Heinrich Heine und Karl Marx "Brüder im Geiste?". Ein Vergleich beider literarischer Redaktionen zum schlesischen Weberaufstand 1844


Trabajo Escrito, 2016

15 Páginas, Calificación: 1,3

Anónimo


Extracto


1. Einleitung
Auch heute, 160 Jahre nach seinem Tod ist Heinrich Heine äußerst populär und ohne Frage
einer der berühmtesten Schriftsteller und Journalisten des 19. Jahrhunderts. Die Werke kaum
eines anderen Schriftstellers wurden häufiger übersetzt und vertont. Heine gilt nicht nur als
,,letzter Dichter der Romantik"
1
, sondern war auch als Journalist und politischer Essayist
aktiv, was ihn schon zu Lebzeiten zu einer äußerst streitbaren Person machte. So musste
Heine immer wieder mit der preußischen Zensur um die Veröffentlichung seiner Werke
ringen, weil er sich kritisch gegen die Obrigkeit wandte. Vor allem in ,,Deutschland. Ein
Wintermärchen"
2
spitzte sich der Ton Heines zu, was ihn automatisch in die Nähe
revolutionärer sozialistischer Ansichten brachte. Dies ist vor allem der Grund, warum die
DDR Heine zum literarischen Aushängeschild erkor und ihn und seine Literatur für ihre
propagandistischen Zwecke einspannte. Dazu trug auch seine Bekanntschaft zu Karl Marx
bei, welche in marxistischen Kreisen zu einer ,,Zwillingsbrüderschaft"
3
stilisiert wurde.
Inwiefern Heine wirklich Anhänger sozialistischer und kommunistischer Ideen war und wie
das politische Verhältnis zu Karl Marx geprägt war, soll die Fragestellung dieser Hausarbeit
sein. Das Forschungsfeld ,,Heine ­ Marx" ist äußerst weit und vielfältig, weshalb in der
vorliegenden Arbeit nur auf einen Teilbereich der ,,Heine-Marx-Forschung" eingegangen
werden soll.
Im Folgenden soll es um das Verhältnis zwischen Heine und Marx gehen, mit einem
Schwerpunkt auf deren Reaktionen und Interpretationen zum schlesischen Weberaufstand von
1844. Der Aufstand in Schlesien wurde ausgewählt, weil dieser für zeitgenössische
Verhältnisse ungewöhnlich starke Reaktionen in der Literatur- und Kulturszene hervorrief und
bis in die Gegenwart immer wieder Anlass für Diskussionen bietet. Vor allem in marxistischen
Kreisen gilt der Aufstand als eine der ersten Erhebungen der Arbeiterschaft gegen die
Bourgeoisie und wird deshalb besonders häufig rezitiert. Dass die tatsächlichen historischen
1 Unbekannt: Heinrich Heine letzter Dichter der Romantik. In: Zentrales Verzeichnis antiquarischer Bücher.
URL: http://blog.zvab.com/2007/02/17/heinrich-heine-letzter-dichter-romantik-todestag/.
Datum der
Publikation: 2007. (Stand: 15.08.2016).
2 Heine, Heinrich (Bearbeitet von Urusla Roth und Heidemarie Vahl): Deutschland. Ein Wintermärchen.
Stuttgart 1995.
3 Marcuse, Ludwig: Heine. Melancholiker, Streiter in Marx, Epikureer. Rothenburg ob der Tauber 1970: 298.
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Ereignisse lange Zeit unklar blieben, trug zusätzlich zu einer lang anhaltenden Brisanz des
Themas und dessen Polarisierung bei.4
Heinrich Heines direkte Reaktion auf den Weberaufstand war sein Gedicht ,,Die schlesischen
Weber" von 1844. Karl Marx nahm ebenfalls, allerdings in anderer Form Bezug zu den
Geschehnissen, nämlich in seinen ,,Kritische Randglossen zu dem Artikel ,Der König von
Preußen und die Sozialreform. Von einem Preußen`". Folglich werden diese beiden Texte die
Textgrundlage der vorliegenden Arbeit sein.
Der schlesische Weberaufstand in Peterswaldau und Langenbielau in der Region des
Eulengebirges 1844 ist keinesfalls ein Präzedenzfall und auch nicht der erste oder heftigste
Aufstand, sondern eher einer unter vielen. So kam es schon 1784/85 und 1794/95 in Augsburg
zu Erhebungen gegen die Fabrikbesitzer und selbst in der Region des Eulengebirges hatte es
bereits 1785/86, 1793 und 1798 größere Aufstände gegeben. Der Grund, warum gerade dieser
Weberaufstand als Untersuchungsgegenstand ausgewählt wurde, ist die Vielzahl an
zeitgenössischen literarischen Reaktionen und auch späteren Rezitationen, die für eine
entsprechende Mythenbildung sorgten.
2. Historischer Überblick: Der schlesische Weberaufstand von 1844
Am 4. Juni 1844 versammelten sich Weber aus Peterswaldau, Langenbielau und weiteren
Dörfern der Umgebung vor dem Wohnsitz des Fabrikanten Zwanziger, der besonders
