Das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken. Ein Vergleich ausgewählter Positionen der Tierethik


Thèse de Bachelor, 2017

36 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Utilitarismus Peter Singers
2.1 Die Grundlage des Utilitarismus: Nützlichkeit als Moralprinzip
2.2 Die Begründung von Tierrechten
2.3 Kritik an dem utilitaristischen Ansatz

3. Tom Regan und die Theorie der Tierrechte
3.1 Der inhärente Wert des Lebens als moralische Grundkonzeption
3.2 Die Ausweitung des Konzeptes auf Tiere
3.3 Einwände gegen Regans theoretischen Ansatz

4. Immanuel Kants Vernunftmoral
4.1 Die Autonomie als Quelle der Moral
4.2 Die Aufstellung indirekter Argumente für Tierrechte
4.3 Kritik an der Moralphilosophie Kants

5. Anwendung der theoretischen Konzepte
5.1 Das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken aus der Perspektive Singers
5.2 Das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken aus der Perspektive Regans
5.3 Das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken aus der Perspektive Kants

6. Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Tiere sind in unserer Gesellschaft ebenso allgegenwärtig wie selbstverständlich. Ob man sie dabei als Nahrungsquelle, Haustier oder Schuhsohle betrachtet, differiert jedoch erheblich. Schon seit Urzeiten machen sich Menschen die Tiere zu nutzen, der Schutz derselben scheint jedoch für viele immer wichtiger zu werden. Dieser Entwicklung im Denken der Menschen wird auch die Politik gerecht, indem 2002 der Tierschutz in das Grundgesetz aufgenommen und somit zum Staatsziel erklärt wird. (vgl. Art. 20a GG) Eine Reihe von bedeutenden Neuerungen tritt dann mit der Re- form des Tierschutzgesetzes 2013 in Kraft, wobei unter anderem Bestimmungen zur Nutztierhal- tung novelliert wurden. (vgl. Art. 11 TierSchG) Durch die Gesetzeslage sind Tiere dem Menschen jedoch weder gleichgestellt, noch ist deren Nutzung verboten. Der Boom des Vegetarismus be- weist allerdings, dass insbesondere die Nutzung der Tiere zu Nahrungszwecken immer mehr in Kritik gerät. Die Gruppe der moralischen Vegetariern, welche mit 60% die größte Gruppe inner- halb der Vegetarier selbst darstellt, lehnt Fleisch grundsätzlich ab, da sie es als unmoralisch anse- hen, dass Tiere für ihren Genuss gequält und getötet werden. (vgl. Busse 2010) Die bis heute an- dauernde Diskussion über die moralisch angemessene Behandlung von Tieren wurde maßgeblich von Peter Singer angestoßen. In seinem Buch „Practical Ethics“ (1979) beschäftigt er sich unter anderem mit der Tierethik. Diese ist von besonderer Bedeutung, da sie sich einerseits als Teilge- biet der angewandten Ethik mit einer Thematik befasst, mit der man tagtäglich konfrontiert ist. Andererseits können durch die Frage der Tiere Moraltheorien explizit in den Blick genommen und Grenzen einer Position aufgezeigt werden. Diese Arbeit ersucht, angelehnt an eine bisher immer aktuelle Debatte, zu erörtern, ob das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken zu rechtfertigen ist. Hierzu werden in einem ersten moraltheoretischen Teil verschiedene Positionen angeführt und daraufhin untersucht, wie sie den moralischen Status des Menschen begründen, um daran an- schließend die direkten oder indirekten Argumente für Tierrechte bzw. den moralischen Status von Tieren abzuleiten. Die darauf folgende Kritik soll die Grenzen und Probleme der verschiede- nen Positionen zum Vorschein bringen, sodass ein tieferes Verständnis der einzelnen Theorien angestrebt wird. An dieser Stelle sei anzumerken, dass die vorliegende Arbeit nicht die Absicht verfolgt, die Theorien im Besonderen umfassend zu erläutern, sondern nur insofern, wie es für die Fragestellung von Nöten scheint.

