Das Sitzenbleiben steht seit Jahren zur Debatte. Hierbei geht es aber meist um Fragen, die sich um die Auswirkungen der Klassenwiederholung für den Wiederholenden selbst drehen. Weniger Beachtung finden die Auswirkungen auf die Zielklasse, welcher die Aufgabe zukommt, die nichtversetzten Schülerinnen und Schüler zu integrieren. Da in diesem Bereich bisher zu wenig geforscht wurde, die Auswirkungen auf die Zielklasse jedoch wichtige Argumente in der Debatte um die Klassenwiederholung darstellen könnten, beschäftigt sich die qualitative Interviewstudie, die diesem Forschungsbericht zugrunde liegt, mit diesem Thema.
In einer Gruppe von drei Studentinnen des Masters of Education an der Carl von Ossietzky Universität entwickelten wir das Forschungsvorhaben und führten sechs Interviews durch. Die Transkriptionen und Auswertungen der anderen beiden Studentinnen wurden mir zur Verfassung dieses Forschungsberichts zur Verfügung gestellt.
Der Aufbau des Berichts gestaltet sich folgendermaßen: Zuerst sollen der theoretische Hintergrund des Forschungsthemas und der derzeitige Forschungsstand kurz vorgestellt werden. Anschließend sollen Forschungsfrage und Forschungsvorhaben entfaltet werden. Daran schließt sich eine umfassende Darstellung des methodischen Vorgehens im Hinblick auf den Entwurf, die Durchführung, die Aufbereitung und die Auswertung der gewonnenen Daten an. Die Ergebnisse werden kategorisiert präsentiert und im letzten Schritt kurz interpretiert und diskutiert, um am Schluss dieser Arbeit die Forschungsfrage beantworten zu können.
Ergebnis: 1,0
Gliederung
1. Einleitung
2. Definitionen und theoretischer Hintergrund
3. Forschungsstand
4. Forschungsvorhaben und Forschungsfrage
5. Methodisches Vorgehen
5.1 Vorstellung des Interviewverfahrens
5.2 Beschreibung der Durchführung
5.3 Transkription der Daten
5.4 Verfahren zur Aufbereitung und Auswertung der gewonnenen Daten
6. Darstellung der Ergebniskategorien
6.1 Beeinflussung des Klassenklimas
6.1.1 Faktoren für die Stärke des Einflusses
6.1.2 V eränderungen im Störverhalten
6.2 Einfluss des Altersunterschieds
6.3 Integration der WiederholerInnen
6.3.1 Ausgang der Integrationsbemühungen
6.3.2 Dauer der Integration
6.5 Entwicklungen bei den Wiederholerinnen
6.5.1 Leistungstechnische Veränderungen
6.5.2 Sozio-emotionale Einflüsse
6.5.3 Erreichung eines Schulabschlusses
6.6 Zusätzlich zu ergreifende Maßnahmen
6.7 Sitzenbleiben oder Schulformwechsel
7. Diskussion und Interpretation der Ergebnisse
8. Fazit
9. Reflexion des Forschungsseminars
Literaturverzeichnis
Anhang
Transkripte der Interviews
Auswertungstabellen
1. Einleitung
„ „Versetzungsvermerk: Max wird auf Beschluss der Klassenkonferenz am 10. Juli 2017
aufgrund unzureichender Leistung nicht versetzt “
Die Wiederholung eines Schuljahres ist eine im deutschen Schulsystem fest verankerte Maßnahme für den Umgang mit Leistungsunterschieden innerhalb einer Lerngruppe oder Klassenstufe. Ist diese im Volksmund als „Sitzenbleiben“ bezeichnete Maßnahme ein gutes Mittel, um die SuS wachzurütteln und zu mehr Leistungsbereitschaft anzuregen?
Kann alleine die Wiederholung des Stoffes zu einem besseren Verständnis und besseren Ergebnissen im nächsten Versuch führen? Oder ist die Klassenwiederholung einfach nur demotivierend, resignationsfördernd und dazu noch ein teures Unterfangen für den Staat?
Das Sitzenbleiben steht seit Jahren zur Debatte. Hierbei geht es aber meist um die genannten Fragen, die sich um die Auswirkungen der Klassenwiederholung für den Wiederholenden selbst drehen. Weniger Beachtung finden die Auswirkungen auf die Zielklasse, welcher die Aufgabe zukommt, die nichtversetzten Schülerinnen und Schüler[1] zu integrieren. Da in diesem Bereich bisher zu wenig geforscht wurde, die Auswirkungen auf die Zielklasse jedoch wichtige Argumente in der Debatte um die Klassenwiederholung darstellen könnten, beschäftigt sich die qualitative Interviewstudie, die diesem Forschungsbericht zugrunde liegt, mit diesem Thema. In einer Gruppe von drei Studentinnen des Masters of Education an der Carl von Ossietzky Universität entwickelten wir das Forschungsvorhaben und führten sechs Interviews durch. Die Transkriptionen und Auswertungen der anderen beiden Studentinnen wurden mir zur Verfassung dieses Forschungsberichts zur Verfügung gestellt.
Der Aufbau des Berichts gestaltet sich folgendermaßen: Zuerst sollen der theoretische Hintergrund des Forschungsthemas und der derzeitige Forschungsstand kurz vorgestellt werden. Anschließend sollen Forschungsfrage und Forschungsvorhaben entfaltet werden. Daran schließt sich eine umfassende Darstellung des methodischen Vorgehens im Hinblick auf den Entwurf, die Durchführung, die Aufbereitung und die Auswertung der gewonnenen Daten an. Die Ergebnisse werden kategorisiert präsentiert und im letzten Schritt kurz interpretiert und diskutiert, um am Schluss dieser Arbeit die Forschungsfrage beantworten zu können.
2. Definitionen und theoretischer Hintergrund
Für die Maßnahme der Nichtversetzung gibt es ein Vielfaches an Synonymen. Die gängige Bezeichnung variiert von Bundesland zu Bundesland. So wird die Wiederholung einer Klasse als Abschulung, Zurücktreten oder gar ironischerweise als „Ehrenrunde“ bezeichnet. Im Kontext der Forschung werden vor allem die Begriffe der Nichtversetzung, Klassenwiederholung oder des Sitzenbleibens verwendet. Der Ausdruck „Sitzenbleiber“ ist dabei in dieser Arbeit keineswegs negativ konnotiert. Auch in der Fachliteratur wird dieser, zunächst umgangssprachlich wirkende Begriff, verwendet (Carl, 2017, S.67-99).
All die Begriffe beschreiben dieselbe Funktion der Klassenwiederholung: Durch die Nichtversetzung kann eine Schülerin oder ein Schüler aus einer Lerngruppe gezogen werden, mit der sie oder er leistungs- und lerntechnisch nicht (mehr) mithalten kann. Damit stellt die Nichtversetzung eine exkludierende Form des Umgangs mit Heterogenität innerhalb einer Lerngruppe dar, also eine Form der äußeren Differenzierung (Carl, 2017, S.68). Die Maßnahme wird an allen allgemeinbildenden Schulen, von der Grundschule bis zum Gymnasium, vollzogen. Allein die integrativen Gesamtschulen folgen diesem Prinzip nicht, da hier auf äußere Differenzierung weitestgehend verzichtet wird (SchuRe Nds, 2016, §11). Die Oberstufe betreffen gesonderte Regelungen in Bezug auf die Wiederholung (SchuRe Nds, 2016, §1). In Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein befindet sich die Klassenwiederholung bereits seit 2011 im Abschaffungsprozess und wird nur noch in begründeten Ausnahmefällen durchgeführt (Carl, 2017, S.71).
Zum Umfang der Anwendung dieser Maßnahme lässt sich folgendes sagen: Im Schuljahr 2010/11 wiederholten 2,2% aller SchülerInnnen eine Klassenstufe, das sind insgesamt 164.0 SuS. Mit einer Quote von 2,0% liegt Niedersachsen hierbei leicht unter dem Durchschnitt. Die Quoten sind im Laufe der Zeit kontinuierlich gesunken, denn in den 1920er Jahren wiederholten noch 45-55% Prozent aller SuS mindestens eine Klasse während ihrer Schullaufbahn (Carl, 2017, S.74).
