Willkommen und Abschied. Goethes Sesenheimer Lyrik und die Sprache des Sturm und Drang


Term Paper, 2016

12 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


1. Einleitung

Goethe schrieb einst in einem Brief vom 19. April 1770: „Ich binn [sic] anders.“[1] Zu dieser Erkenntnis kam er nach seinem Entschluss, sein Rechtswissenschaftsstudium zu unterbrechen und Frankfurt zu verlassen sowie durch die innere Distanz zu seinen Leipziger Liebeserlebnissen. Er war auf der Suche nach einem Neubeginn, der auch seine Literatur betreffen sollte. Seine neue Parole hieß: „Literatur solle den Leser empfinden machen, was zuvor nicht gefühlt, sie solle denken machen, was zuvor nicht gedacht wurde.“[2] Schauplatz für seinen literarischen Neubeginn war Straßburg, wo er sich zwischen April 1770 und August 1771 aufhielt. Dieser Aufenthalt ließ ihn und seine Dichtkunst zu etwas anderem machen und ist mit dem Stichwort „Sesenheimer Lyrik“ verbunden. In der Literaturwissenschaft wird auch von Erlebnislyrik gesprochen, da den Gedichten persönliche Erlebnisse zugrunde liegen, die unmittelbar dargestellt werden. Goethe habe in Straßburg eine neue Form entdeckt, die der Literaturwissenschaftler Ulrich Karthaus als eine „eigentümliche und ganz neue Sprache“ beschreibt, die „voller Sprünge und Würfe“ sei.[3] Diese Unmittelbarkeit und Echtheit finde man vor allem in den Sesenheimer Liebesgedichten. Eines der Bekanntesten, das darüber hinaus auch eines der Berühmtesten Goethes und der deutschen Literatur allgemein ist, schrieb der Dichter im Jahr 1771 . „Willkommen und Abschied“ ist uns insgesamt in drei Textfassungen erhalten: Ein im Jahr 1771 in zehn Zeilen handgeschriebenes Fragment, der Erstdruck in Jacobis Zeitschrift „Iris“ aus dem Jahr 1775 (noch ohne Überschrift) und die überarbeitete Fassung der „Schriften“ mit dem Titel „Willkomm und Abschied“ von 1789. Nach Goethes Tod wurde die Überschrift in der Werkausgabe von 1810 noch einmal in „Willkommen und Abschied“ umgeändert.[4] Das Gedicht thematisiert den nächtlichen Ritt eines Jünglings zu seiner Geliebten durch den Wald, die leidenschaftliche Begegnung mit dem Mädchen und schließlich den Abschied mit wechselseitigem Gefühl von Freude und Schmerz.

In der Seminararbeit „Willkommen und Abschied- Goethes Sesenheimer Lyrik und die Sprache des Sturm und Drang“ soll anhand einer Analyse und Interpretation des Gedichts die Frage „Welche Tropen und rhetorischen Mittel nutzt Goethe in Willkommen und Abschied, um das ständige Auf und Ab der Gefühle darzustellen und inwiefern schlägt sich seine neue Sprache in diesem Gedicht nieder?“ diskutiert und beantwortet werden.

Die Arbeit basiert hauptsächlich auf den Forschungsergebnissen des Goethe-Handbuchs, des von Dr. phil. Arthur Kutscher verfassten Werkes „Naturgefühl in Goethes Lyrik“ und des von Klaus Weimar geschriebenen Aufsatzes „Mir schlug das Herz“ , da diese ausführliche Erläuterungen und eine fundierte wissenschaftliche Basis zu dem behandelten Gedicht bieten.

Im Folgenden stelle ich meine Vorgehensweise vor. Zunächst werden unter den Vorbetrachtungen die Epoche des Sturm und Drang und Goethes Sesenheimer Dichtung dargestellt, um eine Einführung in die Thematik zu geben und den Hintergrund zu skizzieren. Darauf folgt der analytische Teil mit Interpretation, mit dessen Ergebnisse eine Antwort auf die Ausgangsfrage gegeben werden soll. Abschließend fasse ich meine Analyseergebnisse zusammen und gebe ein Fazit.

Bezüglich des Forschungsstandes kann erwähnt werden, dass das Gedicht „Willkommen und Abschied“ bereits seit anderthalb Jahrhunderten ausgeforscht wird und es etliche Deutungen dazu gibt. Dem Literaturwissenschaftler Eckhardt Meyer-Krentler zufolge sei jedes Wort und jedes Komma des Gedichts vielfach hin und her gewendet worden.[5] Dennoch entschied ich mich für dieses Gedicht, da es, wie oben schon erwähnt, eines der Berühmtesten der deutschen Literatur ist und ich die verschiedenen Positionen der Forschung konstruktiv auswerten möchte.