An erster Stelle des theoretischen Teils wird Peter Singers utilitaristischer Ansatz genannt, da er die Diskussion um Tierrechte angestoßen hat und alle weiteren Autoren auf ihn Bezug nehmen. Als vermutlich wichtigste alternative Position zugunsten der Tierrechte ist daran anschließend Tom Regan anzuführen, der maßgeblich in der frühen Debatte mitwirkte und Singer entgegen- steht. Dieser Tierrechteansatz Regans geht auf den traditionellen Rechte-Ansatz von Immanuel Kant zurück. Regan und Kant sind beide der deontologischen Ethik zuzuordnen. Da Kant den Grundgedanken dieser prägt, wird die Deontologie im Allgemeinen erst im Kapitel zu Kants Theorie erläutert und die Theorie Regans mit direktem Bezug zu Singer. Kant wird als dritter und letzter Philosoph bearbeitet, da er eine andere Auffassung der Tierfrage hat, als die beiden zuvor genannten. Außerdem steht er mit seinen Ansichten als typischer Vertreter des Deontologismus einem Hauptvertreter des Konsequentialismus, Peter Singer, gegenüber. Ein Vergleich dieser mitunter stark differierenden Ansätze scheint demnach besonders interessant, da herausgearbeitet werden kann, welche Prinzipien der Moral zu welchen Implikationen für Tiere führen und wie sich diese praktisch auf den Anwendungsfall auswirken.

In einem zweiten Teil der Arbeit findet der angesprochene Anwendungsfall seinen Platz. Hierbei werden die Implikationen der Theorien auf ein bestimmtes praktisches Problem, die Tötung von Tieren zu Nahrungszwecken, untersucht und herausgestellt. In diesem Zusammenhang soll geklärt werden, ob sich aus den Moraltheorien ein generelles Tötungsverbot ableiten lässt und wie sich die im ersten Teil genannten Prinzipien auf den Anwendungsfall auswirken. Aus Raum und Zeitgründen kann auf ebenso wichtige Themen wie beispielsweise Tierversuche, Zootierhaltung oder Pelztierzucht nicht eingegangen werden. Die Ausführungen liefern jedoch auch zu diesen Themen wichtige Denkanstöße, da theoretische Grundlagen erörtert werden.

Um eine bessere Übersichtlichkeit zu gewährleisten, seien kurz die Leifragen dieser Arbeit angesprochen. Diese können in drei Teile gegliedert werden. Zu Beginn steht die Frage nach den Prinzipien der Moral. Daran schließt sich die Frage nach dem moralischen Status von Tieren an und führt schließlich zu der Anwendung der Prinzipien: Wenn es Handlungen gibt, die Tieren gegenüber moralisch verwerflich sind, gehört das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken dazu? Somit können am Ende die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Theorien dargestellt werden und es ist ein abschließendes Fazit möglich, ob das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken aus der Sicht der genannten Philosophen zu rechtfertigen ist.

