Demontage eines Gottes - Augustus`Totengericht bei Tacitus


Dossier / Travail de Séminaire, 2004

51 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Tacitus – Leben und Werk
2.1 Kurzbiografie
2.2 Schriften und Tendenzen
2.3 Das sogenannte „Totengericht“

3 Gliederung und Überblick
3.1 Erster Abschnitt: „Unwesentliches“
3.2 Zweiter Abschnitt: Argumente der Anhänger des Augustus
3.3 Dritter Abschnitt: Argumente der Gegner des Augustus

4 Einzelinterpretation
4.1 „Unwesentliches“
4.1.1 Herkunft
4.1.2 Vollmachten und Ehrungen
4.1.2.1 Konsulat
4.1.2.2 Tribunicia potestas
4.1.2.3 Imperium proconsulare
4.1.2.4 Imperatoritel
4.1.2.5 Augustus - Name
4.1.2.6 Weitere Ehrungen
4.1.2.7 Pater patriae
4.1.3 Fazit
4.2 Der Erbe Caesars: Usurpator oder Befreier?
4.2.1 Argumente der Anhänger
4.2.2 Argumente der Gegner
4.2.3 Fazit
4.3 Vom Sohn Caesars zum Triumvirn
4.3.1 Argumente der Anhänger
4.3.2 Argumente der Gegner
4.3.3 Fazit
4.4 Vom Triumvirat zur Monarchie: Ausschaltung politischer Konkurrenten
4.4.1 Argumente der Anhänger
4.4.2 Argumente der Gegner
4.4.2.1 Lepidus
4.4.2.2 Sextus Pompeius
4.4.2.3 Antonius
4.4.3 Fazit
4.5 Alleinherrschaft und Reichspolitik
4.5.1 Argumente der Anhänger
4.5.2 Argumente der Gegner
4.5.3 Fazit
4.6 Hausmachtpolitik und Nachfolgeregelung
4.6.1 Argumente der Anhänger
4.6.2 Argumente der Gegner
4.6.2.1 Livia
4.6.2.2 Tiberius
4.6.3 Fazit
4.7 Kaiserkult und Ehrungen

5 Von Tacitus verwendete literarische Quellen

6 Fazit und Zusammenfassung

7 Literaturverzeichnis
7.1 Quellen
7.2 Quellenverzeichnisse
7.3 Monografien
7.4 Aufsätze

8 Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

Am Ende seines Lebens konnte Augustus auf eine beachtliche Lebensleistung zurückblicken: Er hatte den römischen Staat quasi neu gegründet, eine nicht nur oberflächlich mit der republikanischen Verfassung [1] konforme Monarchie installiert, die den Tod ihres Begründers überdauern konnte, den Provinzen eine neue und dauerhafte politische Funktion zukommen lassen und für den größten Teil des Reiches dauerhaften Frieden erwirkt und garantiert.

Dass dieses Lebenswerk einerseits durch rücksichtsloses und brutales Vorgehen und andererseits durch großes diplomatisches und politisches Geschick erreicht wurde, ist weder der Nachwelt, noch den Zeitgenossen des Augustus verborgen geblieben. Augustus’ Wesen und Werk war weder zu dessen Lebzeiten noch zu Lebzeiten des Tacitus unumstritten. [2]

Daher ist es nur wenig verwunderlich, wenn die augusteische Propaganda es durchaus erfolgreich unternommen hat, die negativen Begleiterscheinungen des Prinzipats zu verschweigen oder illegales Vorgehen nachträglich zu legitimieren oder zu legalisieren. Ebenso wenig wird es verwundern, wenn die Gegner des Augustus als Person oder des Prinzipats als monarchischer Herrschaftsform gerade diese besonders herausstellen und die persönlichen Leistungen des göttlichen Augustus und die positiven Errungenschaften des Prinzipats zu verschweigen oder zu diskreditieren suchen.

Bei dem sogenannten „Totengericht“ über Augustus in den Annalen des Tacitus handelt es sich um nicht mehr und nicht weniger als um die Demontage eines Gottes. Singulär bei Tacitus ist jedoch dessen durchweg negative Einschätzung: Tacitus diskreditiert in der ihm eigenen verdächtigenden Darstellungsweise die Lebensleistung des Augustus und die Ehrungen, die dem Erben Caesars im Laufe seines Lebens zuteil wurden und in dessen posthumer Vergottung gipfelten.

