Taiwan und die ausgesetzte Ratifizierung des Cross-Strait Service Trade Agreements

Eine Untersuchung des Einflusses gesellschaftlicher Gruppen Taiwans auf Handelsabkommen in der Taiwan Straße auf Grundlage des Neoliberalismus


Thèse de Bachelor, 2015

68 Pages, Note: 1,5

Anonyme


Extrait

1 Einleitung

2 Historischer Kontext der Untersuchung

2.1 Wandlung der Wirtschaftsbeziehungen

2.2 Bedeutung des Economic Cooperation Framework Agreement

2.3 Das Cross-Strait Service Trade Agreement

3 Theoretische Grundlage: Der Neoliberalismus in den Internationalen Beziehungen

3.1 Ursprung und Abgrenzung zum Klassischen Liberalismus

3.2 Der Neoliberalismus nach Andrew Moravcsik

3.3 Core Assumptions

3.4 Operationalisierung

4 Gesellschaftliche Gruppen und Interessen

4.1 Die Taishang

4.2 Gewerkschaften

4.3 Handels- und Industrieverbände

4.4 Das „Sunflower Movement”

5 Untersuchung des politischen Systems auf Möglichkeiten der Einflussnahme

5.1 Institutionelle Offenheit gegenüber gesellschaftlichen Akteuren

5.2 Besonderheiten der Verhandlungen des CSSTA

5.3 Gesetzgebungsverfahren und Rolle der Legislative in der Außenpolitik

5.4 Kontroverse beim ECFA

5.5 Versuchte Ratifizierung des CSSTA

5.6 Einflussnahme durch Wahlen

6 Hinweise auf Einflussnahme gesellschaftlicher Gruppen

6.1 Hinweise auf Einflussnahme im Vorfeld der Proteste

6.2 Indizien für eine erfolgreiche Einflussnahme durch das Sunflower Movement

6.3 Weitere Faktoren: Interessen der Staatsbürokratie / KMT

6.4 Weitere Faktoren: Rolle der DPP

6.5 Weitere Faktoren: Position Chinas zum CSSTA

6.6 Abwägung der gefundenen Indizien

7 Fazit

II Quellen- und Literaturverzeichnis

III Abbildungsverzeichnis


1 Einleitung

 

„The Ma Administration agreed on ECFA – quite similar to CEPA – and with it sacrificed Taiwan’s sovereignty. Through the signing of ECFA (…) Taiwan has become Hong Kong.“ [1]

 

Zu diesem Ergebnis kam Professor To-far Wang der  National Taipei University im Jahr 2010, wenige Monate nach der Unterzeichnung des Economic Cooperation Framework Agreement (ECFA) zwischen der Republik China (Taiwan) und der Volksrepublik China. [2] Aus heutiger Perspektive scheint sich diese These nicht bewahrheitet zu haben. Jedoch zeigt dieses Zitat eindrucksvoll, dass mit wirtschaftlichen Abkommen über die Taiwan Straße nicht bloß ökonomische Aspekte verbunden werden. Die Tatsache, dass die Regierung unter Präsident Ma Ying-jeou (馬英) in den letzten Jahren eine Politik der wirtschaftlichen Annährung an China betrieben hat und mehr als 20 Abkommen über die Taiwan Straße abschloss, sorgt in Teilen der taiwanesischen Bevölkerung für Misstrauen und verstärkt Ängste vor einer Assimilierung durch China.

 

Insgesamt fanden in den letzten Jahren enorme Veränderungen im Ostasiatischen Raum statt und nicht zuletzt die gestiegene wirtschaftliche und militärische Bedeutung Chinas sorgte für eine Verschiebung der Machtverhältnisse. Den Beziehungen zwischen Taiwan und China kommt dabei eine wichtige Rolle zu, sorgten Spannungen zwischen beiden Parteien in der Vergangenheit doch für ernsthafte Krisen.

 

Nach dem Abschluss des ECFAs im Jahr 2010 wurde im Juni 2013 ein weiteres Abkommen – das Cross-Strait Service Trade Agreement (CSSTA) – unterzeichnet und sollte nach dem Willen der Regierung schnellstmöglich ratifiziert werden. Dieses Abkommen würde – im Falle einer Ratifizierung – zu einer noch weitreichenderen wirtschaftlichen Annährung zwischen Taiwan und China führen, da darin vorgesehen ist, weite Teile des Service-Sektors zu liberalisieren. Davon wäre ein Großteil der taiwanesischen Bevölkerung direkt betroffen, da etwa 60% der arbeitenden Bevölkerung im Dienstleistungssektor beschäftigt ist. [3]

 

Dass Teile der taiwanesischen Gesellschaft zunehmend versuchen, Einfluss auf das Abkommen – und damit auch auf die Beziehungen zu China – zu nehmen, zeigte sich eindrucksvoll an den Protesten im März und April 2014, bei denen zeitweise mehrere hunderttausend Menschen in Taipeh gegen die von der Regierung angesetzte Ratifizierung demonstrierten und der Legislative Yuan (LY) über drei Wochen besetzt wurde. Das Abkommen selbst ist auch über ein Jahr nach den Ereignissen nicht ratifiziert worden. Die Ursache dafür könnte darin liegen, dass gesellschaftliche Interessensgruppen ihre Ziele erfolgreich durchsetzen konnten. Um diese Frage zu untersuchen, ist es zunächst notwendig herauszufinden, welche Interessensgruppen in handelspolitischen Gruppen aktiv sind, welche Interessen sie verfolgen und gegebenenfalls auch, welche Gruppen zunächst für eine Ratifizierung eintraten. Zentral für diese Untersuchung soll dabei die Frage sein, ob gesellschaftlicher Druck – insbesondere verursacht durch die Gruppe des Sunflower Movements, welche während der Proteste im Fokus der Öffentlichkeit stand – dazu geführt hat, dass die Regierung unter Präsident Ma ihre Politik änderte und die geplante Ratifizierung zunächst gestoppt hat. Mit dem Einfluss von Interessensgruppen auf außenpolitische Entscheidungen beschäftigt sich der Neoliberalismus nach Andrew Moravcsik, welcher die theoretische Grundlage dieser Untersuchung darstellt.

 

Die vorliegende Arbeit folgt daher folgendem Aufbau: Zur besseren Einordnung der Bedeutung und des Stellenwertes des CSSTAs soll zunächst der historische Kontext der Untersuchung kurz dargelegt werden. Um in der Folge die Frage nach dem Einfluss von Interessensgruppen auf die Außenpolitik Taiwans zu untersuchen, wird im dritten Kapitel die theoretische Fundierung erläutert. Anschließend widmet sich diese Arbeit der Untersuchung von Interessensgruppen, von denen eine Einflussnahme auf die Verhandlung, die Unterzeichnung und die letztliche Nicht-Ratifizierung des CSSTA vermutet wird. Dabei sollen zunächst deren Interessen und Strategien ermittelt werden, mit denen sie versuchen, ihre Ziele zu erreichen. Daran anschließend wird das politische System Taiwans im Hinblick auf Möglichkeiten der Einflussnahme organisierter gesellschaftlicher Interessen analysiert. In diesem Zusammenhang wird neben den Verhandlungen des CSSTA auch die Rolle der Legislative in der Außenpolitik erörtert. Weiterhin wird dargelegt, welche Bedeutung das CSSTA und die Beziehungen zu China für das Machtstreben der politischen Entscheidungsträger hat. Im Anschluss daran werden Hinweise identifiziert und erläutert, die für einen Einfluss gesellschaftlicher Gruppen auf die Nicht-Ratifizierung des Abkommens sprechen. Die gefundenen Hinweise und Indizien sollen am Ende des Kapitels gegeneinander abgewogen werden, um schließlich die Frage zu klären, ob gesellschaftlicher Druck – insbesondere durch das Sunflower Movement – zur Aussetzung der Ratifizierung geführt hat. 

