am häufigsten vorkommt, ist es für das System vorteilhaft mehrere Mittel als Segmentationshilfe zur Verfügung zu haben und diese werden auch genutzt. Sollen nicht nur die unmittelbaren Konstituenten, sondern auch die mittelbaren Konstituenten markiert werden, stehen Schreibenden so Mittel zur Verfügung diese Hierarchie deutlich zu machen (Scherer 2012; Stein 1999:263), z.B. LaserTag-Halle (Anzeige von LaserGame Mainz). Scherer (2012:66f.) stellt die Rangfolge Spatium, Bindestrich, Binnenmajuskel auf, mit der die unterschiedlichen Ebenen gekennzeichnet werden.

3.2. Grenzmarkierung

Die Schreibvariation ist nicht auf Fälle beschränkt, die sich als unübersichtliche Komposita beschreiben lassen. Mit der Begründung der Unübersichtlichkeit lässt sich Nicht-Zusammenschreibung in vielen Fällen, wie z.B. Hartz-Pläne (Sick 2003) oder Ich-Laut (Hennig et al. 2016:163) nicht hinreichend erklären. Häufig steht nicht so sehr die Funktion der Lesehilfe im Vordergrund, als vielmehr einfach eine Grenze aufzuzeigen. Dies kann aus verschiedenen Gründen notwendig erscheinen. Zum einen um eine Neu- oder Remotivierung von lexikalisierten Komposita zu bewirken, z.B. Hoch-Zeit (Ortner et al. 1991:7). Zum anderen können syntaktische Grenzen verdeutlicht werden und graphische Formen konstant gehalten werden. Vor allem aber scheint es so, dass Schreiber das Bedürfnis haben, Erstglieder, die sich vom Kernwortschatz des Deutschen in irgendeiner Weise deutlich unterscheiden, graphisch abzugrenzen.

Die in diesem und im folgenden Kapitel beschriebenen Einflüsse auf die Schreibung sind nicht spezifisch für Nominalkomposita. Sie beeinflussen die Schreibung unabhängig vom Wortbildungsprozess (Buchmann 2015:77; DR §§41, 49). Sie sind aber auch bedeutsame Faktoren in der Variation der Schreibung von Nominalkomposita.

Die Andersartigkeit einer Konstituente kann sich auf verschieden Ebenen beziehen: So werden Elemente graphisch abgegrenzt, die sich referentiell, grammatisch oder graphisch vom Großteil des Wortschatzes unterscheiden. So werden metasprachliche Elemente meist mit Bindestrich vom Zweitglied abgetrennt (Ich-Laut, dass-Satz), da sie sich in der sprachlichen Ebene unterscheiden (Fuhrhop 2008:204). Mit dem Prinzip der Abgrenzung verschiedenartiger Elemente lässt sich auch die vermehrte graphische Abgrenzung von Akronymen, Ideogrammen, Eigennamen und Fremdwörtern begründen.

Akronyme stellen eine Ausnahme von der Beschränkung der wortinternen Großschreibung dar und werden häufig ganz oder teilweise in Majuskeln geschrieben (SPD, GmbH). Damit sind sie graphisch sehr markiert (Buchmann 2015:75) und unterscheiden sich im Schriftbild deutlich von anderen Wörtern. Dies könnte ein Faktor dafür sein kann, dass eine Zusammenschreibung als nahezu ausgeschlossen gilt (Buchmann 2015:222;244f.; Ortner et al. 1991:7) und die Orthographie hier keine Variation erlaubt (DR §40). Ähnlich verhält es sich mit Ideogrammen. Diese schriftlichen Zeichen, wie Ziffern und Symbole, repräsentieren nicht eine Lautung, sondern einen ganzen Begriff (Gallmann 1985:270). Aufgrund ihrer vom Großteil des Schriftsystems abweichende Semiotik werden sie nicht mit dem Zweitglied zusammengeschrieben (Bredel 2008:116; Gallmann 1985:93).