2. Der Utilitarismus Peter Singers

2.1 Die Grundlage des Utilitarismus: Nützlichkeit als Moralprinzip

Bevor die ethische Auffassung Singers im Besonderen erläutert werden kann, muss zuerst die Grundkonzeption des Utilitarismus betrachtet werden. Der Utilitarismus stellt eine normative Theorie dar, mithilfe derer Handlungen moralisch bewertet werden können. Hierbei wird davon ausgegangen, dass eine Entscheidung getroffen werden muss, bei der es zwischen verschiedenen Handlungsalternativen zu wählen gilt, um sich dann für die moralisch richtige entscheiden zu können. Die Bezeichnung Utilitarismus wird aus dem lateinischen Wort für Nutzen utilitas abge- leitet und beruht somit auf dem angewendeten Prinzip zur Beurteilung von Handlungen: „Diejeni- ge Handlung bzw. Handlungsregel ist moralisch richtig, deren Folgen für das Wohlergehen aller Betroffenen optimal sind.“ (Höffe 2013: 11) Aus dieser Formulierung des Nützlichkeitsprinzips lassen sich vier Teilprinzipien der Position ableiten. Zuerst das Konsequenzenprinzip. Die morali- sche Beurteilung erfolgt demnach nicht aus den Eigenschaften einer Handlung oder Norm selbst, sondern ausschließlich aufgrund der zu erwartenden Folgen und Auswirkungen. Zweitens ist das Utilitätsprinzip zu nennen, durch welches der Nutzen als Kriterium zur Bewertung der Handlun- gen angeführt wird. An dritter Stelle steht daran anschließend das Hedonismusprinzip, nach dem der Nutzen für das, was in sich gut ist, entscheidend zur Handlungsbeurteilung ist. In der utilitaris- tischen Theorie selbst unterscheiden sich die Auffassungen hinsichtlich dessen, was in sich gut ist. Aus Raum- und Zeitgründen kann darauf jedoch nicht näher eingegangen werden, einzig die klas- sische Variante wird später neben dem Präferenzutilitarismus kurz angeführt. Zunächst muss al- lerdings noch dem vierten und letzten Prinzip Beachtung geschenkt werden. Das Sozial- oder uni- versalistische Prinzip ist von Bedeutung, denn bei der Beurteilung von Handlungen steht nicht das Wohlergehen eines Einzelnen, sondern das aller Betroffenen im Vordergrund, wozu ein universa- listischer Standpunkt notwendig ist. Die utilitaristische Position stellt demnach eine normative Ethik im Sinne einer Sozialpragmatik dar, bei der das menschliche Handeln auf das allgemeine Wohlergehen verpflichtet wird. (vgl. Höffe 2013: 10-11 u. Singer 1979: 1-13)

Wie bei den Prinzipien bereits erwähnt, unterscheiden sich die Auffassungen innerhalb des Utilitarismus in einzelnen Punkten voneinander. Da der Präferenzutilitarismus auf die klassischhedonistische Variante folgt, werden zuerst die Grundlagen der Letzteren erläutert, um eine bessere Verständlichkeit herbeizuführen.

Grundlage der klassischen Position ist, dass Menschen leidensfähige Wesen sind. Nach Bentham (1788) bilden das Streben nach Lust (pleasure)1 und die Vermeidung von Leid2 (pain) die anthro- pologischen Grundkonstanten und sind somit als Maßstab zur Beurteilung der Sittlichkeit von Handlungen einzusetzen. Dies bedeutet, dass Handlungen, die Lust befördern und Leid verringern, als moralisch gut zu bewerten sind. Grundsatz dieses moralphilosophischen Ansatzes ist dabei, dass Leid nicht sein soll, es sei denn, es dient der Vermeidung von größerem Leid. (vgl. Schleiß- heimer 2003: 109-112) Sidgwick formuliert den Grundsatz dieser Position so, dass „[n]ach ihm [dem klassisch-hedonistischen Utilitarismus, Anm. d. Verf.] haben wir in jedem einzelnen Fall alle Freuden und Schmerzen, die sich als wahrscheinliche Ergebnisse der verschiedenen sich dar- bietenden Alternativen des Verhaltens vorhersehen lassen, zu vergleichen und diejenige Alternati- ve anzunehmen, die geeignet scheint, zum größten Glück im ganzen zu führen.“ (Sidgwick 1874: Kap. IV, Art.1) Diese Formulierung ist eine Betrachtung wert, da sie den Begriff Gl ü ck an Stelle der oben genannten Lust verwendet. Folgt man den klassischen Vertretern wie Bentham und Mill, versteht man unter dem höchsten Wert und somit unter dem, was in sich gut ist, das menschliche Glück. Bei dieser werttheoretischen Position erwirken empirisch feststellbare Gefühle wie Wohl- befinden oder Freude das Glück. Lust im obigen Sinne (pleasure) bewirkt demnach Glück und ist zu fördern. (vgl. Mill 1861: S. 13) Laut des Hedonismusprinzip ist der Nutzen einer Handlung nach der klassischen Variante zusammenfassend daran festzumachen, ob er das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl herbeiführt. (vgl. Bentham 1788) Da die Vorstellungen der Men- schen hinsichtlich des Glücks bzw. dessen, was Glück herbeiführt, sehr unterschiedlich sind, prä- ferieren die Utilitaristen die negative Formulierung. Handlungen sind dann moralisch gut bzw. richtig, wenn sie kein Leid hervorrufen, welches nicht der Vermeidung von noch größerem Leid dient. Bei der klassisch-hedonistischen Variante geht es demnach darum, das Leid in der Welt zu reduzieren bzw. die Zufriedenheit zu maximieren.

