Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Diglossie
2.1 Fergusons Ansatz 1959;[2006]
2.2 Fishmans Ansatz 1967;[2006]
3. Sprachsituation in Kanada
3.1 Ontario und seine frankophone Gesellschaft
3.2 Quebec und seine anglophone Gesellschaft
4. Diskussion
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Funktionen von H und L
Abbildung 2: Die Relation zwischen Bilingualismus und Diglossie
Abbildung 3: Verteilung nach Muttersprache im Verhältnis zu Kanada
Abbildung 4: Die zu Hause am häufigsten gesprochene Sprache – Englisch in Quebec im Vergleich zu Französisch in Ontario
Abbildung 5: Prozentuale Nutzung der Medien – Ontario und Quebec
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Population nach Muttersprache, Ontario
Tabelle 2: Bilinguale Bevölkerung, Ontario 2011
Tabelle 3: Geburtsort frankophoner Kanadier, Ontario 2006
Tabelle 4: Die zu Hause am häufigsten gesprochene Sprache, Ontario 2006
Tabelle 5: Prozentuale Nutzung der Medien durch Frankokanadier, Ontario 2006
Tabelle 6: Population nach Muttersprache, Quebec
Tabelle 7: Bilinguale Bevölkerung, Quebec 2011
Tabelle 8: Geburtsort anglophoner Kanadier, Quebec 2006
Tabelle 9: Die zu Hause am häufigsten gesprochene Sprache, Quebec 2006
Tabelle 10: Prozentuale Nutzung der Medien durch Anglokanadier, Quebec 2006
1. Einleitung
In dieser Arbeit liegt der Fokus auf dem Phänomen einer Diglossie in Verbindung mit parallel auftretendem Bilingualismus. Diese linguistischen Charakterzüge sollen am Beispiel Kanadas genauer untersucht werden. Im Speziellen werden die Provinzen Ontario und Quebec betrachtet, indem der frankophone Status in Ontario sowie der anglophone Status in Quebec erörtert werden. Im Mittelpunkt stehen einerseits wichtige Kennzahlen, wie Sprecherzahlen oder Geburtenraten sowie die Familiensprache, sprich die verwendete Sprache zu Hause. Andererseits wird mithilfe von traditionellen Medien versucht, die funktionalen Differenzierungen der Sprachen beider Provinzen und die damit verbundene Beziehung von Diglossie und Bilingualismus ausfindig zu machen. Die Konzentration liegt hier auf Medien, wie Zeitung, Radio und Fernsehen.
Zunächst muss der Begriff Diglossie umfassend behandelt werden. Hierfür wird die Theorie von Charles A. Ferguson herangezogen, der erstmals den Begriff Diglossie 1959 zu definieren versuchte.
Die Definition von Bilingualismus ist kein gesonderter Punkt dieser Arbeit. Fortan wird der Terminus basierend auf dem primären Datenlieferanten, Statistics Canada, wie folgt verwendet: “Bilingualism refers to English-French bilingualism, defined as the ability to conduct a conversation in Canada’s two official languages” (Statistics Canada, 2013).
Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, wie diese beiden Phänomene zueinander im Verhältnis stehen. Treten beide Merkmale einer Gesellschaft stets zusammen auf? Setzt gar das eine, das andere voraus? Dies soll mithilfe von Joshua A. Fishman thematisiert werden, der mit seinem Artikel “Bilingualism with and without diglossia; diglossia with and without bilingualism” von 1967;[2006] auf die ersten Ansätze Fergusons aufbaut.
Der dritte Abschnitt dieser Arbeit befasst sich unmittelbar mit der Sprachsituation in Kanada. Aus soziohistorischer Sicht wird hier ein Einblick in die Ausbreitung, Entwicklung und Integrierung des Englischen und Französischen gegeben. Als nächstes folgt die Untersuchung der frankophonen «Compagnie» in Ontario sowie der anglophonen “Community” in Quebec. Für diese Gegenüberstellung werden Daten und Fakten aus dem Census behandelt sowie analysiert und daneben konventionelle Nachrichten- beziehungsweise Informationsträger herangezogen. Darüber hinaus wird dem Aspekt der Familiensprache eine wesentliche Gewichtung, zum Zwecke des kontrastiven Vergleichs, zugestanden. Letztere zwei Domänen (Medien- und Familiensprache) sind ein wichtiges Indiz für die Beurteilung einer Diglossiesituation (Vgl. Abbildung 1).
