Berufliche und soziale Integration als Aufgabe der Bewährungshilfe


Mémoire (de fin d'études), 2004

148 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Aufgaben und Strukturen der Bewährungshilfe
2.1 Geschichte der Bewährungshilfe
2.2 Aufgaben der Bewährungshilfe
2.3 Kontroll- und Überwachungsfunktion der Bewährungshilfe
2.4 Rechtliche Grundlagen der Aussetzung der Freiheitsstrafe und der Unterstellung der Bewährungshilfe
2.5 Die Organisation der sozialen Dienste
2.6 Adressaten der Bewährungshilfe
2.6.1 Altersstruktur
2.6.2 Geschlecht
2.6.3 Das Problem soziales Umfeld
2.6.4 Arbeitsmarktsituation
2.7 Kostenvergleich zwischen Bewährungshilfe und Maßregelvollzug

3. Integration der Probanden
3.1 Soziale Integration
3.2 Verteilung der Probanden innerhalb der Bewährungshilfe
3.2.1 Belastungsprinzip
3.2.2 Buchstabenprinzip
3.2.3 Spezialisierungsprinzip
3.2.4. Prinzip Gemeinwesenorientierung
3.3 Probandenanalyse und Gruppeneinteilung der Probanden
3.3.1 Gruppe 1
3.3.2 Gruppe 2
3.3.3 Gruppe 3
3.3.4 Gruppe 4
3.3.5 Gruppe 5
3.3.6 Gruppe 6
3.3.7 Zeitlicher Aufwand der Betreuung für die einzelnen Gruppen
3.4 Kooperationspartner und Zusammenarbeit
3.5 Maßnahmen zur sozialen Integration
3.5.1 Beschaffung und Erhalt von Wohnraum
3.5.2 Schuldnerberatung/Schuldenregulierung
3.5.3 Resozialisierungsfonds für ehemalige Straffällige
3.5.4 Suchthilfe und Suchtberatung
3.5.5 Tagesstrukturierende Angebote
3.6 Berufliche Integration
3.6.1 Folgen der Arbeitslosigkeit für die Betroffenen allgemein
3.6.2 Dimensionen der Arbeitslosigkeit
3.6.3 Probandengruppen und Ausgangslage
3.6.4 Berufswegeplanung
3.6.5 Kompetenzfeststellung und Kompetenzentwicklung
3.6.6 Motivation Schulabschluss nachholen
3.6.7 Berufsausbildung
3.6.9 Umschulungsmaßnahmen
3.6.10 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM)
3.6.11 Personal-Service-Agenturen
3.6.12 Europäischer Sozialfond (ESF)
3.6.13 Jobcenter

4 Schwierigkeiten und Möglichkeiten
4.1 Erfolg der Bewährungshilfe
4.2 Zumutbarkeitskriterien und Sanktionierung
4.3 Betreuungsschlüssel
4.4 Differenztage zwischen Verurteilung und Betreuung
4.5 Soziale Gruppenarbeit
4.6 Vorteile der Gemeinwesenarbeit

5. Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis

7.Abbildunsgverzeichnis

Anhang A

Tabelle 1: Soziale Probleme der Probanden

Tabelle 2: Soziale Probleme und Geschlechterverteilung

Tabelle 3: Strafbestände

Tabelle 4: Strafbestände

Tabelle 5: Unterstellungen pro Bewährungshelfer

Anhang B

Interview 1: Herr A (Oktober 2002)

Interview 2: Frau C (November 2002)

Interview 3: Herr D (Juni 2002)

Interview 4: Herr E (Mai 2002)

Interview 5: Frau B (Oktober 2002)

1. Einleitung

Betrachtet man die aktuellen Zahlen Straffälliger, so wird deutlich, dass die Zahl der Probanden der Bewährungshilfe bei weitem die Zahl der Strafgefangenen übersteigt. So werden heute zwei Drittel aller von den Strafgerichten verhängten Freiheitsstrafen und Jugendstrafen zur Bewährung ausgesetzt. Mit Blick auf die überhaupt aussetzungsfähigen Strafen bis zur Höhe von zwei Jahren zeigt sich eine noch höhere Aussetzungsquote, so dass im Erwachsenenstrafrecht inzwischen die Strafaussetzung zur Bewährung die zweithäufigste Sanktion nach der Geldstrafe darstellt.

Gesetzlich sind die Aufgaben der Bewährungshilfe zweifach definiert: einerseits zu helfen und zu betreuen, den jeweiligen Probanden zu überwachen und zu kontrollieren. Als die häufigsten Problembereiche, die einer beruflichen und sozialen Integration der zu betreuenden Probanden im Weg stehen, sind Arbeitslosigkeit, Suchterkrankungen und eine teilweise sehr hohe Verschuldung zu nennen. Diese Aspekte gilt es anhand der Beschreibung von Maßnahmen und Aufgabenbereichen der heutigen Bewährungshilfe am Beispiel X-Stadt zu untersuchen. Ein besonderes Augenmerk soll hierbei auf den Aspekt der Arbeitslosigkeit im Zuge der so genannten Hartz IV-Reformen gelegt werden.

