Körperlichkeit und Körperbewusstsein in Deutschland im 19. Jahrhundert und die Entstehung des Schulsports


Dossier / Travail de Séminaire, 2015

16 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

PHILANTROPEN, J.C.F. GUTSMUTHS, JAHN UND DIE ERSTEN SCHRITTE ZUM KÖRPERKULT

Leibesübungen in der Geschichte

Die Philanthropen und GutsMuths - erste Schritte zur körperlichen Erziehung als pädagogisches Mittel

Jahn: Körperlichkeit durch Turnen, durch Turnen zur Nationalerziehung

Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei GutsMuths und Jahn

KÖRPERBILDUNG IN DER SCHULE

Der preußische Schulturnerlass

Spieß und das Schulturnen

FAZIT

Einleitung

In der vorliegenden Arbeit soll aufgezeigt werden, wie das Körperbewusstsein in Deutschland im 19. Jahrhundert aufgekommen ist und sich bis zum Schulfach Turnen (Körpererziehung; später Sport) durchgesetzt hat. Als Urheber der Körperkultur in Deutschland gelten Johann Christoph Friedrich GutsMuths und Friedrich Ludwig „Turnvater" Jahn. Das beide großen Einfluss auf die Entwicklung von Sport und somit der Körperkultur hatten ist unbestritten, dass dabei jedoch zwei unterschiedliche Ansätze Grundlage der Ideen waren soll Teil dieser Ausarbeitung sein. Beide waren der Überzeugung, dass ein gesunder und trainierter Körper wichtig sei und daher Körperbildung teil jeder Erziehung und Ausbildung sein müsse (vgl. GutsMuths: Gymnastik für die Jugend ; Jahn: Deutsches Volksthum). GutsMuths, der dabei den Philanthropen zuzuordnen ist, legt sein Hauptaugenmerk auf die Menschenbildung. Wie Reinold (S. 10) darstellt unterschiedet sich diese Herangehensweise von der Jahnschen. Das Individuum und seine Entwicklung spielen beim Turnvater eine untergeordnete Rolle. Er sieht die Körperertüchtigung als Volkserziehung. Seine Art des Körperkults hat eher eine politische Motivation als die GutsMuths'.

Jahn und GutsMuths sind die Ersten die die systematische Leibesertüchtigung in die Erziehung der Jugend implentieren. Sie wissen voneinander, arbeiten aber unabhängig an unterschiedlichen Ansätzen und Zielen. Darüber hinaus vertraten beide die Meinung, dass die Bildung des Körpers mit einer multisportiven Ausbildung zu erfolgen habe. Ertüchtigungen wie Schwimmen oder Laufen, die bis dahin als verpönt galten, seien zwingend notwendig um das Körperideal zu erreichen. Die weitere Implementierung von Körpererziehung in den Lehrplänen durch Spiess u.a. und das Verständnis der Körpererziehung sollen mit einem Vergleich im Laufe der Arbeit betrachtet werden.

Philantropen, J.C.F. GutsMuths, Jahn und die ersten Schritte zum Körperkult

Leibesübungen in der Geschichte

Dass Johann Christoph Friedrich GutsMuths nicht als Begründer des Körperkults an sich bezeichnet werden kann, steht außer Frage. Eine Kultur des Körpers gab es bereits bei den antiken Griechen, Römern und Germanen. Die Darstellung vieler Kriegs- und Sporthelden der Olympischen Spiele (Oberkörperfrei und die Betonung der männlichen Kraft) ist die Regel und darf getrost als Körperkult angesehen werden. Wie Überhorst1 darstellt sind auch im deutschen Raum Leibesübungen bereits in der jüngeren Steinzeit Teil des täglichen Lebens.

Auch im Mittelalter wurden Leibesübungen von Rittern und Bürgern ausgeführt. Julius Bintz stellt 1880 in seinem Buch „Die Leibesübungen des Mittelalters" einen ersten Versuch dar, eine Übersicht über ein bis dahin weitgehend unbehandeltes Gebiet zu geben.

Übungen zur Kräftigung des Körpers als Werkzeug für die Jagd, den Kampf und für das Alltagsleben sollen an dieser Stelle aber nicht mit dem späteren Körperkult als pädagogisches Mittel und bewusstes Erziehungswerkzeug gleichgesetzt werden.

Wie im weiteren Verlauf gezeigt wird, hat der Körperkult bei GutsMuths und Jahn u. a. jedoch eine pädagogische Komponente, die der Autor dieser Arbeit den frühzeitlichen Stämmen und Rittern aufgrund fehlender Hinweise in der Literatur abspricht.