Es gibt noch eine weitere Überlegung dazu, was die graphische Abtrennung von Ideogrammen motiviert. Gallmann (1985:93,246) macht bei Ideogrammen eine erhöhte Anforderung nach Formkonstanz aus. Durch die graphische Abgrenzung von der anderen Konstituente durch Spatien oder Wortzeichen wird es möglich die graphische Form klar erkennbar und weitgehend unverändert zu halten. Dasselbe trifft auch auf ideogrammähnliche Elemente zu. Zu diesen zählen nach Gallmann (1985) Abkürzungen im engeren Sinne, die keine eigene phonetische Form haben und lautlich in ihre Normalform umgesetzt werden (Gallmann 1985:245f.), sowie Buchstabierakronyme, die im Gegensatz zu Lautakronymen, nicht den üblichen Gesetzen der lautlichen

Umsetzung folgen, sondern buchstabiert werden (Nübling/Fahlbusch/Heuser 2015:271) und Einzelbuchstaben.

Die Abgrenzung verschiedenartiger Glieder bietet eine weitere Erklärung neben der der Unübersichtlichkeit für die vermehrte Getrennt- und Bindestrichschreibung bei Komposita mit Fremdwörtern. Fremdwörter könnten auch einfach deshalb abgegrenzt werden, weil sie fremde Eigenschaften aufweisen (Fuhrhop 2008:205; Buchmann 2015:237f.). Jedoch kann die Abweichung von der Zusammenschreibung bei Fremdwörtern teilweise auch auf vom Deutschen abweichende Schreibregeln der Herkunftssprache zurückzuführen sein. Synchron ist dies besonders bei Anglizismen relevant (Barz 1993; Hennig et al. 2016:169; Stein 1999:265f.). Die Schreibung mit Bindestrich oder Spatium bei Komposita mit Fremdwörtern, kann als Fremdheitsmerkmal gedeutet werden (Buchmann 2015:50,237; Hennig et al. 2016:169). Je gebräuchlicher (Gallmann 1985:85f.) und je integrierter (Buchmann 2015:50,237) ein Fremdwort, desto eher sollte eine Zusammenschreibung zu erwarten sein. Allerdings hängt die Unübersichtlichkeit mit der Fremdheit der Graphie zusammen, was es schwierig macht die Funktionen Segmentationshilfe und Grenzmarkierung voneinander zu trennen.

Auch Eigennamen verhalten sich hinsichtlich ihrer Schreibung, Bedeutung und Grammatik anders als der Kernwortschatz (Buchmann 2015:240f.; Nübling/Fahlbusch/ Heuser 2015:13) und werden als Bestandteil von Komposita auffällig häufig graphisch abgetrennt (Buchmann 2015:241f.; Jacobs 2005:6; Krause 2014:67f.; Nübling/Fahlbusch/Heuser 2015:90ff.). Die analoge Erklärung zur Abgrenzung von Fremdwörtern aufgrund grammatischer und graphotaktischer Abweichung (Gööck, Mross. Nübling/Fahlbusch/Heuser 2015:88) ist jedoch nicht die einzige Erklärung für diese Beobachtung bei Eigennamen.

[...]


[1] Die Funktion der Binnenmajuskel im Rahmen der geschlechtergerechten Sprache (Schülerinnen) dürfte den Nutzen als Gliederungszeichen nicht beeinträchtigen.

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Details

Title
Die Schreibung von Nominalkomposita im Deutschen. Eine empirische Untersuchung am Beispiel der Süddeutschen Zeitung und der BILD
College
Johannes Gutenberg University Mainz
Grade
1,7
Author
Year
2017
Pages
46
Catalog Number
V371783
ISBN (eBook)
9783668502338
ISBN (Book)
9783668502345
File size
916 KB
Language
German
Keywords
Nominalkomposita, Kompositaschreibung, Bindestrich, Zusammenschreibung, Getrenntschreibung, Segmentation, BILD, Süddeutsche Zeitung, Schriftsystem, Schreibvariation, Binnenmajuskel, Zeitung
Quote paper
Sarah König (Author), 2017, Die Schreibung von Nominalkomposita im Deutschen. Eine empirische Untersuchung am Beispiel der Süddeutschen Zeitung und der BILD, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/371783

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