schlechten Lohn bezahlte, um ihrem Unmut gegenüber den ständigen Lohnkürzungen
kundzutun.
5
Die Lage der ansässigen Weber war schon länger schlecht, der Grund für die
Demonstration war allerdings die Festnahme des Webers Wilhelm Mäder, welcher am
Vorabend misshandelt von den Wachen der Familie Zwanziger festgehalten und der Polizei
4 Für genauere Informationen, vgl. Von Hodenberg, Christina: Aufstand der Weber. Die Revolte von 1844 und
ihr Aufstieg zum Mythos. Bonn 1997.
5 Vgl. Von Hodenberg (1997): 19.
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übergeben wurde. Mäder hatte zusammen mit weiteren Webern ein Schmählied über die
Familie Zwanziger gesungen.
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Nach den anfangs friedlichen Absichten der Weber kam es zu Provokation von Seiten des
Wachpersonals, sodass die Weber das Inventar der Familie Zwanziger und insbesondere die
Lohnabrechnungsbücher zerstörten. Die Weber gingen dabei allerdings gemäßigt vor und
ließen dabei auch die angrenzenden Fabrikantenhäuser unversehrt.
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Am Tag darauf setzte die
große Schar Unzufriedener ihren Beutezug fort und bedrohte auch Fabrikbesitzer anderer
Dörfer, verschonte allerdings Fabrikanten, die einen fairen Lohn bezahlten. Oftmals ließen
sich die Weber auch durch Geldzahlungen besänftigen, sodass einige Fabrikanten ihr
Anwesen retten konnten. Ihren gewaltvollen Höhepunkt fand der Aufstand am Abend des 5.
Juni, als der Fabrikant Dierig seine eigenen Arbeiter bezahlen ließ, um die fremden Weber
davon abzuhalten, sein Hab und Gut zu zerstören. Die Situation eskalierte, als das preußische
Militär eintraf und scharf in die Menge schoss. Elf Menschen starben und 26 wurden verletzt,
darunter auch Frauen und Kinder. In den folgenden Tagen und Wochen war die preußische
Regierung sehr darauf bedacht, möglichst schnell die Lage wieder unter Kontrolle zu
bekommen und die Verantwortlichen vor den preußischen Gerichten zu verurteilen. Dennoch
konnte nicht verhindert werden, dass es zu weiteren Aufständen in großen Teilen des Landes
kam.
3. Heinrich Heine und sein Gedicht ,,Die schlesischen Weber"
Heinrich Heines Gedicht ,,Die schlesischen Weber"
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erschien bereits am 10. Juli 1844 in der
deutschen Exilzeitschrift ,,Vorwärts" in Paris und war somit die zeitnaheste literarische
Reaktion auf den Weberaufstand in Peterswaldau und Langenbielau.
6 Vgl. Ebd.: 20.
7 Vgl. Ebd.: 23.
8In der Erstausgabe hieß das Gedicht noch ,,Die armen Weber" und umfasste nur vier Strophen. Heine
überarbeitet dies später und fügt eine fünfte Strophe hinzu. (Vgl. Höhn, Gerhard: Heine-Handbuch. Zeit, Person,
Werk. Stuttgart 2. erw.1997: 110f.)
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Formal besteht das Gedicht aus fünf Strophen zu jeweils fünf Versen, wobei der fünfte Vers
jeweils den Refrain mit dem Wortlaut ,,Wir weben, wir weben!" (Z. 5, 10, 15, 20,25) bildet.
Der Refrain hat dabei beinahe onomatopoetischen Charakter, da der Wortlaut durchaus die
mechanischen Bewegungen des Webens nachahmt. Das Gedicht ist in männlichen und
weiblichen Paarreimen geschrieben, die jeweils mit dem reimlosen Refrain kontrastieren. Die
so vorgefundene AAB-Form entspricht einem volksliedhaften Reinschema und fügt dem
Gedicht eine emotionale aufrührerische Komponente hinzu. Weitere antithetische Muster
lassen sich auch in der Wortwahl finden (,,Deutschland" (Z. 3) ­ ,,Altdeutschland" (Z. 23),
,,Tag" (Z. 22) ­ Nacht" (Z. 22)). Die starke emotionale Wirkung dieses Liedes geht von einer
einfachen wie kunstvollen Struktur aus, welche sich gegen Ende des Gedichts noch einmal
steigert.
Das Gedicht stellte einen direkten Bezug zum schlesischen Weberaufstand her, welcher sich
nicht nur durch die Überschrift ausdrückt. Heine spricht über die Situation der Weber zumeist
in der dritten Person Plural, aber es gibt auch Stellen, in denen die Weber selbst das lyrische
Ich verkörpern. In Strophe eins und fünf geht Heine genauer auf die Arbeit der Weber und
deren Bedingung ein. Die Weber arbeiten die ganze Nacht und fühlen sich dabei wie Tiere
