Intelligenz und Intelligenzmessung

Intelligenzmessung und ihre Geschichte - neuere Erkenntnisse mit Spektren der Definition von Intelligenz


Script, 2001

54 Pages, Grade: 1


Excerpt


Thesenpapier

Thema: Intelligenz und Intelligenzmessung

Frage: Ist Intelligenz angeboren oder von der Umwelt abhängig? Wie viel hängt von jeder

der beiden Komponenten ab? (Anne Anastasi, 1958) (Skala der Indirektheit, Nischenwahl)

1. Intelligenztheorien:

- Piaget (1896 – 1980) – der entwicklungspsychologische Ansatz
- Gardner (1983;´93) – die Theorie der multiplen Intelligenzen
- Sternberg (1985) – das Triadische Intelligenzmodell (Komponenten – Entwicklungs- und Kontext-Subtheorie)
- Goleman – Emotionale Intelligenz (die eigenen Emotionen kennen, Emotionen handhaben, Emotionen in die Tat umsetzen, Empathie, soziale Kompetenzen)

2. Intelligenzmessung

Die Bandbreite zwischen sozialer Hierarchisierung und Förderung:

Frage: Ist Intelligenz messbar?

Intelligenzmessung mit einer Förderungsabsicht:

- Alfrède Binet (1905) und der erste Intelligenztest
- Lev Wygotski (1896 – 1938). Die Zone der nächstmöglichen Entwicklung

Der psychometrische Ansatz:

Eugenische Absichten in der Verwendung von IQ-Tests

- Galton (1869) Züchtung einer idealen menschlichen Rasse
- Cyril Burt (Arbeit: zw. 1920-´71) Zwillingsstudien/ Einfluss auf das englische Schulsystem
- Goddard (1912) – “The Kallikak- Family – A Study in the Heredity of

Feeblemindedness”

- Terman (1915) a und b Army- Tests; Einwanderungsbeschränkungen; Reinerhaltung der weißen amerikanischen Rasse
- Jensen (1969) / Herrnstein & Murray (1994): Intelligenzförderung nicht möglich.
„The Bell Curve“
Gibt es einen Faktor „g“ für „allgemeine Intelligenz“?
- Spearman (1904/´23/27) Korrelationsstudien zum Thema General Intelligence “g”

Beispiele für Intelligenzmessverfahren im Vergleich:

Fragen: Was kann man mit IQ-Tests feststellen und was nicht?

In welcher Weise kann man sie zur Förderung von Kindern einsetzen?

- HAWIK-R und AID
- Sternbergs Test für soziale Intelligenz

Das Thema IQ im Jahre 2001:

- Die IQ-Show von Günther Jauch – „Intelligenzdiagnostik im TV“
- Der Verein Mensa – nur Mitglieder mit einem IQ von 130 dürfen beitreten

Literatur:

Bücher:

- Chorover , S. (1979). Die Zurichtung des Menschen. Von der Verhaltenssteuerung durch die

Wissenschaften. Frankfurt/ New Yor: Campus.

- Gardner, H./Kornhaber, M./ Wake, W (1996) Intelligence – Multiple Perspectives. Philadelphia/ San Diago/ New York: Harcourt Brace College Publishers.
- Goleman, D. (1996). EQ- Emotionale Intelligenz. München/ Wien: Carl Hanser Verlag.
- Grubitsch, S. (1991). Testtheorie und Testpraxis. Psychologische Tests und Prüfverfahren im kritischen Überblick. Reinbeck bei Hamburg: rororo Sachbuch.
- Kubinger, K.D./Wurst, E. (1988). Adaptives Intelligenzdiagnostikum – Manual. 2. überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz Test Gesellschaft.
- Mietzel, G. (2001). Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens. 6. Auflage. Göttingen: Hogrefe.
- Titze, I./ Tewes, U. (1984). Messung der Intelligenz bei Kindern mit dem HAWIK-R. Bern: Verlag Hans Huber.
- Tewes, U. (1983). Hamburg-Wechsler Intelligenztest für Kinder, Revision 1983. Handbuch und Testanweisung. Bern: Verlag Hans Huber.
- Zimbardo, Ph. (1992). Psychologie. 5. Auflage. Augsburg: Weltbild Verlag.