Klassenwiederholungen treten, wie die PISA-Studie belegt, gehäuft in der Sekundarstufe 1 auf. 21% der 15-jährigen SuS an deutschen Schulen sind bereits mindestens einmal sitzen geblieben. Diese Quote liegt weit über dem EU-Durchschnitt, welcher nach PISA nur bei 10,4% der 15-jährigen SuS liegt (Carl, 2017, S.79).
Die „Verordnung über den Wechsel zwischen Schuljahrgängen und Schulformen der allgemeinbildenden Schulen (WeSchVO)“ des niedersächsischen Schulrechts legt die Regularitäten der Versetzung, bzw. Nichtversetzung fest. Die Versetzung oder Nichtversetzung einer Schülerin oder eines Schülers wird in der Klassenkonferenz beschlossen, d.h. die Schülerin oder der Schüler werden passiv versetzt oder nicht versetzt. Die Nichtversetzung kommt ins Gespräch, sobald eine Schülerin oder ein Schüler in einem Fach die Note „ungenügend“, oder in zwei Fächern die Note „mangelhaft“ erhält. Durch Ausgleichsregelungen können befriedigende oder gute Noten die versetzungsgefährdenden Noten ausgleichen und eine Versetzung ermöglichen (SchuRe Nds, 2016, §4-5). Ähnlich gestaltet es sich auch bei möglichen Nachprüfungen in einem Fach, die nach den Sommerferien durchgeführt werden und ein nachträgliches Bestehen des Faches ermöglichen können (SchuRe Nds, 2016, §7).
Die Maßnahme der Klassenwiederholung ist mit verschiedenen Intentionen verknüpft. Die SuS sollen durch die Wiederholung der Inhalte des Schuljahres ihren Bildungsweg im folgenden Jahr fortsetzen können. Die neue Lerngruppe soll dem Schüler bzw. der Schülerin dabei bessere Entwicklungschancen geben, da es sich in leistungshomogenen Lerngruppen angeblich leichter lernen lässt (Carl, 2017, S.70f). Eine weitere Funktion ist es, den SuS mehr Lernzeit zu gewähren und ihnen einen leistungsmäßigen Vorsprung vor ihren neuen Klassenkameraden zu bieten, um sie von der Belastung, immer zu den leistungsmäßig schwächsten SuS der Klasse zu gehören, zu befreien. Dies kann zu Erfolgserlebnissen und zu einer damit einhergehenden Verbesserung des Selbstkonzepts führen (Bless/Schüpbach/Bonvin, 2004, S.9).
Neben diesen individuumsbezogenen Zielen besteht eine unterrichts- und organisationsbezogene Intention, die darauf abzielt eine möglichst große Leistungshomogenität innerhalb einer Lerngruppe herzustellen, da es sich in homogenen Lerngruppen besser lernen lasse (Klemm, 2009, S.5). Neben der Klassenwiederholung wird dies z.B. durch die Aufteilung der Kinder an verschiedene Schulformen erreicht (Klemm, 2009, S.10).
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die neben dem klassischen, passiv auferlegten „Sitzenbleiben“ in Niedersachsen bei unzureichenden schulischen Leistungen angeboten werden. Als „freiwilliges Zurücktreten“ wird die Maßnahme bezeichnet, bei der die Klassenwiederholung von Schülern und Eltern eigenständig beschlossen wird, ohne dass die Leistungen des Kindes diese erzwingen (SchuRe Nds, 2016, §11). Auch die sogenannte „Abschulung“ in eine andere Schulform ist eine typische Maßnahme zur Begegnung von Heterogenität in der Lerngruppe (SchuRe Nds, 2016, §12). Mit all diesen verschiedenen Möglichkeiten geht einher, dass das Kind die gewohnte Klassengemeinschaft verlassen und sich in eine neue Lerngruppe einfinden muss (Bless/Schlüpbach/Bonvin, 2004, S.10). Dies stellt sowohl für die nichtversetzten SuS eine große persönliche Herausforderung dar - und dies wird zu wenig beachtet - als auch kommt eine Phase der Neuorientierung und Neuformatierung auf die Mitschüler der neuen Klasse zu, die vorübergehende oder gar bleibende Auswirkungen auf das Klassenklima und die Leistungen haben kann. Dies soll in unserer qualitativen Interviewstudie näher untersucht werden.
3. Forschungsstand
Zu den Auswirkungen vom Sitzenbleiben sind bereits viele Studien durchgeführt worden. Der Fokus dieser Studien richtet sich jedoch meist auf die sozio-emotionalen Effekte bei Betroffenen, auf die Entwicklung der schulischen Leistungen nach dem Sitzenbleiben oder auf die finanzielle Belastung des Staates durch Klassenwiederholungen. Häufig werden auch die Ursachen des Sitzenbleibens erforscht.
Einig sind sich die meisten Studien in ihren überwiegend kritischen Ergebnissen. Die Klassenwiederholung stelle eine enorme Belastung für die betroffenen SuS und für die Staatskasse dar. Eine konsequente Leistungsverbesserung sei in den meisten Fällen hingegen nicht zu beobachten (Klemm, 2009, S.5). Die Ergebnisse der Studie „Klassenwiederholung - teuer und unwirksam. Eine Studie zu den Ausgaben für Klassenwiederholungen in Deutschland“ von Klaus Klemm von 2009 zeigte, dass Klassenwiederholungen weder bei den sitzengebliebenen SuS zu einer Verbesserung ihrer kognitiven Entwicklung führten, noch die im Klassenverband verbliebenen SuS von der Homogenisierung des Leistungsstands profitieren konnten. Deutschland müsse im Jahr jedoch 931 Millionen Euro für Klassenwiederholungen ausgeben (Klemm, 2009, S.5).
Tillmann und Meyer betrieben 2001 eine Metaanalyse zum Thema Sitzenbleiben und zogen daraus das Fazit, dass die pädagogischen Wirkungen von Klassenwiederholungen in der Erziehungswissenschaft größtenteils eher negativ eingestuft werden können und die Klassenwiederholung damit teuer, unangenehm und dazu auch noch uneffektiv seien (Tillmann/Meyer, 2001, S.470). Eine Zusammenschau von Tietze und Rossbach von 1998 weist darauf hin, dass sitzengebliebene Kinder im Vergleich zu gleichaltrigen und gleich leistungsschwachen, aber dennoch versetzten SuS im Leistungsvergleich deutlich schlechter abschneiden würden (Tietze/Rossbach, 1998, S.467).
Die Studien zu den Ursachen des Sitzenbleibens belegen, dass die Schulleistungen von vielen weiteren Bedingungsfaktoren beeinflusst werden. Köller fasst 2012 die Ergebnisse der Metaanalyse von John Hattie zu den Einflussfaktoren auf den Schulerfolg zusammen und findet die größten Bedingungsfaktoren für das Sitzenbleiben in der familiären Situation, der Peer-Group und der Schule (Lehrkraft und Unterricht) (Köller, 2012, 74).