In einer vermeintlich neutralen Gegenüberstellung der Pros und Contras der Zeitzeugen des Jahres 14 (wohl am Tage des Staatsbegräbnisses Anfang September) [3] macht Tacitus seine eigene Beurteilung des Augustus dadurch deutlich, dass er die negativen Beurteilungen der Herrschaft des Augustus durch dessen Gegner mit unterschiedlichen Mitteln besonders hervorhebt. [4]

Diese Bewertung durch Tacitus steht damit im krassen Gegensatz zu den Darstellungen des Augustus selbst, [5] die dieser am Ende seines Lebens im Jahr 13 in den res gestae niedergelegt hat, und die er über seinen Tod hinaus als gültige Legitimation seines Führungsanspruches und seines einzigartigen Herrschaftsgefüges namens Prinzipat festgeschrieben wissen wollte.

Gegenstand dieser Arbeit ist es, zum einen die historischen Ereignisse zu identifizieren, auf die Tacitus in seinem „Totengericht“ anspielt, und zum anderen die Darstellungen und Bewertungen des Tacitus auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu überprüfen. Dies geschieht erstens im Vergleich mit den nächststehenden wesentlichen Quellen. Hier kommen neben Augustus selbst vor allem Suetons Augustusbiographie und Cassius Dios Nachruf auf Augustus in Betracht. Zweitens habe ich neben den wichtigsten Augustusbiographien von Kienast, Bleicken, Eck, Southern, Schlange – Schöningen, Vittinghoff und Bringmann/Schäfer auch Aufsätze zu Tacitus Geschichtsschreibung im allgemeinen und zum „Totengericht“ im besonderen in die Quelleninterpretation einbezogen.

2 Tacitus – Leben und Werk

2.1 Kurzbiografie

Publius Cornelius Tacitus (ca. 55/6 - ca. 115 n. Chr.) [7] war als homo novus durch die römischen Kaiser, [8] unter deren Herrschaft er lebte, zu hohen Ehren gekommen. Seit 77 oder 78 n. Chr. war er zudem mit der Tochter des Konsuls Gnaeus lulius Agricola verheiratet, was seiner Beamtenkarriere durchaus förderlich war. [9] Dass Tacitus zu einem engen Senatorenkreis um Trajan gehörte, ist nicht nur durch sein Proconsulat in Asien belegt, das Trajan offenbar nur Gefolgsleuten anvertraute. [10] Tacitus und sein Freund Plinius vertraten auch gemeinsam Anklage im Prozess der Provinz Afrika gegen ihren Statthalter Marius Priscus. Trajan hatte persönlich den Vorsitz. Eine später zunehmende Entfremdung von der kaiserlichen Umgebung kann nicht nachgewiesen werden. Wie Plinius erscheint Tacitus als Opportunist, was seine Kritik an den Protagonisten der frühen Kaiserzeit nicht von vornherein glaubhaft erscheinen lässt.[6]

2.2 Schriften und Tendenzen

Um 81 verfasste Tacitus seine dialogus de oratoribus, in denen er Gründe für den Verfall der Rhetorik aufzeigt. Im Jahr 98 entstanden de vita et moribus Julii Agricolae, eine Biographie seines Schwiegervaters und d e origine et situ Germanorum, eine bedeutende Ethnographie. Etwa 105 begann Tacitus mit den Historiae, die die Zeit seit dem Dreikaiserjahr behandeln. Geplant waren sie bis zu Domitians Ende im Jahre 96. Um das Jahr 115 entstanden die annales, die in 16 Büchern die Epoche vom Tod des Augustus im Jahr 14 bis zum Ende Nero 68 umfasst. Von den 16 Büchern der Annalen sind knapp zwei Drittel überliefert: die Bücher 1-4, Beginn des fünften, Buch 6 ohne den Anfang sowie die Bücher 11-16 mit Lücken zu Beginn und am Ende. Die Darstellungen der Jahre 29-31, 37-47 bzw. 66-68 fehlen teilweise oder ganz. Die ersten sechs Bücher reichen vom Tod des Augustus bis zum Ende des Tiberius. Das zwölfte Buch endet mit dem Tod des Claudius; dieser Umstand legt die Annahme einer 'zweiten Hexade' nahe. Die 'dritte Hexade' würde die Nerobücher umfassen (Buch 13 bis 18?), sofern Tacitus die letzten beiden Regierungsjahre dieses Kaisers (nach Thraseas Tod 66, bei dem die Überlieferung abbricht) mit solcher Ausführlichkeit behandelt hat.