Web-Sites:

- Eberwein, M. (1999). Einführung in die Intelligenzdiagnostik. Web- Site der Uni Trier
- Web-Site der Jean Paul- Schule Berlin: Sonderpädagogisches Förderzentrum.
Darstellung verschiedener Intelligenztests.
- Web-Site des Vereins „Mensa“ (2001).
- Mayr M./ Hütter, K. (2001). Jugendliche und kognitive Entwicklung. Web- Site der Uni

Linz.

Piagets entwicklungspsychologische Theorie der Intelligenz

Gardner (1996, S. 101) merkt an, dass die meisten Intelligenztheoretiker Intelligenz als einen sozialen Vergleich sehen und es geht ihnen darum, die Unterschiede unter den Menschen festzustellen und sie damit in eine hierarchische Rangreihe einzuordnen. Piaget wusste zwar um die Unterschiede zwischen den Menschen, war aber nicht daran interessiert. Sein Interesse galt der Intelligenzentwicklung, die für alle gesunden Menschen zutrifft. Für ihn war Intelligenz eine Eigenschaft der Spezies Mensch – so ähnlich wie Sprache oder Tiefenwahrnehmung. Man sollte Intelligenz in der Weise untersuchen, in der man jegliche universelle Eigenschaft der Menschheit studieren würde.

Piaget nahm die von ihm beobachteten Kinder sowie ihre Antworten auf seine Fragen sehr ernst und er war sehr aufmerksam, sie nicht in irgendeine Richtung hin zu manipulieren.

Operationen und Schemata: Als Schema bezeichnet Piaget jeden organisierten Verhaltensablauf im Leben eines Babys wie z.B. saugen. So ist es möglich, an einer Brust zu saugen, aber auch zur Erkundung an einer Spielente oder einer Decke oder am eigenen Finger.

Für Denkvorgänge des späteren Lebens verwendete Piaget den Begriff „Operationen“. Diese sind im Gegensatz zu den Schemata der Babyzeit nicht mehr offen für alle zu sehen und werden nicht mehr sofort in die Tat umgesetzt, sondern spielen sich innerhalb der Grenzen des eigenen Verstandes ab, ohne von anderen beobachtet zu werden.

Bsp.: wenn ein Kind darüber nachdenkt, wie viele Perlen in einer Reihe sind, kann es entweder das Zählschema anwenden, oder es kann mentale Operationen anwenden. Hierbei kann es auch eine Handlung rückgängig machen, wie z.B. die Perlen zusammenschieben oder dergl.

Assimilation und Akkomodation: Jede Aktivierung eines Schemas beinhaltet sowohl Akkomodation, als auch Assimilation. In der Assimilation fällt der Akzent darauf, mit der äußeren Welt so zu verfahren, dass sie in die bereits existierenden Schemata passt. In der Akkomodation überwiegt die Modifizierung der eigenen Schemata in der Weise, dass sie mit der äußeren Welt konform gehen.

Piaget bevorzugte Situationen, in denen Akkomodation und Assimilation im Äquilibrium – im Gleichgewicht waren.

Wenn eine Situation ein Äquilibrium außer Balance bringt, setzt dies einen kognitiven Prozess in Gang. D.h., wenn ein Kind eine Situation nicht mehr so vorfindet, wie es sie kennt, beginnt es nachzudenken. (Gardner, 1996, S. 104).

Piaget räumte auf mit der bis dahin verbreiteten Annahme, Kinder seien wie kleine Erwachsene, nur weniger informiert. Er zeigte auf, dass Kinder ohne konkretes Wissen geboren werden, aber mit allem was sie brauchen, um die Welt zu erkunden. In Piagets Augen ist das Kind ein kleiner Forscher, der die Welt erkundet.

