Leseprobe
1. Einleitung
Solange es Menschen gut geht, kommen sie in der Regel nicht auf den Gedanken das Angebot einer Beratung in Anspruch zu nehmen. Wenn eine Person jedoch nicht mehr in der Lage ist, ein Problem alleine zu lösen, wenn sich das Leben dieser Person immer wieder belastend und anstrengend anfühlt oder wenn sich eine Partnerschaft oder eine Familie in einer Krise befindet und immer wieder zum gleichen Streitpunkt gelangt, dann kann eine systemische Beratung für einzelne oder mehrere Betroffene Abhilfe schaffen. Besonders im Berufsfeld der Sozialen Arbeit ist die Beratung eine bedeutungsvolle Arbeitshilfe, die es ermöglicht, mit Menschen in problematischen Lebenslagen ressourcen- und lösungsorientiert zu arbeiten. Aus diesem Grund erhalten die Studierenden des Studiengangs Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule Gera-Eisenach im Rahmen des Methodenseminars Beratung die Möglichkeit, die systemische Beratung als eine zentrale Handlungsform ihres Berufsfeldes kennenzulernen. In dem Seminar werden ihnen sowohl Methoden der Gesprächsführung vermittelt, als auch ihre persönlichen Kompetenzen wie Kommunikations- und Selbstreflexionsfähigkeit geschult. Letztendlich werden die Studierenden dazu befähigt, eine Beratung ziel- und ressourcenorientiert zu initiieren und durchzuführen, um abschließend in der Lage zu sein, ein lösungsorientiertes Beratungsgespräch selbstständig zu leiten und zu analysieren. Die Analyse dient dabei der Reflektion der eigenen Beratertätigkeit und ermöglicht den Studierenden ihre Fähigkeiten in Bezug auf die Durchführung eines Beratungsgespräches einschätzen zu können und für individuelle Fehler aber auch Erfahrungen zu sensibilisieren. In der vorliegenden Seminararbeit soll nun meine eigene Beratertätigkeit aufgezeigt und das von mir durchgeführte Beratungsgespräch analysiert werden.
Um eine Basis für das allgemeine Verständnis zu liefern, kläre ich zu Beginn was unter einer systemischen Beratung verstanden werden kann. Anschließend setze ich mich mit dem von mir geleiteten Beratungsgespräch auseinander. Dazu werde ich zunächst den Kontext des Gespräches skizzieren, um dem Leser einen groben Überblick über das Setting und den Inhalt zu ermöglichen. Den größten Stellenwert meiner Arbeit wird jedoch die Analyse des Beratungsgespräches einnehmen, in der ich mich auf einzelne Sequenzen des Gespräches beziehe, welche ich als besonders bedeutsam erachte. Diese hinterfrage ich kritisch und gehe dabei auf mögliche Fehler bzw. Potenziale ein. Das Fazit bildet dann den Abschluss meiner Studienarbeit.
2. Systemische Beratung – eine Definition
„Zunächst wird sich ganz allgemein sagen lassen, dass Beratung in allen Feldern des Sozial- und Gesundheitswesens eine Dienstleistung für Einzelne, Familien und Institutionen ist, die zur eigenständigen Klärung und Bewältigung von Themen aus dem psychosozialen bzw. materiellen Bereich verhelfen soll, die unterschiedliche Schwerpunkte und Institutionalisierungsgrade aufweist und bezugswissenschaftliche Erkenntnisse und Verfahren nutzt.“ (WENDT, 2017, S. 177). Dabei kann in Alltagsberatung, welche von Laien wie zum Beispiel Freunden durchgeführt wird, und in professionelle Beratung unterschieden werden. Letzte wird in der Regel von geschulten Fachkräften ausgeführt, die in ihrer Beratertätigkeit spezielle Methoden und Ansätze verwenden. Eine Methode, die von eben jenen Fachkräften genutzt wird, stellt der systemische Ansatz dar, welcher davon ausgeht, „dass das Verhalten einzelner Menschen im Wesentlichen erklärt werden kann durch den jeweiligen Kontext, in welchem sie sich gerade aufhalten bzw. durch die jeweiligen (impliziten) Spielregeln, die das Verhalten der Einzelnen steuern“ (PALMOWSKI, 2011, S. 33 f.). Hierbei wird, im Gegensatz zum personenzentrierten oder zielorientierten Konzept, das Verhalten des Klienten in einem systemischen Beratungsprozess einerseits immer im Kontext der jeweiligen Situation und nicht als Eigenschaft des Klienten gesehen. Andererseits stellen aber auch Lösungen bzw. Lösungsversuche, die ein Problem nicht lösen, ein Teil des Problems dar und werden daher mit betrachtet.