Als empirische Grundlage dient hier die von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer e.V. (ADB) im Frühjahr 1999 durchgeführte bundesweite Untersuchung zur Lebenslagen von Probanden der Bewährungshilfe. Die Befragung richtete sich an alle Bewährungshelfer, um eine Aktenanalyse von zufällig ausgewählten Klientinnen und Klienten durchzuführen und erfasste die Daten von 2331 Probanden. In Ergänzung dazu wurden für diese Arbeit fünf Bewährungshelfer in X-Stadt befragt, wie sie mit Probanden arbeiten, die Schulden und Suchterkrankungen aufweisen. Die Befragung erfolgte allerdings nur mündlich, da eine schriftliche Befragung untersagt wurde.

2. Aufgaben und Strukturen der Bewährungshilfe

Eine Kurzbeschreibung des Aufgabenfeldes der Bewährungshilfe fasst ihre primären Aufgaben als Hilfeleistung in sozialen und psychischen Notsituationen, um derart künftige Straftaten der Probanden präventiv zu vermeiden. Diese Hilfestellung äußert sich daher in verschiedenen Lebenssituationen wie z.B. bei der Sicherstellung des Lebensunterhaltes, Wohnungssuche, Arbeitssuche sowie eine verstärkte Schadenswiedergutmachung und Schuldentilgung. Dabei können die Grade der Intervention der Bewährungshilfe variieren und von einer reinen Beratung bis zu einer aktiven persönlichen Kontaktaufnahme mit den entsprechenden Behörden und Gläubigern reichen (vgl. KURZE, S.344ff.). Andere Formen der Hilfestellung beinhalten die Bearbeitung von persönlichen Problemen, Beratung und gegebenenfalls Weitervermittlung bei Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Gespräche mit Familie oder Ehepartnern, Beratung bei der Freizeitgestaltung. Entsprechend versucht der Bewährungshelfer vorhandene Hilfsquellen zu erschließen, wobei dies den Einbezug andere Personen und Institutionen, soweit dies nötig erscheint, mit in die Hilfestellung einzubeziehen (vgl. ebd.).

Personen, die der Bewährungshilfe unterstellt sind, werden als Probanden (lat. probandus – „ein zu Erprobender, zu Prüfender “, Gerundivum zu probare „erproben, prüfen “) bezeichnet. Entsprechend werden diese geprüft, ob sie es in der Unterstellungszeit schaffen, ein straffreies Leben zu führen. Ziel dieser Unterstellung ist es, dem Verurteilten dazu zu verhelfen, in Zukunft ein straffreies Leben zu führen und ihn von etwaigen neuen Straftaten abzuhalten.

2.1 Geschichte der Bewährungshilfe

Die Ursprünge der Institution Bewährungshilfe liegen in der Gesellschaft Mitte des 19. Jahrhunderts, da zu dieser Zeit einzelne Bürger und Vereinigungen aus christlicher Nächstenliebe und sozialer Verantwortung heraus begannen, Strafgefangene und Strafentlassene zu betreuen. Erste Ansätze der Bewährungshilfe als Ersatz für eine Verurteilung jugendlicher Straftäter entwickelten sich 1830 in Massachusetts. Für erwachsene Straftäter ist dies für das Jahr 1845 festzuhalten, in dem John Augustus, ein Schuster, dem es seit 1841 gelang, Verurteilte durch Hilfs- und Betreuungsangebote vor dem Strafvollzug zu bewahren, zum „ State Agent of Probation “ ernannt wurde (vgl. KERNER 1990, S.IIf.). Diesen ersten Ansätzen folgte 1878 die erste rechtliche Fixierung durch das so genannte Probation-Gesetz, das 1891 auf ganz Massachusetts ausgeweitet wurde (vgl. WESTPHAL 1995, S.37).

In Deutschland sind die Anfänge der praktischen Bewährungshilfe mit der so genannten Schutzaufsicht für Jugendliche, die Vereinen für Strafentlassenenhilfe anvertraut wurden, um das Jahr 1896 anzusiedeln (vgl. KERNER 1990, S.III). Einen ersten Ansatz einer rechtlichen Grundlage für die Aussetzung der Verbüßung einer verhängten Strafe wurde erstmals durch das Jugendgerichtsgesetz vom 26.02.1923 vorgesehen, wobei das allgemeine Strafrecht nur die Gnadenregelung vorsah. Dass somit jede Strafe - zumindest in Ansätzen – zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, ist aus heutiger Sicht zwar erwähnenswert, jedoch gab es aber für die Zeit der Bewährung so gut wie keine Betreuung der Jugendlichen durch spezielle Institutionen. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die jugendlichen Probanden sich selbst überlassen blieben. Weiterhin wurde im Einzelfall ebenfalls nicht überprüft, inwieweit sich der Jugendliche für eine Aussetzung zur Bewährung eignet. Dementsprechend hoch war die Rückfallquote anzusetzen, da vielmals auch in ungeeigneten Fällen eine Strafaussetzung gewährt wurde. Im Rahmen schwerer Straftaten wurde dies besonders missbilligend von der Bevölkerung beobachtet (vgl. WESTPHAL 1995, S.45). Dieser Reformansatz der Weimarer Republik wurde im Dritten Reich vorerst auf Eis gelegt und nicht weiter betrieben. Im Reichsjugendgerichtsgesetz (RJGG) vom 6. November 1943 gab es nur die vollstreckbare Jugendhilfe, da für das Dritte Reich eine primäre Bewährung in Freiheit nicht zur Debatte stand. Die Aufgaben des Strafvollzuges und des Strafrechts waren es nun, die Gesinnung des Straftäters, die zum Auslöser der Straftat wurde, erzieherisch im nationalsozialistischen Sinn zu verändern

