Die Theorien konversationaler Implikaturen von Grice und Sperber/Wilson. Eine Untersuchung


Master's Thesis, 2017

69 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ...3
2 Grices Theorie konversationaler Implikaturen ...8
2.1 Pragmatisches Programm, Kooperationsprinzip und Gesprächsmaximen ...8
2.2 Konversationale Implikaturen ...14
2.3 Probleme ...25
3 Sperber/Wilsons Relevanztheorie ...27
3.1 Kritik an Grice ...27
3.2 Relevanzansatz ...31
3.3 Probleme ...42
4 Kritische Diskussion ...46
5 Schlussbetrachtung ...63
Literaturangaben ...67

1 Einleitung
Sprache ist allgegenwärtig. Heute besteht allgemeiner Forchungskonsens darüber, dass
Menschen hauptsächlich sprachlich denken und dass Sprachfähigkeit zudem als
wesentliches Kriterium für die Unterscheidung und Abgrenzung von Lebewesen
angesehen wird.
1
Speziell die Analyse und Reflexion des Untersuchungsgegenstands `Sprache´ mitttels
Sprache kennzeichnet das Verhältnis von Sprache und philosophischer Tätigkeit, da nicht
zuletzt auch Aussagen und Urteile über etwas, spezifisch-sprachliche Entitäten darstellen
und daher in besonderer Weise an Sprache gebunden sind. `Wahres´ und `Falsches´
besitzen im Gegensatz zu `Fakten´ oder `Ereignissen´ die Eigenschaft der
Propositionalität und werden in verschiedener Gestalt als Gedanken, Begriffe,
Vorstellungen, Aussagen, Urteile usw. gekennzeichnet.
2
Es besteht offenbar daher auch
ein Zusammenhang zwischen Sachverhalten und der diese beschreibenden Sprache.
`Verstehen´ im Allgemeinen scheint demnach auch immer `sprachliches Verstehen´ zu
implizieren oder vorauszusetzen. So prägte einer der bekanntesten Philosophen der
Neuzeit - Ludwig Wittgenstein - in seinem Werk Tractatus logico-philosophicus den
einprägsamen Satz ,,Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt."
3
Diese wirklichkeitserschließende Kraft von Sprache sollte auch die gesamte
Geschichte der Sprachphilosophie als eine zentrale sprachreflektierende Tätigkeit
prägen. Mit fortschreitender Zeit wurde demnach das Bedingungsverhältnis zwischen
Sprache, Denken und Wirklichkeit in den Fokus der Untersuchung sprachphilosophischer
Bemühungen gestellt. Hierbei wurden im Laufe zahlreicher Sprachanalysen verschiedene
Sprachauffassungen mit entsprechend unterschiedlichen Schwerpunkten, Relationen und
Gewichtungen dieser drei Begriffe entwickelt, verfasst und begründet.
Die Bennennungs- und Bedeutungsproblematik, sowie die damit verbundene
Funktionsweise von Sprache, wurden hierbei mit fortschreitender Zeit zu dominierenden
Themen und stellen auch das Thema dieser Arbeit. So bildete sich im Laufe neuzeitlicher
Denkweisen der weite Bereich der Philosophie der idealen Sprache heraus, der seinen
eigentlichen Ausgangspunkt in Gottlob Freges Sprachphilosophie fand. Für diese
Sprachauffassung maßgeblich wurde die Annahme, dass der Alltagssprache eine
gewisse Unschärfe oder Ungenauigkeit anhaftet. Eine `Philosophie der idealen Sprache´
zeichnete sich diesbezüglich somit durch eine logische Bedeutungsanalyse von Sätzen
aus. Sprache wurde demnach als wichtigstes Werkzeug einer möglichst logisch
1
Vgl. Petersen, Uwe: Sprache als wissenschaftlicher Gegenstand, philosophisches Phänomen
und Tat. Könighausen und Neumann. Würzburg 2008. S.9.
2
Vgl. Bermes, Christian: Die Sprache der Welt und die Welt der Sprache. In: Ders. [Hrsg]:
Sprachphilosophie. Verlag Karl Alber. München 1999. S.9. Hervorhebung des Verfassers.
3
Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung.
Suhrkamp Frankfurt am Main 2003. Satz 5.6.
3

