Zwischen dem Vertrag von Nizza und dem Verfassungsentwurf des Konvents - Die EU auf dem Weg zur Mehrheitsdemokratie?


Seminar Paper, 2005

23 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Mehrheits- vs. Konsensdemokratie

3. Das Politische System der EU
3.1. Operationalisierung des Konzepts der Mehrheitsdemokratie am Beispiel der EU
3.1.1 Aufteilung der Exekutivmacht auf eine Vielparteienkoalition
3.1.2 Formelles und informelles Kräftegleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative
3.1.3 Vielparteiensystem
3.1.4 Verhältniswahlrecht
3.1.3 Koordinierte und korporatistische Interessengruppensysteme
3.1.5 Föderalistischer und dezentraler Staatsaufbau
3.1.6 Starker Bikammeralismus
3.1.7 Verfassungsstarrheit
3.1.8 Ausgebaute richterliche Nachprüfung der Gesetzgebung
3.1.9 Autonome Zentralbank

4. Institutionelle Veränderung durch die EU-Verfassung
4.1 Zustandekommen des Vertrages über eine Verfassung für Europa
4.2. Institutionelle Änderung durch die EU-Verfassung
4.2.1 EU-Ratspräsidentschaft – Aus für den Turnus-Vorsitz
4.2.2 Kommission – Aus für das Prinzip „Ein Land – ein Kommissar“
4.2.3 Mehrheitsentscheidungen – Aus für die Stimmverteilung gemäß dem Vertrag von Nizza

5. Die EU auf dem Weg zur Mehrheitsdemokratie?

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Durch die EU-Osterweiterung und die daraus resultierende EU der 25 Mitgliedstaaten sieht sich das politische System der EU neuen Herausforderungen gegenüber. Um die Leistungsfähigkeit und Legitimität der Institutionen der EU aufrecht zu erhalten, wurden bereits mit den Verträgen von Amsterdam (1997) und Nizza (2003) Anpassungen vorgenommen. Hier ist z.B. die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips im Ministerrat zu nennen. Um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden, mussten jedoch weitere Reformschritte eingeleitet werden. Diese wurden in Form des Vertrages über eine Verfassung für Europa realisiert. Dem Vertragsdokument, das noch von allen Mitgliedsstaaten außer Spanien ratifiziert werden muss, kommt aus unterschiedlichen Gründen eine beachtliche Bedeutung zu. Zum einen wird es alle Einzelverträge der EU, die in den letzten 50 Jahren geschlossen worden sind, ersetzen und ein eigenständiges Verfassungsdokument darstellen. Darüber hinaus soll es die Leistungsfähigkeit des politischen Systems der EU sicherstellen und die Handlungsfähigkeit der EU, beispielsweise durch eine neue Definition der qualifizierten Mehrheit für Entscheidungen im Ministerrat, auch mit 25 Mitgliedern gewährleisten.

Das politische System der EU weist bis dato weitestgehend die Strukturen des demokratietheoretischen Modells der Konsensdemokratie auf, wie in Kapitel 3 gezeigt werden soll. Institutionelle Veränderungen, wie die neue Definition der qualifizierten Mehrheit, die Abschaffung der turnusmäßigen Ratspräsidentschaft oder die Reduzierung der Mitglieder der Kommission, geben Anlass zur Frage, ob das politische System der EU auch angesichts solcher Anpassungsprozesse nach wie vor Strukturen des Modells der Konsensdemokratie aufweist. Oder hat der institutionelle Wandel auch dazu geführt, dass nun eher die Mehrheitsdemokratie als Referenzmodell zum politischen System der EU herangezogen werden sollte?

Diese Frage soll Gegenstand dieser Hausarbeit sein. In Kapitel 2 soll zunächst der Unterschied zwischen den demokratietheoretischen Modellen der Konsens- und Mehrheitsdemokratie in Anlehnung an Lijphart (1999) dargestellt werden. Darauf aufbauend soll in Kapitel 3 gezeigt werden, dass das politische System der EU auf dem Stand von Nizza die zentralen Prämissen der Konsensdemokratie aufweist. Dies soll anhand von 10 Kriterien zur Operationalisierung des Begriffs der Konsensdemokratie geschehen, die Lijphart (1999) in seinem Buch Patterns of Democracy vorschlägt. Drei wesentliche Reformaspekte der EU-Verfassung, nämlich die neue Definition der qualifizierten Mehrheit, die Abschaffung der turnusmäßigen Ratspräsidentschaft und die Reduzierung der Mitglieder der Kommission, sollen in Kapitel 4 aufgezeigt und komparativ zum bisherigen Stand von Nizza dargestellt werden. Institutionelle Veränderungen sollen hier deutlich gemacht werden. In Kapitel 5 soll schließlich bewertet werden, ob die EU durch die aufgezeigten institutionellen Anpassungen sich dem mehrheitsdemokratischen Modell angenähert hat.

2. Mehrheits- vs. Konsensdemokratie

Der Begriff Demokratie stammt aus dem Griechischen, er setzt sich zusammen aus dem Substantiv demos (= das Volk) und dem Verb kratéin (= herrschen) und wird daher mit „Volksherrschaft“ übersetzt.

Auch wenn das Element der Volksherrschaft in Form der repräsentativen Demokratie in den meisten Ländern zu finden ist, gibt es divergente Konfigurationsmuster von Demokratien. Unterschiedliche Institutionen, wie gesetzgebende Körperschaften, Gerichte, Politische Parteien und Systeme der Interessengruppenvertretung haben sich herausgebildet (vgl. Lijphart 1999: 1).

