Zur Relevanz des Textbegriffs als musikwissenschaftliche Kategorie


Seminar Paper, 2005

21 Pages, Grade: Sehr gut


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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Musik als Text
2.1 Einleitende Bemerkungen
2.2 Zur Entwicklung der Textkategorie im Hinblick auf musikwissenschaftliche Zusammenhänge
2.3 Das Textkonzept in einer musikrezeptionsorientierten Betrachtung

3 Diskussion der Standpunkte
3.1 Diskussion der Standpunkte und Kritik
3.2 Zur Relevanz des Kategorienbegriffs Text für die musikwissenschaftliche Praxis am Beispiel der Rezeption

4 Resümee

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Der Textbegriff gilt in den Geisteswissenschaften als derartig vielschichtig wie wenige andere Begriffe. Zum einen äußert sich dies in zahlreichen Präfixierungen – etwa Kontext, Subtext, Intertext etc. – zum anderen in einem damit einhergehenden Bedeutungswandels des Textbegriffs selbst.

1993 wurde am Kongress der Gesellschaft für Musikforschung in Freiburg, der unter dem Titel „Musik als Text“ abgehalten wurde, versucht, den Begriff Text vor dem Hintergrund der musikwissenschaftlichen Gegebenheiten zu erörtern.

In dieser Arbeit soll aufbauend auf zwei Texte, die anlässlich dieses Kongresses entstanden sind – zum einen ist dies „Der Text und die Texte“ von Herman Danuser und „Text und Rezeption“ von Siegfried Mauser - Standpunkte in Bezug auf die Relevanz des Begriffs Text für die Musikwissenschaft erläutert werden.

In einem weiteren Kapitel versucht der Autor dieser Arbeit, die beiden Positionen verdeutlicht gegenüberzustellen und selbstständig kritische Anmerkungen zu geben. In diesem Kapitel soll dann die herausgearbeitete Position im Hinblick auf eine musikalische Hermeneutik gedeutet werden.

Im Anschluss daran kann resümiert werden und die globalen hinter der Arbeit stehenden Fragen, inwiefern die Kategorie des Textes in einer musikalischen Hermeneutik einen Platz finden kann und, wenn ja warum und unter welchen Voraussetzungen, beantwortet werden.

2 Musik als Text

2.1 Einleitende Bemerkungen

1993 fand in Freiburg im Breisgau ein Kongress der Gesellschaft für Musikforschung, dessen zentrales Thema die Bedeutung der Textkategorie für die Musikwissenschaft war, statt. Dementsprechend wurde der Kongresstitel Musik als Text gewählt, was Befremden auslösen sollte, da die bisherige Terminologie die Begriffe eher in Formen wie Text über Musik oder Musik und Text paarte. Musik als Text sollte Befremden auslösen , denn mit dieser Wahl wurde implizit eine (zumindest partielle) Identität von Musik und Text als Kategorien angesprochen, was dem vorherrschenden ausschließenden Verständnis widersprach. Bisher galt, was nicht Musik ist, ist der Text.

Bei diesem Kongress wurde hingegen der Frage nachgegangen, was an der Musik selbst Text sei, inwiefern Musik als Text begriffen werden kann und unter welchen Gesichtspunkten und mit welchen Erkenntniszielen dies geschehen könnte, nachgegangen.

Der Blick sollte dabei auf Entwicklungen in den Nachbardisziplinen, aber auch im Sinne der alten Textmetapher auf Komplexe wie Welt als Text oder Natur als Text gelenkt werden. Die Voraussetzungen werden nochmals in folgendem Zitat von Herman Danuser verdeutlicht, für den dieser Kongress gleichzeitig auch den Schlusspunkt seines Wirkens an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg vor seinem Ruf an die Humboldt Universität Berlin bedeutete.