konsistenten und möglichst exakten Darstellung/Beschreibung der Welt gedeutet.
4
Dass
Sprache aber hauptsächlich dazu dient, möglichst genau die Welt abzubilden, wurde
schon viele Jahre zuvor von einem der wichtigsten Denker der Aufklärung - John Locke -
angezweifelt. Dieser bestritt ausdrücklich, dass Wörter als Zeichen für eine tatsächliche
Beschaffenheit von Dingen bzw. einer Außenwelt fungieren können. Er war als einer der
Begründer des englischen Empirismus überzeugt, dass jemand nur etwas vollständig
oder wesensmäßig abbilden kann, wenn ihm dies unmittelbar zugänglich ist ­ Zeichen
deshalb immer nur mentale Repräsentationen dieser äußeren Dinge - wie dies schon in
der Antike Aristoteles vertrat - sein konnten. Nun stellt sich die Frage, was denn das
Wesen unserer Sprache ausmacht, wenn `das Abbilden der Welt´ fraglich erscheint? Der
Handlungscharakter von Sprache scheint hier eine Antwort geben zu können.
Handlungen, als intentionale, zielgerichtete Akte betrachtet, können ja sinnvollerweise mit
Sprache in Verbindung gebracht werden. Der Gedanke sprachlicher Intentionalität reicht
zudem bis in mittelalterliche Forschung. Schon der Theologe Roger Bacon entdeckte das
Vorhandensein von Intentionen während der Sprachnutzung, sowie den `Sprechakt´.
Sogar die Unterscheidung zweier Werte einer sprachlichen Äußerung, den signifikant-
erkenntnistheoretischen und den operativ-handlungsorientierten, tatsächlich
performativen Wert, war dieser in der Lage zu differenzieren.
5
Den konsequenten Bruch mit der sprachlichen Abbildtheorie und einer
darauffolgenden allgemeinen Kehrtwende der zeitgenössischen Sprachtheorie vollzog
dann erst gänzlich der späte Wittgenstein in seinen Philosophischen Untersuchungen.
Hierbei war für ihn ausschlaggebend, dass das Wesen der Sprache nicht in der
Weltbeschreibung oder der Versinnlichung deskriptiver Aussagen zu finden ist. So
begründete er Mitte des 20. Jahrhunderts das bis heute gültige Forschungsparadigma
Sprache als Handlung, das auch als die erste Phase der pragmatischen Wende (engl.:
pragmatic turn) in der Wissenschaftsgeschichte bezeichnet wird.
6
Hierbei rückte
Wittgenstein den zweckhaften Gebrauch, in dem sich nun sprachliche Bedeutung
hauptsächlich erschöpft, in seinem Sprachspielkonzept in den Vordergrund. Zentraler
Punkt in seiner `neuen Philosophie´ war daher eine Sprachanalyse mit Hilfe einer rein
pragmatischen Methodik. Damit einher ging eine von ihm durchgeführte Metaphysikkritik,
bei welcher der Satz ,,Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres
Verstandes durch die Mittel unserer Sprache."
7
als einer seiner denkwürdigen Leitsätze
auch die vorherrschende Sprachforschung prägte. In weiteren Untersuchungen wurde
4
Vgl. Newen, Albert/Schrenk, Markus A.: Einführung in die Sprachphilosophie. WBG Verlag.
Darmstadt 2008. S.17ff.
5
Vgl. Kompa, Nikola (2015): a.a.O., S.13, 22.
6
Vgl. Braun, Edmund [Hrsg.]: Der Paradigmenwechsel in der Sprachphilosophie. Studien und
Texte. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt 1996. S.3.
7
Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Suhrkamp. Frankfurt am Main 2003.
S.12f; §109.
4

demnach immer mehr der Fokus auf sprachinterne Fragestellungen und Probleme
gerichtet. Diese Periode ist auch als die linguistische Wende [engl. linguistic turn] bekannt
und betraf vonehmlich Philosophie und Linguistik.
Von nun an wurde dementsprechend auch zunehmend der primär-handlungsorientierte
Werkzeugcharakter von Sprache - im besonderen die kommunikative Funktion, als
zentraler sozialer Sprachzweck ­ fokussiert. Dies ließ sich schon in Karl Bühlers
Organon-Modell in der Beschreibung von drei unterschiedlichen sprachlichen
Funktionsbereichen (Ausdruck- Apell- und Darstellungsfunktion) erkennen.
8
Da Sprache
nun offensichtlich in diesem Zusammenhang als Handlungsmittel für eine Vielzahl von
menschlichen Zwecken benutzt werden konnte, dauerte es somit nicht lange, bis weitere
Sprachforscher - darunter Roman Jakobson - die Funktionsliste um drei weitere
Kategorien (phatische-, metasprachliche-, poetische) erweiterten, wobei während einer
sprachlichen Äußerung - als kleinste Einheit sprachlicher Tätigkeit - nun immer eine
Funktion bzw. ein Zweck dominant ist und so die Gestaltqualität der Botschaft bestimmt.
9
Untersuchungsgegenstand war nun nicht mehr eine etwaiige Ideal-, sondern die normale
Alltagssprache (engl.: ordinary language). Trotzdem wurde bis zu diesem Zeitpunkt von
Bühler, Jakobson und etlichen anderen Wissenschaftlern das von Ferdinand de Saussure
für die moderne Sprachwissenschaft so bedeutende strukturalistische Sprachmodell
verteten. Bei diesem Sprachbild wurde den inneren, systembezogenen Abhängigkeiten
einer autonomen `sprecherlosen´ Sprache die größte Bedeutung zugeschrieben.
10
So bildeten sich im Zuge dieser normalsprachlichen Erforschung zwei ontologisch-
differente Auffassungen von Sprache heraus. Einerseits bestand und besteht bis heute
eine sprachphilosophische Grundposition, die Sprache primär als intellektualistisches
System begreift. Hierbei tritt der Handlungscharakter sprachlicher Entitäten in den
Hintergrund. Eine sprachliche Handlung ist hierbei gemäß eines ontologischen Zwei-
Welten Modells lediglich eine einzelne Anwendung der Sprache an sich, der tatsächlichen
Sprache hinter dem einzelnen Sprechen, die zeitgleich auch Bedingung von
(richtigem/idealem) Denken und (korrekter/idealer) Kommunikation, als einem tatsächlich
existierenden und zu erforschenden Ideal darstellt. Im Sinne de Saussures ist hierbei
somit die Untersuchung der langue - dem Sprachsystem - entscheidend, um Sprache in
ihrer Wirksamkeit und Funktionsweise vollständig begreifen und verstehen zu können.
11
Auf der anderen Seite steht vor allem seit der Zeichenlehre von Charles Saunders
Peirces und der Sprechakttheorie J.L. Austins eine pragmatische Sprachauffassung, bei
8
Vgl. Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. G. Fischer. Stuttgart
1999. S.28f.
9
Vgl. Jakobson, Roman: Aufsätze zur Linguistik und Poetik. Nymphenburger Vertragshandlung
GmbH. München 1974. S.28f.
10
Vgl. Kompa, Nikola (2015): a.a.O., S.38f.
11
Vgl. Krämer, Sybille: Sprache, Sprechakt, Kommunikation. Sprachtheoretische Positionen des
20. Jahrhunderts. Suhrkamp. Frankfurt am Main 2001. S.9ff.
5