Schließlich gibt es eine Eingliederung der Fallbeispiele in die Theorie, welche zugleich die vorherigen Analysen beider Provinzen zusammenfassend und kontrastiv darstellt, um final eine mögliche Diglossiesituation in den Provinzen aufdecken und ein Fazit formulieren zu können.
2. Diglossie
2.1 Fergusons Ansatz 1959;[2006]
In seinem gleichnamigen Aufsatz definiert Ferguson “Diglossia” als eine Standardisierung der Existenz zweier Varietäten einer Sprache in einer Sprechergemeinschaft, in der jede seine eigene, bestimmte Rolle hat (Ferguson 2006: 33). Eine wichtige Eigenschaft der Diglossie ist ihre Stabilität sowie das relativ ausgeglichene Verhältnis zwischen diesen beiden Varietäten (Ferguson 2006: 38-39). Zudem ist sie weder auf gewisse geographische Regionen noch auf explizite Sprachfamilien beschränkt (Ferguson 2006: 42).
Er unterscheidet dabei zwischen der sogenannten High-Variety (H) und der Low- Variety (L). Für erstere führt er den Terminus “superposed variety”, für letztere “regional dialects” ein (Ferguson 2006: 34).
Ein wichtiges Merkmal ist hierbei, die Spezialisierung der jeweiligen Funktionen von H und L (Ferguson 2006: 35). Anhand einer anschaulichen Auflistung zeigt Ferguson, dass sich beide Varietäten durch eigene beziehungsweise bestimmte Situationskomplexe kennzeichnen, in der sie gebraucht werden. Zudem betont er, dass sich ihre expliziten Rollen hierbei kaum überschneiden (Ferguson 2006: 35). Abbildung 1 illustriert die Domänen, die charakteristisch einem Sprachgebrauch zugehören. So wird beispielsweise L in Konversationen mit der Familie, Freunden oder Kollegen verwendet, wohingegen H in Zeitungsredaktionen, Berichten und Reportagen sowie bei Bildbeschriftungen zum Einsatz kommt. Die zwei zuletzt aufgeführten Situationen hebt Ferguson hervor und weist darauf hin, dass Poesie, wie auch Volksdichtung, in beiden Varietäten auftaucht. Die eindeutige Zuweisung ist folglich eng verbunden mit dem Prestige eines jenes Sprechers.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Funktionen von H und L (Quelle: Ferguson 2006: 35-36)
Ihre Superiorität ist es, die H schöner, logischer, ausdrucksstärker für wichtige Gedanken und dergleichen, wirken lässt. Bedeutend ist die Tatsache, dass ebenfalls schwächere H Sprecher diesen Glauben sind. Um die Gegebenheiten zu untermauern, holt Ferguson konkrete Beispiele aus seinen Sprachsamples heran (Ferguson 2006: 36).
Betreffend den Erwerb beider Varietäten stellt Ferguson fest, dass Eltern mit ihren Kindern sowie Kinder untereinander die Low-Variante wählen und dies somit vergleichbar mit einem natürlichen Spracherwerbsprozess einer Muttersprache ist (Ferguson 2006: 37). Der Erwerb der H-Sprache hingegen, vollzieht sich hauptsächlich mittels Schulbildung (Ferguson 2006: 37-38).
Der Entstehung von Diglossie ordnet Ferguson drei wesentliche Bedingungen zu: Es muss ein Literaturkorpus bestehen, der fundamentale Werte, wie Kultur, Geschichte oder Politik, widerspiegelt. Des Weiteren ist lediglich eine kleine Elite alphabetisiert. Schließlich weist er darauf hin, dass zwischen den beiden genannten Konditionen viele Jahrhunderte vergehen.