Besonders viele (internationale) empirische Untersuchungen widmen sich den Auswirkungen des Sitzenbleibens auf die betroffenen SuS, im Fokus standen meist die Auswirkungen auf die schulischen Leistungen. Ein anderer oft behandelter Fokus sind die Auswirkungen im sozialen und emotionalen Bereich. Reliable deutsche Studien gibt es in diesem Bereich nur wenige und dazu veraltete (Carl, 2017, S.92). Eine Studie von Ingenkamp (1962) konnte herausstellen, dass Wiederholer/innen nach dem wiederholten Jahr im Durchschnitt meist nicht an den Leistungsstand der versetzten Schüler/innen anschließen konnten. Außerdem wiesen die „Sitzenbleiber“ in der Studie geringere Werte bei der sozialen Anerkennung auf (Ingenkamp, 1969, S.157f.). Für aktuellere Ergebnisse müssen amerikanische Studien zu den Auswirkungen des Sitzenbleibens herangezogen werden. Carl zieht bei der Darlegung des Forschungsstandes die Metaanalyse von Jackson (1975), Holmes und Matthews (1984), Holmes (1989) und von Jimerson (2001) heran, welche alle u.a. zu dem Ergebnis kommen, dass sitzengebliebene Schüler/innen im Durchschnitt eher schlechter abschneiden als versetzte Schüler/innen desselben Alters. Diese Ergebnisse seien sowohl an leistungstechnischen, als auch an sozialen und emotionalen Vergleichspunkten auszumachen (Jimerson, 2001, S.93f.). Für die SuS bedeutet das Sitzenbleiben den Verlust eines Jahres, welcher Benachteiligungen auf verschiedenen Ebenen nach sich ziehen kann. Diese negativen Auswirkungen müssen nach Bellenberg und Meyer-Lauber gerade im Hinblick auf die geringen positiven Effekte, die durch die Klassenwiederholung zu erwarten sind, kritisch in Betracht gezogen werden (Bellenberg/Meyer-Lauber, 2007, S.10). Auf längere Sicht zeigen die Ergebnisse von Bellenberg und Meyer-Lauber aus 2007, dass auch für die zurückbleibende Klasse keine Vorteile durch die Nichtversetzung der leistungsschwachen SuS zu erwarten sind (S.10).
In einzelnen Fällen scheine die Klassenwiederholung hingegen wirksam und sinnvoll zu sein. Nach z.B. einer längeren Krankheit oder zeitweiligen Problemen im Elternhaus kann ein wiederholtes Schuljahr Stress abbauen und eine Wiederaufnahme des Bildungsweges ermöglichen (Bellenberg/Meyer-Lauber, 2007, S.9).
Eine, weitere für dieses Forschungsvorhaben interessante, Studie im Auftrag der VodafoneStiftung aus dem Jahr 2013 beschäftigte sich u.a. mit der Einstellung von Lehrpersonen zum Sitzenbleiben. Da unsere Interviewstudie sich ebenfalls an Lehrkräfte wendet, könnten die Ergebnisse der Allensbach-Studie zu den Lehrereinstellungen interessant sein. Die Studie besagt, dass 55% der LehrerInnen sich für die Methode des Sitzenbleibens leistungsschwacher SuS aussprechen (Institut für Demoskopie Allensbach, 2013, S.39). Sie begründen ihre Einschätzungen dabei vermehrt damit, dass durch die Klassenwiederholung Stoff wiederholt und Defizite abgebaut werden könnten. Außerdem würde einer Überforderung aus dem Weg gegangen und das Selbstwertgefühl der SuS wieder verbessert werden. Die Nichtversetzung biete den SuS einen Neustart an. Einige (7%) der LehrerInnen hielten es für sinnvoll, dass die SuS durch das Sitzenbleiben die Konsequenzen ihres schulischen Nachlasses spüren sollen (Institut für Demoskopie Allensbach, 2013, S.40). Für eine Versetzung trotz schwacher Leistungen sprechen aus Lehrersicht der Verbleib im Klassenverband, die Vermeidung großer Altersunterschiede innerhalb einer Lerngruppe, die nur in einigen Fächern bestehende Leistungsschwäche und die Schonung des Selbstwertgefühls der SuS. Außerdem bringen die Lehrer das Argument, dass die Klassenwiederholung die schulischen Leistungen nur selten auf Dauer verbessern könne (Institut für Demoskopie Allensbach, 2013, S.40).
Soviel um den allgemeinen Forschungsstand zum Thema Klassenwiederholung kurz zu skizzieren. Die meisten Studienergebnisse stehen dem Sitzenbleiben negativ oder zumindest sehr kritisch gegenüber. Im direkten Bereich unseres Forschungsvorhabens, also den Auswirkungen von wiederholenden SuS auf die neue Zielklasse, lassen sich keine Studien auffinden.
4. Forschungsvorhaben und Forschungsfrage
Wie bereits angeklungen, haben wir uns das Ziel gesetzt, die Klassenwiederholung aus einer anderen Perspektive zu untersuchen, die in den bisherigen Studien nicht beachtet wurde. Aufmerksam wurden wir auf das Thema durch die florierende Debatte um das Sitzenbleiben, spätestens seitdem die rotgrüne Koalition 2013 in ihrem Koalitionsvertrag versprach, dass Sitzenbleiben durch „individuelle Förderung“ überflüssig gemacht und endgültig abgeschafft werden solle (Spiegel online, 2013).
Argumentiert wird jedoch immer nur mit den negativen Wirkungen auf die vom Sitzenbleiben betroffenen SuS oder den finanziellen Konsequenzen für den Staat.
Argumente für oder gegen das Sitzenbleiben aus der Perspektive der neuen Zielklasse werden nicht gebracht. Sind die Auswirkungen vielleicht zu gering oder wenig aussagekräftig, um mit ihnen argumentieren zu können? Im Hinblick auf unsere eigene Schulzeit konnten wir uns noch gut daran erinnern, wie es sich anfühlte, wenn nach den Sommerferien ein/e KlassenwiederholerIn aus dem Jahrgang plötzlich neu in die Klasse kam. Subjektiv schätzen wir die Auswirkungen der neuen Schüler, der Wiederholer, auf das Klassenklima und die Leistungen der neuen Klasse als nicht zu vernachlässigen ein. Wir konnten uns an neue Grüppchenbildungen erinnern oder gar daran, dass von den älteren SitzenbleiberInnen neue, nicht immer positive, Einflüsse auf die jüngere Zielklasse ausgelöst wurden. Um den Sachverhalt objektiver einzuschätzen, entwickelten wir eine qualitative Interviewstudie zur Forschungsfrage:
„Welchen Einfluss haben nichtversetzte Schülerinnen und Schüler auf das Klassenklima und die Leistungen der neuen Lerngruppe aus Sicht einer Lehrkraft?“
Die Einflüsse sollen hierbei sowohl in sozio-emotionaler (1), als auch in leistungsbezogener Perspektive (2) untersucht werden. Unter (1) sollen vor allem das Klassenklima, soziale Beziehungen und die Integration der neuen SuS untersucht werden. Unter Punkt (2) sollen beobachtbare Veränderungen im Leistungsbereich thematisiert werden. Hierzu gehört auch die Entwicklung des Lern- und Arbeitsverhaltens in der neuen Zielklasse. Wie aus der Forschungsfrage ersichtlich, sollen die Untersuchungen an erfahrenen Lehrkräften durchgeführt werden, da wir uns von dieser Populationsgruppe besonders umfassende Erfahrungen mit diesem Themengebiet erhoffen. Die Entwicklung des Forschungsinstruments orientiert sich an Cornelia Helfferichs „Die Qualität qualitativer Daten: Manual für die Durchführung qualitativer Interviews“ aus dem Jahr 2011.
5. Methodisches Vorgehen
Als Methode dieses Forschungsvorhabens wird eine qualitative Interviewstudie gewählt. Qualitative, leitfadengestützte Interviews sind eine weit verbreitete und methodologisch vergleichsweise gute Methode, um qualitative Daten zu erhalten (Helfferich, 2014, S.559). Ein solch offener, explorativer Ansatz ist gerade deshalb sinnvoll, weil es noch keine überprüfbaren Hypothesen oder Erkenntnisse in diesem Forschungsbereich gibt. Es geht darum, die Einstellungen und subjektiven Beobachtungen von Lehrkräften zu erkunden und zu verstehen. Zu diesem Zweck sind eine große Offenheit und eine möglichst hohe Flexibilität der Studie unabdingbar. Die Probanden müssen sowohl gezielt nach Erfahrungen in bestimmten Bereichen gefragt werden, als auch muss gleichzeitig eine hohe Flexibilität gewährleistet sein, um die Äußerungen der Interviewten verstehen zu können und um an interessanten Gesprächspunkten weiter nachhaken zu können. Die Interviewfragen müssen sich gewissermaßen an den Erzählfluss des Interviewten anschmiegen, damit eine möglichst realitätsnahe Kommunikationssituation entsteht, in der die Interviewten ihre subjektivempfundene Wirklichkeit bzw. Wahrnehmung bestimmter Sachverhalte zum Zeitpunkt des Interviews preisgeben können (Helfferich, 2014, S.561).