der sich Sprache im Wesentlichen in der konkreten Tätigkeit als eine Form menschlichen
Handelns unter anderen Handlungsformen als Untersuchungsgegenstand fassen und
beschreiben lässt.
12
Bis heute besteht ein Spannungsverhältnis zwischen solchen, sich in ihren
Grundannahmen unterscheidenden Sprachtheorien, die zum einen in systembezogener
semantischer Tradition, andererseits in handlungsbezogener Wittgenstein´scher
pragmatischer Weise einen Vorrangstatus hinsichtlich der theoretischen
Spracherforschung beanspruchen. Egal welche Position nun Sprache tatsächlich `besser´
beschreibt, beide fördern durch ihre unterschiedliche Forschungsbasis, mit daraus
resultierender differenter Methodik und Zielorientierung, zeitgleich viele verschiedene
Ergebnisse zu Tage, die Sprache tatsächlich auf eine eben solch `innere und äußere
Weise´ darstellen und so ihre Vielfältigkeit und Wirkungsmacht offenlegen. Diese wurde
etwa in sprachkritischen Arbeiten durch Jürgen Habermas oder Jürgen Schiewe betont.
Hierbei wurden auch sozial-und rechtsphilosophische Fragestellungen involviert und so
zusätzlich auf ethische und moralische Faktoren des Sprachgebrauchs aufmerksam
gemacht.
13
In vorliegender Untersuchung soll nun ein auf den ersten Blick überschaubarer Bereich
sprachlicher Vielfalt näher analysiert werden, der nichtsdestoweniger um so stärker einen
wichtigen Bereich der Funktionsweise des alltäglichen Sprachgebrauchs ins Auge fasst.
Dieser betrifft das Themengebiet bzw. die Problematik sprachlicher Bedeutung im Kontext
der Umgangssprache. Maßgeblich für diese Arbeit ist daher die Fragestellung: `Wie
verstehen wir sprachliche Äußerungen im Alltag, bzw. was geschieht, wenn Menschen in
Gesprächen kommunizieren?´ Die Beantwortung dieser Frage wird sich im Verlauf der
Arbeit als komplexes Geflecht verschiedener Annahmen herausstellen. Fokus der
Untersuchung liegt hierbei auf dem tatsächlichen Kommunikationsvorkommnis, das
konkret mit den Fragen `Was heißt es, dass etwas in einer konkreten
Kommunikationssituation etwas bedeutet?´
14
und `Besteht das Kommunizierte
hauptsachlich aus ver- und entschlüsselter Sprache oder bestimmt etwas
Außersprachliches alltägliche Verständigung?´ beschrieben werden kann. Hierbei ist dann
die semantische Bedeutungsproblematik während Kommunikationsvorkommnissen ein
wichtiger Bestandteil der Untersuchung. Als erste Annäherung an die Thematik soll
folgendes Zitat dienen:
Bedeutung ist zwar als allgemeine Sprachstruktur vorgegeben, sie muß jedoch im
Prozeß der Bedeutungskonstitution von einzelnen erarbeitet, angeeignet und immer
wieder umgewandelt werden, und sie ist niemals bloß allgemeine Bedeutung.
15
12
Vgl. Kompa, Nikola (2015): a.a.O., S.59, 259f.
13
Ebd., S.75.
14
Vgl. Lyons, John: Die Sprache. München. Beck 1983. S.129.
15
Schmitz, Bettina: Arbeit an den Grenzen der Sprache. Julia Kristeva. Ulrike Helmer Verlag.
Würzburg 1998. S.13.
6

Es werden nun im Folgenden zwei Erklärungen hinsichtlich zwischenmenschlicher
Kommunikation in Form der konversationalen Implikaturentheorie H.P. Grices und der
Relevanztheorie Dan Sperbers und Deidre Wilsons vorgestellt und analysiert. Beide
unterschiedlich begründete Kommunikationstheorien gehören zu den zentralen Werken
der seit Beginn der 1960er Jahre eingeläuteten zweiten Stufe der pragmatischen Wende
innerhalb der Linguisik und Sprachphilosophie.
16
Ziel dieser Untersuchung ist neben der
Beantwortung der Frage `welche Theorie philosophisch zu bevorzugen ist?´ außerdem
eine möglichst sinnvolle Verschmelzung beider Arbeiten, sowie das Aufzeigen einer
tendenziellen Richtung einer adäquaten sprachphilosophischen Beschäftigung im Bereich
einer linguistisch-funktionalen Bedeutungsanalyse. Folglich kann diese Arbeit als Versuch
eines Beitrags bzw. als Fürspruch zu einer pragmatischen Deutung von Sprachbedeutung
gelesen werden.
Zu diesem Zweck soll nun beginnend die Theorie konversationaler Implikaturen Grices
in Kapitel 2 vorgestellt und kritisiert werden. In seiner Theorie wird vor allem die
Unterscheidung und Trennung zwischen semantisch-kodierter und handlungsbezogen-
inferenzieller Bedeutung von zentraler Wichtigkeit sein. Einleitend soll diesbezüglich in
Kapitel 2.1 das allgemeine Grice`sche Programm vorgestellt werden. Hier soll der
zentrale Ansatz der konversationalen Implikaturen passend eingeordnet werden. Kapitel
2.2 behandelt im weiteren Verlauf beispielbezogen die Entstehung dieser Phänomene als
eine Art nicht-wörtlicher Kommunikation und an dieser beteiligten Faktoren im Sinne
Grices. Diesbezüglich werden hierbei als elementare Größen seines Ansatzes der Begriff
des Meinens, sowie die Sprecherbedeutung näher erklärt. In diesem Kapitel soll
anschaulich gezeigt werden, wie nach Grice Bedeutung während einer konkreten
Kommunikationssituation durch verschiedene Einflussgrößen konstituiert wird und wie es
genau zu dem Verstehen einer Äußerung kommt. Direkt im Anschluss legt das Kapitel 2.3
erste theoretische Schwierigkeiten offen.
Kapitel 3 geht anschließend zunächst auf die wesentlichen Kritikpunkte der Verfasser
des Relevanzansatzes Sperber/Wilsons an Grice ein, wobei Kapitel 3.2 dann nahtlos
dessen eigenen Lösungsansatz hinsichtlich der Erklärung der konversationalen
Implikaturphänomene nachzeichnet. Hierbei wird im Besonderen das Verwerfen des
Grice´schen Hintergrundwissens, die Rolle des Sprechers, sowie eine in ihrem Sinne
psychologisch-plausiblere,
`kognitiv-funktionale´
Sprachverarbeitung
in
Kommuikationssituationen maßgebend sein. Kapitel 3.3. behandelt dann ebenso die
zentralen Kritikpunkte dieser psychologisch-funktionalen Kommunikationsbegründung.
Kapitel 4 diskutiert im Anschluss die Leistungsfähigkeit beider Konzepte und
entscheidet abschließend, welches der beiden besser begründet und plausibler erscheint.
Die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit werden in Kapitel 5 rekapituliert.
16
Vgl. Braun, Edmund [Hrsg.] (1996): a.a.O., S.3.
7

