Die Semantik des Krieges. Eine linguistische Betrachtung des Afghanistankonflikts


Tesis (Bachelor), 2015

47 Páginas, Calificación: 1,0

N. Felicissimus (Autor)


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG

2 POLITOLINGUISTISCHE GRUNDLAGEN
2.1 Sprachverwendung in der Politik
2.2 Methodik der Politolinguistik
2.2.1 Begrifflichkeit von Begriffen
2.2.2 Schlagwörter
2.2.3 Subkategorien von Schlagwörtern

3 KORPUSLINGUISTISCHE GRUNDLAGEN
3.1 Die Zusammenstellung des Korpus
3.2 Korpuslinguistische Operatoren

4 ARGUMENTATIONSMUSTER

5 ANALYSETEIL
5.1 Die Legitimationsphase
5.1.1 Der Bündnis-Topos
5.1.2 Der Sicherheits-Topos
5.1.3 Der Humanitäts-Topos
5.2 Die Realitätsphase und der Realitäts-Topos

6 SCHLUSS

7 TABELLEN- UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS

8 LITERATURVERZEICHNIS

1 Einleitung

„Willkommen in der Wirklichkeit! Natürlich handelt es sich nicht um Krieg. Wir haben noch nicht die richtige Begrifflichkeit dafür.“1

Eben diese Begriffsproblematik ist charakteristisch für den Afghanistandiskurs von 2001- 2014, denn an Worte sind Handlungen und Entscheidungen geknüpft. Dabei ist eine lingu- istische Betrachtung der verwendeten Beschreibungen für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan aufgrund der Aktualität und Brisanz hochinteressant. Im Rahmen dieser Arbeit werden fünf Plenardebatten des Bundestages untersucht, um festzustellen welche Schlüs- selbegriffe für das Finden der richtigen Begrifflichkeit relevant sind. Zudem soll eine Ein- teilung in Argumentationsmuster (Topoi) dem Analyseteil eine übersichtliche Struktur ver- leihen. Es wird stets die Frage gestellt, wie die Politiker mithilfe von Sprache einen mögli- chen Einsatz rechtfertigen bzw. kritisch betrachten. Die Analyse ist in zwei Zeitabschnitte unterteilt, wobei anfangs der Beginn des Diskurses und zuletzt das sich abzeichnende Ende des Unterfangens untersucht werden.

Ziel ist es, eine enge Verknüpfung von den vorherrschenden Denkmustern und den zugehörigen Schlüsselbegriffen herzustellen. Ähnliche Ansätze finden sich in der Literatur beispielsweise zur Nachrüstungsdiskussion in den frühen 1980er Jahren oder zum Golfkrieg 1991.2 Es wird nur auf die elementaren politischen und historischen Rahmenbedingungen eingegangen, denn der Fokus soll auf einer semantischen Analyse liegen, welche durch korpuslinguistische Methoden ergänzt wird.

Auf diese Weise werden die Bedeutung, die Wirkung und die Macht von Wörtern offengelegt. Sie spielen eine tragende Rolle in dem Legitimationsdiskurs des Afghanistaneinsatzes, denn je nach Begriff werden unterschiedliche Bewertungen und Handlungsappelle auf den Zuhörer übertragen. Diese Strategien ausschnittsweise zu durchleuchten, eröffnet eine neue, sprachliche Perspektive auf einen höchst politischen Diskurs und es ist erstaunlich, wie viele Erkenntnisse in diesem Rahmen möglich sind.

2 Politolinguistische Grundlagen

Die Wurzeln der Politolinguistik als Teildisziplin angewandter Sprachwissenschaft liegen in der Mitte des 20. Jahrhunderts.3 Entsprechende Forschungen auf diesem Gebiet weisen einen hohen empirischen Anteil auf, wobei das eigentliche Forschungsfeld oft unklar und weitläufig ist. Die Tatsache, dass Dieckmanns Sprache in der Politik 4 aus dem Jahr 1964 auch heute als Grundlage und Einführung benutzt wird, unterstützt diese These. Allerdings gibt es mit Girnth5 (2002) und Niehr6 (2014) aktuellere Einführungswerke, welche dem Bedürfnis nach einer genaueren Eingrenzung der Politolinguistik als wissenschaftliche Dis- ziplin Rechnung tragen. Im Folgenden wird versucht, auf möglichst aktuelle Forschung Be- zug zu nehmen.