Das Prinzip der Offenheit ist ein grundlegendes Element qualitativer Interviewforschung. An die Forschenden wird die Herausforderung gestellt, möglichst wenig vorzugeben und nicht auf einer Haltung, die durch den Befragten bestätigt werden soll, zu beharren. Bei der Datenerhebung soll die fremde Sichtweise und Wirklichkeit der befragten Person erforscht werden. Die eigenen Normalitätsvorstellungen sollten deshalb möglichst aus dem Gespräch verdrängt werden. Das Prinzip der Offenheit soll den Befragten die Möglichkeit bieten, ihre eigenen Schwerpunkte zu setzen und, was ihnen selbst als wichtig erscheint, mit ihren eigenen Worten auszusprechen, da es bei der qualitativen Forschung um die Rekonstruktion von subjektiven Sichtweisen geht (Helfferich, 2014, S.562).
Die Befragten sollen jedoch bereits vor dem Interview mit dem Forschungsvorhaben und dem Forschungsinteresse vertraut gemacht werden, um ihnen deutlich zu machen, welcher Bereich ihrer eigenen Wahrnehmung für die Forschung relevant ist. Dies unterstützen auch die Fragen und Erzählaufforderungen während des Interviews, die im Leitfaden festgelegt werden. Es besteht jedoch die Freiheit, dass die Befragten diese Richtlinien ablehnen können. Erfahrungsgemäß versuchen sie aber, den durch das Forschungsinteresse vorgegebenen Rahmen auszufüllen (Helfferich, 2014, S.563).
5.1 Vorstellung des Interviewleitfadens
In diesem Kapitel soll kurz der Prozess der Datenerhebung beschrieben werden. Die Formulierung eines verbindlichen Leitfadens, der jedem Interview zugrunde gelegt wird, ermöglicht eine Vergleichbarkeit der Interviews und Ergebnisse im Anschluss. Der Leitfaden soll aufgrund der eben vorgestellten Prinzipien so offen wie möglich, aber so strukturiert wie nötig gehalten werden (Helfferich, 2014, S.560) und wurde im Vorfeld der Durchführung schriftlich erstellt. Er unterteilt die obliegende Forschungsfrage in Teilfragen, bzw. Teilbereiche.
Der Leitfaden kombiniert offene Fragen am Eingang jedes Teilbereiches und Erzählaufforderungen im Verlauf der Teilbereiche mit dem Ziel, einen Erzählfluss herzustellen und aufrecht zu erhalten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dieser Interviewleitfaden wurde nach dem Vorbild in Helfferichs „Manual für die Durchführung qualitativer Interviews“ erstellt (Helfferich, 2011, S.186f.). Die Fragen gehen von den Recherchen und theoretischen Vorüberlegungen zum Thema aus (Kap. 4) und werden zu den für unser Forschungsinteresse inhaltlich relevanten Aspekten formuliert. Die Fragen sind offen formuliert, um den Interviewten die Möglichkeit eigener Darstellungen zu bieten. Zudem erlaubt der Leitfaden einen sehr flexiblen Einsatz und eine Veränderung der Reihenfolge der Teilbereiche, angepasst an den tatsächlichen Gesprächsverlauf. Durch eine kurze Befragung unserer Eltern und Bekannten wurde der Leitfaden evaluiert und unverständliche Stellen wurden geglättet.
Der Interview-Leitfaden ist in vier verschiedene Teilbereiche aufgeteilt: Das Klassenklima, die Integration, die Leistungsentwicklung und die Veränderungen beim Sitzenbleiber selbst. Im ersten Teilbereich des Interviews soll erhoben werden, welche Auswirkungen von SitzenbleiberInnen die befragten Lehrkräfte auf das Klassenklima der Lerngruppe beobachten konnten. Hierbei sollen Wahrnehmungen im Hinblick auf das Störverhalten und die Lern- und Arbeitsatmosphäre in den Klassen erfragt werden. Im zweiten Teilbereich werden die Lehrkräfte dazu aufgefordert, von der Integration der neuen SuS zu berichten. Anmerkungen zum zeitlichen Ablauf, dem Ausgang von Bemühungen und typischen Mustern dieses Vorgangs werden hier besonders erwartet und sollen durch konkrete, offene Fragen gezielt erforscht werden. Im dritten Teil geht es um die schulischen Leistungen. Die Leistungsveränderungen sollen in ihrem Umfang, ihrer Art und Dauer beschrieben und ihre Ursachen verortet werden. Auch das Vorgehen der Lehrkraft im Umgang mit diesen kann eine Rolle spielen. Im letzten Bereich, den Veränderungen bei den wiederholenden SuS, soll die Wirkung der Maßnahme auf die Leistungen und das sozio-emotionale Verhalten überprüft werden, um herauszufinden, ob diese mit den Veränderungen an der neuen Lerngruppe korrelieren. Im Prinzip wurden inhaltlich die Forschungsfragen, die andere Studien am Sitzenbleiber oder an der Ausgangsklasse untersuchen, in unserer Studie auf die neue Zielklasse bezogen.
Die erwarteten Inhalte differenzieren hierbei immer das Erkennen von typischen Mustern durch die Befragten und das Erkennen von einer Vielfalt verschiedener Phänomene.
Erkennbare Muster sollen möglichst detailliert beschrieben werden, bei vielfältigen Beobachtungen wird das Erbringen spezifischer Beispiele erbeten.
5.2 Beschreibung der Durchführung
Zur Durchführung unserer leitfadengestützten Interviewstudie wählten wir als Zielgruppe erfahrene Lehrkräfte der Sekundarstufe 1 an allgemeinbildenden Schulen aus, weil wir uns erhofften, dass diese bereits häufiger von der Aufnahme eines wiederholenden Kindes in ihren Klassen betroffen waren und somit fundierte Einschätzungen zu dessen Auswirkungen geben können. Die Stichprobe umfasst 4 Lehrerinnen und 2 Lehrer, 2 davon im Realschulbereich tätig und 4 Gymnasiallehrer. Die Umfragen wurden in Freistunden in der Schule durchgeführt. Ein Interview mit einer bereits pensionierten Lehrkraft fand im privaten Rahmen statt. Die Aufnahmen wurden mit dem Handy gemacht und umfassen jeweils ca. 7-20 Minuten lange Sprachaufzeichnungen. Zu Beginn teilten wir den Probanden den institutionellen Rahmen der Erhebung und unser Forschungsinteresse und -vorhaben mit. Die Probanden wurden um ihr Einverständnis für den Audiomitschnitt gebeten und über die Löschung ihrer Daten nach Beendigung der Studie informiert. Für das Interview setzten wir keine Zeitlimits, sondern ließen die Probanden möglichst frei und viel berichten.
5.3 Transkription der Daten
Die Transkription der Interviews erfolgte zeitnah mithilfe der Transkriptionsregeln aus dem „Praxisbuch Interview, Transkription & Analyse“ von Dresing und Pehl (2015), um die flüchtigen, gesprochenen Daten schriftlich zu fixieren und für eine umfassende Analyse greifbar zu machen. Obwohl sich die gewählte Form des Transkripts eng an der Lautsprache orientiert, können nonverbale Aspekte, wie Gestik, Mimik oder Zeit nur bedingt wiedergegeben werden (Dresing/Paul, 2015, S.17f.). Da es bei der vorliegenden Studie nur um den semantischen Inhalt der Daten geht, kann von einem detaillierten Transkript nach komplexen Regeln abgesehen werden. Das „einfache Transkriptionssystem“, welches bei Dresing und Paul (2015, S.21-23) vorgestellt wird, reicht zur Beantwortung der Forschungsfragen aus.