2 Grices Theorie konversationaler Implikaturen
In Kapitel 2.1 soll zunächst das pragmatische Programm nachvollzogen und
diesbezüglich sprachtheoretische Annahmen sowie die Vorgehensweise Grices erläutert
werden. Im Anschluss wird das für seine Theorie zentrale Kooperationsprinzip mit
zugehörigen Gesprächsmaximen beispielhaft erklärt. In Kapitel 2.2 soll nachfolgend das
Phänomen der konversationalen Implikaturen im Mittelpunkt stehen. In diesem Abschnitt
werden zum Zwecke des tieferen Verständnisses einige Konversationsbeispiele
präsentiert, anhand derer die Entstehung sowie Eigenschaften der konversationalen
Implikatur dargestellt werden können. Resultierend aus diesen Ergebnissen wird nach
einer kurzen Zusammenfassung abschließend in Kapitel 2.3 auf wichtige Problemfelder
eingegangen, die in Kapitel 4 weiter vertieft werden.
2.1 Pragmatisches Programm, Kooperationsprinzip und Gesprächsmaximen
Grices pragmatisches Programm kann in drei theoretische Schritte aufgeteilt werden.
Zuallererst bestimmt Grice mit Hilfe handlungstheoretischer Termini ein Konzept des
kommunikativen Handelns, das noch nicht durch Regeln und Konventionen
gekennzeichnet ist. Diese handlungstheoretische Begründung der
Kommunikationstheorie wird dann im zweiten Schritt mit Begriffen der regulären,
konventionalen und sprachlichen Bedeutung angereichert. In Schritt drei wird
abschließend das bisherige Programm mit Fällen von indirekter Kommunikation
modifiziert, die Grice mit Hilfe der Theorie der Implikaturen erklärt.
17
Der Fokus der
vorliegenden Arbeit liegt, wie schon der Titel verrät, auf Schritt 3, wobei im Besonderen
hierbei eine ,,Teilklasse der nicht-konventionalen Implikaturen"
18
, der von Grice
bezeichneten `konversationalen Implikaturen´, für die Untersuchung maßgeblich ist.
Schritt 1: Grices Grundkonzept der Kommunikation ist ein Konzept des sprachlichen
Handelns, das auf der Sprechakttheorie von J.L. Austin und dessen Modifikationen durch
John Searle aufbaut. Sprachliche Kommunikation ist daher - entsprechend dem Begriff
des Wittgenstein´schen Sprachspiels - auch bei Grice ebenfalls immer Tätigkeit, die in
einen bestimmten Handlungskontext eingebunden ist. Untersuchungsgegenstand Grices
ist demnach das Tätigkeitsfeld oder der Handlungsbereich der Normalsprache d.h. dem
kontingenten Phänomen alltäglicher, zwischenmenschlicher Kommunikation mit
mindestens zwei Gesprächspartnern, die sogenannte `Konversation´ oder das `Gespräch
´. Hierbei ist bei der Verwendung des Terminus `Gespräch´ nach Grice jede Form des
zwischenmenschlich-sprachlichen Interagierens zu verstehen.
19
Dies hat zur Folge, dass
für die Grice´sche Deutung der Entstehung sämtlicher sprachlicher Phänomene - so auch
17
Vgl. Meggle, Georg: Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Frankfurt am Main. Suhrkamp
1993. S.1.
18
Grice, H. Paul.: Logik und Konversation 1975. In: Meggle, Georg (1993): a.a.O., S. 248.
19
Vgl. ebd., S.248. Anm. des Übersetzers.
8