Die verschiedenen Entwicklungsstufen nach Piaget:

1. (0-2 Jahre) Sensomotorische Phase

In dieser Phase erkundet das Kind die physische Welt und die soziale Welt mit Hilfe von sensorischen Systemen. (Vornehmlich mittels Hör- und Sehsinn und mittels motorischer Systeme, insbesondere Hände und Mund, um die Welt zu erforschen.) (Gardner, S. 105).

- Reflexe
- Primäre Zirkulärreaktion

(Erfahrungen mit dem eigenen Körper; zufällig)

- Sekundäre Zirkulärreaktion

(Aktivitäten, die eine Wirkung auf die Umwelt haben; zieht am Band, damit das Kinderwagendach klappert)

- Terziäre Zirkulärreaktion (Intentionalität und Kausalität. Interesse an neuen Reizsituationen, experimentieren mit Wirkungen auf die Umwelt)
- Objektkonztanz. (Das Kind sucht zum ersten Mal nach einem Gegenstand, der versteckt wurde. Beginn des symbolischen Denkens. Sprache ist eine symbolische Repräsentation der Umwelt)
- Lernen durch geistiges Kombinieren

2. Voroperationale Phase (bis ca. 7 Jahre)

Das Kind in der symbolischen Phase (symbolic stage) ist fähig, sich Dinge kognitiv zu repräsentieren; es kann Worte benutzen, Bilder, und andere Arten von Symbolen, wie Zeichnungen, Gesten, oder Zahlen, um sich die Welt zu erklären oder sich auf sie zu beziehen. (Gardner S. 108).

Gardner zufolge ging Piaget davon aus, das voroperationale Kind nehme nur die äußere Erscheinung der Dinge wahr. So sehe es nur die äußere Form des Behälters ungeachtet der Tatsache, dass es zuvor gesehen hat, dass die Flüssigkeitsmenge in beiden Gefäßen gleich war und nicht verändert wurde.

- Als Operationen bezeichnet Piaget Ereignisabläufe, die auf gedanklicher Ebene nach einfachen logischen Regeln ablaufen. Das Kind kann Gedankengänge, die es bereits vollzogen hat, erneut nachvollziehen und sich diese auch bildlich vorstellen. Da es aber gemäß Piagets Beobachtungen immer wieder zu formalen Logikfehlern kommt im Denken eines Vorschulkindes, nennt Piaget diese Phase voroperationales Denken.
- Das Kind kann bereits symbolisieren und sich Ereignisse und Gegenstände bildlich vorstellen, auch wenn diese nicht da sind. Es lernt sehr schnell sprechen. Kinder ahmen Handlungen anderer nach.
- Bsp. Mengenkonstanz:

Zwei Reihen Münzen mit jeweils der gleichen Anzahl und dem gleichen Abstand.

Frage: in welcher Reihe befinden sich mehr Münzen?

Antwort: In beiden Reihen sind gleich viele Münzen.

Der Abstand zwischen den Münzen einer Reihe wird vergrößert.

Frage: wo befinden sich mehr Münzen?

Antwort: in der Reihe mit den größeren Zwischenräumen.

Mietzel (2001, S. 82) geht davon aus, dass dem Kind in diesem Alter der Mengenbegriff noch nicht zur Verfügung steht. Er beschreibt, dass Kinder zwar von ihren Eltern häufig die einzelnen Zahlen beigebracht bekommen, dass sie damit aber keine Menge verbinden. Demzufolge schließt Mietzel, könnte das Kind mit den Zahlen „eins“ ,„zwei“ ,“drei“ usw. nicht eine Mengenangabe, sondern eine Bezeichnung in Verbindung bringen: das erste Objekt heißt „eins“, das andere „zwei“ usw. Es denkt, dass mit „zwei Orangen“ die „zweite Orange“ gemeint ist...

- Das Kind hat noch kein Verständnis für Gesamtmenge und Teilmenge. Piaget demonstrierte dies am Beispiel mit den 5 weißen und 15 schwarzen Holzperlen.