In dem Transkript wird die interviewende Person mit „I“, die befragte Person mit einem „B“ und einer Nummer zur Unterscheidung abgekürzt (B1, B2, ..., B6). Die Interviews wurden wörtlich transkribiert und, wenn nötig, in die hochdeutsche Standardsprache übersetzt. Die Ausdrücke werden der Schriftsprache angenähert. Wort- und Satzabbrüche sowie Stottern oder Doppelungen werden geglättet. Halbsätze werden mit einem Abbruchzeichen (/) gekennzeichnet. Die Interpunktion wird zugunsten der Lesbarkeit ergänzt und Pausen werden durch (...) markiert. Verständnissignale (mhm, aha, ja, ...) des Interviewers werden nur dann transkribiert, wenn sie eine Antwort ersetzen. Wörter, die im Interview besonders betont wurden, werden in Großschreibung angegeben. Außerdem werden am Ende jedes Sprechabsatzes Zeitmarken eingefügt. Mit (unv.) werden unverständliche Wörter oder Abschnitte gekennzeichnet. Emotionale nonverbale Äußerungen werden in Klammern verschriftet, wenn sie den Inhalt beeinflussen (Dresing/Paul, 2015, S.21-22).
5.4 Verfahren zur Aufbereitung und Auswertung der gewonnenen Daten
Zur Aufbereitung der Daten wird in dieser Forschung die „Qualitative Inhaltsanalyse“ nach Mayring (2010) angewendet. Mithilfe dieses Verfahrens werden die Daten verdichtet und ihrem vorhandenen Inhalt nach strukturiert und induktiv in Kategorien gebündelt. Induktiv bedeutet hierbei, dass die Kategorien in einem Verallgemeinerungsprozess erst aus den gewonnenen Daten abgeleitet werden, ohne sich dabei auf vorher formulierte theoretische Konzepte zu beziehen (Mayring, 2010, S.83f.). Bei der Analyse der Transkripte werden die passenden Stellen, die einen Bezug zur Forschungsfrage aufweisen, markiert und am Rand kommentiert. In der untenstehenden Auswertungstabelle werden die passenden Daten paraphrasiert, generalisiert und reduziert. Durch die Reduktion werden die Daten kategorisiert, wodurch kategoriales Ordnungssystem, in welches die passenden Textstellen nach Kürzung einsortiert werden können. Eine Kategorie umfasst somit alle Textstellen und -passagen, die sich auf das gleiche Thema beziehen und bietet einen guten Überblick über die gewonnenen Daten. Die entstandenen Kategorien werden im Ergebnisteil präsentiert (Mayring, 2010, S.67-71).
Die Auswertungstabelle ist folgendermaßen gegliedert:
In der Spalte „Fall“ wird die Ziffer des Interviews (A-F) eingetragen. Unter „Nummer“ werden die zusammengehörigen Datenabschnitte fortlaufend gezählt. In der Paraphrase wird aus dem Text des Transkripts eine prägnante Aussage paraphrasierend abgeleitet. In der Generalisierung wird diese Aussage weiter zusammengefasst und verallgemeinert. Dopplungen werden herausgestrichen. In der Reduktion wird erneut gekürzt und das Material wird in Kategorien stichpunktartig präsentiert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
6. Darstellung der Ergebniskategorien
Zur zusammenfassenden Darstellung aller Interviewergebnisse wurden die verwertbaren Informationen in Kategorien gegliedert. Diese, bei der Reduktion ausdifferenzierten, Kategorien wurden in einem neuen Word-Dokument aufgelistet und alle Informationen aus den sechs Interviews diesen Kategorien, farblich gekennzeichnet, zugeordnet. Insgesamt konnten 13 Kategorien gebildet werden, denen alle relevanten Informationen aus den qualitativen Studien zugeordnet werden konnten. Die Ergebnisse dieser kategorialen Zusammenschau werden in den folgenden Unterkapiteln verschriftet präsentiert. Unterteilt wurden die Kategorien in sieben inhaltlich korrespondierende Überkapitel: Die Beeinflussung des Klassenklimas (6.1), der Einfluss des Altersunterschieds (6.2), die Integration der neuen SuS (6.3), die Leistungsentwicklung in der Zielklasse (6.4), die Entwicklungen bei den wiederholenden SuS (6.5), zusätzlichen Maßnahmen (6.6) und einer Grundsatzdiskussion über die Methode der Klassenwiederholung (6.7). Diese sieben thematischen Kapitel umfassen die 13 aus den Daten extrahierten Ergebniskategorien. Die Präsentation der Ergebnisse verläuft vom Spezifischen, das heißt unserem expliziten Forschungsinteresse, hin zur allgemeineren Thematik des Sitzenbleibens. Auch die allgemeineren Daten zum Sitzenbleiben sind von Interesse, um diese mit dem in Kapitel 3 präsentierten Forschungsstand abzugleichen und die Reliabilität der Ergebnisse einschätzen zu können. Unter Zuhilfenahme von exemplarischen Zitaten aus den Daten werden die ausgewerteten Ergebnisse im Folgenden zusammenfassend verschriftet.
6.1 Beeinflussung des Klassenklimas
Über die Beeinflussung des Klassenklimas konnten die Probanden keine allgemeingültigen Angaben machen. Die Beeinflussung hänge von den Gründen für die Wiederholung und der Persönlichkeit der/des SchülerIn ab:
Es kommt drauf an, aus welchen Gründen jemand die Klasse wiederholt. Schüler die zum Beispiel viel versäumt haben, durch Krankheit oder lange Fehlzeiten, sind in der Regel als Wiederholer ganz angenehm, denn die wollen das alles nachholen. Auch Schüler, die Probleme im Elternhaus hatten, das heißt Eltern getrennt oder (... ) Eltern krank oder Elternteil gestorben, denen fehlt in dieser Zeit die Konzentration, die bauen meistens in der Schule ab und die sind meist als Wiederholer in der Regel auch ganz angenehme Schüler. (Interview A, Z.6-11)
Die SuS seien also in diesen Fällen selbst motiviert, ihre Lücken aufzufüllen. Wiederholen SuS jedoch aus Unlust oder aufgrund Verhaltensstörungen, würden sie häufig ein großes Problem für die neue Klasse darstellen, wenn sie sich nicht der Klasse anpassten. Wenn der/die SitzenbleiberIn einen mitreißenden Charakter hätte, würde es häufig zu Aufruhr und Animation anderer SuS zum Stören kommen. Dies unterstreicht auch Proband C mit dem Eindruck, dass Sitzengebliebene sich häufig in den Vordergrund drängen würden:
Manche müssen sich profilieren und müssen zeigen wer sie sind, welchen Stellenwert sie in der Klasse haben. Und spielen den Clown. Und machen besonders auf, (.) mh, ja, auf sehr albern oder sonst was. Versuchen (.) immer irgendwie sich in den Vordergrund zu schieben, ohne jetzt den eigentlichen Unterrichtsverlauf, dabei auch zu berücksichtigen. (Interview C, Z.78-81)
Häufig käme es zu einer Anstiftung zu Unfug und Blödsinn im Unterricht, die von WiederholerInnen ausginge, welche im Sozialverhalten schon vor der Wiederholung auffällig waren (Interview F, Z.17-20).
Eine befragte Lehrkraft führte außerdem an, dass ein/e neue/r SchülerIn auch zu positiven Veränderungen im Klassenklima führen könne. Durch neue Freundschaften, Hilfsbereitschaft und Unterstützung könne auch ein positiver Einfluss auf das Klassenklima entstehen (Interview E, Z.21-28). Insgesamt scheint der Einfluss auf das Klassenklima von sehr vielen Faktoren abhängig zu sein und kann nicht verallgemeinernd bestimmt werden.
6.1.1 Faktoren für die Stärke des Einflusses
Einige der Befragten nannten Faktoren, die die Stärke des Einflusses eines/r neuen MitschülerIn bestimmen. Die Stärke des Einflusses hängt von den Schülertypen in der neuen Klasse ab. „Also Schüler, die sowieso lernen wollen, die lernen auch wenn da Störenfriede drin sind“ (Interview A, Z.26-27), so eine befragte Lehrkraft. Beinflussbare und charakterlich schwächere SuS ließen sich jedoch schnell mitziehen, da sie sich immer den vorhandenen Strukturen anpassen würden. Eine Abhängigkeit zeichnet sich auch von der Klassenstruktur der Zielklasse ab. Besonders Homogene Klassen mit einem harmonischen Klima ließen sich nicht beeinflussen, hier habe der/die neue SchülerIn sich anzupassen. Sehr heterogene Klassen mit schwierigen SuS könnten durch eine/n WiederholerIn jedoch stark aufgemischt werden. Ein Proband betont in diesem Zusammenhang, dass hier das regelnde Eingreifen der Lehrkraft unabdingbar sei und das Ausmaß des Einflusses regulieren könne:
(...) und dann gibt’s Probleme. Und da muss dann auch unbedingt der Lehrer oder die Klassenlehrerin dann eingreifen und das verhindern und regulieren. (Interview B, Z.26-27).