 

Die Cross-Strait Relations stoßen insbesondere unter asiatischen und amerikanischen Wissenschaftlern seit Jahren auf große Aufmerksamkeit – aber auch in Europa wächst das Interesse an diesem Themenbereich, was beispielsweise die Eröffnung des European Research Center on Contemporary Taiwan an der Universität Tübingen im Jahr 2008 zeigt. Die bisherige Forschung in Bezug auf die bilateralen Beziehungen beleuchtete jedoch vorwiegend die Rolle der Identitätsfrage sowie des Souveränitätsstatus Taiwans, wohingegen zivilgesellschaftliche Aspekte weitgehend unerforscht sind. Eine Untersuchung des Einflusses organisierter gesellschaftlicher Interessen auf die Außenpolitik Taiwans hat daher bislang nicht stattgefunden. Mit der vorliegenden Arbeit hofft der Autor einen Beitrag zur Schließung dieser Lücke im Forschungsstand leisten zu können.

 

Die theoretische Grundlage dieser Arbeit basiert dabei auf den Veröffentlichungen von Andrew Moravcsik. Aufgrund der Sprachbarriere des Chinesischen war dem Autor der Zugang zu einzelnen Primärquellen verwehrt. Für die nachfolgende Untersuchung wurde dennoch eine Vielzahl an Literatur und Quellen verwendet – darunter wissenschaftliche Monographien, Zeitungsartikel, offizielle Veröffentlichungen von Regierungsstellen, wissenschaftliche Essays, Gesetze und Artikel aus Fachzeitschriften

 

2 Historischer Kontext der Untersuchung

 

2.1 Wandlung der Wirtschaftsbeziehungen

 

Nachdem es unter der Präsidentschaft von Chen Shui-bian (陳水扁) von 2000 bis 2008 noch zu ernsthaften Spannungen kam, etwa durch die Referenden zum Mitgliedsantrag Taiwans bei den Vereinten Nationen, kam es nach dem Amtsantritt von Ma Ying-jeou im Jahr 2008 zu einer Phase erhöhter Stabilität in der Taiwan Straße. Viele Wähler erhofften sich von Präsident Ma und der Kuomintang (KMT) einen wirtschaftlichen Aufschwung, nachdem die Wachstumsraten unter Chen Shui-bian weit unter den Erwartungen und den unter der KMT zuvor erreichten Wachstumsraten zurückgeblieben sind.[4] Dies gelang jedoch zunächst nicht, da Taiwan mit einer exportorientierten Wirtschaft stark unter den Druck der weltweiten Finanzkrise und wirtschaftlichen Rezession in vielen Teilen Welt betroffen war. Anders als die Wirtschaft vieler anderer Staaten, auch in der Region, erholte sich die taiwanesische vergleichsweise schnell, wofür auch die unter Ma betriebene wirtschaftliche Annährung an China verantwortlich gemacht wird. [5]

 

Denn seit der Regierungsübernahme Mas fand ein fundamentaler Wandel der Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Taiwan statt. So macht etwa Richard Bush hier insbesondere drei bedeutende Änderungen aus.[6] Zum einen fand eine „Normalisierung“ der Beziehungen statt, in der ideologische Streitpunkte zunächst in den Hintergrund gestellt werden sollten. Gleichzeitig wurde durch die Verringerung von Markteintrittsbarrieren mit einer ökonomischen Liberalisierung begonnen. Die dritte Komponente stellt die gestartete Institutionalisierung der Beziehungen durch Schaffung eines Systems zur Umsetzung und Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen dar. Eine besondere Rolle kommt dabei der Taiwan’s Straits Exchange Foundation (SEF) und der China’s Association for Relations across the Taiwan Strait (ARATS) zu. Dabei handelt es sich um zwei halboffizielle Organisationen, die von der jeweiligen Regierung autorisiert wurden, Verhandlungen zu Abkommen verschiedenster Art durchzuführen.[7] Einige der getroffenen Abkommen führten zu einer Normalisierung der Beziehungen, weil dadurch historisch bedingte Restriktionen wegfielen. So wurde etwa der direkte Handel zwischen China und Taiwan auch offiziell möglich – zuvor wurde dafür oft der Umweg über Hong Kong genutzt. Auch die Zulassung von direkten Schiffs- und Flugverbindungen, die vereinfachte Einreise chinesischer Touristen sowie die Öffnung für Postdienstleistungen erleichterten den wirtschaftlichen Austausch beider Seiten erheblich.

 

2.2 Bedeutung des Economic Cooperation Framework Agreement

 

Zum Abschluss des wohl bedeutendsten Abkommens über die Taiwan Straße der jüngeren Geschichte kam es am 29. Juni 2010 während der 5. Runde der SEF-ARATS Talks mit der Unterzeichnung des ECFA, was auch als erster Schritt hin zu einer Freihandelszone gewertet wird.[8],[9] Mit dem ECFA einigten sich beide Seiten auf Sektoren und Güter, für die in der Folge Zollschranken fallen bzw. reduziert werden sollten. Außerdem verständigte man sich darauf, in Zukunft weitere Abkommen zu schließen, die zu einer weiteren Liberalisierung besonders in den Bereichen des Dienstleistungs- und Warenverkehrs führen sollten.[10]   

 

Auch wenn die Regierung sich bemühte, mögliche positive Effekte des ECFAs hervorzuheben, kam es vor, während und auch nach der Unterzeichnung zu einer Vielzahl von Protesten aus verschiedenen gesellschaftlich organisierten Gruppen. Die Hauptkritikpunkte waren unter anderen, dass die Regierung erhoffte positive Effekte des Abkommens übertrieben darstellte und demokratische Standards bei der Ratifizierung außer Acht gelassen hat.[11] Zudem seien fragwürdige, kurzfristige ökonomische Chancen gegen die langfristige Handlungsfähigkeit in politischen Angelegenheiten eingetauscht worden.[12] Tsai Ing-wen (蔡英文), zu dieser Zeit bereits Vorsitzende der Oppositionspartei Democratic Progressive Party (DPP), stellte insbesondere Wohlfahrtseffekte in den Vordergrund. Demnach führt die Liberalisierung zu einem weiteren Anstieg der Ungleichheit innerhalb der taiwanesischen Gesellschaft, dem Verlust von Arbeitsplätzen und weiteren sozialen Problemen.[13]