Die Politolinguistik beschäftigt sich mit allen drei Dimensionen von Politik: policy, polity und politics. Während policy den jeweiligen thematischen Gegenstand politischen Handelns umfasst (beispielsweise die Debatte über einen möglichen Afghanistaneinsatz), definiert die polity -Dimension den meist rechtlichen Handlungsrahmen von politischen Prozessen (bei- spielsweise die Frage, inwieweit das Grundgesetz einen möglichen Einsatz legitimiert). Im Rahmen dieser Arbeit ist das Feld der politics jedoch am interessantesten. Darunter versteht man die „Art und Weise politischen Handelns [und] Techniken und Strategien des Durch- setzens“.7 Die sprachlichen Eigenheiten dieser Kategorien werden im nächsten Kapitel ge- nauer beleuchtet.

2.1 Sprachverwendung in der Politik

„Wo Politik sprachlos wird, hört Politik auf.“8

Obgleich Politik nicht zwangsläufig sofort mit Sprache assoziiert wird, so ist sie doch „die Bedingung ihrer Möglichkeit“.9 Die Rhetorik ist das Instrument des Politikers, um die Wäh- ler von einer bestimmten Ansicht zu überzeugen. Dabei ist das Wort selbst und die Kon- kurrenz verschiedener Begriffe und Bezeichnungen ein alltägliches Mittel zur Abhebung politischer Gruppierungen voneinander. Eine Darstellung des politischen Lexikons, des Wortschatzes, ist Voraussetzung für eine spätere Analyse der Verwendung politischer Be- griffe.

Es ist allerdings fragwürdig, ob es einen ausschließlich politischen Wortschatz gibt.10 Viel- mehr erscheint eine Einteilung des Vokabulars wie Klein sie vornimmt zielführender. Er unterscheidet zwischen einem allgemeinen Interaktions-, Institutions-, Ressort- und Ideolo- gievokabular.

Das allgemeine Interaktionsvokabular verdeutlicht am besten, dass politische Prozesse in den meisten Fällen weder mit Fach- noch Ideologiesprache beschrieben werden. Nomen wie Beschluss, Affäre, Krise, aber auch Verben wie drohen, verhandeln, diskutieren können in unzähligen Situationen verwendet werden, die keinen explizit politischen Kontext besit- zen. Allerdings ist hier anzumerken, dass sich eine Herabsetzung des politischen Gegners und die Aufwertung der eigenen Position vielfach im Rahmen des allgemeinen Interakti- onsvokabulars vollziehen.11

Das Institutionsvokabular (polity) hingegen beschränkt sich auf die Bezeichnung politischer oder staatlicher Organisationen (Bundesregierung, Fraktion) oder Rollen (Amt, MdB). Während das Ressortvokabular (policy) lediglich die Fachsprachen für die jeweiligen Sachbereiche wie Wirtschaft, Umwelt oder Justiz beinhaltet, kann das Ideologievokabular (politics) für eine semantische Analyse sehr interessant sein.

In diesem finden sich grundlegende Werte und Handlungsorientierungen. Niehr betont hier- bei die starke evaluative (bewertende) und deontische (handlungsanweisende) Seite von Ausdrücken wie Frieden und Menschenrechte (positiv konnotiert) in Abgrenzung zu nega- tiv konnotierten Begriffen wie Diktatur und Rassismus.12 Es handelt sich also vor allem um Lexeme, die gleichzeitig zu ihrer deskriptiven Funktion eine Bewertung vornehmen und damit eine gewisse Ideologie in sich tragen. Eine Einteilung dieser Wörter soll Gegenstand der nächsten Kapitel sein.