Gibt es mehr schwarze Perlen oder mehr Perlen? => mehr schwarze...

Merke an: Gardner: schwarze und gescheckte schlafende Kühe.

Gibt es mehr schwarze Kühe oder mehr schlafende Kühe? Mehr schlafende Kühe.

Aber: Gibt es mehr schwarze Kühe oder mehr Kühe? Mehr schwarze.

- Größenordnung herstellen:

Kinder ordnen Stäbchen verschiedener Länge, die sie in eine Reihenfolge gemäß ihrer Länge anordnen sollen, manchmal richtig und manchmal nur an einem Ende richtig und manchmal nur z.T. richtig (vgl. Mietzel, 2001, S. 83).

Dies illustriert die Schwierigkeit des Kindes, mehrere Merkmale gleichzeitig zu beachten. Mietzel schließt daraus, dass dem Kind der Begriff der Transitivität noch nicht zur Verfügung steht.

Also: Wenn A größer als B und B größer als C dann ist A größer als C.

- Eine weiter Schwierigkeit des voroperationalen Denkers besteht darin, dass das Kind jeweils einzelne Zustände, nicht aber den Prozess (die Transformation) sieht. Das Kind sieht nur den Anfangs- und den Endzustand, übersieht aber die Zustände, die dazwischen liegen, also den Veränderungsprozess.
- Außerdem kann das Kind Ereignisabfolgen noch nicht umkehren.

Bsp.:

Erwachsener fragt einen Jungen: Hast du einen Bruder?

Junge: Ja.

Erw.: Wie heißt er?

J: Jan.

Erw.: Hat Jan einen Bruder?

J: Nein.

Aufgrund solcher Antworten bezeichnete Piaget Kinder in der voroperationalen Phase als „egozentriert“. Gemäß Piaget beschreibt der Begriff „Egozentrizität“ nicht „Egoismus“, sondern er illustriert die Vorstellung des Kindes, dass alle anderen ebenso denken und wahrnehmen, wie es selbst. Das Vorschulkind kann sich also, gemäß Piaget, nicht die Perspektive eines anderen vorstellen. Mietzel (S. 85) wiederlegt diese Hypothese auf der Basis von Untersuchungen von Charsworth & Hartup (1967), die herausfanden, dass vierjährige auf die Wünsche anderer eingehen konnten und sogar zweijährige in der Lage waren, einem Erwachsenen ein Bild zu zeigen und es für ihn in die richtige Richtung zu drehen.

Gardner (S. 109) gibt als Beispiel für die Egozentrizität kleiner Kinder aus der Beobachtung Piagets ein Beispiel mit drei Pappmaché Kegeln. Jeder hatte eine andere Farbe und Form. Das Kind wird gefragt, wie das Arrangement der Kegel aus dem Blickwinkel einer anderen Person aussehen würde, die woanders sitzt.

(man legt ihnen Fotos vor) Kinder unter sechs oder sieben Jahren wählen immer das Bild mit der Perspektive, die sie selber sehen.

- Ein voroperational denkendes Kind, vergisst in einem Prozess, in dem es Gegenstände nach einem bestimmten Kriterium einer Klasse zuordnet, während des Prozesses das klassenbildende Merkmal.

3. Konkrete Operationen

Kinder im Grundschulalter sind in der Lage mentale Operationen im Kopf durchzuführen und diese auch wiederum im Kopf wieder rückgängig zu machen. (Gardner, S. 109). Man könnte davon ausgehen, dass dieser Fähigkeitszuwachs mit dem Schulbesuch zu tun hat. Piaget jedoch argumentiert anders herum: die Schule beginnt im Alter zwischen sechs und sieben Jahren, weil die Kinder in diesem Alter beginnen, zu operationalem Denken fähig zu sein. (a.a.O.).