 

2.3 Das Cross-Strait Service Trade Agreement

 

Wie bereits im ECFA vorgesehen, sollten noch weitere Abkommen folgen. Während der neunten Runde der SEF-ARATS High-Level Talks im Juni 2013 wurde daraufhin das CSSTA unterzeichnet. Dieses sollte am 18. März 2014 im Legislative Yuan ratifiziert werden. Sowohl die Verhandlungen als auch die angekündigte Ratifizierung führten zu einer Vielzahl von Demonstrationen und Protestmärschen. Zu der geplanten Ratifizierung kam es schließlich nicht. Am 21. März 2014 stürmten Demonstranten den Legislative Yuan und besetzten diesen bis zum 10. April 2014. Obwohl die Besetzung zum aktuellen Zeitpunkt nun schon mehr als ein Jahr zurückliegt, hat die Regierung keine erneuten Versuche unternommen, das für eine weitere Vertiefung der wirtschaftlichen Kooperation mit China zentrale Abkommen zu ratifizieren.   

 

Das zweite im ECFA angelegte Abkommen, das Cross-Strait Goods Trade Agreement, ist nach wie vor noch nicht verhandelt und selbst die Vorgespräche sind festgefahren.[14] Eine realistische Perspektive auf abschließende Verhandlungen und eine Ratifizierung besteht daher in näherer Zukunft auch hier nicht.  

 

Nachdem also zu Beginn des Amtsantritts von Präsident Ma Ying-jeou enorme Fortschritte hinsichtlich einer vertiefenden ökonomischen Kooperation erzielt wurden, ist das CSSTA nach wie vor nicht ratifiziert. Das verwundert umso mehr, da einer der stärksten Wettbewerber Taiwans, Süd Korea, zuletzt ein Handelsabkommen mit China geschlossen hat und sich somit Vorteile auf dem chinesischen Markt gegenüber Taiwan verschafft. Aus diesem Grund gehen Analysten von weiteren Problemen für Taiwans Exporte aus.[15] Hinzu kommt noch, dass Taiwan bei Verhandlungen anderer bedeutender Wirtschaftsabkommen, wie dem Trans-Pacific Partnership und dem Regional Comprehensive Economic Partnership, außen vor ist. Ein möglicher Beitritt zu einem späteren Zeitpunkt hängt hier maßgeblich von der Zustimmung Chinas ab.[16]

 

Wie kommt es also dazu, dass nach Jahren der erfolgreichen Zusammenarbeit und der Zunahme äußeren Drucks auf Taiwans Wirtschaft die Ratifizierung des CSSTA nach wie vor ausgeblieben ist?

 

Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, dass gesellschaftliche Gruppen – insbesondere das Sunflower Movement – Einfluss auf die Regierung genommen, eine Ratifizierung verhindert und somit nachhaltigen Einfluss auf die Außenpolitik Taiwans gehabt haben. Um zu prüfen, inwieweit diese Annahme zutrifft, soll im folgenden Abschnitt eine theoretische Grundlage auf der Basis des Neoliberalismus entwickelt und operationalisiert werden.  

 

3 Theoretische Grundlage: Der Neoliberalismus in den Internationalen Beziehungen

 

Der Begriff Neoliberalismus ist in den Internationalen Beziehungen nicht einheitlich definiert. Vielmehr wurden verschiedenste Denkansätze, die sich von der Realistischen Schule absetzten, zum Teil pauschal als Neoliberalismus zusammengefasst.[17] Hinzu kommt eine Überschneidung mit dem Begriff des „Institutionalismus“, was darauf zurückzuführen ist, dass eine Vielzahl, insbesondere amerikanischer Wissenschaftler, dazu neigen, die Herausforderer des Neorealismus undifferenziert als neoliberal Institutionalists zu bezeichnen.[18] Eine Trennung von Institutionalismus und Neoliberalismus ist jedoch vertretbar, da sich diese insbesondere in ihren core assumptions unterscheiden.[19] Besonders relevant für diese Arbeit sind die Grundannahmen der Neoliberalen Theorie nach Andrew Moravcsik. Daher gilt es zunächst, den theoretischen Ansatz genauer zu definieren und abzugrenzen.

 

3.1 Ursprung und Abgrenzung zum Klassischen Liberalismus

 

Auch wenn der Neoliberalismus als eine erweiterte und tiefergehende Version des Klassischen Liberalismus angesehen werden kann, unterscheidet sich die Theoriebildung deutlich.[20] Im Klassischen Liberalismus, der nicht zuletzt in der Idee des Ewigen Friedens von Immanuel Kant seine Ursprünge hat, steht die Theorie des Demokratischen Friedens und die damit verbundene Frage nach dem demokratischen Separatfrieden im Vordergrund.[21] Anders ist es im Neoliberalismus. Mit Hilfe des Neoliberalismus wird versucht, eine darüber hinausgehende und allgemein gültige Theorie der Internationalen Beziehungen zu kreieren.[22] Weiterhin ist der Neoliberalismus, in Abgrenzung zum Klassischen Liberalismus, stärker auf methodische und forschungsorientierte Aspekte liberalen Denkens fokussiert.[23]

 

Ein entscheidender Aspekt der liberalen theoretischen Vorläufer findet sich jedoch auch im Neoliberalismus. Denn schon im Klassischen Liberalismus wird angenommen, dass außenpolitische Handlungen und das außenpolitische Verhalten auf innerstaatliche Strukturen und Umstände zurückgeführt werden kann.[24]

 

3.2 Der Neoliberalismus nach Andrew Moravcsik

 

„For liberals, the configuration of state preferences matters most in world politics – not, as realists argue, the configuration of capabilities and not, as institutionalists (that is, functional regime theorists) maintain, the configuration of information and institutions.“[25]

 

Im Unterschied zum Institutionalismus und Realismus, die die Machtverteilung zwischen Staaten und internationalen Institutionen in den Fokus der Betrachtung stellen, stehen im Neoliberalismus nach Moravcsik (NL) die Zusammensetzung der Staatspräferenzen im Vordergrund. Weiterhin stellt er einen kausalen Zusammenhang zwischen dem außenpolitischen Verhalten des Staates und der Gesellschaft her.[26] Diese Annahme ist von zentraler Bedeutung im Hinblick auf die nachfolgende Analyse dieser Arbeit. Das zugrunde liegende Menschenbild Moravcisks gleicht dem des homo oeconomicus – allerdings mit der Einschränkung, dass das Individuum nur gemäß dem eigenen Kenntnisstand rational entscheiden kann (bounded rationality).[27] Demnach ist das Individuum bemüht, den höchstmöglichen individuellen Eigennutz zu erzielen. Allerdings tut es das nicht um jeden Preis, da es insgesamt das verteidigt, was es bereits erreicht hat und somit tendenziell risikoscheu ist.[28] Um dies zu erreichen, schließen sich Individuen mit korrespondierenden Interessen zu gesellschaftlichen Gruppen wie Parteien, Gewerkschaften oder auch Protestbewegungen zusammen. Eine wichtige Annahme in dem Zusammenhang ist auch, dass staatlich aggregierte Präferenzen sich mit der Zeit verändern können und sich zudem nicht ausschließlich aus materiellen Nutzen-Präferenzen zusammensetzen.[29] Auch ideelle Interessen sowie die Beschaffenheit des politischen Systems spielen eine zentrale Rolle.