2.2 Methodik der Politolinguistik

„Wir erleben heute eine Revolution, die sich nicht der Besetzung der Produktionsmittel, sondern der Besetzung der Begriffe bedient“13

Diese plakativen Worte des damaligen CDU-Generalsekretärs Kurt Biedenkopf im Jahr 1973 verdeutlichen die Wirkungskraft einzelner Wörter bzw. Begriffe in der politischen Kommunikation. Sie erhalten hier eine kämpferische Konnotation, denn es gilt sie zu be- setzen, sodass einzelne Wörter jeweils einzelnen Personen oder Gruppen zugeordnet wer- den können. In einem politischen Kontext sind darunter vor allem Parteien gemeint, die gewisse Begriffe für sich beanspruchen und sich somit einen Vorteil im Kampf um politi- sche Macht erhoffen.

Beispielsweise assoziiert man mit der relativ jungen Piratenpartei Begriffe wie Urheber- recht, Digitale Revolution und Datenschutz.14 Das bedeutet nicht, dass andere Parteien diese Begriffe nicht in ihren Programmen aufgenommen haben. Genauso wenig besteht das Pro- gramm der Piratenpartei lediglich aus diesen Begriffen. Und doch werden manche Termini in der öffentlichen Wahrnehmung oft mit einer bestimmten Partei in Verbindung gebracht. In diesem Sinne kann „Herrschaft durch Sprache [als] Herrschaft über Begriffe verstanden werden.“15

Es ist also offensichtlich, dass Biedenkopf nicht die Absicht verfolgte, linguistische Grund- lagenforschung zu betreiben. Dennoch hat der Terminus Begriffe besetzen Eingang in die Forschung gefunden und seit den 70er Jahren die Politolinguistik maßgeblich geprägt. Ob- wohl Plitsch auf eine Vielzahl von weiteren Teilbereichen wie Text-, Medienlinguistik und Pragmatik verweist, ist die Wortsemantik auch heute noch ein Schwerpunktthema in der Politolinguistik.16 Sicherlich kann man den politischen Diskurs nicht auf eine reine Wort- ebene reduzieren, das würde seiner Komplexität nicht gerecht. Einzelne Worte bleiben je- doch „eine Hauptwaffe der politischen Auseinandersetzung.“17 Allerdings wurde unter Lin- guisten rasch die Frage laut, wie genau der Ausdruck Begriffe zu definieren sei.

2.2.1 Begrifflichkeit von Begriffen

Bevor man einzelne Wörter nach ihrer Funktion unterscheidet und kategorisiert, ist eine generelle semantische Grundlage gerade für den Analyseteil dieser Arbeit sinnvoll. Insbesondere drei Ansätze können die Erschließung von Wortbedeutungen wissenschaftlich stützen. Zum einen unterscheidet das Organon-Modell von Karl Bühler drei Ebenen eines Wortes wie in der folgenden Abbildung dargestellt18:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Organon-Modell von Karl Bühler

Ein sprachliches Zeichen (Z) besitzt eine Ausdrucks-, Appell-, und Darstellungsfunktion. Darstellung bzw. Bericht umfasst die „im Idealfall objektive Information über ein Ereig- nis“19. Die Ausdrucksseite eines Lexems hingegen erlaubt Einblicke in die Gefühlsregun- gen und Befindlichkeiten des Sprechers während die dritte Dimension (Appell) die Wirkung auf den Empfänger beschreibt, welcher zu einer bestimmten Handlung aufgefordert werden soll.

Diese Unterteilung erinnert stark an die Sprachakttheorie von Austin und Searle, welche in der Pragmatik als Grundlagemodell weitläufig akzeptiert ist. Hier ist die Rede von einem lokutivem Sprachgebrauch, welche der Darstellungsfunktion in Bühlers Konzeption ent- spricht. Die Illokution zielt darauf ab, Einfluss auf den Gesprächspartner zu nehmen, wäh- rend die Perlokution den Erfolg einer solchen illokutiven Versuchs darstellt. Die beiden letzteren Kategorien beziehen sich auf die Appellseite von Wörtern, wie Bühler sie definiert und untereilt diese feingliedriger.20

Ein Beispiel verdeutlicht diese Einteilung. Während das Verb reden eine rein darstellende/lokutive Bedeutung aufweist, ist das Verb zureden deutlich illokutiver/appellativer. Das Wort ü berreden können wir mit Bühlers Modell nur als appellativ charakterisieren, obwohl die Bedeutungssteigerung verglichen mit zureden eindeutig ist. Im Rahmen der Sprechakttheorie kann ü berreden nun als perlokutives Verb weiter differenziert werden.21 Gerade im politischen Kontext erlaubt uns diese kleinschrittigere Unterscheidung einen besseren Vergleich von semantisch nahe stehenden Begriffen.