Diglossie scheint ein von der Gesellschaft akzeptiertes Phänomen zu sein, bis zu der Weiterentwicklung von Literatur, Kommunikation sowie das Bestreben, eine vollentwickelte Nationalsprache, die dem Standard entspricht, zu implementieren (Ferguson 2006: 43). Diesem Sachverhalt stellt Ferguson jedoch die langanhaltende Stabilität gegenüber und dämpft solch eine Tendenz mithilfe seiner Sprachbeispiele, die höchst langsame Entwicklungen in Richtung (Sprach-)Vereinheitlichung vollziehen, ein (Ferguson 2006: 44-45).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass neben der Einsatzbarkeit, ebenso das Sprachansehen sowie der Spracherwerb entscheidend für die Klassifizierung einer H und einer L Sprache in einer mehrsprachigen Gesellschaft sind. Zudem ist die Interaktion der Merkmale untereinander maßgeblich.
Die Diglossie im Allgemeinen, bezeichnet einen stabilen Sprachzustand zwischen einer formalen (High-Variety) und einer umgangssprachlichen Varietät (Low-Variety). Erstere ist eine divergierende, hochkodifizierte überlagernde Varietät, die einen Korpus an geschriebener Literatur wieder gibt. Diese geht aus einer früheren Periode oder einer anderen Sprachgemeinschaft hervor. Sie wird überwiegend mittels formaler Erziehung gelernt und dient meist schriftlichen oder formalsprachlichen Zwecken. Jedoch findet sie keinerlei Verwendung in alltäglicher Kommunikation (Ferguson 2006: 42).
Ferguson behauptet also, dass das Sprachenpaar ähnliche Sprachen beziehungsweise eng verwandte Sprachen vertreten muss. Die Sprachwahl innerhalb einer Gesellschaft ist entsprechend der Domänen deterministisch.
2.2 Fishmans Ansatz 1967;[2006]
Wie eingangs aufgeführt, baut Fishman auf den “Fergusonian impact [1] ”, wie er ihn selbst nennt, auf. Zunächst fokussiert Fishman sich auf die Ansätze von Gumperz (1961; 1962; 1964; 1964a; 1966), der ein Hauptmerkmal dieser Sprachsituation in dem Sinne reinterpretiert, dass nicht nur die Koexistenz von verschiedenen, offiziellen Sprachen, sondern auch separater Dialekte, Register oder funktionell differenzierter Sprachvarietäten, eine Diglossie bilden können. Diglossie definiert er durch den Gebrauch verschiedener, separater “Codes” innerhalb einer Gesellschaft, die sich durch ihre stabile Aufrechterhaltung sowie Funktionen in Form eines Sets an „Verhalten, Haltung und Werten“ auszeichnen (Fishman 2006: 47). Des Weiteren sind Letztere laut Fishman “nonconflictual”, also vollkommen als kulturell legitimiert und komplementär zu einander akzeptiert (Fishman 2006: 47).
Fishman untersucht in seinem Aufsatz die Relation zwischen psychologischen und soziologischen Ansätzen hinsichtlich des Phänomens Bilingualismus. Hierfür analysiert er die Interaktion zwischen Bilingualismus (als Vertreter der psychologischen Seite) und Diglossie (als Vertreter der soziologischen Seite) (Fishman 2006: 47).