Sechs Jahre nach Beendigung des 2. Weltkriegs wurden von dem eigens gegründeten Verein Bewährungshilfe Modellversuche mit der Bewährungsaufsicht getätigt. England stand diesen Modellen Pate. Am 01.10.1953 wurde die Strafaussetzung zur Bewährung im Jugendgerichtsgesetz festgeschrieben. Damit war im JGG die Strafaussetzung wieder vorgesehen und Heranwachsende wurden zum Teil in das Jugendstrafrecht integriert. Auch das allgemeine Strafrecht der Bundesrepublik wurde so reformiert, dass die Strafaussetzung und die Bewährungshilfe gesetzlich verankert wurden. Diese Veränderungen traten am 01.01.1954 in Kraft (vgl. ebd.).

Seit 1954 sind zur Durchführung der Aufgaben der Bewährungshilfe hauptamtliche und ehrenamtliche Bewährungshelfer vorgesehen. Damit übernahm der Staat in einer neuen Weise die Mitverantwortung für die gesellschaftliche Reintegration von straffällig gewordenen Personen. Die Möglichkeit einer Verbindung von bestrafender Sanktion und helfender Betreuung wurde in der Folgezeit weiter ausgebaut. Das erste Strafrechtsreformgesetz (1.StrRG vom 25.06.1969) erweiterte die Bewährungshilfe hinsichtlich der Anwendungsmöglichkeiten der Strafaussetzung zur Bewährung und der bedingten Strafentlassungen. Zudem wurden im §24c Absatz 3 StGB erstmals der Aspekt der sozialen Hilfe neben den Aufsichtspflichten betont (vgl. BLOCK 1997, S.134). Mit dem zweiten Strafrechtsreformgesetz (2.StrRG vom 04.07.1969) wurde die frühere Polizeiaufsicht für die Personen abgeschafft, die keine positive Sozialprognose aufweisen. Auch solche Verurteilten werden nun von einem Bewährungshelfer unter die so genannte Führungsaufsicht genommen.

Die verstärkte Akzeptanz der Bewährungshilfe seitens der Justiz und die daraus resultierende Erhöhung der Probandenzahlen führten dazu, dass die Bewährungshilfe heute das größte Arbeitsfeld der sozialen Dienste in der Justiz ist. Während es 1965 in Deutschland 25 000 Probanden von 518 Bewährungshelfern betreut wurden, waren es um die Jahrtausendwende 2340 Bewährungshelfer die 165 000 Probanden betreuen mussten. Von allen Freiheitsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt werden könnten, werden rund drei Viertel zur Bewährung ausgesetzt. Die Geschichte der Bewährungshilfe in Thüringen beginnt mit dem Beschluss der Justizminister und Senatoren auf der Herbstkonferenz 1990, mit dem Aufbau der Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und Gerichtshilfe zu beginnen. Dieser Beschluss führte dazu, dass am 01.Juli 1991 ein Bewährungshelfer aus Hessen an das Justizministerium des Freistaats Thüringen abgeordnet wurde, um die Bewährungs- und Gerichtshilfe in Thüringen aufzubauen und einzurichten. Aufgrund der Tatsache, dass die Berufsbezeichnung bzw. das entsprechende Tätigkeitsfeld des Bewährungshelfers erst in dem oben skizzierten Zeitraum in Deutschland eingeführt worden ist, war der Beruf in der ehemaligen DDR unbekannt bzw. im politischen System auch nicht gewünscht. Dementsprechend standen dem Thüringer „Ur-Bewährungshelfer“ zwecks Gewinnung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern keine diplomierten Sozialarbeiter/Sozialpädagogen zur Verfügung. Zum 01.09.1991 wurden die ersten zehn Mitarbeiter für die Aufgaben der Bewährungs- und Gerichtshilfe eingestellt, deren berufliche Qualifikation überwiegend im gesundheitlichen Bereich, als Ingenieur-Pädagogen, Lehrmeister und Diplom-Pädagogen lag. Diese absolvierten ein Qualifizierungsprogramm in einer berufsbegleitenden Fortbildung und verteilten sich anschließend auf die damaligen Bezirksgerichte Erfurt (4 Mitarbeiter), Gera (3 Mitarbeiter) und Meinigen (3 Mitarbeiter). In den folgenden Jahren stieg die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontinuierlich an, so dass im September 2000 schon 61 in der Gerichts- und Bewährungshilfe Thüringen tätige Personen verzeichnen waren.

Schon in den 1970er Jahren gab es infolge der Strafrechtreform die Forderung nach einem zentralen Sozialdienst innerhalb der Justiz, der eine einheitliche und durchgängige Betreuung eines Verurteilten in jedem Stadium garantieren können sollte. Jedoch erst mit der deutschen Wiedervereinigung in den 1990’ern bekamen solche Überlegungen einen neuen Schub. Den neuen Ländern war es freigestellt, ob sie die Strukturen der alten Bundesländer übernehmen oder neue Organisationsformen etablieren wollten. Thüringen entschied sich für einen einheitlichen sozialen Dienst. Mit der Thüringer Verwaltungsvorschrift vom 23.09.1999 über die Grundsätze der sozialen Dienste in der Justiz wurde der Grundstein für eine eigene Abteilung der Justizsozialdienste gelegt und unter die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts gestellt (vgl. JEHLE 2003, S.39ff.).