Der Einfluss, den ein/e WiederholerIn auf die neue Klasse ausüben kann, hängt demnach nicht nur von seiner/ihrer eigenen Persönlichkeit ab, sondern auch von der bestehenden Klassenstruktur.
6.1.2 Veränderungen im Störverhalten
Speziell zu Veränderungen im Störverhalten äußerten sich 5 von 6 befragten Lehrkräften. Veränderungen im Störverhalten konnten vor allem am Schuljahresbeginn beobachtet werden. Die allgemeine Aufruhe durch viele Veränderungen und die langen Sommerferien kann durch eine zusätzlich Eingliederung neuer SuS verstärkt werden, denn diese/r kann bestehende Ordnungen ins Wanken bringen und müsse sich zumeist erst einmal beweisen. Die Störungen gingen in einigen Fällen aber auch von der Klasse selbst aus:
Man muss sich auch einfach ein bisschen davon distanzieren zu sagen „Immer der böse Sitzenbleiber und Wiederholer und der mischt hier immer den ganzen Laden auf", sondern das können auch ganz gerne mal die anderen sein, die dann ein bisschen sticheln und ihn auch provozieren. (Interview D, Z.131-133)
Diese Störungen seien aber meist von vorübergehender Art. SuS, die aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten wiederholen, würden auch in der neuen Klasse den „Klassenkasper“ geben und könnten zu einem dauerhaften Störfaktor in einer sonst harmonisches Klasse werden (Interview F, Z.11). Dasselbe könne auch passieren, wenn der/die Sitzengebliebene charakterlich nicht in die Klasse passe (Interview B, Z.37-39). In diesen Fällen könne es den Probanden zufolge auch zu längerfristigen Veränderungen des Störverhaltens führen.
6.2 Einfluss des Altersunterschieds
Wenn SuS eine Klasse wiederholen, werden sie meist Teil einer im Durchschnitt um ein Jahr jüngeren Klassengemeinschaft. Bei mehrmaligem Wiederholen kann es bereits zu gravierenden Altersunterschieden kommen, die einen Einfluss auf das Klassenklima haben könnten. Drei der Probanden äußern sich zu diesem Umstand. Allesamt haben Einflüsse des Alters nur vereinzelt beobachten können. Charakterschwache und beeinflussbare SuS ließen sich häufig zum Rauchen oder Alkohol trinken motivieren (Interview A, Z.106-108). In einem Fall wurde auch die Animation zum Rauchen oder Trinken während der Schulzeit beobachtet (Interview B, Z.52-55). Diese Probleme mit Klassenwiederholenden scheinen aber eher vereinzelt aufzutreten.
6.3 Integration der WiederholerInnen
Im nächsten Schritt äußerten sich die Befragten dazu, wie sie die Integration von WiederholerInnen wahrgenommen haben. Im Allgemeinen machten die meisten Probanden eher positive Erfahrungen mit der Integration neuer SuS im Klassenverband. Nur bei „Störenfrieden“ in sehr harmonischen Klassen gäbe es Schwierigkeiten und es käme zu Ausgrenzungen.
Dass jemand ausgestoßen wurde, daran kann ich mich eigentlich nur in Fällen erinnern, wo da so richtige Störenfriede reinkamen, die da echt Rabatz in der Klasse gemacht haben und die Klasse das nicht wollte. (Interview A, Z.44-46)
Vorteile für die Integration ergäben sich, wenn in der Zielklasse bereits zu dem/der WiederholerIn passende Persönlichkeiten vorhanden wären (Interview A, Z.155-157). Der Ablauf der Integration verliefe immer individuell und sei sowohl von den Reaktionen in der Klasse, als auch von dem Verhalten des/der SitzenbleiberIn abhängig.
6.3.1 Ausgang der Integrationsbemühungen
Die Bemühungen zur Integration neuer SuS ginge den Interviews zufolge in den meisten Fällen von der Zielklasse aus. Eine wichtige Rolle spiele drei Probanden zufolge hierbei die Lehrkraft. Sie müsse Vorarbeit leisten und die Klasse auf den/die neuen SchülerIn vorbereiten, indem sie Verständnis und Wohlwollen in der Klasse erzeuge (Interview A, Z.75-89). Lehrer dienten hier als Vermittler zwischen dem/der WiederholerIn und den neuen Mitschülerinnen (Interview F, Z.57-61). Eine befragte Person ist der Meinung, dass die Lehrkraft dazu in der Lage sei, die Integration aktiv voranzutreiben, indem sie gemeinschaftsfördernde Methoden anwende wie z.B. vermehrte Gruppenarbeit in den ersten Wochen (Interview B, Z.32-35).
Wenn Verständnis aufgebaut wurde, bemühten sich viele sozial eingestellte SuS der neuen Klasse um den/die neue SchülerIn. “Ich habe so ein bisschen die Erfahrung gemacht, dass das bei Mädchen immer so ein bisschen einfacher ist“ (Interview D, Z.53-54). Besonders Mädchen seien meist sehr bemüht, erklären zwei der Befragten. Zwei andere Personen hingegen können keine geschlechtsabhängigen Unterschiede feststellen (Interview A, Z.62- 64, Interview E, Z.81-82). Bei der Integration spiele auch das Alter der SuS eine Rolle. „Ja in jüngeren Altersstufen kann es einfacher sein. Weil die unbedarfter darangehen und flexibler sind“ (Interview A, Z.67-68), beschreibt eine befragte Lehrkraft. Dass die Integration problemloser in den jüngeren Jahrgängen abläuft, betonten insgesamt drei der Probanden (Interview A, Z.67-71, Interview D, Z.34-35, Interview E 82-83).
Letztendlich käme auch der Bereitschaft der/des WiederholerIn zur Integration und Anpassung eine wichtige Rolle zu. Eine befragte Lehrkraft betonte, dass eine Integration ohne Bereitschaft des/der neuen SchülerIn unmöglich sei (Interview E, Z.50-56). Probleme und fehlende Bemühungen von Seiten der Klasse gäbe es nur, wenn die/der neue SchülerIn vom Verhalten und Charakter nicht in die homogene Zielklasse hineinpasse und sich auch nicht anpasse (Interview B, Z.39-41).
6.3.2 Dauer der Integration
Angaben zur Dauer des Integrationsprozesses machten 4 von 6 Befragten und gaben einen recht schnellen Verlauf von nur einer bis zu vier Wochen an (Interview A, Z.49-51; Interview F, Z.50-51). Faktoren für eine schnelle Integration seien bereits bekannte SuS oder Freunde in der neuen Klasse und, wie oben bereits erwähnt, ein jüngeres Alter der SuS (Interview D, Z.54-55). In schwierigen Altersphasen, wie z.B. während der Pubertät, könne eine Integration länger andauern (Interview D, Z.55-56).
Verzögert werden kann die Integration außerdem, wenn zeitgleich mehrere neue SuS in eine Klasse kommen, da diese sich meist zunächst gruppieren würden (Interview A, Z.51-53). Auch Verhaltensauffälligkeiten bei wiederholenden SuS würden zu einer längeren Dauer der Integration führen. Laut einer befragten Lehrkraft sei es auch von Bedeutung, inwieweit der/die neue SchülerIn in die neue Klasse passe. Bei einer guten Passung würden weniger zeitaufwendige Anpassungsprozesse ablaufen müssen (Interview B, Z.38-39).