„Innerhalb der Musikwissenschaft ist ‚Text’, nicht anders als in den theologischen, philologischen und juridischen Wissenschaften, eine ebenso alte wie fundamentale Kategorie. Von den Anfängen unserer Disziplin bis in die jüngste Gegenwart hat sie eine in spezifischem Sinn wissenschaftsbegründende Leitfunktion innegehabt, so daß sich in ihren Wandlungen wesentliche Aspekte der Geschichte des Faches spiegeln. Wann immer Probleme von musikalischer Quellenforschung, Editionstechnik, Denkmäler- bzw. Gesamtausgaben, auch von Auffiihrungspraxis oder gar von Rezeptionsgeschichte angesprochen waren, kamen Aspekte der Textkategorie zur Sprache. Dabei wurde niemals übersehen, daß zwischen der musikalischen und der linguistischen bzw. literarischen Textkategorie grundlegende Differenzen bestehen, enthält doch der geschriebene Sprachtext seine volle Bedeutung in qualitativ anderem, höherem Maße als der musikalische Notentext, der auf seine klangliche Realisierung hin angelegt ist. Ausmaß und Sinn dieser Differenzen freilich, und zwar hinsichtlich des historischen Entwicklungsgangs ebenso wie einer theoretischen Begründung, sind unterschiedlich gewertet worden: Während etwa Thrasybulos Georgiades die Notenschrift, jedenfalls bis zur Geschichtszäsur um 1830, lediglich als Vor-Schrift zum «Erzeugen von [erklingender] Musik» auffaßte und damit in einem unüberbrückbaren Gegensatz zur sprachlichen Schriftlichkeit sah, argumentierte Carl Dahlhaus — die Georgiadessche Dichotomie relativierend —, daß die Musik bei all ihrer Besonderheit gleichwohl seit dem späten Mittelalter an der Textkategorie im emphatischen Sinn teilhabe.“[1]

Im Folgenden werden nun zwei Bearbeitungen des Themas, wie der Textbegriff sich als Kategorie der Musikwissenschaft anwenden lässt, präsentiert. Die erste stammt von Herman Danuser selbst und beschäftigt sich mit dem Text als Kategorie und den Veränderungen der Sichtweise in den letzten Jahren. In der zweiten vorgestellten Ausarbeitung wendet Siegfried Mauser die Textkategorie auf die Perzeption von Musik an.

2.2 Zur Entwicklung der Textkategorie im Hinblick auf musikwissenschaftliche Zusammenhänge

Hermann Danuser führt am Beispiel der Singularisierungs- und Pluralisierungstendenz des Textbegriffs vor, dass der Begriff Text einer historischen Entwicklung unterworfen ist. Hinter der Pluralisierung bzw. Singularisierung stehen Veränderungen der dem Wort Text zu Grunde liegenden semantischen Konzepte. Zunächst versucht er zu verdeutlichen, dass nicht die grammatikalische Konstruktion der dabei interessierende Aspekt sei, sondern die Tatsache, wie diese Formen spezifisch bestimmten Bedeutungsinhalten zugeordnet werden:

„Die Numerusformen Singular und Plural, in den einzelnen Sprachen je spezifisch konstituiert, sind im allgemeinen zwar voneinander unterschieden, gegeneinander abgesetzt, doch wiederum auch miteinander verknüpft. Wörter wie ‚Natur’, die nur im Singular vorkommen, sind in der deutschen Sprache selten, der Gegenbegriff Kultur etwa existiert in beiden Formen, also auch im Plural. Überdies kann ein Singularwort semantisch einen Plural indizieren — bei Kollektivsingularen wie ‚das Gebirge’, ‚das Gewässer’ — umgekehrt kann aber auch eine sprachliche Pluralform semantisch einen Singular bezeichnen, bei lateinischen Pluralia tantum (z.B. ‚castra’, das Lager), im Deutschen etwa ‚die Ferien’ oder ‚die Alpen’.”[2]

Weiter führt er vor, wie die grammatikalische Konstruktion der Begriffe Musik und Text angelegt ist. So existiert der Begriff Musik in der Deutschen Sprache nur im Singular, Text war seit jeher in beiden Numerusformen verwendbar. Jedoch sind für Danuser Zeichen einer Singularisierungs- und Pluralisierungstendenz spürbar.