im Fall der konversationalen Implikaturen ­ potentiell jede mögliche
Kommunikationssituation mit Sprachverwendung in Frage kommt. Dies wird sich
hinsichtlich der kritischen Betrachtung seiner Theorie im weiteren Verlauf der Arbeit noch
als besonders wichtig herausstellen. Grice thematisiert in Schritt 1 etwaige Unterschiede
zwischen den in der formalen Logik verwendeten Bedeutungselementen - der formalen
Ausdrücke wie und, oder, falls, alle, einige, manche, viele, der, etc. - und ihren
mutmaßlichen Entsprechungen oder Gegenstücken in der Normalsprache. Hier soll nun
bei Letzteren untersucht werden, ob in manchen Fällen tatsächlich keine eindeutige
Bedeutungszuordnung möglich ist.
20
Grice analysiert nun außerdem die unterschiedliche
Verwendung des Wortes `bedeuten´ in seinem Aufsatz Meaning, zu deutsch Intendieren,
Bedeuten, Meinen.
Seine Aufteilung in `natürliche´ und `nicht-natürliche´ Bedeutung reiht sich in
semitiotische Untersuchungen von sprachlichen Zeichen und deren zweifachem
Charakter ein, denen aufbauend auf der de Saussure´schen strukturalistischen
Dichotomie von Zeichengestalt (frz.: signifiant) und dazugehörigem Zeichenobjekt (frz.:
signifié), Zeichentheoretiker wie Charles Saunders Peirce einflussreiche Arbeiten
widmeten.
21
Unter `natürliche Bedeutung´ versteht Grice allgemein `nicht-
konventionalisierte Bedeutung´, wohingegen `nicht-natürliche Bedeutung´ als
`konventionalisierte Bedeutung´ verstanden werden kann. Genauer: wird `bedeuten´ etwa
im Sinne der Aussage ,,Diese Flecken bedeuten Masern." verwendet, handelt es sich um
`natürliche Bedeutung´. Demgegenüber haben wir es bei der Verwendungsweise
,,Dreimaliges Läuten der Klingel bedeutet, der Bus ist voll." mit `nicht-natürlicher
Bedeutung´ zu tun. Im Sinne Grices besteht ein wesentliches Merkmal `natürlicher
Bedeutung´ darin, dass sich die verwendeten Sätze mittels ,,Die Tatsache, dass...,
bedeutet, dass..." paraphrasieren lassen.
22
Im Fall des `nicht-natürlichen Bedeutens´
kann dies nicht geschehen, da es sich hier um `gemeintes Bedeuten´ handelt, dass im
Vergleich zu `natürlichem Bedeuten´ zurückgenommen bzw. revidiert werden kann. So
könnte ,,aber der Bus ist gar nicht voll, der Fahrer hat sich geirrt." sinnvoll ergänzend
geäußert werden, wohingegen ,,Diese Flecken bedeuten Masern, aber er hat keine."
schlicht unsinnig wäre.
23
In der vorliegenden Untersuchung ist nun von Interesse, in welcher Weise sprachliche
Zeichen die Bedeutung des Kommunizierten bestimmen und in wie weit demgegenüber
pragmatische Entitäten oder Komponenten - wie Gestik, Mimik, Kontext, sozialer Status,
Hintergrundwissen der Beteiligten und Ähnliches - Träger oder dominierende
Einflussgrößen darstellen. Denn nicht alle Dinge, die etwas bedeuten, müssen Zeichen
20
Vgl. Grice, H. Paul (1975): a.a.O., S.243.
21
Vgl. Jakobson, Roman: Form und Sinn. Wilhelm Fink Verlag. 1974. S.14ff.
22
Vgl. Grice, H. Paul.: Intendieren, Meinen, Bedeuten 1957. In: Meggle, Georg (1993): a.a.O., S.3f
23
Vgl. Newen, Albert/Schrenk, Markus A. (2008): a.a.O., S.80.
9

sein. Ebensowenig wie alle Dinge mit Bedeutung konventionalisiert sein müssen. Wobei
jedoch einige Dinge, die eine natürliche Bedeutung besitzen, keine Zeichen dafür sind,
was sie tatsächlich bedeuten.
24
Grice geht nun davon aus, dass `etwas mit einer
Äußerung meinen´ ein Fall von nicht-natürlicher Bedeutung
25
ist, wie exemplarisch die
Sprecherbedeutung in einer konkreten Kommunikationssituation.
26
Grices Theorie der
Sprecherbedeutung ,,besagt, daß S (ein gewisser Sprecher) mit f (einer gewissen
Äußerung) in einer konkreten Situation nur dann etwas meint, wenn er mithilfe von f bei
einem bestimmten Hörer H eine gewisse komplexe Wirkung hervorzubringen
beabsichtigt." Zudem soll ,,der Hörer nicht nur die primäre Sprecherabsicht erkennen [...],
sondern diese Erkenntnis auch als einen Grund ansehen [...], eben das zu denken, was
er denken soll", was Max Black zusammengenommen als `das Grice´sche Grundmodell´
bezeichnet.
27
Hierin zeigt sich die herausragende Stellung des `Intendierens´ in Grices
Bedeutungstheorie.
Schritt 2: Hierbei erläutert Grice auf Grundlage der in Schritt eins gelegten
Handlungsbasis und der dargelegten unterschiedlichen Verwendung des Terminus
`bedeuten´, wie sich die Normalsprache im Gegensatz zu einer etwaigen Idealsprache
semantisch unterscheidet. In diesem Fall sind nun der Gebrauch der erwähnten formalen
Mittel und anderer Bedeutungsträger in der Normalsprache für ihn von Interesse. Zudem
ist zu prüfen, ob die Umgangssprache tatsächlich mit Wort- oder Satzbedeutungen
operiert, die ,,unerwünschte Auswüchse"
28
zulassen könnten. So deshalb mitunter auch
tatsächlich kein eindeutiger Wahrheitswert oder eindeutige Bedeutungszuweisung
gelingen könne, wie in einer vereinfachten formalen Logik; eventuell somit ,,Metaphysik
Tür und Tor geöffnet wird".
29
Für einen Befürworter einer Idealsprache, den Formalisten,
könnte sich daher in diesem Zusammenhang das Problem einer exakten
Wissenschaftsbegründung ergeben. Der Informalist hingegen würde jedoch entgegnen,
dass es nicht immer einer exakten formalen Bedeutungsanalyse eines Ausdrucks bedarf,
damit dieser verständlich ist. Da Sprache - neben der wissenschaftlichen Untersuchung -
verschiedenen Zwecken dient und es in der natürlichen Sprache nichtsdestoweniger
erkennbar gültige Schlüsse gäbe, müsse es für eine solche mehr oder weniger
`unsystematische Logik der natürlichen Gegenstücke´ auch einen Platz in der
wissenschaftlichen Beschäftigung geben.
30
Das Aufzeigen der allgemeinen Bedingungen,
24
Vgl. Grice, H. Paul. (1957): a.a.O., S.4.
25
Als weiteres Beispiel `natürlicher Bedeutung´ führt Max Black ,,das Zwitschern der jungen
Spatzen" an, das bedeutet, ,,dass die jungen Spatzen hungrig sind", was nach C.S. Peirce zu
dem anzeigenden Zeichentypus (Index/ Anzeichen) gehört. Vgl. Black, Max: Bedeutung und
Intention 1969. In: Meggle, Georg (1993): a.a.O., S.54. u. vgl. Jakobson, Roman (1974): a.a.O.,
S.16f.
26
Vgl. Grice, H. Paul. (1957): a.a.O., S.4.
27
Black, Max (1969): a.a.O., S.56ff.
28
Grice, H. Paul (1975): a.a.O., S.244.
29
Ebd.
30
Vgl. Grice, H. Paul (1975): a.a.O., S.244f. Hervorhebung des Verfassers.
10

