In den 1920er Jahren stellte eine avantgardistische Bewegung von russischen Exilanten, die vor den Bolschewisten geflohen waren, die Behauptung auf, mit ‚Eurasien‘ einen dritten Kontinent zwischen Asien und Europa entdeckt zu haben. Sie glaubten, durch die Erforschung von dessen Besonderheiten – etwa in Kultur, Sprache und Geografie - ein politisches System entwickeln zu können. Ihre konservative Utopie war ein neues russisches Imperium, das sich vom Westen abgrenzt. Die Eurasier scheiterten. Ihre Ideen gerieten in Vergessenheit und sollten erst in der letzten Phase der Sowjetunion wieder auftauchen, zunächst vorrangig im rechtsradikalen Spektrum, bald aber auch in Mainstream und akademischem Milieu. Fast ein weiteres Vierteljahrhundert später, nach der Wende Putins zum Konservativismus konnte Eurasien-Rhetorik schließlich sogar Eingang in den offiziellen Duktus des Kreml finden.
Offensichtlich diente der ‚eurasische Gedanke‘ zu verschiedenen Zeiten der Konstruktion von Gruppenidentität. Welche Motive verfolgten die ‚Eurasier‘? Was war der klassische Eurasismus, wie ist er entstanden? Da es sich um eine heterogene Strömung handelt, werden zumeist Gedanken untersucht, die im Großen und Ganzen Konsens waren. Welche Entwicklungen hat der Eurasismus durchlaufen, was verbindet beziehungsweise unterscheidet ihn vom kontemporären ‚Neoeurasismus‘? In dieser Arbeit sollen wesentliche Komponenten untersucht werden, aus denen sich die diversen Theoriegebäude zusammensetzten, die unter diesem Etikett firmierten.
Die These ist, dass sowohl der klassische evrazijstvo als auch der ‚Neoeurasismus‘ versuchen, Russland von Westeuropa abzugrenzen und gleichzeitig eine eigene imperiale Politik zu legitimieren. Paradoxerweise basieren die antiwestlichen Theoriegebäude auf westlichen Denkrichtungen und wären ohne sie gänzlich undenkbar. Gerade in jüngerer Zeit vermischen sich zunehmend eurasische mit geopolitischen Argumentationen, etwa im Modell einer multipolaren Welt. Es wird zu zeigen sein, wie sich dieses Konzept entwickelte und welche Ziele seine Vertreter verfolgten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der,klassische' Eurasismus der Zwischenkriegszeit
- Entstehung und Wirkung
- Organisation, Infiltration und Spaltung
- Ideologisch motivierte Konstruktion
- Lev Gumilev: der, letzte Eurasier'?
- Biographisches
- Die Theorie der Ethnogenese
- Pseudo-wissenschaftliche Argumentationsmuster
- Vom Liberalen zum, Neoeurasier': Aleksandr Panarin
- Biographisches
- , Neoeurasimus' als neokonservative Globalisierungskritik
- Panarin als Wegbereiter Dugins
- Der rechtsradikale, Neoeurasismus' Aleksandr Dugins
- Biographischer Hintergrund und Wirken
- Der,Dritte Weg'
- Dugins Konzept einer multipolaren Welt
- Schlussbetrachtungen und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht den Eurasismus als ideologische Strömung, die sich im 20. Jahrhundert entwickelte und in jüngerer Zeit wieder an Bedeutung gewonnen hat. Sie analysiert die Entstehung und Entwicklung des,klassischen' Eurasismus der Zwischenkriegszeit sowie dessen Verbindung zum zeitgenössischen,Neoeuraismus'. Der Fokus liegt auf der Frage, wie sich diese Denkrichtungen von Westeuropa abgrenzen und gleichzeitig eine eigene imperiale Politik legitimieren.
- Entstehung und Entwicklung des Eurasismus
- Ideologische Wurzeln und Konzepte des Eurasismus
- Beziehungen zwischen dem,klassischen' und dem,Neoeuraismus'
- Politische Implikationen und Ziele des Eurasismus
- Kritik am Eurasismus aus westlicher Perspektive
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung bietet einen Überblick über die Aktualität des Themas und die Relevanz des Eurasismus im Kontext des Ukraine-Konfliktes. Kapitel 2 widmet sich dem,klassischen' Eurasismus der Zwischenkriegszeit und untersucht dessen Entstehung, Organisation, Infiltration und Spaltung. Es werden wichtige Persönlichkeiten und deren jeweilige Ansätze vorgestellt, die das Theoriegebäude des Eurasismus prägten.
Kapitel 3 analysiert das Werk des russischen Historikers Lev Gumilev, der als Vertreter eines eigenständigen,Neoeurasismus' gilt. Es werden sein biographischer Hintergrund, seine Theorie der Ethnogenese und die Kritik an seinem Werk beleuchtet. Kapitel 4 befasst sich mit Aleksandr Panarin, einem russischen Politologen, der sich vom Liberalismus zum,Neoeurasier' entwickelte. Seine neokonservative Globalisierungskritik und seine Rolle als Wegbereiter für Aleksandr Dugin werden im Detail untersucht.
Schlüsselwörter
Eurasismus, evrazijstvo, Neoeuraismus, Russland, Imperium, Anti-Westlichkeit, Geopolitik, Multipolare Welt, Verschwörungstheorie, Aleksandr Dugin, Lev Gumilev, Aleksandr Panarin, Sowjetunion, Ukraine-Konflikt.
- Citar trabajo
- Christoph Kluge (Autor), 2015, Imagination und Legitimation des Imperiums. Evrazijstvo und "Neoeurasismus" als antiwestliche Abgrenzungsideologien mit westlichen Wurzeln, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/387606