Im Folgenden soll nun ein Beratungsgespräch skizziert und analysiert werden, welches nach dem systemischen Ansatz durchgeführt wurde.
3. Beratungsgespräch
3.1. Kontext des Gespräches
Wie eingangs bereits erwähnt, hatte ich durch das Methodenseminar Beratung die Möglichkeit, meine Kompetenzen und Fähigkeiten hinsichtlich der Leitung und Führung eines Beratungsgespräches zu schulen. Durch das Einnehmen der verschiedenen Aufgabenbereiche als Berater, Co-Berater, Beobachter und Mitglied des reflektierenden Teams konnte ich so viele Beratungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und ein Gefühl für diese spezielle Form des Gespräches entwickeln. Zu Beginn des Seminares fiel mir die Beratertätigkeit nicht ganz leicht. Mit zunehmender Beratungsanzahl sowie durch die Arbeit in kleineren Gruppen und durch den Austausch mit meinen Kommilitonen und der Seminarleiterin Frau Jäpelt in den Reflexionsrunden wurde ich in meiner Tätigkeit zunehmend sicherer. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich mich, unabhängig davon wer mir gegenübersitzt, gut in die Rolle des Beraters einfühlen kann. Aus diesem Grund und weil ich eine Herausforderung suchte um meine Fähigkeiten zu überprüfen, entschied ich mich, keine Person aus meinem Freundeskreis zu beraten, sondern eine entfernt bekannte Person. Da sich die Suche nach einem Klienten in meinem beruflichen Tätigkeitsbereich eher schwierig gestaltete, weil ich vordergründig mit Kindern arbeite und die Eltern zu einem Gespräch nicht bereit waren oder zur Verfügung standen, entschied ich mich dafür, eine Freundin meiner Mutter zu fragen. Diese willigte ein, sich von mir beraten zu lassen und sich über ein persönliches Problem Gedanken zu machen. Dabei war mir besonders wichtig, dass mir der Kontext des Gespräches vorher nicht bekannt ist, um neutral in die Beratung zu gehen und Fragen im Verlauf der Beratung zu entwickeln damit das Gespräch nicht starr und beeinflusst wirkt. Die Freundin meiner Mutter, der Einfachheit halber im Folgenden als Klientin bezeichnet, schilderte mir im Rahmen des Beratungsgespräches, welches am 20.05.2017 in ihrer Wohnung stattfand, ihr Anliegen, was im Folgenden kurz aufgezeigt werden soll:
Die Klientin lebt in einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem Mann, der für sie von Zeit zu Zeit schwer zugänglich ist. Sie hat das Empfinden, dass er sehr wenig mit ihr redet und nicht mehr genügend Gemeinsamkeiten für die Ehe bestehen. Zudem fehlt der Klientin ihr Mann als Gesprächspartner, mit dem sie sich über Erlebnisse und Eindrücke austauschen kann. Sie verspürt Traurigkeit, Wut aber auch Enttäuschung und ist zum Zeitpunkt der Beratung an einem Punkt angelangt, an dem sie selbst nicht mehr weiß, was sie noch tun kann und eigentlich auch keine Motivation mehr besitzt etwas verändern zu wollen. An dieser Stelle beginnt die Analyse des Beratungsgespräches.