Tacitus gilt neben Sallust und Livius durch seinen Stil und seine Charakterstudien zurecht als Klassiker der römischen Geschichtsschreibung. [11] Tacitus schrieb in einer Zeit, in der sich nach politischen Unruhen, die der Sturz des letzten Flavierkaisers Domitian im Jahr 96 ausgelöst hatte, die politischen Verhältnisse wieder stabilisiert hatten. Zum zweiten Mal in der Geschichte des Prinzipats hatte sich das Prinzip der erblich-dynastischen Nachfolge disqualifiziert. War der erste Flavier Vespasian noch aus militärischen Auseinandersetzungen nach dem Selbstmord Neros im Jahr 68 als Sieger hervorgegangen, wurde Trajan im Jahr 98 aufgrund einer wahrscheinlich nicht ganz freiwilligen Adoption durch den im Jahr 96 vom Senat zum Kaiser gewählten Cocceius Nerva zu dessen Nachfolger erhoben. Das Adoptionsprinzip [12] schien vielen Vertretern der politischen Führungsschicht und offenbar auch dem Tacitus als Königsweg der translatio imperii. Der Gegenentwurf eines Adoptivkaisertums und sein Gegensatz zur Erbdynastie sind jedoch ein Konstrukt.

Tacitus lässt unberücksichtigt, dass die julisch-claudische Dynastie zwar als eine Erbdynastie betrachtet werden kann, jedoch alle fünf julisch – claudischen Kaiser nicht die leiblichen Nachfahren ihrer Vorgänger waren und (außer Caligula und Claudius) ebenfalls durch Adoption zur Herrschaft gekommen sind. Selbst Augustus verdankt seine Herrschaft ja letztlich der Adoption durch Caesar. [13]

Durch die durchweg negative Darstellung der Caesaren in den „Historien“ und besonders in den „Annalen“ scheint Tacitus unter anderem darstellen zu wollen, dass die Erbdynastie keine Garantie für ein stabiles Staatswesen ist und letztlich immer in Tyrannei ausarten muss. Das Verhältnis des Kaisers zum Senat spielt dabei eine große Rolle. Dabei nimmt Tacitus immer den senatorischen Blickwinkel ein. [14]

Das Ringen um die (senatorische) Freiheit [15] und die Frage der Legitimation der Macht [16] sind Kristallisationspunkte taciteischer Geschichtsbetrachtung. [17] Tacitus hat diese Fragestellungen nicht erfunden, denn auch Augustus hat seine Autobiografie und seine res gestae als Legitimation seiner Herrschaft verstanden. Dass Tacitus diese für fadenscheinig und verlogen hält, macht er in der Einleitung seiner Annalen und vor allem im sogenannten Totengericht mehr als deutlich. Tacitus war der erste, der es unternommen hat, ein durchweg negatives Gesamtbild des ersten Prinzeps zu zeichnen.

Die Glaubwürdigkeit des Tacitus ist in der Forschung unterschiedlich beurteilt worden. Seine schriftstellerischen Fähigkeiten und seine psychologisch scharfe Beobachtungsgabe sind unbestritten. [18] Jedoch muss der Leser stark differenzieren zwischen den historischen Fakten und den mitunter sehr subtilen Einschätzungen des Tacitus. Yavetz [19] z.B. vertraut den Schilderungen des Tacitus, nicht aber seinen diskreditierenden Andeutungen und Einschätzungen. Tacitus verschweigt seine Quellen, wenn er Charakterstudien entwickelt oder über die angeblich wahren Motive der geschilderten Personen Auskunft geben will.

Aufgrund seiner scheinbaren Zurückhaltung kann man schwer nachweisen, wann Tacitus bewusst die Unwahrheit sagt, er deutet an und gibt eigene Einschätzungen, ohne die Tatsachen als solche nachweislich zu verfälschen. Bei zwei Versionen suggeriert er dem Leser häufig die schlechtere als die wahrscheinlichere. Hierfür sind sowohl das Totengericht als auch die bekannte Schilderung vom Brand Roms [20] unter Nero im Jahre 64 besonders deutliche Beispiele.

2.3 Das sogenannte „Totengericht“

Die Darstellung des Tacitus erweckt den Eindruck einer Debatte am Tag der Beisetzung des Augustus, bei der dessen Gegner die augenscheinlich an sich schon nicht sehr gewichtigen Argumente der Anhänger widerlegen. Dabei werden von Tacitus die Gegenargumente stark ausgeweitet und die Gesamtkritik an Augustus wird um weitere Punkte ergänzt. In Tac ann I 10 (dritter Abschnitt) nimmt Tacitus die Argumente der Augustusanhänger wieder auf, um ihnen Punkt für Punkt zu entgegnen.