Der Fortschritt des Kindes in seinem Denkprozess zeigt sich vor allem im Erkennen von Konstanzen. Dies führt Gardner darauf zurück, dass das Kind in der Lage ist, den Prozess mental rückgängig zu machen: es kann sich vorstellen das Wasser wird wieder zurückgegossen in das ursprüngliche Glas und damit ist die Füllhöhe wieder die selbe: es ist gleich viel Wasser in beiden Gläsern.

- Die Aufgabe mit den Teilmengen und Gesamtmengen kann ein konkret operational denkendes Kind nachvollziehen. (Kugeln/ schlafende Kühe).

Bezogen auf diese Aufgabe weist Gardner darauf hin, dass es dem präoperationalen Kind noch nicht möglich war, sich zwei Mengen vorzustellen (Schwarze Kugeln und alle Kugeln) bei denen eine Teilmenge in der Vorstellung gleichzeitig zwei Gruppen zuzuordnen wäre (die schwarzen Kugeln). Sie müssten also im Vorstellungsbild des Kindes an zwei Orten zugleich auftreten „und das geht nicht“.

- Gleiche Menge Flüssigkeit in zwei gleichen Bechern: Wo ist mehr drin?

Kind: In beiden gleich viel.

Umgießen des Inhaltes eines Bechers in ein Gefäß, das breiter und niedriger ist, ohne Flüssigkeit hinzuzufügen, oder zu entfernen.

Wo ist jetzt mehr drin?

Das voroperationale Kind würde antworten: in dem höheren.

Das konkret operationale Kind begreift die Mengenkonztanz und antwortet richtig: es ist immer noch in beiden gleich viel Flüssigkeit.

- Anderes Beispiel:

2 gleichgroße Tonklumpen in Kugelform. Dann stellt der Erwachsene aus einer Kugel einen Pfannkuchen her. Frage welcher ist jetzt größer?

Vgl. Mietzel, S. 86.

Das Verständnis des Kindes in bezug auf Mengenkonstanz entwickelt sich nicht gleichzeitig für den Zahlenbegriff, das Verständnis für Flüssigkeitsmengen, Massenkonstanz und Längenkonstanz. Mietzel führt das darauf zurück, dass der Zahlenbegriff zum Lernpensum des ersten Schuljahres gehört und sich das Verständnis des Prinzips der Konstanz nicht so ohne weiteres, wie Piaget behauptet hat, als abstrakte Erkenntnis auf alle anderen Bereiche übertragen lässt.

- Das konkret operational denkende Kind vergisst nicht mehr das klassenbildende Merkmal, während es Gegenstände bestimmten Kategorien oder Klassen zuordnet.
- Eine Aufgabe, bei der man Relationen erfassen muss, ohne bildliches Material fällt Kindern im Grundschulalter noch schwer.

Bsp.: Thorsten ist größer als Stefanie und kleiner als Mark. Wer ist am größten? Ohne die Kinder zu sehen (als bild oder real) können die Kinder diese Frage oft nicht beantworten.

4. Formale Operationen/ formales Denken

Gemäß den Beobachtungen von Piaget beginnt mit dem 11/ 12 Lebensjahr erneut ein qualitativer Schritt in der abstrakten Denkfähigkeit von Kindern. Gardner stellt erneut eine altersmäßige Übereinstimmung fest mit dem Beginn der weiterführenden Schule. Dem formal operational denkenden Kind fällt es leicht über eine hypothetische Welt nachzudenken, die aus Propositionen und Theorien besteht und Aussagen, die diese in Beziehung setzt – dieses Kind braucht nicht mehr unbedingt die objektive Realität zum Sehen und Anfassen. (Gardner, 1996, S. 110).

Das Grundschulkind ist noch sehr auf konkrete Gegebenheiten angewiesen, während der formale Denker in der Lage ist, logische Schlussfolgerungen zu ziehen; er kann sich auf rein theoretischer Ebene mögliche Entwicklungen vorstellen und gedanklich mehrere Merkmale einer Situation variieren. ( Mietzel, 2001, S. 88). Der formale Denker ist außerdem in der Lage zu entscheiden, welche Merkmale und Variablen relevant sind und welche nicht. (Gardner, S. 111).