 

3.3 Core Assumptions

 

Moravcsik definiert seine liberale Theorie anhand von drei fundamentalen Grundannahmen.

 

„The fundamental actors in international politics are individuals and private groups, who are on the average rational and risk-averse and who organize exchange and collective action to promote differentiated interests under constraints imposed by material scarcity, conflicting values, and variations in societal influence.“[30]

 

Mit der ersten Grundannahme zeigt Moravcsik auf, dass nach seiner Theorie die Individuen und gesellschaftlich organisierten Gruppen die zentralen gestaltenden Akteure der internationalen Politik sind. Der Staat repräsentiert und handelt nach deren Interessen auf der Internationalen Ebene. Das Individuum ist, wie bereits dargelegt, risikoscheu und sozial organisiert.

 

Moravcsik nimmt weiterhin an, dass innerhalb der Gesellschaft keine Harmonie vorherrscht, sondern die verschiedenen Gruppen im Wettbewerb stehen, ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen. Dieser Wettbewerb wird durch die Globalisierung und die daraus entstehenden Einflüsse noch verschärft.[31] Die Definition der Interessen der einzelnen sozialen Akteure stellt dabei ein zentrales Element der Theorie dar.[32]

 

„States (or other political institutions) represent some subset of domestic society, on the basis of whose interests state officials define state preferences and act purposively in world politics.“[33]

 

Die zweite Grundannahme konzentriert sich damit auf die Ebene des Staates. Dieser repräsentiert einen Teil der Interessen der innerstaatlichen Gesellschaft. Dabei ist entscheidend, in welcher Form der Staat und dessen politisches System es den gesellschaftlichen Gruppen ermöglicht, ihre Interessen zu äußern und als Staatspräferenzen zu verwirklichen.

 

„The configuration of interdependent state preferences determines state behavior.“[34]

 

Mit der dritten Annahme hebt Moravcsik seine Theorie auf die internationale Ebene und fragt nach dem Verhalten der Staaten im internationalen System. Nach seiner Auffassung können Staaten ihre Präferenzen zwar unabhängig voneinander aufstellen, inwieweit diese durchzusetzen sind, hängt jedoch von den Präferenzen anderer Staaten ab – sie sind also Interdependent.[35] Moravcsik differenziert dabei drei verschiedene Konfigurationen der außenpolitischen Präferenzen aus. Eine mögliche Konfiguration ist demnach, dass die Präferenzen kompatibel sind (also für die andere Seite entweder optimal oder auch unbedeutend), was zu einem geringen Potenzial von Konflikten führt. Die zweite Variante ist, dass die Staatspräferenzen komplementär konfiguriert sind. Das ist der Fall, wenn sich die Interessen der einzelnen Staaten ergänzen und politische Kompromisse mehr Erfolg versprechen als einseitige Handlungen. Das erhöht die Attraktivität von Kooperation oder koordiniertem Handeln.[36]

 

Die dritte Möglichkeit der Konfiguration der Präferenzen ist, dass diese gegensätzlich sind. Das liegt vor, wenn die Interessen der dominierenden Gruppen eines Staates unausweichlich hohe Kosten für die dominierenden Gruppen eines anderen Staates nach sich ziehen.[37] Bei einer derartigen Konstellation ist, im Sinne Moravcsiks, keine Kooperation zu erwarten. Stattdessen führen die zugrunde gelegten Staatspräferenzen in eine Sackgasse und es ist mit einem hohen Potenzial von Spannungen und Konflikten zu rechnen.[38]

 

3.4 Operationalisierung

 

Mit Bezug auf die Untersuchung soll nun die theoretische Grundlage operationalisiert und die zu prüfende Hypothese erläutert werden.

 

Um die Forschungsfrage mit einem neoliberalistischen Ansatz zu untersuchen, werden – basierend auf den ersten beiden core assumptions des Neoliberalismus nach Moravcsik – demnach zunächst die in handelspolitisch aktiven Interessensgruppen identifiziert und deren Interessen ermittelt. Daraufhin soll analysiert werden, wie „offen“ das politische System Taiwans gegenüber den Interessen von organisierten gesellschaftlichen Interessen ist und wie weit es einen bottum-up-approach im Sinne des NL zulässt.[39] Im nächsten Schritt sollen Hinweise und Indizien herausgearbeitet werden, die auf eine Einflussnahme gesellschaftlicher Gruppen hindeuten. Auf die dritte core assumption kann dabei nicht abschließend eingegangen werden, da dies den Umfang dieser Arbeit bei weitem übersteigt.

 

Bei außenpolitischen Vorgängen wie der Verhandlung, Unterzeichnung und Ratifizierung eines Handelsabkommens wie dem CSSTA gibt es eine Vielzahl von möglichen Akteuren – wie beispielsweise auch Parteien und Medien – die die Vorgänge mitbeeinflussen. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich hingegen vorwiegend auf einen Aspekt der komplexen Realität.

 

Der Forschungsansatz ist damit X-zentriert. Y steht damit für die unterbliebene Ratifizierung des CSSTA zwischen Taiwan und China. X, die erklärende, unabhängige Variable, fragt nach dem Einfluss organisierter gesellschaftlicher Gruppen auf etwaige. Dabei soll analysiert werden, welche Gruppen als treibende Kräfte hinter der Aushandlung und Unterzeichnung des Abkommens vermutet werden können und welche Gruppen die Ratifizierung zu verhindern suchten. Letztlich soll die Frage beantwortet werden, ob das SFM als Interessensgruppe den entscheidenden Einfluss auf die ausgesetzte Ratifizierung des CSSTA hatte – und wenn ja, wie weit dieser reichte.

 

4 Gesellschaftliche Gruppen und Interessen

 

Im folgenden Abschnitt sollen nun gesellschaftliche Gruppen untersucht werden, die in handelspolitischen Entscheidungen aktiv sind und von denen eine Einflussnahme auf die Ereignisse um das CSSTA vermutet wird, was letztlich zu der ausgesetzten Ratifizierung geführt haben könnte. Der Fokus der Untersuchung liegt dabei auf nicht staatlichen Akteuren.

 

Die außenpolitischen Präferenzen der Akteure können dabei auf zwei Wegen ermittelt werden. Erstens ist es möglich, empirisch-induktiv vorzugehen. Dabei werden vom beobachteten Verhalten der Akteure Rückschlüsse auf ihre Präferenzen gezogen. Zudem können Äußerungen und Bekanntmachungen der Akteure untersucht werden, um Präferenzen herauszuarbeiten.