3 Gliederung und Überblick

Das Totengericht lässt sich leicht in drei logische Abschnitte einteilen:

3.1 Erster Abschnitt: „Unwesentliches“

- Die Besonderheit des Todesdatums
- Die Besonderheit des Todesortes
- Die Zahl seiner Konsulate
- Die Anzahl und Dauer seiner Amtsvollmachten
- Ehrungen für Augustus

3.2 Zweiter Abschnitt: Argumente der Anhänger des Augustus

- Die Notlage des Staates und die Pietas gegenüber Caesar waren Octavians Triebfeder.
- Die Rolle im Bürgerkrieg wurde Octavian aufgezwungen.
- Der Kampf um die Alleinherrschaft musste sein, da Antonius und Lepidus (die Triumvirn) sich selbst disqualifiziert hatten.
- Prinzipat ist nicht Königtum oder Diktatur.
- Augustus’ Person und Politik haben Frieden und Sicherheit in Rom und den Provinzen geschaffen und erhalten.

3.3 Dritter Abschnitt: Argumente der Gegner des Augustus

- Die Notlage des Staates und die pietas gegenüber Caesar waren nur Vorwand für Octavians Herrschsucht.
- Im Bürgerkrieg hat Octavian durchweg illegal und kriminell gehandelt.
- Den Kampf um die Alleinherrschaft hat Octavian initiiert, um seine politischen Konkurrenten loszuwerden.
- Prinzipat ist Königtum oder Diktatur in schlechter Verkleidung.
- Der Frieden ist einer Totenruhe vergleichbar, und die Sicherheit des Reiches konnte Augustus zu keiner Zeit gewährleisten.
Hinzu kommen als Argumente:
- Das Privatleben des Augustus ist dekadent.
- Seine Nachfolgepolitik ist von Schwäche gekennzeichnet.

Der Textabschnitt schließt mit einem lapidar formulierten Hinweis auf die vom Senat beschlossene göttliche Verehrung des Augustus.

Manuwald hat zurecht darauf hingewiesen, dass es sich bei den positiven Aussagen nicht um eine Gesamtwürdigung handelt, sondern um eine Würdigung unter dem Aspekt der nunmehr verbesserten Lebensbedingungen der Einzelnen.

4 Einzelinterpretation

4.1 „Unwesentliches“

9.1

Hierauf gab es vielfaches Gerede über Augustus selbst, wobei sich die meisten über nichtige Dinge Gedanken machten: dass der Kalendertag seiner einstigen Regierungsübernahme mit seinem letzten Lebenstag zusammengefallen sein soll, dass er in Nola in dem gleichem Haus und Schlafgemach wie sein Vater Octavius sein Leben beendet habe.

9.2

Auch die Zahl seiner Konsulate, mit der er die von Valerius Corvus und C.Marius zusammen erreicht hatte, hob man hervor, ferner die während 37 Jahren ununterbrochene tribunizische Gewalt, den einundzwanzig Mal erworbenen Titel Imperator, und andere Ehrungen, die ihm mehrfach erwiesen oder für ihn neu geschaffen wurden.

Schon der Beginn des Totengerichts enthält eine Demontage: Mit der Formulierung „vielfaches Gerede“ (plerisque vana) ignoriert Tacitus nahezu alles, [21] was eigentlich beim Aufstieg des jungen Caesar-Erben eine große Rolle gespielt hat, wie wir im folgenden sehen werden. Mit der Regierungsübernahme ist der Beginn des ersten Konsulats gemeint. Tacitus gibt hier wohl die augusteische Propaganda wieder. Augustus hat den 19.8. zu seinem ersten dies imperii erklärt. Der offizielle „Regierungsbeginn“ als Alleinherrscher kann jedoch erst auf die Zeit nach dem Selbstmord des Antonius datiert werden.