Peter Singer modifiziert die angeführte klassisch-hedonistische Theorie, indem der Begriff Leid durch unbefriedigte Interessen bzw. Pr ä ferenzen, ersetzt wird. Somit lautet der Grundsatz, dass Interessen generell nicht unbefriedigt bleiben sollen, es sei denn die Nicht-Befriedigung eines In- teresses dient dazu, ein gewichtigeres Interesse zu befriedigen. Bei dem Präferenzutilitarismus wird Interesse weit gefasst, sodass darunter alles, was sich ein Mensch wünscht, als sein Interesse gilt. Im Gegensatz zu dem klassischen Utilitarismus ist die beste Konsequenz und somit die zu wählende Handlungsalternative, welche insgesamt die Interessen aller Betroffenen bestmöglich fördert und nicht nur Lust vermehrt und Leid verringert. (vgl. Singer 1979: 12f.)

Hinsichtlich der Interessen wird das Prinzip der gleichen Interessenberücksichtigung postuliert. Nach Singer liegt die Begründung dessen in dem universalen Aspekt der Ethik selbst: „Indem ich akzeptiere, daß moralische Urteile von einem universalen Standpunkt aus getroffen werden müs- sen, akzeptiere ich, daß meine eigenen Interessen nicht einfach deshalb, weil sie meine Interessen sind, mehr zählen als die Interessen von irgend jemand anderm.“ (Singer 2008: 25) Das Prinzip der gleichen Interessenberücksichtigung stellt das Grundprinzip der Gleichheit dar. Zu dieser Grundlage gelangt man, indem das natürliche Bestreben, das für die individuellen Interessen ge- sorgt wird, auf die Interessen der anderen Menschen ausgedehnt wird. Es stellt eine Form der Gleichheit dar, welche alle Menschen umfasst, die im Einzelnen nicht unterschiedlicher sein könn- ten. Das Prinzip verbietet Diskriminierungen jeder Art, insbesondere aber nach Rasse, Geschlecht, Intelligenz oder genetischen Unterschieden. Nach ihm sind gleiche bzw. gleichgewichtige Interes- sen in jedem Falle gleich bzw. gleichgewichtig zu berücksichtigen. Dies heißt somit, wenn ein anderer ein gewichtigeres Interesse als meines daran hat, dass meine Entscheidung in seinem Sin- ne ausfällt, so muss ich aus moralischen Gründen die Entscheidung in seinem Sinne treffen. (vgl. Singer 1979: 14-47)

Zusammenfassend ist zu dem Präferenzutilitarismus zu sagen, dass man bei einer moralisch richtigen Entscheidung unter Berücksichtigung des Prinzips der gleichen Interessenberücksichtigung diejenige Option wählt, die für alle von der Entscheidung Betroffenen die besten Konsequenzen hat und die Interessen aller Betroffenen bestmöglich befriedigt.

Abschließend sind in dem theoretischen Zusammenhang der utilitaristischen Position zwei diffe- rierende Sichtweisen anzusprechen. Neben der Auffassung dessen, was in sich gut ist, gibt es noch weitere Unterschiede. Der Folgende wird im weiteren Verlauf noch von Bedeutung sein, weshalb er an dieser Stelle kurz umrissen wird. Auf der einen Seite steht der total view, welcher davon ausgeht, dass die Gesamtsumme der Zufriedenheit in der Welt so hoch wie möglich sein sollte. Dieser ist von dem prior existence view zu unterscheiden, der möglichst viel Zufriedenheit bei denen hervorrufen möchte, die schon bestehen. Dies macht einen bedeutenden Unterschied, da es bei dem total view möglich ist, ein Wesen zu ersetzen, wenn dadurch der Gesamtpegel der Zufrie- denheit in der Welt gleich bleibt oder steigt. Außerdem ist es nach diesem Ansatz möglich und gut, die Summe der Zufriedenheit zu steigern, indem man Wesen hinzufügt, die ein Zuwachs an Zufriedenheit bewirken. (vgl. Singer 1979: 99-105)

Bei der Anwendung der utilitaristischen Position ist demnach darauf zu achten, welche Auffas- sung hinsichtlich dessen vorherrscht, was in sich gut ist und welche Sichtweise vorausgesetzt wird.