 

Eine zweite Möglichkeit besteht darin, die Präferenzen theoretisch-deduktiv zu ermitteln. Dabei werden, ausgehend von der im NL zugrundeliegenden Annahme, dass ein Individuum rational handelt, die grundlegenden Handlungsmotivationen der Akteure bestimmt, um im konkreten Fall Präferenzen ableiten zu können.[40] 

 

Grundsätzlich ist dabei die theoretisch-deduktive der empirisch-induktiven Methode vorzuziehen.[41] Da dies jedoch nicht immer möglich ist, ist auch eine Kombination beider Methoden anwendbar.[42] Der Einfluss gesellschaftlicher Gruppen Taiwans ist in der Forschung bislang weitgehend unerforscht. Daher werden in dieser Untersuchung beide Methoden zur Ermittlung der Interessen herangezogen.

 

Die Strategien der gesellschaftlichen Gruppen zur Erreichung ihrer Ziele können dabei stark variieren. Die Handlungen der versuchten Einflussnahme können dabei sowohl innerhalb als auch außerhalb des Systems stattfinden und reichen von informellen und vertraulichen Gesprächen zwischen einzelnen Personen über Medienkampagnen bis zu Demonstrationen und Sitzblockaden.[43] In der Literatur herrscht bislang kein Konsens über eine einheitliche Definition von Lobbying / Einflussnahme. Die häufigsten Merkmale beinhalten jedoch die Merkmale, dass es sich um Informationsaustausch, Informationsbeschaffung sowie eine strategisch ausgerichtete Tätigkeit der Einflussnahme auf staatliche Entscheidungsträger handelt.[44] Die Verwendung der Begriffe Lobbying und Einflussnahme in dieser Arbeit beziehen sich daher auf diese Merkmale.

 

4.1 Die Taishang

 

Eine Gruppe, von der angenommen wird, dass sie fortschreitende ökonomische Zusammenarbeit mit der Volksrepublik unterstützt, sind die Taishang (). Unter dem Begriff Taishang versteht man die Taiwanesen, die Unternehmen und Fabriken auf dem chinesischen Festland betreiben – oder allgemeiner, geschäftlich dort agieren.[45] Durch den rasant zunehmenden Handel zwischen Taiwan und China in den letzten Dekaden ist die Anzahl der Personen, die man unter der Bezeichnung Taishang zusammenfassen kann, stark angewachsen und wird mittlerweile auf etwa eine Millionen geschätzt – von denen etwa 200.000 aktiv an den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2012 teilgenommen haben.[46] Während diese Gruppe unter der DPP Regierung mit Skepsis betrachtet wurde, sind sie zu einem wichtigen Bestandteil der von der Regierung der KMT unter Präsident Ma Ying-jeou verfolgten Strategie der vertieften wirtschaftlichen Kooperation in der Taiwan Straße geworden.[47]

 

Auch wenn es sich bei den Taishang um eine heterogene Gruppe handelt, so können jedoch einige gemeinsame Interessen ausgemacht werden. Zu den wichtigsten gehören stabile Beziehungen in der Taiwan Straße sowie gesteigerte ökonomische Interaktion, um ihre Geschäftsgrundlage auf dem Festland nicht zu gefährden.[48] Zudem kann unter ihnen eine gemeinsame Identität ausgemacht werden, die als taiwanesisch und chinesisch (huárén; 華人) beschrieben werden kann.[49] Weiterhin konnte eine Veränderung ihrer politischen Haltung ausgemacht werden. Während in den 1990er Jahren viele Taishang eher negativ gegenüber der KMT eingestellt waren, fand seitdem ein Wandel statt. Insbesondere die unter der DPP Regierung unter Chen Shui-bian betriebene Politik, die für Spannungen mit der Volksrepublik sorgte, stand im Gegensatz zu den Interessen der Taishang.[50] Hinzu kommt, dass ihre Loyalität gegenüber Taiwan als Gruppe auch innenpolitisch von Teilen der DPP und der taiwanesischen Unabhängigkeitsbewegung öffentlich in Frage gestellt und stark angezweifelt wurde, was erwartungsgemäß zu einer Antipathie gegenüber diesen Kräften führte.[51],[52] Trotz ihrer relativ hohen Anzahl in absoluten Zahlen, ist jedoch nicht von einem großen Einfluss dieser Gruppe in Form eines einheitlichen Wählerblocks für die KMT und deren Strategie zur ökonomischen Integration und dem Abschluss von Handelsabkommen auszugehen. Gunter Schubert macht dafür verschiedene Gründe aus.[53] Zum einen vermeiden es viele Geschäftsleute sich öffentlich für eine politische Seite auszusprechen, da sie bei einem Regierungswechsel Nachteile für ihre Geschäfte befürchten. Weiterhin leben und arbeiten viele von ihnen nun schon über einen längeren Zeitraum auf dem Festland (planen sogar ihren Ruhestand dort) und haben daher ein verstärktes Interesse an ökonomischen Themen innerhalb Chinas. Letztlich erscheint auch der reine Aufwand für die Stimmabgabe nach Taiwan zu fliegen als Hindernis für eine weite Mobilisierung dieser Gruppe.

 

Um ihre geschäftlichen Interessen auf dem chinesischen Festland abzusichern, gibt es auf dem chinesischen Festland eine Vielzahl von TBAs (Taiwanese Business Associations). Inwiefern diese im Austausch mit in Taiwan angesiedelten Organisationen stehen, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht erforscht. Dies könnte ein interessanter Ansatzpunkt für weitere Studien sein. Insgesamt erscheint es aber, dass die Taishang als Gruppe keine institutionalisierte Interessenvertretung in Taiwan stellen.[54] Nichtsdestotrotz verfügen Einzelne über große finanzielle Ressourcen und enge Kontakte zur Politik, insbesondere zur KMT. Taiwanesische Politiker sind, ähnlich wie jene in den Vereinigten Staaten von Amerika, stark auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Einflussnahme und Sicherung von Interessen der Taishang finden also meist informell statt.[55]

 

Eine weitere Strategie, Einfluss auf die Handelsbeziehungen und etwaige Abkommen zu nehmen, besteht in dem Versuch, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Durch die Finanzstärke der Taishang konnte in den letzten Jahren zunehmend beobachtet werden, dass Taishangs mit wirtschaftlichen Interessen in China Anteile taiwanesischer Medienunternehmen aufkauften. Eines der bekanntesten Beispiele dabei ist der Kauf der China Times Group durch die Want Want Group, ein an der Börse in Hong Kong gelisteter taiwanesischer Lebensmittelhersteller mit einem großen finanziellen Engagement in China.[56] Dadurch sicherte sich die von einem Taishang geführte Gruppe eine der größten Zeitungen (China Times, 中國時) sowie den Nachrichtensender Cti TV (中天電). Deren Zurückhalten von kritischer Berichterstattung über die China Politik Mas, der KMT und engerer wirtschaftlicher Kooperation über die Taiwan Straße war direkt verbunden mit einer Abwertung der Pressefreiheit im Freedom House Index im Jahr 2011.[57]

 

Frank Muyard analysierte in einer Studie die Handelsbeziehungen zwischen China und Taiwan von 2000 bis zum Jahr 2010. Dabei machte er insbesondere die Taishang als eine der Gruppen aus, die von den niedrigeren Produktionskosten in China und der Verlagerung von Produktionsschritten dorthin, besonders profitieren.[58] Auch wenn noch nicht viele Studien zu diesem Thema vorliegen, erscheinen Muyards Ergebnisse plausibel. Sie decken sich beispielsweise mit der Entwicklung der Reallöhne der Arbeitnehmer, welche von der Liberalisierung bislang durchschnittlich nicht profitieren (darauf wird im Abschnitt 4.2 näher eingegangen). Theoretisch-deduktiv kann hier also angenommen werden, dass eine Ratifizierung des CSSTA im Interesse der Taishang liegt.