4.1.1 Herkunft

Augustus entstammt der plebejischen gens der Octavier, die Familie gehörte dem Ritterstand an. Octavian war homo novus. Seine Familie stammte aus dem Munizipium Nola in Kampanien. Sein Vater Octavius war ein wohlhabender Bankier und schlug als erster der Familie die Ämterlaufbahn ein, starb jedoch 59 v. Chr. ohne selbst das Konsulat erreicht zu haben [22] . Octavian hatte durch seine nicht-stadtrömische Herkunft eine geschulte Perspektive für die Probleme der italischen Provinzen und konnte durch seinen familiären Hintergrund offenbar gut mit Geld umgehen. Dies war zwar eine gute Karrieregrundlage für einen vielversprechenden jungen Mann, aber nur die Förderung durch Caesar garantierte Octavian die guten Chancen seines Aufstiegs. [23]

Octavian war über seine Großmutter ein leiblicher Großneffe Caesars und war als dessen nächstem Blutsverwandten gefördert worden. Die testamentarischen Bestimmungen Caesars [24] (Adoption, Haupterbe zu drei Vierteln) und die Förderung zu dessen Lebzeiten (Ernennung zum Pontifex, Präfektur, Verleihung von dona militaria ohne eigene Verdienste, Aufnahme ins Patriziat) lassen darauf schließen, dass Caesar seinen Großneffen für seine Nachfolge vorgesehen hatte, obwohl dies letztlich nicht bewiesen werden kann. Nach Caesars Tod wurde Octavian zu einem neuen, dritten Machtfaktor zwischen „Caesarianern“ und „Republikanern“.

4.1.2 Vollmachten und Ehrungen

4.1.2.1 Konsulat

Das Dauerkonsulat [25] Octavians verstieß gegen das Prinzip der Annuität und konnte in Zeiten der Pax Augusta nicht mehr mit Notzeiten begründet werden. Octavian/Augustus konnte das Konsulat nach ununterbrochener dreizehnmaliger Ausübung von 31 – 23 v. Chr. nicht einfach jährlich fortsetzen [26] . Das zeigt, dass auch im Jahre 23 - zwanzig Jahre nach Octavians erstem Konsulat - die Machtstellung des Princeps weiterhin behutsam, sorgfältig und zumindest auf formaler Ebene verfassungskonform gefestigt werden musste. Augustus rechnete sich in den Res Gestae seine 13 Konsulate [27] zwar als Verdienst an, konnte aber offenbar nicht davon ausgehen, dass man sich mit der Zeit an einen Dauerkonsul Augustus gewöhnen würde. Man kann jedoch in keinem Fall die Konsulate als nebensächlich einstufen, ebensowenig die tribunicia potestas.

4.1.2.2 Tribunicia potestas

Die 37 Jahre, in denen Augustus die tribunizische Amtsgewalt [28] innehatte sind die Jahre 23 v. bis 14. n.Chr. Im Krisenjahr 23 festigte somit ein weiterer Schritt die Macht des Princeps: Imperium proconsulare maius und tribunicia potestas wurden Augustus als Kompensation für die Aufgabe des Dauerkonsulats verliehen. Die Senatsentscheidungen wurden durch eine Lex verabschiedet und zum Gesetz. Die tribunicia potestas wurde wesentlicher Baustein der Macht des Prinzipats und sicherte dem Prinzeps politische Handlungsfähigkeit innerhalb Roms. Augustus erhielt ohne die Begrenzungen von Kollegialität und de facto auch Annuität die für seine Machtausübung entscheidenden Rechte und Magistratskompetenzen: u.a. das Recht auf Gesetzesanträge, auf Einberufung des Senats und zur Hilfe gegen jedermann. Ebenso besaß der Prinzeps ein uneingeschränktes Vetorecht, mit dem er jede Initiative zu Fall bringen konnte. Wie die Volkstribunen war auch der Prinzeps sacrosanctus, also persönlich unangreifbar. Die tribunicia potestas wurde ihm nicht vorab auf Lebenszeit verliehen, sondern jährlich formell erneuert. [29] Octavian zählte sie als seine Herrschaftsjahre. Die Verleihung der vollen tribunicia potestas erfolgte nach der Niederlegung des Dauerkonsulats 23 v. Chr. und gab Augustus die Möglichkeit zur politischen Leitung [30] des Staates (u.a. Gesetzgebungsinitiative) ohne die Gefahr einer kollegialen Interzession. Als Patrizier (per Adoption durch Caesar) hätte Augustus nicht Volkstribun werden können. Die Amtsgewalten konnten also nur durch einen Sonderweg erworben werden [31] .