behandelt (,,fletschen die Zähne" (Z.2)). Heine geht explizit auf den ,,dreifachen Fluch" ein,
der in den Strophen zwei bis vier erklärt wird. In jeder Strophe wird ein anderer Fluch
vorgestellt, welche zusammen die bekannte preußische Parole ,,Mit Gott für König und
Vaterland"
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ins Gegenteil umkehren.
Der erste Fluch geht gegen Gott, der den Webern trotz ,,Winterskälte und Hungersnöten" (Z.
7) nicht helfen kann. Die im Gedicht benannten Schwierigkeiten gehen auf eine wahre
Begebenheit zurück, 1844 kam es zu schweren Missernten und Kartoffelfäulen, welche die
Menschen schwer leiden ließen.
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Die Alliteration ,,geäfft, gefoppt und genarrt" (Z. 9)
verdeutlicht einmal mehr die enttäuschten Hoffnungen der Weber. Hier lässt sich auch der
Bezug zur preußischen Obrigkeit herstellen. Der Terminus ,,Gott" und die Vertröstung auf das
Leben im Jenseits wurden von den Obrigkeiten als Rechtfertigung für die herrschenden
Zustände genommen.
9 Bussiek, Dagmar : ,,Mit Gott für König und Vaterland". Die Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung) 1848-
1892. Münster/Hamburg/London 2002: 144.
10Scriba, Arnulf: Der schlesische Weberaufstand 1844. In: Lebendiges Museum Online. URL:
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/vormaerz-und-revolution/deutscher-bund/weberaufstand-1844.html. Datum
der Publikation: 2014. (Stand: 15.08.2016).
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Im zweiten Fluch nimmt Heine explizit Bezug zu König Friedrich Wilhelm IV, der zur Zeit
des Weberaufstandes an der Macht war und auch den Befehl zur blutigen Niederschlagung
des Weberaufstandes gab. Auf diese Anweisung spielt auch Heine direkt an, indem er im
Gedicht die Weber ,,wie Hunde erschießen lässt" (Z. 14). Heine wirft König Wilhelm IV
damit Härte und Unnachgiebigkeit gegenüber der ärmeren Bevölkerung vor. Dieses
Phänomen wird im Gedicht nochmals thematisiert (,,Der den letzten Groschen von uns
erpresst" (Z. 13)).
Der dritte Fluch, und damit die vierte Strophe, wendet sich gegen das Vaterland Deutschland.
,,Vaterland" war eigentlich ein positiv konnotierter Begriff zu jener Zeit, wird jedoch bei
Heine ins Gegenteil verkehrt. Verstärkt wird dieses Gefühl durch die Anapher ,,Wo" (Z. 18,
19, 20). Der Stabreim ,,(gedeihen nur) Schmach und Schande" (Z. 17) sowie die Metapher der
,,Blume" (Z. 18), die ,,zu früh geknickt" (Z. 18), und das Wortpaar ,,Fäulnis und Moder" (Z.
19), verdeutlichen, dass das beschriebene Deutschland unmenschlich ist und die Herrschaft
des Königs Unterdrückung bedeutet.
Gott, König und Vaterland waren die zentralen Motive des damals vorherrschenden Systems
und direkt mit König Friedrich Wilhelm IV und dem preußischen Adel verbunden. ,,Mit Gott
für König und Vaterland" war die Devise des Landwehrkreuzes, eines Abzeichens, das von
Friedrich Wilhelm III. 1813 gestiftet wurde.
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Zudem war es dies auch die Losung des
preußischen Militärs, mit dem Friedrich Wilhelm IV den Weberaufstand niederschlagen ließ.
Dass Heine den dreifachen Fluch mit dem traditionsreichen preußischen Spruch in
Verbindung setzt, kann als direkte Kritik am preußischen König gesehen. Als Konsequenz
wurde ,,Die schlesischen Weber" auch schon kurz nach der Veröffentlichung durch staatliche
Maßnahmen verboten.
11 Bussiek (2002): 144.
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Final del extracto de 15 páginas

Detalles

Título
Heinrich Heine und Karl Marx "Brüder im Geiste?". Ein Vergleich beider literarischer Redaktionen zum schlesischen Weberaufstand 1844
Universidad
University of Freiburg
Calificación
1,3
Año
2016
Páginas
15
No. de catálogo
V375494
ISBN (Ebook)
9783668526747
ISBN (Libro)
9783668526754
Tamaño de fichero
823 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Heine, Marx, Weberaufstand, Vormärz
Citar trabajo
Anónimo, 2016, Heinrich Heine und Karl Marx "Brüder im Geiste?". Ein Vergleich beider literarischer Redaktionen zum schlesischen Weberaufstand 1844, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/375494

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