Auf der einen Seite kann die geschichtlich erst seit einigen Jahren spürbare Tendenz zur Präfixierung des Textbegriffs als Beispiel für die Pluralisierungstendenz angesehen werden. Auf der anderen Seite kann die Entwicklung des Textbegriffs hin zu einer Kategorie wie Natur oder Kultur oder Geschichte als Beispiel für eine Singularisierungstendenz aufgefasst werden. Danuser argumentiert, dass aus der Wahrnehmung dieser Tendenzen die übergeordneten Fragestellungen des Kongresses hervorgegangen sind:

„Aus ihm hervorgegangen [...][ist die] Fragestellung, inwiefern Text für die Musikwissenschaft eine bedeutsame Kategorie sein könne, wie die Thematik des Freiburger Kongresses ‚Musik als Text’ insgesamt, die in einem Reflexionszusammenhang mit der aktuellen philosophischen Frage nach der ‚Welt als Text’ oder auch der älteren nach dem ‚Buch der Natur’ — so bei Hans Blumenberg — steht. Nachdem bis ins 17. Jahrhundert der Zeichencharakter der Welt und ihre Konstitution als lesbarer Text, nicht anders als der primäre Theoriecharakter der Musik, anerkannt gewesen waren, Aufklärung und danach romantische Kunstphilosophie diese Traditionen des Verstehens jedoch aufgehoben hatten, sind durch die Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts, die philosophiegeschichtlich entscheidende Leistung unserer Epoche, die Kategorien Text, Zeichen, Diskurs in ganz neuer Weise als erkenntnis- und lebenskonstituierende Kategorien begründet und entwickelt worden. Gilt deren Einsicht, daß es keinen anderen Zugang zur Welt menschlichen Verstehens gebe als den über die Sprache, auch für die Musik? Können wir auch zur Musik nicht anders gelangen als dadurch, daß wir sie als Text auffassen?“[3]

In seiner Argumentation führt Danuser zunächst den Textbegriff auf seine sprachgeschichtliche Entstehung zurück. So stamme ethymologisch betrachtet unser gebräuchliches Wort Text vom lat. texere, textus ab. Das Verb bedeutet soviel wie weben, flechten im engeren, verfertigen, bauen, errichten im weiteren Sinn. Als Nomen betrachtet bedeutet das lat. textus, Gewebe oder Geflecht, und zwar im konkreten Sinn als Stoffgewirk.

[...]


[1] Danuser, Hermann: Geleitwort in: Danuser, Hermann (Hrsg.): Musik als Text - Bericht über den internationalen Kongreß der Gesellschaft für Musikforschung Freiburg im Breisgau 1993, Band 1: Hauptreferate, Symposien, Kolloquien; Kassel u.a., 1998. S. 1.

[2] Danuser, Hermann: Der Text und die Texte. Über Singularisierung und Pluralisierung einer Kategorie; in: Danuser, Hermann (Hrsg.): Musik als Text - Bericht über den internationalen Kongreß der Gesellschaft für Musikforschung Freiburg im Breisgau 1993, Band 1: Hauptreferate, Symposien, Kolloquien; Kassel u.a., 1998. S. 38.

[3] ebd. S. 39.

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Details

Title
Zur Relevanz des Textbegriffs als musikwissenschaftliche Kategorie
College
University of Vienna
Course
Musikalische Hermeneutik
Grade
Sehr gut
Author
Year
2005
Pages
21
Catalog Number
V38967
ISBN (eBook)
9783638378819
ISBN (Book)
9783640203390
File size
427 KB
Language
German
Keywords
Relevanz, Textbegriffs, Kategorie, Musikalische, Hermeneutik
Quote paper
Wolfgang Just (Author), 2005, Zur Relevanz des Textbegriffs als musikwissenschaftliche Kategorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38967

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