2.2 Die Begründung von Tierrechten

Mit dem Prinzip der gleichen Interessenberücksichtigung, welches im vorangegangenen Kapitel beschrieben wurde, ist eine Grundlage für die menschliche Gleichheit geschaffen worden. Singer schlägt nun vor, „daß wir, wenn wir das Prinzip der Gleichheit als eine vernünftige moralische Basis für unsere Beziehungen zu den Mitgliedern unserer Gattung akzeptiert haben, auch ver- pflichtet sind, es als eine vernünftige moralische Basis für unsere Beziehungen zu denen außerhalb unserer Gattung anzuerkennen - den nichtmenschlichen Lebewesen.“ (Singer 2008: 28) Er be- hauptet, dass sich die Basis der Gleichheit nicht auf Menschen beschränken lässt. Das Prinzip der gleichen Interessenberücksichtigung muss über die eigene Spezies hinaus Anwendung finden. Das Prinzip schließt nämlich ein, dass die Rücksicht auf andere nicht davon abhängig sein darf, welche Fähigkeiten man besitzt oder welcher Gruppe man angehört. Die Zugehörigkeit zu einer Spezies ist in diesem Zusammenhang nicht relevanter, als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse. Die einzig vertretbare Grenze für die Rücksichtnahme auf die Interessen anderer ist die Grenze der Empfindungsfähigkeit. Jede andere Grenze wäre willkürlich und würde Diskriminierung ein- schließen, welche durch das Prinzip der Gleichheit eliminiert werden soll. Empfindungsfähigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang die Fähigkeit Leid oder Freude bzw. Glück empfinden zu können. Die Empfindungsfähigkeit ist die Grundvoraussetzung dafür, überhaupt Interessen haben zu können. Sie stellt eine Bedingung dar, die erfüllt sein muss, bevor sinnvoll von Interessen ge- sprochen werden kann. (vgl. Singer 2008: 28-32) Auch wenn wir nie das Leid eines anderen Le- bewesens erfahren können, so ist es nachzuvollziehen, dass es nichtmenschliche Wesen ebenso empfinden wie menschliche. Auch wenn Tiere ihren Schmerz nicht sprachlich ausdrücken kön- nen, so ist das Nervensystem aller Wirbeltiere dem der Menschen ähnlich. (vgl. Singer 1979: 60) Schon Darwin machte deutlich, dass der Unterschied zwischen Mensch und Tier lediglich graduell und nicht prinzipiell ist. Er ist entgegen der frühen westlichen Tradition, welche die Natur als Hie- rarchie betrachtete und dem Menschen eine besondere Rolle zuwies, der Meinung, dass es nicht möglich ist, eine sinnvolle Grenze zu ziehen. Die bedeutendste Gemeinsamkeit von Menschen und Tieren ist die Fähigkeit, Leid zu empfinden. Wenn wir davon ausgehen können, dass diese nicht- menschlichen Lebewesen Leid empfinden können, haben diese auch Interessen, denen in gleicher Weise Beachtung geschenkt werden muss, wie denen der Menschen. Alle anderen Auffassungen wären eine Form der Voreingenommenheit gegenüber anderen Wesen nur aufgrund ihrer Zugehö- rigkeit zu einer Spezies. (vgl. Singer 2014: 80-81) Nach der Grenze der Empfindungsfähigkeit zu urteilen, ist das Prinzip der gleichen Interessenberücksichtigung auf Mensch und Tier gleicherma- ßen anzuwenden.

Die bisherigen Erläuterungen schließen allerdings nicht aus, dass ein Lebewesen getötet wird, wenn dies schmerzfrei geschieht. Es wäre demnach möglich, ein Wesen zu töten, wenn dies nach Abwägung aller Interessen der Betroffenen den größten Nutzen hat.