Die ersten ernsthaften Versuche, zur Neustrukturierung der Bewährungshilfe haben ihren Ursprung in Esslingen. Das Esslinger Modell hatte eine Laufzeit von zwei Jahren (1991-1993) und wurde von der Fachhochschule für Sozialwesen in Esslingen initiiert. Die bislang getrennt arbeitenden Dienststellen der Jugendgerichthilfe, der Bewährungshilfe, der Vollzugssozialarbeit und der freien Straffälligenhilfe wurden so miteinander vernetzt, dass eine durchgängige Betreuung für die entsprechende Klientel erfolgen konnte.

2.2 Aufgaben der Bewährungshilfe

Bewährungshilfe ist Sozialarbeit in der Strafrechtspflege, deren Ziel es ist, durch Beiordnung eines Bewährungshelfers straffällig gewordene Personen in die Lage zu versetzen, künftig in sozialer Verantwortung ihr Leben zu gestalten und sie zu einem Legalverhalten innerhalb gesellschaftlicher Normen zu befähigen. Ziel der Bewährungshilfe ist es also wirksame Hilfe für straffällig gewordene Menschen anzubieten, die dieser bedürfen. um sie vor dem kriminellen Rückfall zu bewahren. Dies sollte durch Hilfe zur Selbsthilfe geschehen. Entsprechend lässt sich die Aufgabe des Bewährungshelfers mit dem Begriff der Resozialisierung umschreiben (vgl. KERNER 1991, S.103).

Verben wie „ helfen “, „ betreuen “ und „ befähigen “ beschreiben die Tätigkeit eines Bewährungshelfers recht treffend. Das sozialarbeiterische Handeln soll die Probanden zum selbstkritischen Erkennen ihrer Problemlage befähigen, soziale Lernprozesse initiieren, soziale Handlungskompetenz stärken und dadurch die Integration in die Gesellschaft fördern. Um seinen Auftrag erfüllen zu können, muss ein Bewährungshelfer eng mit Behörden, Gerichten, Gläubigern, Vereinen, Organisationen und Angehörigen des Probanden zusammenarbeiten.

Die Aufgaben bzw. Tätigkeiten des Bewährungshelfers hat der Bundesgesetzgeber im §56d Abs.3 StGB, im §68d StGB und in §§24, 25 und 29 JGG mit wenigen Sätzen umrissen (vgl. BLOCK 1997, S.161). Hier heißt es „ Der Bewährungshelfer steht dem Verurteilten helfend und betreuend zur Seite. Er überwacht im Einvernehmen mit dem Gericht die Erfüllung der Auflagen und Weisungen... Er berichtet über die Lebensführung des Verurteilten... “(§56d). Die Aufgaben der Bewährungshilfe beinhalten also helfende, betreuende und beaufsichtigende Funktionen, die dem Ziel dienen, durch Resozialisierung Straffreiheit zu erreichen (vgl. KERNER 1990, S.171). Die einzelnen Bundesländer haben in eigenen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften detailliertere Aussagen getroffen. Für Thüringen werden weitere Einzelheiten der Tätigkeit innerhalb der Sozialen Dienste der Justiz in der Verwaltungsvorschrift des Thüringer Ministeriums der Justiz und Europangelegenheiten vom 23.09.99 (2390-1/97) geregelt, welche am 1.10.99 in Kraft getreten ist und auf den Grundlagen des StGB, der StPO, des StVollzG und des JGG basiert.

2.3 Kontroll- und Überwachungsfunktion der Bewährungshilfe

Neben der Beratung und Unterstützung der Probanden besitzt die Bewährungshilfe weiterhin eine Kontroll- und Überwachungsfunktion. Während die betreuende und helfende Funktion der Bewährungshilfe auf freiwilliger Basis erfolgt - und zwar nur dann, wenn der Proband die Hilfe einfordert – handelt es sich hierbei um eine Pflichtaufgabe. Die Strafrechtsordnung verpflichtet den Bewährungshelfer zu Offenheit gegenüber seinen Auftraggebern. Das gilt besonders für den Bericht, den ein Bewährungshelfer in regelmäßigen Abständen dem aufsichtführenden Gericht abzuliefern hat. In diesem berichtet er, in Zeitabständen, die das Gericht bestimmt, über die Lebensführung des Verurteilten. Diese Berichte dienen dazu, das Gericht über den Verlauf der Bewährung in Kenntnis zu setzen. In den Berichten finden sich Informationen über den Betreuungsverlauf, Anschrift und Wohnsituation, soziale und wirtschaftliche Situation, Arbeitsituation und besondere Probleme der Probanden. Neben der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verhängen die Gerichte in der Regel auch Auflagen und/oder Weisungen. Die Bewährungshilfe überwacht die Einhaltung dieser Weisungen und Auflagen, die im Bewährungsbeschluss stehen. Bewährungshilfe unterliegt zwar der beruflichen Schweigepflicht (§203 StGB) gegenüber unbeteiligten Dritten, es gibt allerdings eine Aussagepflicht gegenüber dem Gericht hinsichtlich der Erfüllung und Einhaltung erteilter Weisungen und Bewährungsauflagen. Dies sind beispielsweise Schadenswiedergutmachung, Ableistung von gemeinnützigen Arbeitsstunden, die Zahlung eines Geldbetrages zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung, die Weisung eine angefangene Ausbildung abzuschließen und die Auflage einen Wohnungs- oder Arbeitsplatzwechsel nur im Einvernehmen mit dem Bewährungshelfer vorzunehmen. Aber auch, sich einer Entziehungskur zu unterziehen, kann Inhalt einer Weisung sein.