 

Zusammengefasst handelt es sich bei dem Taishang also um eine heterogene Gruppe, die zumindest innerhalb Taiwans, keine erkennbaren organisatorischen Strukturen aufweist. Allerdings haben sie ein ausgeprägtes Interesse an stabilen Verhältnissen und tiefgehender wirtschaftlicher Kooperation zwischen China und Taiwan – Abkommen wie das ECFA und insbesondere das CSSTA liegen also offenkundig in ihrem Interesse. Trotz ihrer insgesamt hohen Anzahl an Personen, scheint ihre Fähigkeit als einheitlicher Wählerblock Druck auf die Regierung auszuüben und das Abkommen gemäß in ihren Interessen zu beeinflussen, in dieser Hinsicht begrenzt. Auf der anderen Seite erscheint es, dass insbesondere durch ihre finanziellen Einflussmöglichkeiten und Verbindungen zur KMT, ihre Interessen durchaus Gehör finden. Die Art und Weise der Einflussnahme erscheint daher als eine kooperative Form der Interaktion. Weiterhin versuchen sie die Medien zu nutzen, um die Öffentliche Meinung in ihrem Sinne mit zu beeinflussen.

 

4.2 Gewerkschaften

 

Weitere Gruppen, die direkt betroffen sind von einer weiteren Marktliberalisierung und erweiterten ökonomischen Kooperation mit China, sind die Arbeitervertretungen und Gewerkschaften. Um deren Rolle im Hinblick auf Einflussmöglichkeiten in der Handelspolitik zu verstehen, ist es notwendig, zunächst deren Entstehung in Taiwans jüngerer Geschichte zu betrachten.

 

Die Demokratisierung des politischen Systems Taiwans führte dabei zu einem massiven Wandel der Interessenvertretung von Arbeitern. Durch die Einführung des Martial law im Mai 1949 unter Chiang Kai-shek (蔣介) gab es enorme Einschränkungen in Bezug auf demokratische Grundrechte – wie zum Beispiel die Versammlungsfreiheit. Das führte dazu, dass alle Gewerkschaften auf nationaler Ebene, außer der 1948 gegründeten Chinese Federation of Labour (CFL), verboten waren. Die CFL stelle allerdings keineswegs eine unabhängige Interessenvertretung dar. Vielmehr stand sie unter Kontrolle der KMT Regierungen, rekrutierte ihr Personal aus Parteimitgliedern und wurde auch von dieser finanziert.[59] Mit der einsetzenden Demokratisierung in den 1980er Jahren kam es zu einer Verdrängung von KMT Angehörigen aus den Spitzenpositionen und die Arbeiter sicherten sich zunehmend die Kontrolle über die Organisation.[60] Eine Folge davon war jedoch auch, dass die zuvor engen Verbindungen zur KMT abbrachen und sie sich offen gegen die von der KMT betriebene Politik positionierten.[61]

 

Ende der 1990er Jahre gelang es mit der Gründung der Taiwan Confederation of Trade Unions (TCTU) eine weitere Vertretung der Arbeiterbewegung Taiwans auf nationaler Ebene zu etablieren.[62] Das in seiner zuvor bestehenden Form bis zum Jahr 2000 bestehende „Trade Union Law“ verbot allerdings nach wie vor eine weitere Organisation auf nationaler Ebene neben der CFL und die KMT sperrte sich, dieses Gesetz anzupassen. Aus diesem Grund kooperierten weite Teile der Arbeiterbewegung mit der DPP. Professor Ming-sho Ho, Soziologe an der National Taiwan University, spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „strategy of political alignement with the DPP“.[63] Mit der Regierungsübernahme der DPP kam es dann auch zur juristischen Anerkennung der TCTU. Dennoch bestand auch noch bis zum Ende der ersten Amtsperiode Chen Shui-bians ein organisatorisches Defizit der Gewerkschaften.[64] Auch finanziell erscheinen die Ressourcen beschränkt, da die TCTU wie auch die CFL, zuletzt immer wieder auf staatliche Fördermittel angewiesen waren.[65]

 

Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass es den Verbänden in den letzten Jahren gelungen ist, ihre Autonomie und organisatorischen Strukturen auszubauen.[66] Eine Ursache dafür liegt auch in dem zum Trade Union Law 2010 hinzugefügtem Zusatz, der weitere Beschränkungen in Bezug auf Gewerkschaften aufhob. Insbesondere die nun eingeräumte Möglichkeit, Verbände über einzelne Unternehmen und Wirtschaftssektoren hinweg zu bilden, kann eine Chance für zukünftige Entwicklungen darstellen.[67] Weiterhin wuchs die Anzahl der in Gewerkschaften organisierten Arbeiter, besonders im Dienstleistungssektor, so dass ihr Einfluss auf die Regierung in den letzten Jahren zugenommen hat.[68] Insgesamt stieg die Anzahl der in Gewerkschaften organisierten Arbeiter von 2,868,330 im Jahr 2000 auf 3,310,189 zum Ende des zweiten Quartals 2015. [69]

 