Im Jahr 19 wurden die Rechte des Augustus noch erweitert. Dio zufolge wurde er für fünf Jahre zum curator moribus bestimmt und erhielt die censoria potestas sowie ein imperium consulare mit dem Recht, überall zwölf fasces zu führen und im Senat auf einer sella curullis zwischen den Konsuln Platz zu nehmen. In der Forschung ist umstritten, ob es ein solches imperium consulare für Augustus auf längere Zeit gegeben hat. Ein solches imoperium ist eher zweifelhaft. Augustus hätte sich sonst nicht später für bestimmte Unternehmen das imperium consulare gesondert übertragen lassen müssen, auch seine beiden späteren Konsulate wären dann mehr oder minder unnötig gewesen.

4.1.2.3 Imperium proconsulare

Augustus erhielt 27 v. Chr. von Senat und Volk von Rom das imperium proconsulare,[32] also die Weisungsbefugnis über die Statthalter/Legaten der nicht - senatorischen Provinzen sowie als Generalissimus den Oberbefehl über das gesamte Heer [33] . Das imperium proconsulare [34] war zunächst auf zehn Jahre begrenzt, wurde jedoch immer wieder verlängert. Es erlosch nicht mit dem Überschreiten des Pomeriums. Im Jahr 23 kam als erweiterte Vollmacht – als Kompensation für das niedergelegte Konsulat das imperium proconsulare maius hinzu. Augustus war somit auch den Prokonsuln in den senatorischen Provinzen gegenüber weisungsbefugt und war darüber hinaus nun auch der Oberbeehlshaber über deren Legionen. tribunicia potestas und imperium proconsulare maius wurden als legalisierte Kompensation für die Niederlegung sämtlicher Ämter verliehen. Mit dem legalen Erwerb dieser Vollmachten konnte Augustus jeweils einen Schlussstrich unter die Zeit seiner illegal erworbenen Herrschaft ziehen, die bis zum Jahr 23 in Rom nur durch seine permanente Konsulatsausübung kaschiert worden war.

4.1.2.4 Imperatoritel

Das nomen imperatoris und der Titel „Imperator“ sind zu unterscheiden. Der Imperatortitel[35] setzt ein imperium voraus. Die erste Akklamation zum Imperator [36] für Octavian erfolgte am 16. 4. 43 v. Chr. nach dem Sieg über Antonius im Mutinensischen Krieg. Die imperatorischen Akklamationen gehörten später zur Herrschertitulatur der Kaiser und wurden in Inschriften vermerkt. Die von Tacitus erwähnten 21 Akklamationen [37] erhielt dieser in der zeit von 43 v. Chr. und 13 .n Chr. Die Akklamationen berechtigten zum Triumph, als Triumphator zog der siegreich Feldherr in feierlicher Prozession hinauf zum Kapitol. Die imperatorische Akklamation und der damit verbundene Triumphzug stellten den Triumphator mit Jupiter gleich. Der „Dauertriumph“, denn so muss man die 21 Akklamationen verstehen, machten Augustus zum alleinigen göttergleichen Triumphator und permanenten Sieger. Augustus wurde somit zum Garanten für göttlich gesicherten Frieden [38] . Daher kam es immer mehr - spätestens seit 19 v.Chr. - zu einer Monopolisierung des Imperatortitels durch Augustus, der sich aus oben genannten Gründen die Siege seiner Feldherren als eigene Triumphe anrechnete. Neben dem göttergleichen Sieger durfte es keinen anderen geben.

[...]


[1] So z.B. Fadinger 15

[2] Zu Augustus’ Lebzeiten: Suet Aug 27,1-2. Hier folge ich Mehl, Flach , Kienast, Meister, Bleicken, Eck und Manuwald, um nur einige zu nennen. Die These Klingners, Augustus sei in der frühen Kaiserzeit niemals in Frage gestellt worden, ist nicht beweisbar. Die Indizien und die Argumente der Forschung sprechen dagegen. Die Quelle, die Tacitus und Dio vorlag, muss ja aus der frühen Kaiserzeit stammen und hat offensichtlich negative Aussagen enthalten. Klingner 641, vgl Manuwald 163; Flach 134, Mehl 60 f,

[3] Bellen,22

[4] zur Literatur Kienast, 516, Anm.1

[5] Dahlheim,175

[6] Gute biografische Zusammenfassungen liefern u.a. Syme,Tacitus, 140ff und Meister, 318

[7] Sein Todesdatum ist unklar, das letzte sichere Lebensdatum liegt bei 112 n. Chr.; teilweise wird sogar 120 als Todesjahr angegeben; zu seiner Karriere siehe auch Syme, Tacitus, 140f.