- Formal denkende Jugendliche gehen bei der Problemlösung strategisch und systematisch vor.
- Formal denkende Jugendlich können, im Gegensatz zu konkret operational denkenden Kindern, abstrahieren und sich auch unrealistische Annahmen vorstellen. (wenn Mich schwarz wäre...)
- Abstrakt deduktives Denken basierend aus Prämissen:

Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch => also ist Sokrates sterblich.

Mietzel stellt in diesem Zusammenhang die Frage: Löst der formale Denker wirklich seine Probleme, ohne dass er dazu ihrer Einbettung in ihren Kontext bedarf?

Mietzel geht davon aus, Piagets hohe Wertzuschreibung für die Loslösung aus dem Kontext gehe zurück auf die abendländische Kultur des Rationalismus. Demzufolge wird sie auch im schulischen Kontext so hoch gewertet.

- Wenn A > B und B> C dann ist A>C. Solche Zusammenhänge zu verstehen gelingt einem Grundschulkind nur, wenn es sich nicht um abstrakte Zeichen, sondern beispielsweise um Kinder handelt und es sich diese vorstellen kann. Einem formalen Denker bereiten sie keine Probleme mehr.

Beispiele: siehe Mietzel S. 90/91. Karten bzw. Briefumschläge.

- Mietzel (S. 92) geht auf der Basis der Untersuchungen von Wason (1968) und Johnson-Laird (1972) (o.g. Bsp.) davon aus, dass es weniger vom Alter eines Menschen abhängt, ob er konkret oder formal operational denkt, sondern vielmehr von der Quantität und der Qualität seiner Erfahrung auf einem Wissensgebiet. Mietzel zufolge ist es nicht immer möglich, selbst wenn man z.B. in der Lage ist, ein Computerprogramm zu erstellen, in gleicher Weise zu abstrahieren und logische Schlüsse zu ziehen, auf einem unbekannten Fachgebiet. Man kann dann nicht unbedingt auch die Gedankengänge von Kant nachvollziehen oder die der Physik.

- Piaget (1972) hat zugestanden, dass ein Mensch nur in den Bereichen formal- operationales Denken zeigt, in denen er hochgradige Interessen zeigt, oder fundierte Kenntnisse besitzt.
- Allan Schoenfeld (1979/85) fand heraus, dass es nicht ausreichte, Schülern im Matheunterricht Strategien vorzustellen. Sie brauchten ein konkretes „gewusst wie“-Training. „Der gute Mathematiker brilliert nicht durch seine Fähigkeiten in formaler Logik, sondern dadurch, dass er Strategien kennt, die er in geeigneten Situationen spontan anzuwenden, aber auch auszutauschen weiß, wenn sie nicht mehr weiterführen.“ (Mietzel, 2001, S. 93).
- Syllogismen: aus zwei Prämissen zusammengesetzte logische Denkaufgabe.

Wenn eine Prämisse falsch ist, ist auch der daraus folgende logische Schluss falsch:

Alle Vögel können fliegen. Der Pinguin ist ein Vogel. Ein Pinguin kann fliegen.

Mietzels Frage:

Werden logische Überlegungen beeinträchtigt, wenn der Inhalt der Prämisse vom allgemeinen Wissen nicht mehr zu akzeptieren ist?

Alle Köche sind Geiger. Jan ist ein Koch. Folglich ist Jan ein Geiger.

Besonders bei Menschen, die mit dieser Art Denkaufgaben nicht vertraut sind, löst ein real unmöglicher Zusammenhang große Schwierigkeiten aus. Aber auch bei Menschen, die mit formalem Denken vertraut sind, ist die Anzahl der richtigen Antworten höher, wenn sie die Zusammenhänge in Einklang mit ihren realen Erfahrungen stehen.

Häufig versuchen Menschen (real unmögliche) Syllogismen durch kognitive Bilder zu repräsentieren, um sie besser lösen zu können. (vgl. Mietzel, S. 95).