Einflussreiche Gruppen, wie etwa die TCTU und die Taiwan Labor Fron (台灣勞工陣), positionierten sich in den letzten Jahren bereits aktiv und öffentlich gegen Handelsliberalisierung. Viele sehen die Arbeiter bereits jetzt als Verlierer des gestiegenen Handels mit China und weiterer Investitionen auf dem chinesischen Festland und befürchten, dass eine stärkere Öffnung Taiwans für chinesische Unternehmen zu einer weiteren Steigerung der Ungleichheit der Einkommensverteilung und steigender Arbeitslosigkeit führt.[70] Sorgen, die ob begründet oder nicht, auch in Europa Gewerkschaften gegen Handelsabkommen zu Protesten motivieren.[71] Der Gini-Koeffizient stieg in Taiwan von 0,277 im Jahr 1980 auf 33,8 im Jahr 2012.[72] Trotzdem kann der Handel über die Taiwan Straße nicht als alleinige Ursache dafür betrachtet werden.[73] Hinzu kommt, dass in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Verlagerung von Produktionsstätten nach China stattgefunden hat. Arbeitnehmer scheinen bislang keinen Nutzen von der ökonomischen Kooperation mit China zu haben, denn obwohl das GDP Taiwan von 10,351,260 Millionen Taiwan Dollar im Jahr 2000 auf 16,084,003 im Jahr 2014 gestiegen ist und Taiwans seit Jahren einen Handelsüberschuss gegenüber China verzeichnet, erfolgte kein nennenswerter Anstieg der Löhne.[74],[75] Das Gegenteil ist der Fall, denn die Reallöhne sanken zuletzt auf ein niedrigeres Niveau als noch vor 15 Jahren.[76] Theoretisch-deduktiv kann hier also angenommen werden, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerverbände kein Interesse an einer vertieften ökonomischen Kooperation mit China und der Ratifizierung des CSSTA haben. Dafür sprechen auch empirische Hinweise, wie etwa abgehaltene Proteste. Und auch in anderen Industriestaaten sind Arbeitnehmerverbände häufig in Opposition zu Abkommen, die den Handel liberalisieren. Für Taiwan kommt hinzu, dass neben befürchteten negativen Effekten auf die wirtschaftliche Situation der taiwanesischen Arbeiter auch Bedenken über politische Folgen bestehen. Da die Arbeiterbewegung in Taiwan noch relativ „jung“ ist und sich erst in den letzten Jahren weitere Freiheitsrechte erstritten hat, könnte eine weitere wirtschaftliche Integration mit China auch Auswirkungen auf die rechtliche Stellung der Gewerkschaften haben.

 

Zusammengefasst weisen Gewerkschaften in Taiwan weniger starke Organisationsstrukturen auf Die Ursachen hierfür liegen insbesondere in der jüngeren Geschichte. Die aber zuletzt wieder gestiegene Anzahl an Mitgliedern verstärkt ihre Bedeutung als relevanter Wählerblock. Finanziell erscheinen die Mittel der Gewerkschaften insgesamt begrenzt. Gute Verbindungen zwischen der aktuell wohl einflussreichsten Gewerkschaft, der TCTU, bestehen insbesondere zur DPP. Da diese jedoch aktuell in der Opposition ist, ist die Einflussnahme auf das CSSTA durch die DPP stark begrenzt. Weitere Handelsliberalisierung, insbesondere mit China, steht entgegen ihren Interessen. Aufgefallen sind sie in den letzten Jahren hingegen durch medienwirksame Großdemonstrationen und eine hohe Mobilisierungskraft, womit sie versuchen, Druck auf die Regierung auszuüben und die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

 

4.3 Handels- und Industrieverbände

 

Zu den einflussreichsten Interessensgruppen Taiwans gehören Handels- und Industrieverbände. Insbesondere die Chinese National Federation of Industries (CNFI), die Chinese National Association of Industry and Commerce (CNAIC) und die (General Chamber of Commerce of the Republic of China (ROCCOC) gehören zu den bedeutendsten gesellschaftlichen Akteuren im Bereich der Wirtschaftspolitik Taiwans auf nationaler Ebene.[77]

 

So vereint allein die CNFI als Dachverband 155 Mitgliedsorganisationen, die zusammen für mehr als 100.000 Industrieunternehmen in Taiwan stehen.[78] Als ihre Aufgabe und Funktion begreift die Organisation dabei die Beratung der Regierung und der Regierungsmitglieder bei dem Erlassen von Wirtschaftsgesetzen.[79] Weiterhin finden monatlich Konsultationen zwischen hochrangigen Vertretern der CNFI und Regierungsmitgliedern statt.[80] Damit verfügt die CNFI über einen direkten Zugang zur Regierung. Eine weitere Aufgabe sieht sie in der Unterstützung von Unternehmen in China.[81]

 

Auch die CNAIC weist ausgeprägte organisatorische Strukturen auf. In den Führungsebenen finden sich einige Verantwortliche der größten Unternehmen Taiwans. Die CNAIC selbst erklärt, dass mehr als 80 Prozent der 50 größten Unternehmen Taiwans zu ihren Mitgliedern zählen.[82] Als eine ihrer Hauptaufgaben begreift sie die Förderung von internationaler Kooperation auf wirtschaftlicher Ebene sowie einen Beitrag zur Steigerung des auswärtigen Handels zu leisten.[83]

 

Maßgeblich betroffen von einer Ratifizierung des CSSTA wären zudem die Mitglieder der ROCCOC, wovon etwa 85 Prozent im Dienstleistungssektor aktiv sind.[84] Die ROCCOC ist ebenfalls ein Dachverband, dem 122 Unterorganisationen angehören, welche insgesamt mehr als 100.000 Unternehmen repräsentieren. Sie sprach sich auch während der Proteste öffentlich für eine schnelle Ratifizierung des Abkommens aus.[85]

 

Eine in der Öffentlichkeit weniger bekannte Interessensgruppe ist der Third Wednesday Club (中華民國三三企業交流協). Diesem gehören 65 der größten Konglomerate Taiwans als reguläre Mitglieder an sowie weitere 27 Großunternehmen als Sponsoren.[86] Insgesamt gibt die Gruppe an, dass die vertretenen Unternehmen einen Umsatz von 585 Milliarden US Dollar verzeichnen. Der im Oktober 2012 zum Vorsitzenden der Gruppe gewählte Chang Pin-kung (江丙坤) war zuvor von 2008 bis September 2012 Leiter der SEF und damit maßgeblich an den Vorverhandlungen zum CSSTA beteiligt. Er war es auch, der im Jahr 2010 das ECFA unterzeichnete.[87] Dass der Vorsitzende der SEF nur einen Monat nach seinem Ausscheiden dort zum Vorsitzenden des Third Wednesday Club gewählt wurde, deutet daraufhin, dass auch davor bereits Kontakte bestanden. Zudem hatte Chang zuvor hohe Ämter innerhalb der KMT inne und war vor Ma Ying-jeou zwischenzeitlich sogar Vorsitzender der KMT.

 

In seiner Analyse macht Muyard neben den Taishangs auch insbesondere Großunternehmen als Profiteure der Liberalisierung der Handelsbeziehungen zwischen Taiwan und China aus.[88] Ein großer Teil der größten taiwanesischen Unternehmen ist in einem der dargestellten Interessensgruppen vertreten und auch personell bestehen Überschneidungen. So ist etwa der Vorsitzende der Taiwan Glass Group, Lin Por-Fong (林伯豐), gleichzeitig Vorsitzender der CNAIC und Stellvertretender Vorsitzender der CNFI.[89] Es kann theoretisch-deduktiv also angenommen werden, dass die Verbände ein Interesse an der Ratifizierung des CSSTA haben – und auch öffentliche Statements der Verantwortlichen der Gruppen bestätigen dies. Insgesamt sind wirtschaftliche Interessensgruppen in Taiwan gut organisiert und verfügen über weitreichende Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern. Es kann daher angenommen werden, dass sie auf eine Ratifizierung hingewirkt haben.