Von einem dritten Standpunkt aus kann man eine Wortbedeutung nach ihrer Denotation, Evaluation und Deontik einteilen. Vertreter dieser Ansicht sind beispielsweise Girnth und Niehr.22 Jedes Wort besitzt demnach eine Grundbedeutung, die meist wertneutral ist (Denotation). Sie erinnert an Darstellung und Lokution aus den beiden vorhergehenden Modellen. Die denotative Bedeutung von Diktatur beispielsweise ist Staatsform. Des Weiteren erzeugt jedes Wort eine Nebenbedeutung (Konnotation), die evaluativ (bewertend) und deontisch (auffordernd) ist.23 In diesem Sinne besitzt Diktatur in einem demokratisch geprägten Kulturkreis eine grundsätzlich negative Evaluationskomponente.

Sie wird als ‚auf unbeschränkte Vollmachten gegründete Herrschaft in einem Staat‘24 defi-

niert. Die Deontik eines Lexems beinhaltet immer „Sollens- bzw. Nicht-Sollens-Aussa- gen“25. Eine Diktatur gilt es zu missbilligen und zu vereiteln, denn es stellt ein Gegenkonzept zu Demokratie dar, welche wiederum erhalten werden soll. Ein Abriss der Bedeutungskomponenten soll hier schematisch nochmals verdeutlicht werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Die verschiedenen Bedeutungsebenen eines Lexems

Natürlich ist die Evaluation und Deontik an kulturelle Werte und Normvorstellungen ge- bunden. Der Ausdruck Diktatur des Proletariats kann zum Beispiel positiv und negativ verstanden werden, je nachdem ob es in einem sozialistischen Wertesystem gebraucht wird oder nicht. Eine positive Evaluation dieses Begriffes ist also möglich, wobei damit gleich- zeitig die Aufforderung mitschwingt, dass der Kapitalismus durch eben diese Diktatur be- kämpft werden muss. Eine proletarische Diktatur soll demnach eine Demokratie erst er- möglichen. Man sieht hier die Bedeutungsvielfalt von Begriffen, welche Dieckmann als „ideologische Polysemie“26 bezeichnet. Es ist daher wichtig zu wissen, mit welcher Inten- tion und in welchem historischen Kontext ein Begriff benutzt wird. Um Fehlinterpretatio- nen zu vermeiden, muss der jeweilige Begriff vom Sprecher in eine übergreifende Ideologie eingebunden werden. Eine andere Option besteht darin, für den gleichen Sachverhalt einen anderen Begriff zu benutzen, um sich von dem Begriff des politischen Gegners abzugren- zen. Diese Bezeichnungskonkurrenz erfordert darüber hinaus eine Klassifizierung der wich- tigsten Begriffssorten.

2.2.2 Schlagwörter

„Ein Wort ist nicht Schlagwort, sondern wird als Schlagwort gebraucht.“27 Schlagwörter sind per definitionem Ausdrücke, die ‚zu einer bestimmten Zeit besondere Aktualität [gewinnen] und öffentlich propagiert [werden]‘28. Wie das obige Zitat verdeut- licht, sind Schlagwörter in einem ständigen Wandel begriffen. Das Schlagwort Terrorismus beispielsweise erhielt einen enormen Bedeutungsgewinn in öffentlichen Debatten nach dem 11. September. Natürlich war es auch vorher kein unbekanntes Wort, seine Brisanz entfaltete es dennoch in Kollokationen wie Krieg gegen den Terror. Prinzipiell kann aber jedes Wort zu einem Schlagwort erhoben werden, sofern es einen gewissen Grad der Öffentlichkeit erlangt und dem Zweck dient, die Massen zu beeinflussen. In diesem Fall kann man das entsprechende Wort eindeutig dem Ideologievokabular zuordnen. Aus ebensolchen Gründen erhebt Girnth das Schlagwort zur „auffälligsten sprachlichen Erscheinung in der öffentlich-politischen Kommunikation.“29