2. Vorbetrachtungen

2.1 Die Epoche des Sturm und Drang

Nur wenige Zeit vor der Französischen Revolution vollzog sich in Deutschland ein Umschwung in der Literaturgeschichte. Geprägt von der Ungerechtigkeit des politischen und sozialen Gefüges mit Ständegesellschaft, Zwangsrekrutierung und hohen Abgaben der Bauern an ihre Feudalherren schloss sich eine Gruppe junger Menschen zusammen. Das Ziel dieser Jugendbewegung war es, gegen die sozialen Zwänge dieser Zeit anzukämpfen. Die Besonderheit liegt hierin in der Art und Weise ihres Kampfes, da dieser politisch völlig wirkungslos blieb. Sie verarbeiteten ihre Erfahrungen in Form von Gedichten, Prosa und Dramen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Natur- sowie dem Geniebegriff zu. Die Stürmer und Dränger wandten sich von dem Rationalismus der Aufklärung ab und forderten einen freien Menschen, der das starre Vernunftsdenken abschaltet und Gefühl, Leidenschaft und Kreativität starken Ausdruck verleiht. Im Mittelpunkt neuer Betrachtungen steht nun das Genie. Johann Kasper Lavater schrieb einst über den Geniebegriff: „Wo Wirkung, Kraft, Tat, Gedanke, Empfindung ist, die vom Menschen nicht gelernt und gelehrt werden kann, das ist Genie.“[6] Mit dem Durchbruch des Subjektivismus und der neuen Auffassung von Liebe, Natur und Kunst wurde der Versuch unternommen, zu einem natürlichen Welt- und Gesellschaftsbild zurückzugelangen. Für Goethe beginne die Sturm und Drang- Zeit mit der Begegnung mit Herder in Straßburg 1770, die als auslösendes Moment der gesamten Bewegung gelten könne.[7]

2.2 Goethes Sesenheimer Lyrik

Einen besonderen Abschnitt der Sturm und Drang- Zeit stellt die Sesenheimer Dichtung dar. Während Goethe 1770/71 in Straßburg und im elsässischen Sesenheim im Hause des Pfarrers Brion zu Besuch kam und sich in dessen Tochter Friederike verliebte, entstand eine Sammlung von insgesamt vierzehn Gedichten, die er ihr widmete, wobei ein Teil davon auf Goethes Freund Jakob Michael Reinhold Lenz zurückzuführen ist. Goethe berichtet über seine Gedichtproduktion in Sesenheim: „Unter diesen Umgebungen trat unversehens die Lust, zu dichten, die ich lange nicht gefühlt hatte, wieder hervor. Ich legte für Friederiken manche Lieder bekannten Melodien unter.“[8] Die Gedichte zeichnen sich vor allem durch ein unbekanntes Vertrauen in den subjektiven Gefühlsausdruck aus: als Mut und Übermut, als Innigkeit und Freude.[9] Innere Willigkeit, seelisches Erleben und geistige Sicht werden hier miteinander verbunden. Die Sesenheimer Lieder wurden schon nach kurzer Zeit im Freundeskreis und 1775 durch den Abdruck in der „Iris“ auch weiteren Kreisen bekannt. Mit ihnen wurde Goethe der bedeutendste Lyriker dieser Jugend. Zwei der wichtigsten Quellen, die über Goethes Sesenheimer Zeit berichten, sind Goethes Bericht in „Dichtung und Wahrheit“ und seine Briefe an Friederike Brion.

3. Analyse und Interpretation

In diesem Teil der Seminararbeit wollen wir uns nun mit Feingefühl der Beschaffenheit des Textes nähern. Viele Philologen bezeichnen Goethes Gedicht als „bewunderte, weil 'künstlerisch gestaltete' Quelle[...]“[10], was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass der Dichter in einer ganz neuen Sprache schrieb, einer Sprache, die voller Bildhaftigkeit und rhetorischer Pracht steckt.

Betrachten wir noch einmal die für dieses Vorhaben vorgesehene Leitfrage: „Welche Tropen und rhetorischen Mittel nutzt Goethe in Willkommen und Abschied, um das ständige Auf und Ab der Gefühle darzustellen und inwiefern schlägt sich seine neue Sprache in diesem Gedicht nieder?“

Zuallererst soll aber ein kurzer Überblick über den Inhalt gegeben werden. Das vierstrophige Gedicht, das durchweg aus vierhebigen Jamben besteht und im Kreuzreim geschrieben wurde, kann in drei Sinnabschnitten unterteilt werden. Der erste umfasst die ersten beiden Strophen und berichtet von dem nächtlichen Ritt des lyrischen Ichs durch den Wald. Der zweite Sinnabschnitt (3. Strophe) beschreibt die Begegnung zwischen dem Reiter und seiner Geliebten und im letzten Sinnabschnitt (4. Strophe) wird schließlich der Abschied von ihr dargestellt.

[...]


[1] Luserke 1999, S.50.

[2] Ebd., S.51.

[3] Karthaus 1976, S.160.

[4] Vgl. Hamacher, Nutt-Kofoth 2007, S.34.

[5] Vgl. ebd., S.35.

[6] Ruffing 2013, S.91.

[7] Vgl. Wilpert 1998, S.1033.

[8] Goethe 1837, S.147.

[9] Vgl. Witte 1996, S.66.

[10] Weimar 1984, S.21.

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Details

Title
Willkommen und Abschied. Goethes Sesenheimer Lyrik und die Sprache des Sturm und Drang
College
University of Potsdam  (Germanistik)
Course
Einführung in die Analyse von Lyrik
Grade
1,0
Author
Year
2016
Pages
12
Catalog Number
V413984
ISBN (eBook)
9783668648937
ISBN (Book)
9783668648944
File size
487 KB
Language
German
Keywords
Goethe, Sesenheimer Lyrik, Sturm und Drang
Quote paper
Nadja Wolf (Author), 2016, Willkommen und Abschied. Goethes Sesenheimer Lyrik und die Sprache des Sturm und Drang, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/413984

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