 

4.4 Das „Sunflower Movement”

 

Soziale Bewegungen wie das Sunflower Movement (SFM) sind analytisch in Hinblick auf ihre organisatorischen Strukturen problematisch zu erfassen. Dennoch benötigen auch sie Strukturen, um etwa groß angelegte Demonstrationen und geplante Aktionen durchzuführen. Das SFM entstand zwar unmittelbar im Zusammenhang mit der geplanten Ratifizierung des CSSTA, jedoch gab es auch zuvor schon vergleichbare Studentenproteste.[90]

 

Schon bevor die Proteste gegen das CSSTA medienwirksame Aufmerksamkeit erhielten, kam es zu einer Vielzahl von Kampagnen und Demonstrationen gegen das Abkommen. Diese wurden maßgeblich von vorangegangenen Bewegungen mit beeinflusst. Zu nennen ist hier etwa das Wild Strawberry Movement aus dem Jahr 2008 sowie das Anti-Media Monopoly Movement 2012.[91] Diese Bewegungen gleichen dem SFM sowohl in Bezug auf die beteiligten Personen und die Taktiken, um ihre Ziele zu erreichen als auch dem Misstrauen gegenüber der von der Regierung unter Präsident Ma geführten wirtschaftlichen und politischen Annährung an China.[92]

 

Als Sprecher der Bewegung traten insbesondere drei Personen in den Vordergrund. Auch wenn in dieser Analyse soziale Gruppen und nicht Individuen den Schwerpunkt der Betrachtung ausmachen, sind diese Personen von Interesse, da sie sich stellvertretend für die Protestbewegung äußerten. Namentlich standen also Chen Wei-ting (陳為廷, Soziologie Student an der Tsinghua University), Huang Kuo-chang (黃國, Rechtswissenschaftler an der Academia Sinica) und Lin Fei-fan (林飛, Student der Politikwissenschaft an der National Taiwan University) als Vertreter der Bewegung in der Öffentlichkeit.[93] Lin Fei-fan und Chen Wei-ting gehören der Black Island Youth Front an – eine Gruppe, die bereits zuvor bei einigen Demonstrationen in Erscheinung getreten war. Mitglieder dieser Gruppe waren es auch, die als erstes den LY stürmten. Im Verlauf der Proteste schlossen sich auch NGOs – wie beispielsweise die Taiwan Association of Human Rights und die Democratic Front Against Cross-Strait Trade in Services Agreement – den Studenten an.

 

Über die Dauer der Proteste hinweg war die Mobilisierungskraft der Bewegung außerordentlich hoch. Nachdem zunächst nur etwa 50 Studenten mit der Besetzung des Legislative Yuan begonnen hatten, kam es zu einer andauernden Blockade auch weiterer Straßen in der näheren Umgebung und Protestmärschen von mehr als 100.000 Personen.[94] Bemerkenswert ist hierbei, dass es den Studenten gelang, eine Art Infrastruktur aufzubauen. Überwiegend durch Spenden geschaffen, entstanden rund um den Legislative Yuan Stände, die die Studenten mit Getränken und Nahrung versorgten. Zudem wurden selbstständig sanitäre Anlagen aufgebaut. Ohne eine solche Organisation wäre eine 23 Tage andauernde Besetzung nur schwer denkbar.

 

Für die Ermittlung der Interessen der Bewegung bietet sich die empirisch-induktive Methode an, denn der Sprecher Lin Fei-fan erklärte in einer Rede in Taipei am 30. März 2014 vier Forderungen der Bewegung: Überprüfung und Neuaushandlung des CSSTA im LY; Verabschiedung eines Gesetzes zur Überprüfung zukünftiger Abkommen mit China; Verabschiedung des Kontrollmechanismus bevor das CSSTA erneut geprüft wird; das Abhalten einer verfassungsgebenden Versammlung.[95],[96] Frühere Forderungen beinhalteten eine Rücknahme des Abkommens insgesamt sowie ein Treffen mit Präsident Ma, um die Forderungen zu verhandeln.[97]

 

Um ihre Interessen durchzusetzen, wählte die Bewegung einen konfrontativen Kurs mit der Regierung. Die zentrale Strategie bestand zunächst darin, den Legislative Yuan zu besetzen, um somit eine Ratifizierung des CSSTA zu verhindern. Dadurch kam es außerdem zu einer enormen Medienpräsens der Beteiligten und Druck auf die von der KMT geführte Regierung, sich mit den Protesten zu befassen. Doch obwohl die Besetzung eine radikale Maßnahme ist, verliefen die Proteste ansonsten sehr friedlich und die Aktivisten reinigten das Parlament noch gründlich, bevor sie die Blockade am 10. April 2014 wieder auflösten.[98]

 

Insgesamt handelt es sich bei dem SFM um eine Bewegung, der es gelang, über einen begrenzten Zeitraum intensive Proteste und Blockaden zu organisieren. Im Verlauf der Protestaktionen konnten sie auch eine enorme Anzahl an Menschen zu mobilisieren und den Fokus der Öffentlichkeit explizit auf das CSSTA zu lenken. Als eine Bewegung, deren Ziel es ist, das Abkommen zu überprüfen und neuaushandeln zulassen, steht sie in starker Opposition zu einer schnellen Ratifizierung. Als Strategie, um ihre Ziele zu erreichen, besetzten sie den Legislative Yuan über 23 Tage und versuchten durch die mediale Aufmerksamkeit den gesellschaftlichen Druck auf politische Entscheidungsträger zu erhöhen.

 

Fin de l'extrait de 68 pages

Résumé des informations

Titre
Taiwan und die ausgesetzte Ratifizierung des Cross-Strait Service Trade Agreements
Sous-titre
Eine Untersuchung des Einflusses gesellschaftlicher Gruppen Taiwans auf Handelsabkommen in der Taiwan Straße auf Grundlage des Neoliberalismus
Université
University of Bonn  (Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie)
Note
1,5
Année
2015
Pages
68
N° de catalogue
V387556
ISBN (ebook)
9783668617148
ISBN (Livre)
9783668617155
Taille d'un fichier
1228 KB
Langue
allemand
Mots clés
Taiwan, Neoliberalismus, Liberalismus, Gewerkschaften, Handels- und Industrieverbände, Taishang, Andrew Moravcsik, Moravcik, Trade Agreement, Trade, Agreement, Handelsabkommen, Handel, Wirtschaftsbeziehungen, China, ROC, Sunflower Movement, ECFA, Economic Cooperation Framework Agreement, Economic Cooperation, CSSTA, DPP, KMT, Wahlen, Ratifizierung, Straight Exchange Foundation, Legislative Yuan, Kuomintang, Democratic Progressive Party, CFL, Chinese Federation of Labor, TBA, Taiwan Business Association, PFP, People First Party, RCEP, MAC, Mainland Affairs Council, Ma Ying-jeou, Cross-Strait Relations, Cross Strait, Chen Shui-bian, ARATS, China’s Association for Relations across the Taiwan Strait, Internationale Beziehungen, IB, Institutionalismus, Außenpolitik, Umbrella Movement, Hong Kong, Republic of China, PRC, Volksrepublik China
Citation du texte
Anonyme, 2015, Taiwan und die ausgesetzte Ratifizierung des Cross-Strait Service Trade Agreements, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/387556

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