Das bedeutet, Schlagwörter dienen in erster Linie der „Emotionalisierung und gesellschaftlichen Kontrolle.“30 So zeigt bereits das Bestimmungswort Schlagen in dem Determinativkompositum Schlagwort die besondere appellative und handlungsanweisende Funktion eines solchen Wortes. In den 70er Jahren kam der Terror -Begriff in Deutschland im Zusammenhang mit der 68er-Bewegung, der APO, RAF, etc. das erste Mal massenmedial auf. Terrorismus wurde von der Regierung dabei stark negativ konnotiert verwendet. Terroristen waren Kriminelle und Staatsfeinde, die strafrechtlich verfolgt wurden. Diese Brandmarkung beinhaltet nicht nur eine negative evaluative Komponente des Wortes, sondern soll den rechtschaffenen Bürger dazu auffordern, jeder Maßnahme gegen den Terrorismus zuzustimmen. Immerhin stelle dieser eine Gefahr für die Demokratie und die Sicherheit jedes Einzelnen dar. Strauß formuliert den Effekt folgendermaßen:

Dabei werden von vielen Bürgern vorschnell mehr Polizei, mehr Überwachung, Kontrolle und Freiheitsbegrenzung sowie mehr Staat bereitwillig akzeptiert ebenso wie die Rückkehr zum autoritären Obrigkeitsstaat, nur um den Terrorismus abzuwehren.31

Somit besteht die Gefahr einer Gewaltspirale, bei der staatliche Gegengewalt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mehr gefährden als der Terrorismus selbst. Nichts desto weniger zeigt die Verwendung des Begriffs Terrorismus seine starke appellative Motivierung und seine immensen, realpolitischen Einflüsse. Die Vorratsdatenspeicherung, umfassendere Kontrollen an Flughäfen und natürlich der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sind nur einige Beispiele dafür.

Dies führt zu einer weiteren Funktion von Schlagwörtern: Die Vereinfachung komplexer Zusammenhänge. Statt bei jeder Nachricht über einen weiteren terroristischen Angriff über die Hintergründe zu berichten, fällt häufig nur der Begriff Terrorismus oder terroristischer Anschlag. Wie Dieckmann bereits feststellte, ‚erheben [Schlagwörter] Relatives zu Abso- lutem, reduzieren das Komplizierte auf das Typische, Überschaubare und Einfach-Gegen- sätzliche‘32.

Als Folge können Personengruppen, die als terroristisch bezeichnet werden, nicht differenziert werden und verwischen zu einer homogenen Masse, die in der Öffentlichkeit als grundsätzlich gefährlich und nicht kompromissbereit angesehen wird. Aufgrund des inflationären und pauschalen Gebrauchs von Terrorismus, stellt sich also die Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit jemand als Terrorist gilt. Strauß macht darauf aufmerksam, dass auch Gruppierungen, die keine terroristischen Ziele verfolgen, aber dennoch als Protestbewegung bestimmte staatliche Richtlinien ablehnen, fälschlicherweise als Terroristen abgewertet werden. Als Beispiele führt er die Hausbesetzungen und gewalttätigen Demonstrationen gegen die Atomenergie an.33 Jüngere Beispiele könnten die sogenannten „Mahnwachen für den Frieden“ oder die „PEGIDA-Bewegung“ sein.