Der Bewährungsverlauf wird in einer Akte dokumentiert. Es werden sowohl die Durchschriften der Berichte an das Gericht als auch sonstiger Schriftwechsel in der Bewährungszeit, Vermerke über Aktivitäten und Gesprächsnotizen über Zusammentreffen festgehalten. Die Dokumentation wird den Arbeitsgrundlagen der Sozialen Dienste in der Justiz im Freistaat Thüringen geregelt und näher beschrieben. Sollten die Bewährungshelfer Kenntnis von neuen oder bisher unbekannten Straftaten des Probanden erlangen, müssen sie diese dem zuständigen Richter mitteilen. Das gilt auch, wenn gröbliche und beharrliche Verstöße gegen Auflagen und Weisungen vorliegen. Das Aussageverweigerungsrecht gegenüber dem Gericht steht den Bewährungshelfern also nicht zu. Dies steht in einem Widerspruch zu der Aufgabe des Bewährungshelfers, das Vertrauen des Probanden zu erlangen.

2.4 Rechtliche Grundlagen der Aussetzung der Freiheitsstrafe und der Unterstellung der Bewährungshilfe

Die Institution Bewährungshilfe kann eine Betreuung ihrer Klientel nicht ablehnen. Zwar ist es möglich, innerhalb der Bewährungshilfe den Bewährungshelfer zu wechseln - z.B. bei einem Umzug - der Proband bleibt dabei aber bis zum Ablauf der Unterstellungszeit oder dem Widerruf der Bewährung der Bewährungshilfe unterstellt.

In Deutschland gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten eine Strafe zur Bewährung auszusetzen. Während in der Strafaussetzung zur Bewährung die gesamte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt (§56 StGB, §21 JGG) wird, meint der so genannte Strafrestsaussetzung zur Bewährung, dass bereits ein Teil der Freiheitsstrafe verbüßt worden ist (§§57, 57a StGB, §§88, 89 JGG) (vgl. MAELICKE 1994, S.18). Eine Bewährungsstrafe beginnt grundsätzlich am Tag der Rechtskraft des Urteils. Von einer anerkannten Freiheitsstrafe spricht man, wenn das Urteil rechtskräftig geworden ist, d.h. auf Seiten des Verurteilten darf kein weiteres Rechtsmittel eingelegt werden. Wenn die Strafaussetzung bereits bei Verhängung der Freiheitsstrafe ermöglicht wird, erhält der Verurteilte die Chance, die Freiheitsstrafe gar nicht erst verbüßen zu müssen. Das Gericht legt die Dauer der Bewährungszeit fest. Die Bewährungszeit beträgt mindestens zwei, maximal fünf Jahre. Bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht darf die Bewährungszeit drei Jahre nicht überschreiten (§22 Abs. 1 JGG), kann jedoch nachträglich auf ein Jahr verkürzt oder auf maximal vier Jahre verlängert werden.

Bei der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr und wenn zu erwarten ist, dass die Verurteilung Warnung genug ist, setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus (§56 Abs.1 StGB). Liegen besondere Umstände in der Tat und der Persönlichkeit des Täters vor, kann unter Voraussetzung des Absatzes 1 des §56 StGB auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von maximal zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden (§56 Abs. 2 StGB). Eine solche Aussetzung ist nur möglich, wenn erwartet werden kann, dass der Sinn der Bestrafung auch ohne Vollzug erreicht werden kann, und berechtigte Erwartungen bestehen, dass der verurteilte Straffällige ein straffreies Leben zu führen in der Lage ist. (§§56 Abs.1 StGB, 56 Abs.2 StGB, 21Abs.1 JGG, 21 Abs.2 JGG (vgl. SPIEß 1983, S. 30). Die Voraussetzung für die Strafrestsaussetzung ist, dass zwei Drittel - mindestens jedoch zwei Monate - der Strafe abgesessen sind und im Regelfall eine günstige Sozialprognose besteht, die weitere Straftaten des Verurteilten ausschließt. Der Verurteilte muss dabei allerdings auch mit seiner vorzeitigen, bedingten Entlassung einverstanden sein (§57 Abs.1 StGB). In Ausnahmefällen besteht auch die Möglichkeit einer Strafrestaussetzung zur Bewährung schon nach einer Verbüßung der Hälfte einer Freiheitsstrafe (§57 Abs.2 StGB).