3.2. Analyse des Beratungsgespräches
3.2.1. Rahmenklärung
In der Beratung ist es von besonderer Bedeutung, dass im Erstgespräch der Rahmen des Gespräches zwischen Klient und Berater geklärt wird, um an einem gemeinsamen Ausgangspunkt zu beginnen und einen entsprechenden Schutzraum aufzubauen, der allen Beteiligten Sicherheit gewährleistet. „Für erfolgreiche Beratungsarbeit ist es deshalb unbedingt notwendig, von Anfang an den richtigen Rahmen zu finden, diesen den Beteiligten zu erklären und über dessen Einhaltung zu wachen“ (BELARDI, 2005, S. 55 f.). Dafür wählte ich folgende Fragen:
00:11 Lisa-Marie: „Mhh genau. Ich weiß jetzt ja nicht von der Dauer her vom Gespräch. Hast du eine Vorstellung, wie lange es ungefähr gehen soll? Was denkst du?
00:29 Frau K.: Ja ich kenn das schon. Ich denke `ne Stunde, ja werden wir gut brauchen.
00:40 Lisa-Marie: Gut. Dann schauen wir einfach mal, wie weit wir kommen. Vom Setting her, passt dir das so? Dass ich dir gegenübersitze? Das passt alles soweit? Von der Entfernung auch? Passt alles?
00:40 Frau K.: Ja
00:42 Lisa-Marie: Okay. Das was wir sagen bleibt natürlich auch hier. Also es sei denn, du möchtest das auch irgendjemand weitererzählen, dann kannst du das gerne machen. Aber von meiner Seite her bleibt das auf jeden Fall im Raum und ich werde das nur im Rahmen meiner Seminararbeit für Beratung verwenden.
Durch meine Fragen wollte ich erreichen, dass zunächst einmal das Beratungssetting für meine Klientin klar definiert und das Nähe- bzw. Distanzverhältnis abgesprochen wird, da die Beratung für mich stets eine sensible Konstellation zwischen Klient und Berater darstellt. Die Klientin erhielt somit gleich zu Beginn eine grobe Orientierung in Bezug auf den Ablauf und der Dauer des Gespräches. Zudem konnte ich durch die Erklärung der Verschwiegenheitspflicht eine Beziehung und Vertrauen zur Klientin aufbauen, was eine wichtige Grundlage für eine gelingende Beratung darstellt. „Die Beratungswissenschaft hat nachgewiesen, daß unabhängig von der verwendeten Methode die Qualität der Beratungsbeziehung zwischen Berater und Ratsuchenden der wichtigste Hilfefaktor ist“ (BELARDI, 2005, S. 55). Aus diesem Grund wäre es besser gewesen, neben der Aufklärung über die Weiterverwendung der Beratungsinhalte, die Klientin noch einmal speziell darauf aufmerksam zu machen, dass das Gespräch über ein Sprachmemo mitgeschnitten wird, um so eine noch offenere und ehrlichere Atmosphäre der Kommunikation zu schaffen. Zudem hätte ich über die Möglichkeit der Einsichtnahme informieren und mich durch eine schriftliche Einverständniserklärung absichern können. Das habe ich an dieser Stelle versäumt, was der Beratung an sich zwar nicht geschadet hat, aber meiner Meinung nach durchaus als wichtig erachtet werden kann, weshalb ich diesen Zusatz in einer künftigen Beratung einbauen werde.