Um dieser Kritik, dass auch das Töten von Menschen mit der utilitaristischen Position zu rechtfer- tigen sei, zu begegnen, gibt es in diesem Zusammenhang auch nicht-speziesistische Überzeugun- gen. Diese beziehen sich nicht auf die Spezieszugehörigkeit, sondern auf die Fähigkeiten als Indi- viduum. So ist es als schwerwiegender zu betrachten, wenn ein Wesen, das auf sich selbst Bezug nehmen und Pläne für die Zukunft machen kann ein früher Tod ereilt oder ihm Schmerzen zuge- fügt werden. „Humans have much greater awareness of what is happening to them, and this makes their suffering worse.” (Singer 1979: 51) Menschen werden in diesem Zusammenhang auch als Personen bezeichnet, sodass eine Unterscheidung zwischen Personen und Nicht-Personen vorge- nommen wird. Personen werden Fähigkeiten wie Rationalität, Selbstbewusstsein und Sprachge- brauch zugeschrieben. Außerdem sind sie sich ihres Selbst als eigenständiges Wesen mit einer Vergangenheit und Zukunft bewusst. Durch ihre genannten Fähigkeiten haben Personen ein grö- ßeres Interesse daran, am Leben zu bleiben, als solche Lebewesen, die diese Fähigkeiten nicht besitzen. (vgl. Singer 1979: 94) Diese Auffassung ist nicht-speziestischer Natur, sie macht jedoch darauf aufmerksam, dass man auf die genannten Fähigkeiten achten und sie einbeziehen muss, wenn man Interessen unterschiedlicher Spezies miteinander vergleicht. In einigen Situationen lei- den Mitglieder der einen Spezies mehr als Mitglieder einer anderen. Dies liegt daran, dass die oben aufgeführten Fähigkeiten für eine Spezies wie die des Menschen typisch ist und für eine an- dere nicht. Dies beruht jedoch rein auf der Fähigkeit als Individuum und nicht auf der Zugehörig- keit zu einer Spezies. (vgl. Singer 2014: 81-83)

An dieser Stelle kann sich die Frage gestellt werden, ob auch nichtmenschliche Wesen Personen im oben definierten Sinne darstellen können. Da es einige Tiere gibt, die beispielsweise augen- scheinlich vorausplanend ihre Lebensmittel sammeln, kann man ihnen die Motivation zuschrei- ben, auch in der Zukunft liegende Interessen befriedigen zu wollen und damit antizipieren zu kön- nen. Auch zeigen einige nichtmenschliche Wesen Formen der Kommunikation, ihre Sprache mag eine andere sein, ist jedoch vorhanden. Diese Erkenntnisse sind unter anderem durch Jane Goodall (1971) wissenschaftlich belegt. Ebenso zeigt Hampshire ’ s objection, dass Denken, was allen We- sen mit einem Bewusstsein zugeschrieben wird, den Gebrauch einer Sprache erfordert. Zu klären wäre noch, ob sich Tiere ihres Selbst bewusst sind, wozu eine reflexive Einstellung zu sich selbst erforderlich ist. Dies wird versucht durch den Spiegeltest herauszufinden. Einige Tiere bestehen diesen Test und erkennen ihr Spiegelbild als sie selbst. Dies ist ein Zeichen dafür, dass sie Selbst- bewusstsein besitzen. Doch selbst wenn Tiere diesen Test nicht bestehen, führt dies nicht unwei- gerlich dazu, dass sie kein Selbstbewusstsein oder keinen Sinn für ihre Zukunft haben. (vgl. Sin- ger 1979: 93-105) Insbesondere die Frage, ob Tiere ein Selbstbewusstsein besitzen oder nicht, ist wissenschaftlich bisher nicht eindeutig nachzuweisen. Das bewusste Sein ist eine ganz persönliche Erfahrung, die eigener Betrachtung bedarf, die aus Raum- und Zeitgründen an dieser Stelle nicht möglich ist. Nach Singer ist jedoch insbesondere dieses Selbstbewusstsein ein Kriterium dafür, das ein Leben schützenswert ist. Wenn er dieses den Menschen zuschreibt, dann zumindest auch allen hoch entwickelten Wirbeltieren, da diese nicht nur den gleichen Aufbau des Nervensystems aufweisen, sondern auch die gleichen Gehirnstrukturen. (vgl. Roth 1994) Das Problem des be- wussten Seins ist an dieser Stelle nicht zu klären und bedarf näherer Untersuchungen. Nichtsdes- totrotz sind zumindest einige Tiere eindeutig als Personen zu bezeichnen, da ihnen die benötigten Fähigkeiten zugesprochen werden können. Durch die große Vielfalt der Tiere kann dieser Status nicht auf alle ausgeweitet werden, zumindest aber auf die Wirbeltiere, von denen u.a. durch die Hirnforschung begründet auszugehen ist, dass sie Rationalität, Sprachgebrauch und Bewusstsein in sich vereinen.