Im Falle einer Verurteilung nach JGG kann eine Strafrestaussetzung zur Bewährung erst nach Verbüßung von sechs Monaten erfolgen. Eine Ausnahme bildet die Verhängung einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr, in der eine Strafrestaussetzung zur Bewährung bereits nach einem Drittel der Zeit möglich ist. Im §88 Abs.2 JGG heißt es hierzu, dass eine Strafrestaussetzung vor Verbüßung von sechs Monaten „ nur aus besonders wichtigen Gründen“ angeordnet werden darf “(vgl. SPIEß 1983, S.31). Voraussetzungen bei der Straffrestaussetzung sind die Verbüßung eines Teils der Freiheitsstrafe und dass die Aussetzung „ im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit “ verantwortet werden kann. Es soll dem Verurteilten eine Möglichkeit gegeben werden, ohne weitere Einwirkung des Jugendstrafvollzugs ein straffreies Leben zu führen (§ 88 Abs.1 JGG).

Bei Aussetzungen von lebenslangen Freiheitsstrafen gelten die gesonderten Richtweisen des §57a StGB. Die Bewährungszeit beträgt 5 Jahre und die Aussetzung kann erst nach Verbüßung von mindestens fünfzehn Jahren erfolgen (vgl. MAELICKE 1994, S.19). Im Rahmen der Gnadenordnung des Bundes und spezieller Ländervorschriften - in Thüringen ist es die „ Verordnung über die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch freie Arbeit “ - kann eine Strafe gleichfalls zur Bewährung ausgesetzt werden (vgl. ebd., S. 18). Hier heißt es im §9: „ Die Strafvollstreckungsbehörde soll sich insbesondere bei der Vermittlung eines Beschäftigungsverhältnisses und vor einem Widerruf der Unterstützung und Beratung eines Gerichts- und Bewährungshelfers bedienen “ (ebd.). Um aber als straffällig gewordene Person der Bewährungshilfe unterstellt zu werden, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Nach allgemeinem Strafrecht ist die Bestellung eines Bewährungshelfers bei der Strafaussetzung nicht obligatorisch. Bewährungshilfe kann nur geleistet werden, wenn eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe erfolgt ist. Erfolgte lediglich eine Geldstrafe, mit der die Straftat geahndet wurde, so ist der Zusammenhang mit einer Freiheitsstrafe nicht gegeben, es erfolgt also keine Unterstellung. Vorgeschrieben ist die Unterstellung unter die Aufsicht der Bewährungshilfe nur bei Verurteilten unter 27 Jahren, die zu einer Freiheitsstrafe von mehr als neun Monaten verurteilt wurden, oder wo es angezeigt ist, um den Verurteilten von Straftaten abzuhalten. Im Rahmen der Strafrestaussetzung nach einer Strafverbüßung von einem Jahr ist die Bestellung eines Bewährungshelfers ebenfalls die Regel. Nicht jede zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe wird auch der Bewährungshilfe unterstellt. Nur etwa 20% bis 25% aller ursprünglichen Strafaussetzungen zur Bewährung werden einem Bewährungshelfer unterstellt, während es bei den bedingt Entlassenen gemäß §57StGB etwa 90% sind (vgl. SCHÖCH 2003, S.215).

Neben der üblichen Strafaussetzung zur Bewährung gibt es weiterhin noch die Führungsaufsicht. Unter Führungsaufsicht stehende Verurteilte werden immer einem Bewährungshelfer unterstellt. Stehen sie wegen Straftat, die ganz oder teilweise zur Bewährung ausgesetzt wird, unter selbiger, so gelten für die Aufsicht und Erteilung von Weisungen generell die Bestimmungen der Führungsaufsicht (§68 StGB). Eine Führungsaufsicht wird dann erforderlich, wenn eine freiheitsentziehende Maßregel - z.B. die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt oder bei stationären psychiatrischen Maßnahmen - ganz oder teilweise nachträglich zur Bewährung ausgesetzt wird. Eine Führungsaufsicht wird auch dann auferlegt, wenn eine Entlassung eines Straftäters aus einer erstmaligen Sicherungsverwahrung nach Ablauf der Höchstfrist von 10 Jahren ansteht. Die Möglichkeit der Unterstellung unter die Aufsicht der Bewährungshilfe im Rahmen der Führungsaufsicht wurde 1975 gesetzlich verankert. Rechtliche Grundlage bilden die §§67b, 67c StGB sowie der §68a StGB. Mit der vom Gericht per Weisung formulierten Unterstellung beginnt ein Verhältnis zwischen Bewährungshelfer und Proband, dass neben dem Angebot der Betreuung und Beratung auch Aufsicht und Kontrolle umfasst. Jeder der Probanden hat die Pflicht, sich regelmäßig bei seinem Bewährungshelfer zu melden, der seinerseits verpflichtet ist, dem verurteilenden Gericht in gewissen Abständen einen Bericht über den Probanden abzugeben. Neben hauptamtlichen Bewährungshelfern kann das Gericht einen nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten auch einem ehrenamtlichen Bewährungshelfer unterstellen. Zwar sind hauptamtliche Bewährungshelfer nur im JGG vorgeschrieben, jedoch wird von ehrenamtlichen Bewährungshelfern selten Gebrauch gemacht (vgl. SPIEß 1983, S.35).