[8] Tacitus stellt seinen Lesern ebenfalls eine Beschreibung der „glücklichen Jahre“ unter Nerva und Tarian in Aussicht (Agr.3, Hist 1.1). Dass Tacitus dieses Vorhaben nicht umgesetzt hat, muss nicht mit einer angeblichen Entfremdung zum Kaiserhaus erklärt werden. Wenn Tacitus überhaupt vorgehabt hat, sich dem schwierigen Unterfangen zu widmen, glückliche Zeiten und gute Herrscher einigermaßen interessant darzustellen, kann das Unterbleiben auch damit erklärt werden, dass Tacitus hätte berichten müssen, dass die angeblich glücklichen Zeiten gar nicht so glücklich waren. Zur jeweiligen Problematik der Nachfolgeregelung Nerva – Traian und Traian - Hadrian siehe Berriman, 329; Kienast, Nerva, 56f. Zur Argumentation in Bezug auf die nicht vollendete Geschichtsschreibung, die die Zeit von Nerva und Traian umfasst, siehe Albrecht, 870-871

[9] Die politische Laufbahn des Tacitus ist typisch für ein Mitglied einer römischen Adelsfamilie: Quästur (79-81),Prätur (88), Consulat (97), Prokonsulat (112) der Provinz Asia.

[10] so Albrecht, 870

[11] Vgl auch Syme, Tacitus 148f

[12] Tacitus legt sein diesbezügliches Credo dem greisen Galba in den Mund. (Tac Hist I 16) Tacitus kann ein Adoptivkaisertum dabei jedoch nur als kleineres Übel empfinden, wenn er auch die Herrschaft des „Optimus“ favorisiert. Sein diesbezügliches Plädoyer lässt außer acht, dass die Adoptionspolitik Galbas ja gerade als fehlgeschlagen bezeichnet werden muss. Dass Galba in Verkennung der tatsächlichen Machtverhältnisse Piso dem Otho vorzog, mag Galba persönlich als rechtschaffen anzurechnen sein, es bleibt jedoch die Besiegelung seines Untergangs und die Initialzündung für die kurzen, aber zerstörerischen Regierungen eines Otho und eines Vitellius.

[13] Wahrscheinlich verschleiert die Favorisierung des Adoptionsprinzips die Tatsache, dass der Senatskaiser Nerva aufgrund des politischen Drucks der Armee gezwungen war, Trajan zu adoptieren. Mit der Adoption ist Nerva wohl seiner eigenen Absetzung zuvorgekommen. Nervas vorzeitiger Rückzug aus dem öffentlichen Leben, seine negative Beurteilung durch Plinius im servilen Panegrygius auf Trajan sprechen eine allzu deutliche Sprache. Dass Trajan sich selbst als Begründer einer neuen Ära sah, ist dadurch hinreichend belegt, dass er Nerva nicht in einem eigenen Grabmal bestatten ließ, sondern im Mausoleum des Augustus. Nerva war aus der Sicht der neuen Regierung also nicht Teil - und schon gar nicht Begründer - des neuen heranbrechenden Zeitalters, sondern Repräsentant des nunmehr Vergangenen. De Facto hatte also das Adoptionsprinzip keinen hohen Stellenwert und ist als politisch-literarisches Konstrukt zu bewerten.

[14] „Die Beziehungen zwischen Staat und Kaiser waren nicht nur das Hauptthema des senatorischen Historikers, sondern auch das Hauptproblem der Kaiser selbst während rund eineinhalb Jahrhunderten, wenn nicht länger.“ Syme, Tacitus, 128; vgl auch Yavetz, Tiberius 30f.

[15] Syme, Tacitus, 133

[16] Dahlheim, 181

[17] so Syme, Tacitus, 129

[18] zu Stil und psychologischer Geschichtsschreibung siehe auch Pöschl, 126, Syme, Tacitus 153 f, Neumeister, 194

[19] Yavetz, Tiberius, 170 ff

[20] Tac. ann. Tacitus bezichtigt Nero der Brandstiftung, ohne es direkt zu sagen, seine Schilderung jedoch macht es dem Leser mehr als wahrscheinlich. Der Verdacht gegen den Kaiser spricht (wie im Totengericht) lauter und wirkt nachhaltiger als die direkte Anklage.