6.4 Leitungsentwicklung in der Zielklasse
Ein weiteres Interessengebiet der Befragung war die Entwicklung der Leistungen in der Zielklasse. 5 von 6 befragten Lehrkräften konnten im Allgemeinen keine gravierenden Leistungsentwicklungen beobachten, die auf eine/n WiederholerIn in der der Klasse zurückzuführen waren. Zu Beginn eines Schuljahres seien zwar häufig Veränderungen des Lernklimas und der Leistungen zu erkennen, diese ließen sich aber eher auf die allgemeine Unruhe am Schuljahresbeginn, bedingt z.B. durch neue Lehrkräfte, Fächer und die langen Sommerferien, zurückführen. Neue SuS können diese leistungsmindernde Aufregung zwar verstärken, diese Effekte seien aber nur vorübergehender Art und lägen sich nach einigen Wochen:
Wenn ich an die Lern-und Arbeitsatmosphäre denke, dann ist es schon oft so, dass sobald ein neuer Schüler zu Beginn eines Schuljahres in eine neue Klasse kommt, dass es erstmal zu einem, ich möchte das nicht pauschalisieren, aber es kommt oftmals zu einem erhöhten Störverhalten. Einfach gar nicht mal nur von Seiten des Sitzenbleibenden, sondern einfach von Seiten der Klasse. Es ist einfach aufregend.
Jemand neues ist jetzt hier in der Klasse. (Interview D, Z.20-25)
Vorübergehende oder sogar anhaltende Leistungsabfälle in der Klasse könnten dann auftreten, wenn die Lehrkraft ihren Fokus ausschließlich auf neue, schwierige SuS lege (Interview D, Z.84-86). Nur vereinzelt können bei vorher unauffälligen SuS anhaltende Leistungsabfälle beobachtet werden, sofern sie sich von unmotivierten oder verhaltensauffälligen SitzenbleiberInnen mitziehen ließen:
Es könnte (...) daran liegen, dass die neuen, also die die Sitzenbleiben, andere mit sich ziehen und beim Lernen behindern. (Interview A, Z.95-96)
Eine interviewte Lehrkraft berichtete sogar von vereinzelten positiven Auswirkungen wiederholender SuS auf die Zielklasse. Einige SuS würden dem Wissensvorsprung der Wiederholenden, der in einigen Fächern bestehe, nacheifern (Interview F, Z.72-75).
6.5 Entwicklungen bei den Wiederholerinnen
In den Interviews wurde, als Exkurs, auch ein kurzer Blick auf die Entwicklungen bei den WiederholerInnen selbst geworfen, die im Folgenden nur kurz zusammengefasst werden sollen, da sie das Forschungsinteresse nur indirekt bedienen und eher als Ausblick auf den oben präsentierten Forschungsstand dienen.
6.5.1 Leistungstechnische Veränderungen
Zu den Leistungsentwicklungen äußerten sich 5 von 6 befragten Lehrkräften. Konsens ist, dass die Entwicklung der Leistungen von vielen Faktoren abhängig ist, und nicht allgemeingültig bestimmt werden kann. Die Leistungsentwicklung hänge von den Gründen der Wiederholung ab. Wiederhole ein Schüler oder eine Schülerin aufgrund gesundheitlicher oder familiärer Probleme, sei die Motivation, den verpassten Stoff nachzuholen meist sehr hoch und es seien Leistungsverbesserungen zu erwarten. Wiederhole ein Schüler oder eine Schülerin jedoch aufgrund von Lernproblemen, Unlust oder Verhaltensstörungen, seien keine merklichen Verbesserungen zu erwarten, da die Ursachen bestehen bleiben würden und die Motivation meist sogar noch weiter abfallen würde:
Die anderen Schüler, die schwierig sind oder keinen Bock haben, die verbessern sich in der Regel nicht, wenn nicht gleichzeitig welche Maßnahmen ergriffen werden von der Schule oder von zuhause, auf die Persönlichkeit des schwierigen Schülers irgendwie Einfluss zu nehmen. (Interview A, Z.114-117)
Ohne zusätzliche Maßnahmen würde die Klassenwiederholung bei unmotivierten oder verhaltensgestörten SuS demnach keinen Sinn machen. Ein Proband betont, dass gerade bei WiederholerInnen eine zusätzliche, bzw. eine besonders starke Motivation durch die Lehrkraft erfolgen müsse, um Erfolge zu erzielen (Interview E, Z.123-126). Eine
Leistungsverbesserung könne ebenfalls eintreten, wenn der/die Schülerin sich in der neuen Klasse wohler fühle und der Leistungsdruck nachließe.
(...) weil eben das Jahr ja eine Wiederholung für ihn darstellt und er endlich merkt:
Ah ja, ich kann auch gute Leistungen erbringen und hänge nicht immer hintendran und das wirkt sich natürlich sehr motivierend aus. (Interview F, Z.82-85)
Die Erkenntnis, dass auch der/die Wiederholerin gute Leistungen erzielen kann und nicht immer das leistungstechnische Schlusslicht der Klasse darstellt, könnte Frust abbauen und das Selbstkonzept stärken (Interview C, Z.166-172, Interview F, Z.82-85).
Zusammenfassend kann ausgewertet werden, dass eine Klassenwiederholung immer dann erfolgreich verlaufen kann, wenn die SuS ihre neue Chance ernstnehmen und selbst motiviert sind, sich zu verbessern:
Die nehmen ihre neue Chance dann ernst und sind ja auch selbst motiviert, es diesmal zu schaffen. Auch die Abnahme des Zeitdrucks, die haben ja dann ein Jahr länger Zeit, kann Wunder bewirken. (Interview B, Z.60-63)
6.5.2 Sozio-emotionale Einflüsse
Drei Probanden äußern sich auch zu den sozio-emotionalen Einflüssen des Sitzenbleibens auf die betroffenen SuS. Viele SuS äußern Angst vor der neuen Klasse, denn nichtintegriert oder sogar ausgeschlossen zu werden stelle eine psychisch äußerst belastende Situation dar (Interview C, Z.29-31, Interview B, Z.40-42). Häufig fehle ihnen die Motivation für die Wiederholung des Schuljahres, denn eine Klassenwiederholung könne als Niederlage empfunden werden und dadurch zusätzlich demotivierend wirken (Interview B, Z.67-69).
Auch die Abnahme des Leistungsniveaus, bzw. des zeitlichen Drucks, könne sehr positive Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden wiederholender SuS haben:
Und auch, dass es nicht mehr so schwer ist, weil es ja eben Wiederholung ist zum Teil. Das kann auch psychischen Druck von den Schülern nehmen und das bringt dann meist auch Erfolge. (Interview B, Z.63-65)
6.5.3 Erreichung eines Schulabschlusses
Ob eine Erreichung des Schulabschlusses durch eine oder mehrere Klassenwiederholungen in Gefahr ist, beurteilen zwei der sechs Befragten. Eine Lehrkraft hat beobachtet, dass bei ausreichender Motivation und einmaligem Sitzenbleiben der Schulabschluss nicht gefährdet ist:
Oft ist es so, dass Schüler, die wieder psychisch Fuß gehabt haben, die durch Krankheiten etc. aus der Bahn geworfen wurden, sich durch mehr Zeit sogar verbessern können. Weil die dann merken, Mensch mir fehlte das ja und die wollen sich ja auch verbessern. Da bringt es meist eine ganze Menge und bringt in manchen Fächern auch 1-2 Noten Verbesserung. (Interview A, Z.130-133)
Tritt die Lernbereitschaft und Motivation bei einer Klassenwiederholung jedoch nicht ein, sollte über einen Schulformwechsel nachgedacht werden, da ein Abschluss nicht mehr sicher sei (Interview B, Z.83-84). Eine andere Person betonte, dass mehrmaliges Sitzenbleiben den Schulabschluss deutlich gefährden würde und mehrfach sitzengebliebene SuS die Schule häufig ohne Abschluss verließen:
Also ich habe auch Schüler gehabt, die das dritte Mal sitzenbleiben sollten und dann von der Schule gegangen sind, die aus der 8. Klasse entlassen wurden, die einfach keine Lust hatten und die Eltern auch nicht dahintergestanden haben. Den Eltern war das irgendwann auch egal: Dann halt ohne Abschluss. Irgendwas gibt es schon an Arbeit und wenn nicht, zahlt ja der Staat. (Interview A, Z.136-139)
Die Lehrkraft empfiehlt in solchen Fällen eine frühzeitige Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt. Eine andere Lehrkraft berichtet von einem Schüler, der zum zweiten Mal die achte Klasse wiederholen sollte, dann aber dank guter praktischer Arbeit eine Ausbildung in seinem Praktikumsbetrieb beginnen konnte. Dies sei in einigen Fällen die bessere Lösung und ein anderer Weg zur Erreichung eines Abschlusses (Interview C, Z.127-135).