Eine Strafaussetzung zur Bewährung kann unter den Voraussetzungen des §65f StGB und nach dem §26 JGG widerrufen werden. Das Gericht hat die Möglichkeit, eine Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen. Dies kann geschehen, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine neue Straftat begeht und somit deutlich macht, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat. Falls der Verurteilte gröblich und beharrlich gegen Weisungen verstößt und sich der Aufsicht und des Bewährungshelfers entzieht, kann ebenso eine Bewährung widerrufen werden. Wenn es reicht, neue Auflagen und Weisungen zu erteilen oder die Bewährungszeit zu verlängern, kann das Gericht von einem Widerruf absehen (vgl. MAELICKE 1994, S. 19). Das Gericht beendet die Bewährungszeit durch den Straferlass (vgl. §56d StGB und §26a JGG).

2.5 Die Organisation der sozialen Dienste

Zwar finden sich die grundlegenden gesetzlichen Bestimmungen im bundesweit gültigen Strafgesetzbuch (StGB) und dem Jugendgerichtsgesetz (JGG), jedoch bleibt die Organisation der Bewährungshilfe Sache der einzelnen Länder. Daher gibt es in den verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Handhabungen. Während in einigen Bundesländern - z.B. Baden-Württemberg - die Bewährungshilfe und die Gerichtshilfe organisatorisch getrennt sind, wird in anderen Bundesländern – z.B. Thüringen - mit einem gemeinsamen sozialen Dienst in der Justiz mit den Aufgaben der Bewährungs- und Gerichtshilfe gearbeitet. In der Verwaltungsvorschrift „ Grundsätze der sozialen Dienste in der Justiz des Freistaats Thüringen des Thüringer Ministeriums für Justiz und Europangelegenheiten wird die Organisation der sozialen Dienste in der Justiz erläutert. Vor dem 01.10.1999 waren alle Gerichts- und Bewährungshilfen unabhängig voneinander aktiv. Seitdem wurden Anstrengungen unternommen, die Strukturen der ambulanten Dienste der Justiz in Thüringen effizienter zu gestalten und mit der Verwaltungsvorschrift vom 23.09.1999 ist dazu ein wichtiger Schritt getan worden. Zur Verbesserung ihrer fachlichen Arbeit wurden die Bewährungs- und die Gerichtshilfe einheitlich in die Kompetenz des Thüringer Oberlandesgerichts gestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Strukturen der Bewährungs- und Gerichtshilfe bis Oktober 1999

Seitdem werden in Thüringen die bis dahin getrennte Bewährungs- und Gerichtshilfe als soziale Dienste der Justiz beim Oberlandesgericht Jena unter der Bezeichnung „ Soziale Dienste in der Justiz - Bewährungs- und Gerichtshilfe im Freistaat Thüringen “. geführt. Diese unterteilen sich dabei in vier Landgerichtsbezirke: Erfurt, Meiningen, Mühlhausen sowie Gera und beinhalten weiterhin auch den Sozialdienst des Vollzugs und die Führungsaufsicht. In den Landkreisen Apolda, Arnstadt, Arten, Gotha, Sömmerda und Weimar gibt es im Vergleich zu Jena, Gera und Erfurt nur wenige Bewährungshelfer. Diese haben ihren Dienstsitz zum größten Teil in den Amtsgerichten der Städte, wobei die Verteilung der Fachkräfte auf die Außenstellen wesentlich der Anzahl der Unterstellungen und Aufträgen in den jeweiligen Landgerichtsbezirken entspricht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Soziale Dienste der Justiz nach Oktober 1999 (vgl. http://www.thueringen.de/olg/body_sozial_geschichte.HTML 01.08.2004)

Obwohl die sozialen Dienste unterschiedliche Auftragsgeber (Staatsanwalt, Richter) haben und auf unterschiedlicher gesetzlicher Grundlage basieren, werden diese in Personalunion erledigt. D.h. durch diese Zusammenlegung wird der Proband vor und nach einer Verurteilung mit Bewährungsstrafe von derselben Person betreut, um so zu gewährleisten werden eine durchgängige Betreuung gewährleisten zu können. Dabei ist die jeweilige Zuständigkeit der einzelnen Bewährungshelfer vom Wohnsitz der Probanden abhängig.

2.6 Adressaten der Bewährungshilfe

Eine gute Kenntnis der Probanden und ihrer jeweiligen Lebenslagen ist wesentliche Voraussetzung für eine wirkungsvolle soziale Arbeit der Bewährungshilfe. Um diese Kenntnis durch empirisches Wissen zu untermauern, hat die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer e.V. (ADB) im Frühjahr 1999 eine bundesweite Untersuchung zur Lebenslagen von Probanden der Bewährungshilfe durchgeführt (vgl. ENGELS/MARTIN 2002, S.1ff). Die Befragung richtete sich an alle bundesdeutschen Bewährungshelfer und führte eine Aktenanalyse von zufällig ausgewählten Probanden durch. Aufgrund einer relativ hohen Rücklaufquote wurden bis zum Stichtag des 15. Februar 1999 die Daten von 2331 Probanden - und damit 1,46% aller bundesweit unterstellten Probanden - erfasst. Gefragt wurde neben dem Geschlecht und Alter auch nach dem Grund und Häufigkeit der Unterstellung, der Schul- und Ausbildungssituation, der Stellung der Probanden auf dem Arbeitsmarkt, und nach gesundheitlichen und finanziellen Problemen. Vor diesem Hintergrund hat die ADB 2002 die Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH (ISG-Berlin) mit einer Sekundärauswertung des vorliegenden Datenmaterials beauftragt. Einige, der in der Untersuchung dargestellten Probleme sollen in diesem Kontext näher erläutert werden.