- Viele Menschen können besser die Richtigkeit und Schlussfolgerungen von Syllogismen nachvollziehen, wenn sie sich visuelle Vorstellungsbilder machen.

Demzufolge haben Menschen mit einem guten räumlichen Vorstellungsvermögen Vorteile beim Lösen von Syllogismen, vor Menschen mit einer guten sprachlichen Fähigkeit.

Piaget hat die Unterrichtsarbeit in Schulen dahingehend beeinflusst, dass er nicht, gemäß der Annahme der Behavioristen, den Lernenden als einen passiven Empfänger von Wissen ansah, sondern den Erwerb von Wissen als aktiven Prozess verstand.

Piaget beobachtete das Prinzip der „Passung“. (Vgl. auch Cinzenmichailsky) Ein Unterrichtsstoff darf nicht zu einfach und nicht zu schwer sein, um weder Langeweile, noch Überforderung Diskrepanz auszulösen. Die ideale Motivation ergibt sich aus einer guten Dosierung aus Spannung und Bekanntheitsgrad/ Wiedererkennen.

Piaget plädierte für das Vermitteln konkreter Erfahrungen im Unterricht, welche auch nicht durch einfache Darbietung von Anschauungsmaterial zu ersetzen wären. Dieses stelle Hilfsmittel dar, um das eigene Forschen des Schülers anzuregen.

Aufgrund von Piagets Phasenmodell wurden Schüler häufig überfordert, weil Lehrer fälschlich davon ausgingen, sie könnten in allen Bereichen gleichzeitig formal operational denken.

Kritische Betrachtung von Piagets Theorie:

- Gardner (1996, S. 112 ff.) merkt an, dass Piaget das Kind als kleinen Wissenschaftler betrachtet. Kann man aber wirklich jedes Kind als kleinen Wissenschaftlicher sehen, ohne sozialen Kontext und ohne Emotionen und einzig mit wissenschaftlichen Interessen?

- Piaget zufolge endet die intellektuelle Entwicklung mit der Adoleszenz. Gardner merkt in diesem Zusammenhang an, dass es wohl auch Entwicklungsstadien gibt, die Teenagern noch nicht zur Verfügung stehen. Zu diesen Gebieten zählt Gardner Humor, Kreativität (Kunst), und alle Gebiete zu deren Vervollkommnung ein Mensch Jahre oder Jahrzehnte braucht.

- Piaget ging auf universelle Gegebenheiten in der Intelligenzentwicklung ein. Dabei ließ er zwei Punkte außer Acht:
- Die interindividuellen Unterschiede innerhalb einer Kultur
- Die interkulturellen Unterschiede

- Hierbei taucht wieder die Frage auf: Gibt es so etwas wie einen universellen, „reinen“ Verstand, der für alle Menschen gleich funktionniert? Piaget ging in keiner Weise auf irgendwelche interindividuellen Unterschiede ein; für ihn gab es universelle Gesetzmäßigkeiten, nach denen die Intelligenzentwicklung abläuft.

- Piaget war außerdem nicht interessiert daran, wie man die Intelligenzentwicklung forcieren, oder beeinflussen könnte. Er nannte diese Frage „the American question“, weil er in den USA so häufig danach gefragt wurde, wie man die Geschwindigkeit der Intelligenzentwicklung beschleunigen könne. Piaget zufolge findet die Entwicklung in ihrer eigenen idealen Geschwindigkeit statt und wenn man sie beeinflusst kann das bestenfalls gar keine Folgen, schlimmstenfalls sehr negative Konsequenzen haben. Wenn man einem präoperationalen Kind eine Frage in bezug auf Mengenkonstanz beibrachte und das Verständnis forcierte, so würde es, Piaget zufolge die Antwort lediglich nachsprechen, ohne sie verinnerlicht zu haben und andere Fragen weiterhin falsch beantworten.