welche jede Konversation - unabhängig von Ihrem Gegenstand - regeln, ist Grice
erklärtes Ziel. Dieses dient gleichzeitig dem Zweck, den aus seiner Sicht gemachten
Fehler beider Parteien - der Annahme tatsächlicher Bedeutungsunterschiede zwischen
formal-logischen Mitteln und ihren Gegenstücken in der natürlichen Sprache -
aufzuzeigen.
31
Diesbezüglich erörtert Grice nun die Frage, was es denn genau heißt,
beziehungsweise wann und wie es denn genau der Fall ist, dass eine geäußerte
sprachliche Einheit normalsprachlich etwas Bestimmtes bedeutet. Dies bewerkstelligt er
mit einer Analyse der Bedeutungselemente der Umgangssprache, bei welcher er die in
der Sprachperformanz beteiligten Sprecher-/Satz- und Wortbedeutungen einer
vergleichenden Untersuchung unterzieht. Grice führt hier die für seine konversationale
Implikaturentheorie wichtige begriffliche Unterscheidung der `Situations-Bedeutung´, das,
was ein Sprecher in einer bestimmten Situation zu verstehen geben will - das Gemeinte -
und den `Äußerungstyp´, die konventionalisierte, situationsunabhängige wörtliche
Bedeutung einer verwendeten Äußerung - das Gesagte - ein.
32
Diese hier von Grice
vorausgesetzte Differenz zwischen `Gemeintem´ und `Gesagtem´ ist nun die
Ausgangsbasis für seine Erklärung, den nun folgend in Schritt 3 zu behandelnden Ansatz
der Theorie konversationaler Implikaturen.
Schritt 3: Wie wird nun auf Basis vorliegender Unterscheidung das vom Sprecher in
einer Situation tatsächlich Gemeinte verstanden, wenn das Gesagte damit nicht
übereinstimmt? Die Lösung findet Grice in grundlegenden Konversationprinzipien die
jede Art der sprachlichen Interaktion bedingen und so während des Gespräches das
Verstehen möglich machen.
Das Kooperationsprinzip und die Gesprächsmaximen
Das Folgende mag eine erste Annäherung an ein allgemeines Prinzip abgeben.
Unsere Gespräche [..] bestehen normalerweise nicht aus einer Abfolge
unzusammenhängender Bemerkungen, und wären so auch nicht rational. Sie sind
kennzeichnenderweise, wenigstens bis zu einem gewissen Maß, kooperative
Bemühungen; und jeder Teilnehmer erkennt bis zu einem gewissen Grad in Ihnen
einen gemeinsamen Zweck (bzw. mehrere davon) [...] Zweck oder Richtung können
von Beginn an festgelegt sein [...] oder sich während des Gesprächs herausbilden; sie
können ziemlich bestimmt sein oder so unbestimmt, daß sie den Teilnehmern ganz
beträchtlichen Spielraum lassen (wie bei zwangloser Konversation). Aber an jedem
Punkt wären einige Züge im Gespräch als konversational unpassend ausgeschlossen.
Wir könnten demnach ganz grob ein allgemeines Prinzip formulieren, dessen
Beachtung [...] von allen Teilnehmern erwartet wird, und zwar: Mache deinen
Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem akzeptierten Zweck oder der
akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird.
Dies könnte man mit dem Etikett Kooperationsprinzip versehen.
33
Zu diesem Gesprächsprinzip gehören nun spezielle Konversationsmaximen, die Grice in
31
Vgl. Grice, H. Paul (1975): a.a.O., S.243-245.
32
Vgl. Grice, H. Paul: Sprecher-Bedeutung, Satz-Bedeutung und Wort-Bedeutung 1968. In:
Meggle, Georg (1993): a.a.O., S.86f.
33
Grice, H. Paul (1975): a.a.O., S.248. Hervorhebungen im Original.
11

die Kategorien der Quantität, Qualität, Relation und Modalität unterteilt.
34
Da Grice das Gespräch oder die Rede als ,,einen Speziallfall oder eine Spielart
zweckhaften, ja rationalen Verhaltens"
35
ansieht, sollen nachfolgend die einzelnen
Gesprächsmaximen mit dazugehörigen Untermaximen zunächst in einer Sphäre der
sprachlosen Interaktion erklärt werden.
1. Die Maximen der Quantität
a) Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie nötig (bzw. für die
Gesprächszwecke angemessen)
b) Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig.
36
Beispiel:
Beim Reifenwechseln eines Wagens wird von einem Helfenden erwartet, dass zu einem
gewissen Zeitpunkt genau die Anzahl der Schrauben und Muttern gereicht werden die
benötigt werden und keine mehr oder weniger! Außerdem erwartet man, dass falls nötig
genau einen Reifen und nicht zwei gebracht werden, wenn es darum geht einen wieder zu
befestigen!
2. Die Maximen der Qualität
a) Versuche deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist.
Spezieller:
b) Sage nichts, was du für falsch hältst.
c) Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen.
37
Beispiel:
Wenn es darum geht einen Kuchen zu backen, wird erwartet, dass wirklich diesbezüglich
etwas beigetragen wird was zum Backen nötig ist und nicht bloß dass so getan wird als
ob. Wenn also gerade Zucker gebraucht wird, erwartet man nicht Salz, Pfeffer oder ein
anderes Gewürz! Ebenso wird erwartet, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt, wenn es
darum geht die Eier aufzuquirlen und ein Schneebesen gebraucht wird, kein Kochlöffel
oder etwas anderes gereicht wird.
3. Die Maxime der Relation/ Relevanz
a) Sei relevant.
38
Beispiel:
34
Vgl. Grice, H. Paul (1975): a.a.O., S.249.
35
Grice, H. Paul (1975): a.a.O., S.251.
36
Vgl. ebd., S.251.
37
Ebd., S.249.
38
Ebd.
12