Die Philanthropen und GutsMuths - erste Schritte zur körperlichen Erziehung als pädagogisches Mittel

Jean Jacques Rousseau gilt als Vater oder Ahnherr der Sportpädagogik2. Dieser veröffentlichte jedoch nicht wie GutsMuths oder Jahn später ein Programm oder eine Theorie zur Erziehung der Jugend unter besonderer Beachtung der Körperbildung, sondern schrieb in „Emile oder über die

Erziehung" vielmehr einen Roman in dem er viele grundlegend neue Gedanken darstellte. Ganz ähnlich wie einige Jahre früher John Locke in seinem Werk „Gedanken über die Erziehung" (1693). Die Grundlage bzw. das Bewusstsein einer Körperlichkeit als Teil der allgemeinen Entwicklung war also gegeben. Diese Tatsache verhalf auch den Philanthropen zu Anerkennung und brachte die Unterstützung für Basedow. Dieser gründete das Philanthropinum in Dessau mit Hilfe des dortigen Fürsten Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau und errichtete 1774 die erste Musterschule, die als „erste große Normalschule für die Menschheit" gefeiert wurde3. Die Bewegung der Philanthropen (^Menschenfreunde) nahm hier ihren Ursprung. Weitere Personen, die diesem Kreis zugezählt werden können, sind Heinrich Campe, Chr. H. Wolke und vor allem der Pastor Christian Gotthilf. Letzterer errichtete 1784 eine eigene Erziehungsanstalt in der insbesondere J. Ch. F. GutsMuths sich der körperlichen Ausbildung der Schüler annahm. Jener GutsMuths der mit seinem systematisch­erzieherischen Werk erstmals ein reines Körperbildungskonzept vorstellte „Gymnastik für die Jugend" (1793). Dieses Buch wurde in erster und zweiter (1803) Auflage zu Bestsellern und beruhte auf seiner Erfahrung in der praktischen Anwendung dieser Übungen an dem Edukationsinstitut in Schnepfenthal.

Die Philantropen vertraten die Ansicht, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper leben müsse und somit der Geist darauf achten müsse, dass der Körper (als Werkzeug und dem Geist unterlegen) ausgebildet wird.

„Das Gleichgewicht ist dann gestört wenn eine Kraft das Übergewicht erhält, wie gegenwärtig die Geistes- auf Kosten der Körperkräfte den Vorzug genießen“4

Dieses Zitat zeigt, dass die Philanthropen eine Vernachlässigung der Körperlichkeit in der Gesellschaft ausgemacht hatten und die vermeintliche Überlegenheit der Geisteskraft auch dafür genutzt werden sollte, sich auf die Einheit von Körper und Geist zu besinnen.

GutsMuths war zu seiner Zeit einer der wenigen Verfechter einer anderen Meinung. Laut seiner Aussage sind Körper und Geist untrennbar miteinander verbunden.

„Man urtheilt (sic) doch wohl ein wenig zu geringschätzig wenn man meynt (sic), der Körper sey (sic) nur ein Instrument; viel mehr sollte man sagen: er ist die executive (sic) Gewalt des geistigen Menschen, ja noch mehr: eine diesem zugeordnete gesetztgebende Gewalt.“5

Passend dazu schreibt Reinold, dass die Arbeit auf einem Konzept der pädagogischen Vermittlung von Körpertechniken aufgebaut war, welche im alltäglichen Leben der Gesellschaft einen Nutzen zugeschrieben wurde. Es findet hierbei aber eine klare Differenzierung zum Sport statt. Sport ist weit mehr als eben diese Körpertechnik. Beim Sport finden der Wettkampfgedanke und die Selbstreferenz bzw. der Selbstzweck Einzug in die Übungen. Das ist bei den „utilitaristisch-instrumentell geprägten Körpertechniken" von GutsMuths nicht der Fall.

Jahn: Körperlichkeit durch Turnen, durch Turnen zur Nationalerziehung

Neben GutsMuths wird vor allem Friedrich Ludwig „Turnvater" Jahn in Deutschland als Begründer von körperlicher Ertüchtigung im Erziehungskontext genannt. Vom Turnen auf der Hasenheide und dem Jahnschen Turnerbund dürften die Meisten schon gehört haben. Jahns Philosophie und sein Verständnis der Körperbildung sollen an dieser Stelle beleuchtet werden.

Die Grundmotivation im jahnschen Tun ist die Erzeugung eines einheitlichen deutschen Volkes auf Basis seiner Traditionen6. Die Zerrissenheit Deutschlands und die Herrschaft Napoleons verachtete er zutiefst. Sein späterer Kampf gegen Napoleon führte Jahn jedoch nicht motiviert durch seine Abneigung gegen Frankreich, sondern aufgrund der Taten Napoleons.

Dieser habe die Naturgesetze Gottes missachtet, indem er Menschen tötete, Kulturen vernichtete und Völker auslöschte.7 Zur Vorbereitung des Widerstands im Speziellen, aber auch zum Zusammenführen des deutschen Volkes, war die Körperbildung für Jahn ein grundlegendes Mittel. Die früheren Tugenden der Germanen und Deutschen waren Jahns Meinung nach völlig verschwunden. Er zieht Vergleiche der Geschichte heran, in denen er die Körperkraft und die Fähigkeiten seines Volkes darstellt und die Verwahrlosung des Körpers in seiner Zeit anprangert8. Ähnlich wie auch GutsMuths sieht Jahn dabei jegliche körperliche Betätigung als förderlich an. Das vorherrschende Klischee der Oberen, dass es sich nicht gehöre zu Laufen, zu Springen oder gar zu Schwimmen versucht Jahn aufzubrechen. Er lässt seine Zöglinge (zu seiner Zeit als Hauslehrer) am Ende des Tages eben diese Übungen ausführen. Seine Beliebtheit bei Eltern und Schülern9 ist ein Indiz dafür, dass dieser Ansatz gern gesehen war und positiv aufgenommen wurde.. Jahn verfolgte aber weitergehende Ziele als lediglich einen Ausgleich zum Schulalltag zu schaffen.