Abbildung 2 zeigt die verschieden möglichen Beziehungen zwischen individuellem Bilingualismus und sozialer Diglossie. Im weiteren Verlauf wird lediglich explizit auf Quadrant 1 und 2 eingegangen, da die hier untersuchten Sprachräume des Fallbeispiels Kanada offiziell bilingual sind und somit eine Verbindung, wie in Quadrant 3 oder 4 beschrieben, in dieser Arbeit nicht in Frage kommt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Die Relation zwischen Bilingualismus und Diglossie
(Quelle: Fishman 2006: 48)
Um die Bedingungen für ein paralleles Auftreten von Diglossie und Bilingualismus in einer Gesellschaft zu erfüllen, muss es in beiden Sprachen ein Set an unterteilten Rollen beziehungsweise Funktionen geben, auf die die Sprecher gleichermaßen Zugriff haben. Zudem betont Fishman, wie schon Ferguson (1959; 2006), dass diese Sets eine klare Trennung in ihren Funktionen aufweisen müssen; “in terms of when, where and with whom they [die jeweilige Sprache] felt to be appropriate” (Fishman 2006: 49). Dieser Kreislauf, bestehend aus „Auswahl“, „Zugriff“ und „Trennung“ der Rollen, ist ein unabdingbares Merkmal, da sonst separate Sprachen oder Varietäten überflüssig wären oder sich gar verdrängen oder miteinander fusionieren würden (Fishman 2006: 49). Beispiele für Nationen, die sich durch die Merkmale des ersten Quadranten charakterisieren sind Paraguay mit dem Sprachenpaar Spanisch (H) und Guarani (L) (Rubin, 1962; 1968), Hochdeutsch (H) und Schweizerdeutsch (L) in der deutschsprachigen Schweiz sowie die arabische Welt mit dem klassischen Koranisch im Vergleich zu landessprachlichen Varietäten des Arabischen, wie zum Beispiel Ägyptisch, Syrisch, Libanesisch, Irakisch, etc. (Ferguson 1959; Nadar 1962; Blanc 1964). Ebenso gilt das Modell Hebräisch (H) und Jiddisch (L) (Weinreich 1951, 1953, 1962; Fishman 1965d).
Charakterisiert sich eine Gesellschaft nur durch Bilingualismus, ohne Diglossie, so sticht die individuelle Eigenschaft deutlich hervor, denn dann ist von dem personenorientierten Ansatz die Rede. (Während auf gesellschaftlicher Ebene, die sogenannte “linguistic organization at the socio-cultural level”, die Charakteristika einer Diglossie bildet; hier gilt also der deterministischer Ansatz.) (Fishman 2006: 50-51).
Diese Umstände liegen bei einem rapiden sozialen Wandel, gesellschaftlichen Unruhen oder aber bei einem großflächigen Verzicht früherer Normen, ohne neue einzuführen, vor (Fishman 2006: 51).
Einen Prototyp stellt die Industrialisierung der westlichen Welt dar: Es treffen zwei Sprachgemeinschaften mit ihren eigenen Normen und soziokulturellen Kontexten aufeinander. Im Zuge dessen gibt die eine Sprache den Wortschatz der Produktionsmittel wieder, während die andere das Sprachgut der produktiven Arbeitskraft vertritt. Folglich wird auf traditionelle, soziokulturelle Strukturen verzichtet und meist die „Sprache der Industrialisierung“ erlernt. Im Laufe dieses Prozesses verzögert sich jedoch die Eingliederung der gegenüberliegenden soziokulturellen Strukturen, sodass keine Diglossie vorhanden ist (Fishman 2006: 51). Das Verdrängen der präindustriellen Sprache hat zur Folge, dass es keine hinreichende Sprachtrennung gibt und die Untergliederung des linguistischen Repertoires abnimmt. Laut Fishman gerät genau das, was nicht ausreichend getrennt wird, in Kontakt. Dieser gegenseitige Einfluss beider Sprachen vollzieht sich sowohl auf phonetischer und lexikalischer Basis, als auch auf semantischer und grammatikalischer Ebene (Fishman 2006: 51).
Darüber hinaus kann die stärkere Sprache, die schwächere Sprache verdrängen, die ihre komplementären Normen und Werte nicht aufrechterhalten konnte (Fishman 2006: 52).
[...]
[1] Ursprünglich: Fishman, Joshua (1986), The Fergusonian impact : in honor of Charles A. Ferguson on the occasion of his 65th birthday. Mouton de Gruyter, Berlin [u.a.].