Wenn es darum geht eine Pizza zu machen, wird insgesamt erwartet, dass jeder Beitrag
zu jedem Punkt der Interaktion passt. So nützt es nichts, dass das Pizzablech gereicht
wird, wenn es darum geht den Teig herzustellen, auch wenn dies zu einem späteren
Zeitpunkt passend sein mag. Hier wird dementsprechend erwartet das Zugehöriges, etwa
Hefe, Mehl, Wasser, ect. bereitgestellt wird.
4. Die Maximen der Modalität
,,Die Kategorie der Modalität schließlich bezieht sich nach meinem Verständnis nicht (wie
die vorausgegangenen Kategorien) darauf, was gesagt [oder getan, Anm. d. Verf.] wird,
sondern darauf wie das, was gesagt [oder getan, Anm. d. Verf.] wird, zu sagen [oder tun,
Anm. d. Verf.] ist."
39
a) Sei klar.
Spezieller:
b) Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks.
c) Vermeide Mehrdeutigkeit.
d) Sei kurz (vermeide unnötige Weitschweifigkeit).
e) Der Reihe nach!
40
Beispiel:
Es wird in jeder der zuvor beschriebenen Interaktionen erwartet, dass aus dem Handeln
klar und deutlich zu erkennen ist was genau beigetragen wird und dass dies zügig und
ohne Ausschweife geschieht!
41
Bei den hier behandelten Beispielen wurde gezeigt, was das Wesentliche der
jeweiligen Maxime ausmacht, d.h. wann es genau der Fall ist, dass eine entsprechende
Maxime oder zugehörige Untermaxime befolgt oder verletzt wird. Außerdem wurde
deutlich, dass es in einer Interaktionssituation X zweckgebundene Erwartungen der
Interaktionsteilnehmer vorhanden sind, die vermutlich die entsprechende Handlung
vorantreiben und mitgestalten, was im Laufe der Arbeit noch zentral sein wird. Weiter ist
festzuhalten, dass es sich nach Grice bei diesen Maximen keineswegs um
Konversationsregeln handelt, die es aus moralischen Gründen zu befolgen gilt.
42
Bei einer flüchtigen Lektüre dieser Maximen könnte der Eindruck entstehen, es
handele sich hier um eine Anleitung zu richtigem kommunikativem Verhalten. Im
Alltagsverständnis ist eine Maxime ja eine Anweisung zu gutem oder ethisch richtigem
Handeln. Es ist nun sehr wichtig, zu beachten, daß es sich darum bei Grice gerade
39
Grice, H. Paul (1975): a.a.O., S.259. Hervorhebungen im Original.
40
Vgl. ebd., S.250.
41
Ebd., S.251.
42
Ebd., Grice erwähnt weitere mögliche Maximen der Ästhetik, Gesellschaft, Moral und Höflichkeit,
auf welche er jedoch nicht näher eingeht, die aber in Kapitel 4 im Hinblick auf eine Grice´sche
Modifikation thematisiert werden sollen.
13

nicht handelt: Es geht ihm nicht um moralische Normen, sondern um Regeln
rationalen Verhaltens. Zum Beispiel will Grice in der Qualitätsmaxime nicht sagen, daß
es moralisch nicht zu vertreten ist, zu lügen, sondern daß Menschen ihren
Gesprächspartnern rationalerweise unterstellen, daß sie es nicht tun. Es wäre nämlich
in hohem Maße irrational bei allen Behauptungen, die mir gegenüber jemand aufstellt,
zunächst anzunehmen, daß mein Gesprächspartner gerade lügen könnte.
43
Dieser Punkt erscheint nicht unwichtig, da es sich ja bei Grices Theorie um eine
deskriptive und keine normative Theorie handelt, die den Anspruch hat, alle
Konversationsphänomene mit Hilfe eines Prinzips (mit zugehörigen spezielleren
Maximen) erklären zu können. Grice vermutet nun, ,,daß die Konversationsmaximen und
die mit ihnen zusammenhängenden Implikaturen [...] in besonderer Beziehung zu den
besonderen Zwecken"
44
stehen.
Ich habe meine Maximen hier so formuliert, als bestünde dieser Zweck in maximal
effektivem Informationsaustausch; diese Kennzeichnung ist natürlich zu eng, und das
System gehört verallgemeinert, um so allgemeinen Zwecken wie der Beeinflussung
oder Steuerung des Handelns anderer Rechnung zu tragen.
45
Es wird nun im nächsten Kapitel analysiert, wie es nun genau sein kann, dass es in der
Regel in Alltagskonversationen trotz einer Missachtung oder sogar bewussten Verletzung
der Maximen nicht zu Kommunikationsschwierigkeiten kommt und trotzdem effektiv
Informationsaustausch stattfindet. Wie Gemeintes Z in einer beliebigen
Konversationssituation Y nicht in Übereinstimmung mit Gesagtem X erfolgreich
kommuniziert wird, soll nun im folgenden Kapitel im Grice´schen Sinn dargestellt werden.
2.2 Konversationale Implikaturen
Wie ist der Umstand zu erklären, dass das vom Sprecher Gemeinte in einem Gespräch
erfolgreich vom Hörer verstanden wird, obwohl das Gesagte semantisch eine andere
Bedeutung hat? Nach einer beispielhaften Deutung dieses sprachlichen Phänomens im
Sinne Grices, soll in diesem Kapitel außerdem auf die Gelingensbedingungen und damit
eng zusammenhängenden Eigenschaften von konversationalen Implikaturen
eingegangen werden, die eine Abgrenzung zu anderen sprachlichen Phänomenen - wie
konventionalen Implikaturen und semantischen Implikationen - ermöglichen. Bevor
Kapitel 2.3 anschließend einführend auf die in dieser Arbeit zu behandelnden zwei
Problemkreise der Grice´schen Implikaturtheorie eingeht, werden die zentralen Punkte
des Kapitels kurz zusammengefasst.
Laut Grice liegt im Beispiel `eines aufgrund Benzinmangels liegengebliebenen Autos´
ein extremer Verstoß gegen die Maxime der Quantität vor, wenn Sprecher B auf das von
A Geäußerte ,,Ich habe kein Benzin mehr" entgegnen würde ,,Autos sind halt Autos." Dies
deshalb, da Hörer A auf der Ebene des Gesagten aus diesem tautologischen Satz
keinerlei Information darüber gewinnen kann, was B hiermit zu verstehen gibt, andeutet
43
Meibauer, Jörg (2008): a.a.O., S.25f.
44
Grice, H. Paul (1975): a.a.O., S.250.
45
Ebd.
14