- Piaget war ganz und gar desinteressiert an Fragen in bezug auf den Kontext. Ihmzufolge war es egal, ob ein Kind in der afrikanischen Wildnis oder in einer europäischen Großstadt aufgewachsen war und ob es zur Schule ging. Die Entwicklung würde im letztgenannten Fall etwas länger brauchen, aber die speziesbedingte Ausprägung würde in jedem Fall in Erscheinung treten und auch in der vorhersagbaren Reihenfolge.
- Zusätzlich war es für Piaget irrelevant, ob er zur Verdeutlichung der Mengenkonstanz Wasser, Ton, Perlen oder sonstiges verwandte, es war immer die gleiche Aufgabe.

- Eine sehr bemerkenswerte Herausforderung von Piagets Theorie bestand darin, die Entwicklung in vier Stadien in frage zu stellen, die alle Kinder durchlaufen.

- Eine weitere scharfe Kritik stellt in frage, dass Intelligenz sich auf mathematisch – logische Prozesse beschränkt ó Gardners multiple Intelligenzen.

- Gardner (1996, S. 114) stellt fest, dass spätere Forscher, die Piagets Experimente genau imitierten, zu den gleichen Ergebnissen kamen. Wenn man aber das Setting variiert, erhält man durchaus abweichende Resultate.

- Wenn man z.B. die Aufgabe mit der Reihe von Kugeln (größerer oder kleiner Abstand) in ein Spiel einbaut und außerdem die Variation einbaut, dass eine Kugel hinzugefügt, bzw. entfernt wird, sind auch drei- und vierjährige Kinder in der Lage es zu begreifen.
- In bezug auf das Egozentrismus Thema haben Donaldson und Borke (1978) festgestellt, dass selbst zweijährige Kinder ein Bild so drehten, dass ein anderer es richtig herum sah. Gardner (1996) stellt sich die Frage, ob Piaget egozentriert war, indem er nicht erkannte, dass Pappmaché – Kegel nichtssagend waren für die Kinder.
- Die Frage mit den fünf weißen und fünfzehn schwarzen Holzperlen – Ganz – und Teilmenge – wurde von Mc Garrigle et al. (1978) durch die Frage mit den schlafenden Kühen ersetzt von denen einige schwarz waren. „Sind dort mehr schwarze Kühe oder mehr schlafende Kühe?“ – mehr schlafende. Aber wenn man fragte: Sind dort mehr schwarze Kühe oder mehr Kühe? – mehr schwarze Kühe. Demzufolge ist die Frage des Vergleichs einer untergeordneten Klasse mit ihrer Hauptklasse sehr viel komplexer als von Piaget angenommen.

- Ein weiterer Kritikpunkt gilt den formalen Operationen. Ohne jede Eingebundenheit in einen Kontext waren die wenigsten Jugendlichen in der Lage, die formal logischen Aufgaben zu lösen. Wenn man jedoch die Definition sehr viel weiter fasst – nämlich basierend auf der Aussage, dass man sich Dinge und Zusammenhänge vorstellen soll, die real nicht existieren, dann können sich auch sehr viel jüngere Kinder dies vorstellen. (Science Fiktion, Märchen, Computerspiele etc.).

- Gardner (1996, S. 117) schließt daraus, dass viele von Piagets Beobachtungen Artekfakte seiner eigenen Experimente waren und nicht als universelle Wahrheiten gelten können, die Aussagen machen über das, was Kinder in einem bestimmten Alter können oder nicht.

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Details

Title
Intelligenz und Intelligenzmessung
Subtitle
Intelligenzmessung und ihre Geschichte - neuere Erkenntnisse mit Spektren der Definition von Intelligenz
College
Free University of Berlin  (Psychologisches Institut)
Course
Diplomprüfungsvorbereitung
Grade
1
Author
Year
2001
Pages
54
Catalog Number
V378
ISBN (eBook)
9783638102711
ISBN (Book)
9783638636810
File size
600 KB
Language
German
Keywords
Intelligenz, Intelligenzmessung, Diplomprüfungsvorbereitung
Quote paper
Juliane Gerstberger (Author), 2001, Intelligenz und Intelligenzmessung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/378

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