Nachdem er nach Berlin gezogen war, setzte er dort fort, was er als Hauslehrer (in Mecklenburg) begonnen hatte. In der schulfreien Zeit versammelte er seine Zöglinge um sich und traf sich mit ihnen im Wald und auf der Heide zum Turnen und Spielen.

Hierbei merkte er schnell den positiven Einfluss des Trainings an den Jungen und an sich selbst. Das gemeinsame körperliche Betätigen verband die Teilnehmer schnell und sorgte für einen engen Zusammenhang in der Gruppe. Diese Erkenntnis kam Jahn in seinem Vorhaben Deutschland zu einen sehr gelegen. Im Jahr 1810 schuf er das „Jungtum"10, das über viele Generationen Glück und Freude im Alltagsleben verbreitete. Die regelmäßig stattfindenden Treffen zum gemeinsamen Turnen (Körperbildung) fanden immer mehr Zulauf, auch von den Nachkömmlingen der oberen Schichten, sodass sich Jahn Hoffnungen machen konnte, dass sein Ziel der Verbesserung der Volkserziehung durch Körperbildung verwirklichen werden könne. Auch nachdem er mit einigen Freunden von Berlin nach Breslau weiter zog, um dort ein ähnliches Werk vollbringen zu können, hatte der Körperkult in Berlin weiterhin bestand.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei GutsMuths und Jahn

Es muss an dieser Stelle gesagt werden, dass keinem der beiden eine wichtigere Rolle beigeordnet werden soll. Beide bedienen sich der Körperbildung und beiden muss eine tragende Wirkung in der Erschaffung des Körperkults zugesprochen werden. Das Wirken Jahns scheint aber präsenter zu sein. Dies mag mit dem unterschiedlichen Ziel der beiden Protagonisten zusammen hängen. Während GutsMuths das Individuum und die Erziehung des Menschen in den Vordergrund stellte und so als erster Pädagoge mit Körperbildung in Verbindung gebracht wird, ist das Wirkungsfeld Jahns ein anderes. Die Körperlichkeit bei Jahn soll einen Nutzen zur Volkserziehung und zum Zusammenführen eines Volkes haben. Dieses Element des Zusammenbringens wurde schon 1814 deutlich, als Jahn nach seiner Rückkehr nach Berlin 10.000 Menschen inklusive des Kronprinzen zu seinem Schauturnen anlocken konnte11. Beide Körperbildner distanzierten sichvon der Körperbildung, die aus England bekannt war (aus heutiger Sicht ist dies vielleicht nicht nachzuvollziehen). Es handelte sich dabei um zielführende Übungen, die der Entwicklung des Körpers zum Wohle eines höheren Zwecks diente.

Der englische Sport im Gegensatz dazu entsprach schon damals dem was im heutigen Sprachgebrauch auch als Sport (hauptsächlich Mannschaftssport) verstanden wird.

Körperbildung in der Schule

Der preußische Schulturnerlass

Obwohl aufgrund der politischen Lage und der Politisierung der jahnschen Bewegung eine Turnsperre (vor allem in Preußen) ausgesprochen wurde, verbreitete sich die Ansicht, dass Körpererziehung für Jugendliche notwendig ist, sehr schnell. In Hannover und Braunschweig wurden bereits 1820 erste Schülerturnvereine gegründet. Denn im Gegensatz zu öffentlicher Betätigung

[...]


1 Ueberhorst 1980: Leibesübungen bei den Germanen. S. 36 ff.

2 Meinberg 1984, S. 3f.

3 vgl. Geldbach 1980, S. 166

4 Geldbach, S. 177 nach Campe

5 GutsMuths, S.26

6 vgl. dazu Ohmann, S. 27 - 37; Jahn

7 Beck, S.22

8 Jahn, S. 242 f.

9 Beck, S. 19

10 ebd. S. 23

11 Euler 1881, S. 413

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Körperlichkeit und Körperbewusstsein in Deutschland im 19. Jahrhundert und die Entstehung des Schulsports
Université
University of Cologne
Note
1,3
Auteur
Année
2015
Pages
16
N° de catalogue
V386563
ISBN (ebook)
9783668611719
ISBN (Livre)
9783668611726
Taille d'un fichier
427 KB
Langue
allemand
Mots clés
körperlichkeit, körperbewusstsein, deutschland, jahrhundert, entstehung, schulsports
Citation du texte
Felix Eulgem (Auteur), 2015, Körperlichkeit und Körperbewusstsein in Deutschland im 19. Jahrhundert und die Entstehung des Schulsports, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386563

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