2.2.3 Subkategorien von Schlagwörtern

Lediglich von Schlagwörtern im Allgemeinen zu sprechen ist für eine differenzierte seman- tische Analyse wenig zielführend. Eine weitere Untergliederung erscheint daher unabding- bar. Allerdings stellt man schnell fest, dass es in der Linguistik keine einheitliche Klassifi- zierung gibt. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass Schlagwörter oft mehrere Funktionen besitzen. Grundsätzlich kann man ihnen entweder eine positive oder eine negative Sinn- richtung unterstellen, je nach Standpunkt des Sprechers. Der Kategorisierungsversuch von Hermanns, der zwischen Affirmationswörtern und Stigmawörtern unterscheidet, soll hier als Grundlage dienen.34

Affirmationswörter werden dazu verwendet, den eigenen Standpunkt zu markieren und positiv darzustellen. Diese kann man weiter unterteilen in Hochwertwörter und Fahnenwörter, um die zwei prominentesten Beispiele zu nennen.

Erstere umfassen die ideellen Pfeiler eines politischen Systems. Daher sind auch Bezeich- nungen wie Grundwertewörter oder Leitwörter üblich. Bezogen auf die BRD fallen darunter Begriffe wie Freiheit, Demokratie und Gewaltenteilung. Sie werden prinzipiell von allen Parteien als positiv angesehen. Strauß bezeichnet Hochwertwörter als unverzichtbar, denn „zu den Grundwerten gibt es in einer Demokratie keine Alternative.“35 Es ist allerdings fraglich, ob eine Demokratie, die keine Alternativen zulässt, wirklich als solche bezeichnet werden kann. Eine solche Alternativlosigkeit grundsätzlicher Begriffe erscheint wenig fle- xibel und anpassungsfähig. Zudem ermöglicht das Beharren auf bestimmten Begriffen wie Freiheit einen propagandistischen Missbrauch. Ist der Terminus Verteidigung der Freiheit am Hindukusch aus jeder Diskussion befreit, weil er ein unbestrittenes Hochwertwort ent- hält, das es zu bewahren gilt? Solche Formulierungen zu analysieren wird Gegenstand die- ser Arbeit sein. Obwohl es für Strauß keine Alternativen zu Hochwertwörtern gibt, betont er den „Wertestreit“ um solche Wörter. Damit meint er die unterschiedliche Akzentuierung der verschiedenen Parteien in Bezug auf das jeweilige Wort.

Fahnenwörter bilden einen weiteren Ableger der Affirmationswörter. Ihre Besonderheit liegt in ihrer Brisanz, denn im Vergleich zu den weitgehend unumstrittenen Hochwertwör- tern, sollen Fahnenwörter gezielt polarisieren. Sie stehen für ein ganz bestimmtes Pro- gramm, dem man sich entweder zugehörig fühlt oder nicht. Mit ihnen kann man gewissermaßen Flagge zeigen oder wie es Herrmanns ausdrückt:

Sie sind dazu da, dass an ihnen Freund und Feind den Parteistandpunkt, für den sie stehen, erkennen sollen. […] Solche Wörter können in der Tat, wenn man sie ostentativ verwendet, wie eine Fahne wirken, die man hochhält und ins Feld führt.36

Im Folgenden führt er Beispiele wie soziale Marktwirtschaft und antiautoritäre Erziehung an, die man 20 Jahre später um Begriffe wie Energiewende, Vorratsdatenspeicherung und Euro-Rettungshilfe erweitern könnte.

Als Pendant zu den Fahnenwörtern gelten die Stigmawörter. Ihre Funktion ist es, den Geg- ner zu diffamieren und dabei gleichzeitig den eigenen Standpunkt als den richtigen zu pro- pagieren. Stigmawörter wie Islamismus, Terrorismus und Extremismus sollen den politi- schen Gegner als „Feind des gesellschaftlichen Systems und der verbindlichen gesellschaft- lichen Werte“37 diskriminieren und ihn bestenfalls von weiterer Teilhabe am politischen Diskurs ausschließen.

Darüber hinaus gibt es noch Euphemismen und Neologismen, die oft selbst zu politischen Schlagwörtern stilisiert werden. Dabei sind Euphemismen Wörter, die ‚unliebsame Sachverhalte mit angenehmen Assoziationen versehen‘38. Meistens sind sie Konkurrenzbezeichnungen zu bereits existierenden Begriffen, wie arbeitssuchend vs. arbeitslos, Umsiedlung vs. Vertreibung oder Friedensdienst vs. Kriegsdienst.