Ein weiterer Punkt, der Beachtung finden muss ist, dass in der Beratung ein besonderes Beziehungsverhältnis zwischen Berater und Klient besteht. Dies zeigt sich im Speziellen durch die Freiwilligkeit des Klienten. Denn „der Berater empfängt seine ‚pädagogische‘ Legitimation einzig und allein vom Ratsuchenden. Er ist ausschließlich zu dem befugt, was dieser ihm einräumt“ (BELARDI, 2005, S. 39). Dies verdeutlichte ich mit folgender Aussage:
01:31 Lisa-Marie: Okay. Ja nur kurz ähm vielleicht zum Einstieg. Ich werde viele Fragen stellen. Ich denke eine Lösung kann nur von dir kommen. Also jetzt so richtig `ne Lösung von mir wirst du wahrscheinlich nicht erfahren, deswegen werde ich einfach viele Fragen stellen. Ähm du hast natürlich immer das Recht, nicht zu antworten und zu sagen, ich möchte jetzt an dieser Stelle nicht.
Durch diese Aussage konnte ich der Klientin zum einen verdeutlichen, dass eine Lösung nur gefunden werden kann, wenn sie aktiv an der Beratung mitwirkt, zum anderen erhielt sie dadurch eine gewisse Machtposition, mit der sie das Gespräch lenken oder unangenehmen Themen (vorläufig) ausweichen konnte. Demzufolge habe ich es mit dieser Aussage geschafft, einen weiteren Meilenstein in Richtung vertrauensvoller Zusammenarbeit zu setzen und den Aspekt der Lebensweltorientierung zu berücksichtigen. Anmerken möchte ich noch, dass ich an dieser Stelle die Klientin hätte fragen können, ob sie noch etwas zum Kontext wissen möchte oder weitere Informationen zu etwas, das bisher gesagt wurde, benötigt, um mit der Beratung zu beginnen. Diese Frage erachte ich als durchaus wichtig, weshalb ich sie in zukünftigen Beratungsgesprächen gerne einbauen möchte.
3.2.2. Auftragsklärung und Festlegung der Ziele
Neben der Klärung der Rahmenfragen ist es in der systemischen Beratung besonders wichtig, den Auftrag bzw. die Ziele des Beratungsgespräches klar zu definieren, um Enttäuschungen und Misserfolge zu vermeiden. Dazu wählte ich folgende Fragen:
03:34 Lisa-Marie: Mhh okay. Gut. Ähm dann würde mich einfach interessieren, was ich denn tun kann, damit jetzt das Gespräch für dich einen Sinn hat. Damit die Erwartungen irgendwo erfüllt werden. Also was ist jetzt konkret dein Auftrag? Was möchtest du jetzt hier konkret mit dem Beratungsgespräch erreichen?
03:54 Frau K.: Na schön wäre es, wenn sich doch noch ein Weg für mich auftun könnte, dass ich neue Hoffnung habe, das Ganze nicht einfach fahren zu lassen, sondern weiter dran zu bleiben. Vielleicht findet sich auch irgendwie eine Möglichkeit, dass wir gemeinsam da auch wieder Wege zueinander finden. Also dass es nicht so einseitig von mir läuft.
04:18 Lisa-Marie: Mhh Okay… Okay und ähm woran würdest du denn erkennen, dass das Problem für dich gelöst ist? Also was ist für dich sozusagen die ideale Vorstellung? Wann wäre das Problem gelöst? Wie müsste das aussehen?
04:49 Frau K.: Ich weiß nicht, ob das Problem je so gänzlich gelöst werden kann. Mir geht’s einfach drum, wieder in einer entspannteren Form miteinander umgehen zu können. Ähm … und ja auch ein Stück weit diese Liebe wieder zu bekommen zueinander. Ich weiß, mir ist schon bewusst, dass eine Partnerschaft immer auch ein Stück weit mit Arbeit zu tun hat und dass nie alles äh perfekt sein wird. Aber ja, wie würde das aussehen, wenn meine Vorstellung von Partnerschaft … Ich glaube, das kann mein Mann nicht erfüllen meine Vorstellung von Partnerschaft. Wichtig wäre mir einfach, dass wir trotzdem wir so eine unterschiedliche Vorstellung haben, trotzdem eine Mitte finden.
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