Zusammenfassend kann zu diesem Teil der Arbeit gesagt werden, dass die Grenze der Empfindungsfähigkeit die einzig vertretbare Grenze für die Rücksichtnahme auf Interessen ist. Die Interessen der (Wirbel-) Tiere sind demnach bei der Wahl einer Handlungsalternative genauso zu beachten, wie die der Menschen. Allerdings ist bei der Bewertung und Abwägung der Interessen darauf zu achten, dass Personen ein höheres Lebensinteresse haben und mitunter in manchen Situationen mehr leiden, als Nicht-Personen.

2.3 Kritik an dem utilitaristischen Ansatz

Der Utilitarismus ist vielfältigen Kritiken ausgesetzt. Um den utilitaristischen Ansatz an dieser Stelle nicht unreflektiert anzunehmen, werden im Folgenden wichtige Einwände gegen die präferenzutilitaristische Position eingebracht.

Eines der bedeutendsten Probleme ist die Verrechnungsschwierigkeit. In einer Entscheidungssituation ist nicht immer klar, welches Interesse gewichtiger ist. Ob abzuwägende Interessen gleich sind oder nicht, ist schwierig festzustellen, sodass eine Verrechnung oft nicht möglich scheint. Und selbst wenn hervortritt, welches Interesse gewichtiger ist, wird durch die Theorie nicht deutlich, ob das gewichtigere Interesse, das nur bei einigen wenigen vorliegt, Vorrang hat vor einem weniger gewichtigeren Interesse, das dafür bei sehr vielen vorliegt.

Diese Schwierigkeiten deuten direkt auf ein weiteres Problem hin, welches kognitiver Natur ist. Die Folgen einer Handlung, die zur Entscheidung steht, können dem Menschen nie in ihrem vol- len Umfang bewusst sein. Die Konsequenzen sind nicht immer absehbar und damit auch nicht realistisch einzuschätzen. Wenn man sich der Auswirkungen einer Handlung nicht vollständig bewusst sein kann bei seiner Entscheidung, so ist man jedoch auch nie komplett dafür zur Verant- wortung zu ziehen, was ein weiteres Problem des Ansatzes darstellt.

Eine weitere Kritik, die Korsgaard (2011) äußert, bezieht sich darauf, dass Lebewesen lediglich als Orte bzw. Behälter für Erfahrungen betrachtet werden. Bei der Entscheidungsfindung wird dabei nicht auf das Subjekt selbst Bezug genommen, sondern nur darauf, ob es per se gut oder schlecht ist. Dadurch ist es auf Grundlage der Prämissen Singers unerklärlich, warum Pläne für die Zukunft machen zu können, den Tod für Personen zu etwas Schlimmerem macht. Pläne machen zu können sind grundsätzlich nichts anderes als selbstbewusste Erfahrungen, die wiederum durch andere Erfahrungsbehälter ersetzt werden können. Grundlage für diese Kritik bietet jedoch nur die Anwendung des total views. Dieser enthält die Möglichkeit der Ersetzung von Behältern, wenn dies den Pegel der Zufriedenheit insgesamt steigert.

Korsgaard kritisiert in diesem Sinne weiterhin, dass Tieren im Utilitarismus allgemein nur punktuelle Erfahrungen zugestanden, die nicht durch Erinnerung oder Erwartung zu langfristigen Hoffnungen, Ängsten oder irgendeiner Art von Sorge um das eigene Leben verbindbar sind. Dieses Argument ist durch die erläuterten Forschungen, wie von Goodall o.ä. durchgeführt, nicht haltbar. Vertreter wie Korsgaard kritisieren weiterhin die utilitaristische Güter-Aggregation. Nach ihr ist es nicht zulässig, dass Gutes für ein Subjekt, also die Befriedigung eines Interesses, gegen Gutes für ein anderes Subjekt aufgerechnet wird. Das Gute für verschiedene Subjekte lässt sich nicht addieren, denn die Summe wäre etwas, das für niemanden gut ist.