Neologismen hingegen sollen „neue Sachverhalte, neue Vorgänge oder neue Bewertungen von Gegebenheiten“39 benennen. Ihr Spektrum ist groß und sie können manchmal auch spontan entstehen, wie zum Beispiel der Begriff Alternativlosigkeit, der von Bundeskanz- lerin Merkel geprägt wurde. Auch Abkürzungswörter wie ESM oder AFET (Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, Sicherheit und Verteidigungspolitik des europäischen Parla- ments) sind Neologismen, wobei strittig ist, ob die häufige Verwendung derartiger Abkür- zungen wirklich mehr Klarheit und Struktur für den politischen Beobachter mit sich bringt.

[...]


1 Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Plenarprotokoll 17/146, 1.12.2011.

2 Vgl. Klein 1984; Kindt 1992

3 Burkhardt hat die Bezeichnung als Erster eingeführt und geprägt. Burkhardt 1996

4 Dieckmann 1964.

5 Girnth 2002.

6 Niehr 2014.

7 Klein 2014, S. 8.

8 Dieckmann 1975, S. 29.

9 Girnth 2002, S. 1.

10 Vgl, Schröter, Carius 2009, S. 13.

11 Vgl. Klein 2014, S. 60-67. Klein bezieht sich in großen Teilen auf Dieckmanns frühe Einteilung politischer Sprachkategorien. Dieckmann unterscheidet zwischen "Ideologiesprache, Institutionssprache und Fachspra- che des verwalteten Sachgebiets". Vgl. Dieckmann 1975, S. 50.

12 vgl. Niehr 2014, S. 66.

13 Das Protokoll des 22. Bundesparteitags der CDU 1973 wird hier zitiert nach Kuhn 1991.

14 Vgl. Piratenpartei Deutschland.

15 Girnth 2002, S. 9.

16 Plitsch 2014, S. 26.

17 Girnth 2002, S. 22.

18 Bühler 1999, S. 18.

19 Panagl 1998, S. 14.

20 Austin, Savigny 2002; Searle 2011.

21 Vgl. Panagl 1998, S. 15.

22 Niehr 2007, S. 496-502; Girnth 2002, S. 48-60.

23 Nachzulesen in semantischen Wörterbüchern wie beispielsweise Glück 2005; Strauss, Hass-Zumkehr, Harras 1989.

24 DWDS 2002.

25 Girnth 2002, S. 51.

26 Dieckmann 1975, S. 66.

27 Ebenda, S. 107.

28 Niehr 2007, S. 496.

29 Girnth 2002, S. 52.

30 Niehr 2014, S. 71.

31 Strauss, Hass-Zumkehr, Harras 1989, S. 368.

32 Dieckmann 1975, S. 103.

33 Vgl. Strauss, Hass-Zumkehr, Harras 1989, S. 369.

34 Vgl. Hermanns 1994, S. 2-20.

35 Strauss, Hass-Zumkehr, Harras 1989, S. 35.

36 Hermanns 1994, S. 16.

37 Strauss, Hass-Zumkehr, Harras 1989, S. 36.

38 Bachem 1979, S. 58.

39 Ebenda, S. 60.

Final del extracto de 47 páginas

Detalles

Título
Die Semantik des Krieges. Eine linguistische Betrachtung des Afghanistankonflikts
Universidad
University of Würzburg
Calificación
1,0
Autor
Año
2015
Páginas
47
No. de catálogo
V377803
ISBN (Ebook)
9783668553972
ISBN (Libro)
9783668553989
Tamaño de fichero
764 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Afghanistan, Protokolle, Bundestag, Linguistik, Korpuslinguistik, key word, concordance, Konkordanz, Korrelation, Sprachwissenschaft, Poltik, Deiktik, Bühler, Topos, Topoi, Denkmuster, Argumentationsmuster
Citar trabajo
N. Felicissimus (Autor), 2015, Die Semantik des Krieges. Eine linguistische Betrachtung des Afghanistankonflikts, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/377803

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