6.6 Zusätzlich zu ergreifende Maßnahmen
Diese Erkenntnisse leiten nahtlos zur nächsten Ergebniskategorie über. Es ging in den Interviews auch darum, was von außen beigetragen werden muss, damit eine Klassenwiederholung für alle Beteiligten erfolgreich verlaufen kann. Drei Befragte sprachen über mögliche Maßnahmen, um parallel an der Persönlichkeit und den Verhaltensstörungen der Wiederholenden zu arbeiten. Sowohl der Einbezug eines Vertrauenslehrers oder Sozialarbeiters, als auch die Kooperation mit einem Schulpsychologen wurden als mögliche Förderungen genannt (Interview A, Z.119-122). Zwei Lehrkräfte betonten die Wichtigkeit der engen Zusammenarbeit mit den Eltern der nichtversetzten SuS (Interview C, Z.115-116, Interview A, Z.124-127).
Ja und dass man auch das Elternhaus mit ins Boot nimmt, denn in schwierigen Fällen ist ja das Elternhaus auch meist sehr schwierig, aber wenn man da den Kontakt aufnimmt und das Jugendamt oder einen Sozialarbeiter mitreinholt, geht es eigentlich in vielen Fällen ganz gut, sodass auch die Familie auf das Kind mit einwirken kann. (Interview A, Z.124-127)
Gerade bei lernschwachen und unmotivierten SuS müssten weitere Fördermaßnahmen neben der Wiederholung eingeleitet werden, damit an den Ursachen für die
Leistungsschwäche gearbeitet würde (Interview B, Z.74-79): „Also die Ursachen müssen ja erst behoben sein, sonst bringt eine einfache Wiederholung nichts.“ (Interview B, Z.78-79).
6.7 Sitzenbleiben oder Schulformwechsel
Die meisten Interviews enthielten in Ansätzen eine Grundsatzdiskussion über die Nützlichkeit einer Klassenwiederholung. Der Konsens der befragten Lehrkräfte, die sich hierzu äußerten, ist, dass eine Klassenwiederholung sinnvoll ist, wenn Motivation und Lernbereitschaft vorhanden sind und der Leistungsabfall vorübergehenden Umständen wie familiären oder gesundheitlichen Problemen oder einer kurzzeitigen Demotivation geschuldet war:
Schüler, die wieder psychisch Fuß gehabt haben, die durch Krankheiten etc. aus der Bahn geworfen wurden, können sich durch mehr Zeit sogar verbessern. Weil die dann merken, Mensch mir fehlte das ja und die wollen sich ja auch verbessern. Da bringt es meist eine ganze Menge (...). (Interview A, Z.130-133)
Reicht der Intellekt eines Schülers/ einer Schülerin zum Bestehen der Klasse nicht aus oder gab es bereits eine misslungene Klassenwiederholung, sollte über einen Schulformwechsel nachgedacht werden:
„Wenn die Wiederholung nichts gebracht hat, finde ich eine andere Schulform besser.
Das ist sonst sehr frustrierend für die Schüler. Man ist vielleicht auch ganz fleißig und kommt einfach nicht weiter. Wie schrecklich ist es, wenn man jeden Tag an seine Grenzen kommt.“ (Interview A, Z.145-147)
Es muss also immer abhängig von der Situation entschieden werden, welche Form des Umgangs mit Leistungsschwäche gewählt werden sollte. Bei funktionierender Motivation und zusätzlich ergriffenen Maßnahmen, kann eine Klassenwiederholung viel bewirken. Bei anhaltender Demotivation oder Lernschwäche sollte jedoch eher über einen Schulformwechsel statt mehrmaliger, frustrierender Wiederholungen nachgedacht werden.
7. Diskussion und Interpretation der Ergebnisse
Die Ergebnisse der Datenauswertung zeigen, dass die Forschungsfrage „Welchen Einfluss haben nichtversetzte Schülerinnen und Schüler auf das Klassenklima und die Leistungen der neuen Lerngruppe aus Sicht einer Lehrkraft?“ nicht allgemeingültig beantwortet werden kann. Die Erfahrungen der befragten Lehrkräfte sind mitunter sehr verschieden und hängen von vielen verschiedenen Faktoren und Bedingungen ab. Der Einfluss sitzengebliebener SuS auf die neue Lerngruppe ist in vielen Fällen kaum wahrnehmbar, in anderen Fällen kann ein/e WiederholerIn das Klassenklima umfassend verändern. Deutlich wurde, dass
Klassenwiederholungen aufgrund von Krankheiten, Fehlzeiten oder kurzfristigen privaten Problemen meist problemlos verlaufen und für die neue Lerngruppe keine negativen Einflüsse mit sich bringen. Wiederholen SuS jedoch aufgrund von anhaltender Motivationslosigkeit oder aufgrund von Verhaltensstörungen können diese SuS ein großes Problem für die Zielklasse darstellen und ein zuvor unauffälliges, harmonisches Miteinander gefährden. Weiterhin hängt die Beeinflussung auch von der Klassenstruktur ab: Sehr homogene, harmonische Klassen lassen sich seltener aus dem Konzept bringen als Klassen, die schon zuvor eher heterogener und disharmonischer Art waren.
Eng mit dem Klassenklima hängen die Lernleistungen der Klasse zusammen. Hier konnten die Lehrkräfte kaum längerfristige Veränderungen feststellen, die mit dem/der SitzenbleiberIn in Verbindung gebracht werden können. Vorübergehende Leistungseinbußen treten vermehrt am Schuljahresbeginn auf, da die SuS sich nach den langen Ferien erst wieder einfinden müssen und neue SuS in der Klasse dann eine zusätzliche aufregende Neuheit darstellen.
Bei der Integration von neuen SuS konnten die befragten Lehrkräfte größtenteils positive Erfahrungen sammeln. Wenn Bereitschaft zur Integration von beiden Seiten aus besteht, läuft die Integration meist sehr schnell und problemlos ab. Erleichtert wird diese durch die Vorarbeit und Unterstützung der Klassenlehrkräfte und durch bereits bekannte SuS in der Zielklasse. Schwierigkeiten treten auf, wenn ein/e SitzenbleiberIn charakterlich nicht in die Klassenstruktur hineinpasst und die Anpassung an diese verweigert.
Die befragten Lehrkräfte sehen die Maßnahme der Wiederholung deutlich kritisch und die Ergebnisse der Interviews knüpfen damit an den in Kapitel 3 dargelegten Forschungsstand an. Die dargestellten Studien kamen mehrheitlich zu dem Ergebnis, dass die Klassenwiederholung eine enorme Belastung für die betroffenen SuS darstellt, in den meisten Fällen zu keiner konsequenten Leistungsverbesserung führt und zudem eine große finanzielle Belastung für den Staat darstellt. Die WiederholerInnen können, den in Kap.3 präsentierten Studienergebnissen zufolge, auch nach einem Jahr nicht an die kognitive Entwicklung und die Leistungen der versetzten SuS anschließen. Auch unter sozialen und emotionalen Vergleichspunkten schnitten nichtversetzte SuS im Vergleich zu knapp versetzten SuS schlechter ab.
[...]
[1] Schülerinnen und Schüler werden im Folgenden wertfrei als SuS abgekürzt.
- Citation du texte
- Anke Herten (Auteur), 2017, Einfluss der Klassenwiederholung auf Klassenklima und Leistung in der neuen Lerngruppe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/382574
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