In einem gewissen Sinne spricht sich Korsgaard auch für die Aggregation aus. Sie sagt, dass eine Handlungsweise, die mehr Subjekten zugutekommt wünschenswert ist, allerdings gibt es nach ihr auch eine Grenze der Aggregation. Nach dieser soll niemand durch eine Entscheidung geschädigt werden. Diese Grenze ist geht allerdings mit der Vorstellung einher, dass Gutes immer an das Subjekt gebunden ist, was im Utilitarismus anders gesehen wird.

Ein anderes Problem, dem Beachtung geschenkt werden muss, ist die Tatsache, dass das utilitaris- tische Prinzip so abstrakt ist, dass damit eine gewisse Beliebigkeit entsteht. Durch den Ansatz ist prinzipiell alles zu begründen, aber keine Handlungsweise kann per se abgelehnt werden. Die Be- gründung, beispielsweise von Menschenrechten, ist damit sehr schwierig. Auf diesen Aspekt nimmt auch Regan (1985) Bezug, indem er aus der Prämisse, dass Individuen bloß Behälter von Interessen sind, herleitet, dass die Tötung eines Menschen zum höheren Wohl anderer möglich wäre. Dies steht der Menschenwürde direkt entgegen. Allerdings immunisiert sich Singer gegen diese Kritik, da die negativen Folgen einer solchen Tötung insgesamt den Nutzen derselben über- wiegen. Als negative Folgen sind das Leid des gesellschaftlichen Umfelds, die Angst und Unsi- cherheit, die eine Tötung bei Dritten verursachen würde, die dann in ständiger Todesangst leben würden, sowie das Dammbruchargument anzuführen. So würde jede Ausnahme von dem Tö- tungsverbot, welches durch das starke Lebensinteresse von Personen besteht, das Risiko eines Freibriefs für weitere, unberechtigte Ausnahmen enthalten. Zuletzt sollte noch das Diskriminie- rungsargument hervorgebracht werden, welches die negativen Auswirkungen auf das Selbstver- ständnis indirekt betroffener Individuen, zum Beispiel durch Tötung eines Farbigen, beschreibt. (vgl. Birnbacher 1990) Das Recht auf Leben beispielsweise lässt sich demnach zwar utilitaristisch begründen, ist jedoch nicht auf alle auszuweiten, denn der Respekt vor diesem Recht muss insge- samt die besten Konsequenzen für alle haben. Unterschiedliche Individuen wie Tiere oder aber auch Säuglinge haben nach Regan im Utilitarismus kaum Raum für die gleichen Rechte.

Die Kritik Regans wurde an dieser Stelle ausführlich behandelt, da er bei der Aufstellung seiner Theorie, die im nächsten Kapitel folgt, direkt auf Singer Bezug genommen hat. Außerdem konnte an diesem Beispiel aufgezeigt werden, inwiefern sich der Utilitarismus durch sein abstraktes Prinzip immer wieder gegen Kritik immunisieren kann.

[...]


1 Das englische Wort pleasure hat einen weitaus größeren Bedeutungshorizont als Lust. Weitere mögliche Übersetzungen sind Freude, Wohlbefinden oder Zufriedenheit, die im Folgenden bedeutungsgleich eingesetzt werden.

2 Da die Übersetzung von pain mit Unlust nicht ganz treffend scheint, wird an dieser Stelle Leid verwendet. Möglich wäre beispielsweise auch Schmerz.

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Résumé des informations

Titre
Das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken. Ein Vergleich ausgewählter Positionen der Tierethik
Université
University of Trier
Note
1,3
Auteur
Année
2017
Pages
36
N° de catalogue
V374761
ISBN (ebook)
9783668520875
ISBN (Livre)
9783668520882
Taille d'un fichier
706 KB
Langue
allemand
Mots clés
Philosophie Ethik Veganismus Töten von Tieren
Citation du texte
Katrin Rauber (Auteur), 2017, Das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken. Ein Vergleich ausgewählter Positionen der Tierethik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/374761

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