Legt man die Definition des ehemaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln[1] zugrunde - „government by and for the people“[2] - bleibt allerdings Konkretisierungsbedarf bezüglich der Frage, wer eigentlich regiert und welche Interessen eine potentielle Regierung verfolgen sollte, wenn unterschiedliche Präferenzen und Meinungen unter den „Regierten“ vorherrschen (vgl. Lijphart 1999: 1).

In diesem Zusammenhang stellt Lijphart die beiden Idealtypen Mehrheits- und Konsensdemokratie gegenüber, die unterschiedliche Lösungswege für die dargestellte Problematik aufzeigen.

In einer Mehrheitsdemokratie wird nach dem Willen der Mehrheit regiert. Dies erscheint auch eher legitim als eine Regierung, die dem Willen einer Minderheit folgt. Dennoch liegt hier der Unterschied zur Konsensdemokratie. In einer Konsensdemokratie (auch Verhandlungsdemokratie genannt) wird versucht, nach dem Willen möglichst vieler zu regieren. Zwar ist hierin kein grundsätzlicher Unterschied zur Mehrheitsdemokratie zu sehen, denn beide Ansätze bekennen sich zur Mehrheitsherrschaft, allerdings ist eine Mehrheit in der Konsensdemokratie lediglich eine Mindestvoraussetzung. Darüber hinaus zielen die Institutionen und Regeln auf eine denkbar breite Regierungsbeteiligung und möglichst weitreichende Unterstützung für die Politik, die von der Regierung betrieben wird. Anstatt sich mit einer knappen Mehrheit zufrieden zu geben, wird in einer Konsensdemokratie versucht, den Umfang der Mehrheit zu maximieren (vgl. Lijphart 1999: 2).

„The majoritarian model concentrates power in the hands of a bare majority, whereas the consensus model tries to share, disperse, and limit power in a variety of ways; a closely related difference is that the majoritarian model is exclusive, competitive and adversarial, whereas the consensus model is characterized by inclusiveness, bargaining and compromise.” (vgl. Lijphart 1999: 2).

Manfred G. Schmidt (2000) erläutert hierzu:

„Die Mehrheitsdemokratie konzentriert die politische Macht; sie verschafft der Parlamentsmehrheit und der aus ihr hervorgehenden Exekutive in der Politikgestaltung weitestgehend freie Hand. Die Konsensdemokratie hingegen zielt auf Machtaufteilung, auf Sicherungen und Gegenkräfte gegen die Mehrheit in der Legislative und gegen die vollziehende Staatsgewalt. Die Konsensdemokratie will zudem der Minderheit gesicherte Chancen der Machtteilhabe geben, beispielsweise durch ein suspensives Veto und durch hohe Zustimmungsschwellen wie qualifizierte Mehrheiten. Und somit begrenzt die Konsensdemokratie den Spielraum der Mehrheit im Parlament und den der Exekutive nachhaltig“ (vgl. Schmidt 2000: 340).

Um die abstrakte Beschreibung von Mehrheits- und Konsensdemokratie zu konkretisieren und eine Operationalisierung der beiden Begriffe möglich zu machen, hat Lijphart zehn Kriterien herausgearbeitet, in denen sich die Konzepte klar voneinander trennen lassen (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Gegenüberstellung Mehrheits- und Konsensdemokratie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Lijphart 1999; Schmidt 2000; eigene Darstellung

Im folgenden Kapitel soll das politische System der EU auf dem Stand des Vertrags von Nizza als Beispiel der Konsensdemokratie dargestellt werden.

3. Das politische System der EU

Die Europäische Union ist kein souveräner Einzelstaat sondern eine supranationale Organisation. Im politischen Diskurs gibt es daher unterschiedliche Auffassungen, ob das Institutionengefüge der EU als supranationale Organisation oder als „ incipient federal state“ (vgl. Lijphart1999: 34) analysiert werden soll. Hierbei gewinnt letzteres Paradigma zunehmend an Bedeutung. Betrachtet man die EU als föderalen Staat, werden bemerkenswerte Analogien zur idealtypischen Konzeption der im vorangegangenen Kapitel dargestellten Konsensdemokratie deutlich (vgl. Lijphart 1999: 34).

Um dies darzustellen werden im Folgenden die Institutionen der EU – nach den Kriterien von Lijphart – analytisch zugeordnet.

[...]


[1] US-Präsident von 1861-1865

[2] in May, Clifford D. (1987): Political Speechmaking: Biden and the Annals of Raised Eyebrows. New York Times. 21. September. B8 wird das Zitat Daniel Webster zugerechnet

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Details

Title
Zwischen dem Vertrag von Nizza und dem Verfassungsentwurf des Konvents - Die EU auf dem Weg zur Mehrheitsdemokratie?
College
Ruhr-University of Bochum
Course
Mehrheits- und Konsensdemokratien
Grade
1,3
Author
Year
2005
Pages
23
Catalog Number
V39458
ISBN (eBook)
9783638382175
File size
669 KB
Language
German
Keywords
Zwischen, Vertrag, Nizza, Verfassungsentwurf, Konvents, Mehrheitsdemokratie, Mehrheits-, Konsensdemokratien
Quote paper
Philipp Rebel (Author), 2005, Zwischen dem Vertrag von Nizza und dem Verfassungsentwurf des Konvents - Die EU auf dem Weg zur Mehrheitsdemokratie?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39458

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