[21] Koestermann, 96

[22] Kienast, Kaisertabelle 61

[23] zu Octavans Herkunft siehe Suet Aug 5; Kienast 1ff; Bleicken, Augustus 44; Eck 10f;

[24] Suet Caes 83,2, Cass Dio 44,35,23, Bringmann/Schäfer 131 f.; Kienast, Kaisertabelle 61

[25] Die 13 Konsulate: Der Held aus den Gallierkriegen Valerius Corvus war sechs Mal und Gaius Marius sieben Mal zwischen 107 u. 100 v. Chr. Konsul, siehe Broughton, MRR I, 551f; zu den Konsulaten des Augustus siehe Broughton, MRR II, 334 passim; Bringmann/Schäfer 147ff

[26] siehe Broughton, MRR II, 419 passim

[27] RG 4, zur res gestae: Augustus berichtet darin zunächst von den Ehrungen, die ihm zuteil wurden (Kap 1-14), dann von den Aufwendungen, die er für den Staat gebracht hat (Kap 15-24) und schließlich von seinen aussenpolitischen Erfolgen, die das Reich stabilisiert haben. (Kap 25-33). Gerahmt wird dieser in konservativ-republikanischer Manier verfasste Leistungsbericht von zwei Ereignissen, deren Bewertung schon zu Lebzeiten des Augustus umstritten waren: Die Ausschaltung der Caesarmörder und die Niederlegung all seiner politischen Befugnisse im Jahre 27. Tacitus hat diesen Text mit Sicherheit gekannt. Auf beide Ereignisse nimmt er in diskreditierender Weise Bezug. Tacitus demontiert in seinem Totengericht den Anspruch des Augustus als „omnipotenter Weltherrscher, als väterlicher Patron und als Beschützer seiner Untertanen“ [27] bei seiner Mit- und Nachwelt gelten zu wollen. (siehe Meister 287f.) Tacitus lässt sich zwar nicht durch die grandiose Selbstdarstellung täuschen, seine Beurteilung schlägt jedoch ins Gegenteil um: Die Verdienste des Augustus tut er als lapidar ab, seine Missverfolge werden besonders hervorgehoben, was immer Tacitus gegen Augustus an Verdachtsmomenten anführen kann, wird erwähnt, auch wenn es nicht bewiesen werden kann.

[28] Kienast, Kaisertabelle, 63 ; Dahlheim, 9f + 32; Kienast, Augustus, 104fr, 112f; Eck, 19; Meister, 296; Fadinger, 111

[29] siehe dazu auch Jacques - Scheid I, 38-39

[30] Vgl. Kienast, Augustus, 112f,

[31] Appian b.c. 5, 132; RG 4. 6. 12. 15. 17. 18; Die Sacrosanctitas der Volkstribunen hatte Octavian bereits 36 V.Chr. erhalten. Siehe Broughton MRR II, 400

[32] siehe dazu Dio 49, 15, 5 ff.; 55, 6, 1; 56, 28, 1

[33] Etwa 20 Legionen waren in den kaiserlichen, insgesamt fünf Legionen in senatorischen Provinzen wie Illyrien, Macedonia und Africa stationiert.

[34] Jacques - Scheid I, 37; Bleicken, Augustus, 352f

[35] vgl. Dio 43, 44, 2; 53, 14, 3;Suet. Div. Iul. 76, 2; Ehrenberg/Jones S. 33 ff, Eck 88,

[36] Feriale Cumanum, Inscr. Ital, XIII 2 70ff; Kienast, Kaisertabelle, 61

[37] laute Kienast, Kaisertabelle 66-67, in den Jahren 43 v., 40 (2x), 36, 33, 31, 30, 25, 20, 15 o.14, 12, 11, 10, 8v., 2 n., 6, 7, 8, 9, 11, 13 n.

[38] Bleicken, Augustus, 437

Fin de l'extrait de 51 pages

Résumé des informations

Titre
Demontage eines Gottes - Augustus`Totengericht bei Tacitus
Université
Free University of Berlin  (FMI)
Note
1,0
Auteur
Année
2004
Pages
51
N° de catalogue
V41604
ISBN (ebook)
9783638398350
Taille d'un fichier
603 KB
Langue
allemand
Annotations
Tacitus bewertet die Lebensleistung des ersten "Kaisers" Augustus. Bei dem sogenannten 'Totengericht' über Augustus in den Annalen des Tacitus handelt es sich um nicht mehr und nicht weniger als um die Demontage eines Gottes. Singulär bei Tacitus ist jedoch dessen durchweg negative Einschätzung.
Mots clés
Demontage, Gottes, Augustus`Totengericht, Tacitus
Citation du texte
Olaf Franke (Auteur), 2004, Demontage eines Gottes - Augustus`Totengericht bei Tacitus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41604

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