oder meint.
46
B wird schließlich annehmen, ,,dass A ebenfalls weiß, dass Autos halt Autos
sind" und auch ,,dass B weiß, dass A dies weiß" wird von A im Normalfall rationalerweise
vorausgesetzt. Geäußerte Tautologien sind daher auf Ebene des Gesagten generell
uninformativ, da ihr wörtlicher Gehalt in jedem Konversationskontext der Maxime der
Quantität zuwiderläuft.
47
A schließt nun aber aufgrund des Konversation umfassenden
Kooperationsprinzips darauf, dass B´s Äußerung anders gemeint sein muss; dass B auf
der Ebene des Gemeinten mit seiner Äußerung tatsächlich mehr zu verstehen gibt, als
die wörtliche Bedeutung des verwendeten Äußerungstyps ­ in diesem Fall der Tautologie
- gewährleistet. Beispielsweise könnte dies sein, dass es eben manchmal vorkommt oder
zum Leben dazugehört, dass Autos liegenbleiben. Somit wäre B tatsächlich nur scheinbar
unkooperativ.
Diese Situation läßt charakteristischerweise eine konversationale Implikatur zustande
kommen; und wenn eine [...] in dieser Weise zustande kommt, werde ich sagen, eine
Maxime sei ausgebeutet worden.
48
Ein weiteres Beispiel Grices, das eine solche klassische Entstehung einer
konversationalen Implikatur veranschaulicht, zeigt folgendes Gespräch:
Anna und Berta sprechen über Charlie, einen gemeinsamen Freund, der seit neustem in
einer Bank arbeitet.
Anna: ,,Und wie geht es Charlie in seinem neuen Job?"
Berta: ,,Ach, bisher gut, nehme ich an. Er mag seine Kollegen und ist bisher noch nicht ins
Gefängnis gekommen."
49
Betrachtet man in diesem Beispiel den wörtlichen Gehalt der Äußerung Bertas, kommt
man zu dem Resultat, dass hier die Informationen enthalten sind, dass es Charlie in
seinem neuen Job gut geht, dass er seine Kollegen mag und dass er bisher noch nicht
ins Gefängnis gekommen ist. Anna mag nun aber wohl wissen wollen, warum Berta die
letzte Information ,,ist noch nicht ins Gefängnis gekommen" äußerte - was damit gemeint
sein soll? Je nach Situation kann nun beispielsweise gemeint sein, dass Charlie ein Typ
ist, der nicht gut der Verlockung widerstehen kann, die seine Beschäftigung mit sich
bringt, dass Charlies Kollegen heimtückisch und unangenehm sind, und so weiter. Zentral
ist hierbei, dass Anna das Gemeinte nicht direkt im wörtlichen Gehalt der Äußerung
finden kann. Sie muss sich diese zusätzliche Information aus dem jeweiligen Kontext
erschließen. Diese zusätzliche Information, die nicht allein in der wörtlichen Bedeutung
des Gesagten zu finden ist, heißt nach Grice konversationale Implikatur der Äußerung
von Berta.
50
Diese Untersuchung kontextabhängiger Bedeutung gehört in den Bereich der
Pragmatik und unterscheidet sich im Gegensatz zu der Untersuchung der wörtlichen,
46
Vgl. Grice, H. Paul (1975): a.a.O., S.257.
47
Ebd.
48
Grice, H. Paul (1975): a.a.O., S.254. Hervorhebung im Original.
49
Vgl. ebd., S.246.
50
Ebd., S.246. u.a. Meibauer, Jörg (2008): a.a.O., S.26.
15
Excerpt out of 69 pages

Details

Title
Die Theorien konversationaler Implikaturen von Grice und Sperber/Wilson. Eine Untersuchung
College
RWTH Aachen University  (Philosophisches Institut)
Grade
1,7
Author
Year
2017
Pages
69
Catalog Number
V375649
ISBN (eBook)
9783668531604
ISBN (Book)
9783668531611
File size
780 KB
Language
German
Keywords
Konversationale Implikatur, H.P. Grice, Dan Sperber, Deidre Wilson, Philosophie der Sprache, Verstehen, Pragmatik, Kooperationsprinzip, Gesprächsmaximen, Konversation, Konversationsregeln, Relevanztheorie, Relevanztheorie der Sprache, Funktion von Sprache, Handlungstheorie
Quote paper
Daniel Jacobs (Author), 2017, Die Theorien konversationaler Implikaturen von Grice und Sperber/Wilson. Eine Untersuchung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/375649

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