2.6.1 Altersstruktur

Am 31.12.1997 weist die Bewährungshilfestatistik für die alten Bundesländer (mit Gesamtberlin, ohne Hamburg) einen Anteil an Verurteilten von 77,7% nach allgemeinen Strafrecht und 23,3% nach Jugendstrafrecht aus. Über 70% der Klienten sind junge Erwachsene im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, 22% liegen über dieser Altersgruppe (älter als 40 Jahre) und 6% liegen darunter (jünger als 20 Jahre). Der Schwerpunkt liegt bei den 20 bis 29-jährigen, die 40% aller Bewährungshilfe-Klienten ausmachen. Demgegenüber sind nur 14% der Bevölkerung in diesem Alter. Fast die Hälfte der Probanden ist zwischen 14 und 30 Jahren alt, ihr Anteil ist mehr als doppelt so hoch wie in der Bevölkerung. Der hohe Anteil ist auch dadurch zu erklären, dass Jugendliche, die eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung bekommen haben, generell einem Bewährungshelfer unterstellt werden (§24 Abs.1JGG). Unterrepräsentiert ist dagegen die Bevölkerung ab 50 Jahren, die zwar 40% der Bevölkerung in Deutschland ausmacht, jedoch nur einen Anteil von 10% der Probanden darstellt. Nur die Altersgruppen zwischen 14 und 20 Jahren sowie zwischen 40 und 50 Jahren entsprechen mit ihrem Anteil an den Klienten in etwa dem Bevölkerungsanteil (vgl. ENGELS/MARTIN 2002, S.12).

In der statistischen Erhebung der Bewährungshilfe A von 1998 wurde unterschieden, nach welchem Strafrecht die Probanden verurteilt wurden. Die Prozentualzahlen der Unterstellungen bei den einzelnen Bewährungshelfern tendieren von Erwachsenstrafrecht zu Jugendstrafrecht von 67% zu 33% bis hin zu 53% zu 47% und ergeben in Mittel ein Verhältnis von rund 61% nach Erwachsenenstrafrecht zu 39% nach Jugendstrafrecht verurteilte Probanden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Fallzahlen - Unterstellung der Probanden nach Allgemeinen und Jugendstrafrecht der befragten Bewährungshelfer.

2.6.2 Geschlecht

Noch stärker weicht die Geschlechtsstruktur der Klienten von der Gleichverteilung in der Gesamtbevölkerung ab. In der Bewährung sind bundesweit 9 von 10 Probanden männlich, nur 10% sind Frauen. Diese Relation gilt laut Statistischem Jahrbuch 2000 bundesweit (vgl. STATISTISCHES JAHRBUCH 2000, S.360), wohingegen die Berliner Untersuchung mit 95% Männern und 5% Frauen in dieser Hinsicht leicht verzerrt (vgl. ENGELS/MARTIN 2002, S.12. und CORNELL 2000: S.19).

In der Bewährungshilfe A waren zur Zeit der statistischen Erhebung von 798 Probanden 741 männlich und 57 weiblich. Dies entspricht einem Verhältnis von 92,9% zu 7,1%. Kriminalität ist somit weit überwiegend ein Männerproblem. Damit hatte die Bewährungshilfe A zum Zeitpunkt der Erhebung weniger weibliche Probanden.

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Abb.4: Probanden nach Geschlecht in A am 31.5 1999

2.6.3 Das Problem soziales Umfeld

Ein Großteil der Probanden kommt aus sozial gestörten Familienverhältnissen, in denen wirtschaftliche Schwierigkeiten das Leben der Familie bestimmen. So kennen z.B. 46% der Probanden materielle Not aus alltäglicher Erfahrung, 56% berichten über Gewalterfahrungen, 63% benennen regelmäßigen Alkohol- und Drogenmissbrauch und 60% berichten über gestörte Partner- bzw. Eltern-Kind-Beziehungen. Von denen, die aus einer Problemfamilie kommen, nennen 30% eine dieser Schwierigkeiten, 20% sogar zwei. (vgl. ENGELS/MARTIN 2002, S.15f).

Mit über einem Drittel liegt der Anteil der Bewährungshilfe-Klienten, die keinen Schulabschluss haben, extrem hoch. Ihre bildungsbezogenen Voraussetzungen heben sich deutlich ab von denen der Gesamtbevölkerung (2% ohne Schulabschluss). Die Hälfte der Bevölkerung verfügt über einen höheren Abschluss als Volks-/ Hauptschule, unter den Bewährungshilfe-Klienten ist dieser Anteil mit 27% nur halb so groß. Der Abschluss einer schulischen und beruflichen Ausbildung wirkt sich auf die Beschäftigungschancen aus. Im Vergleich zu Gesamtbevölkerung besitzen die meisten Probanden eine unterdurchschnittlich gute Schul- bzw. Berufsausbildung, so dass sie tendenziell einem höheren Risiko der Arbeitslosigkeit ausgesetzt sind (vgl. ENGELS/MARTIN 2002, S.20f.).

2.6.4 Arbeitsmarktsituation

Infolge der allgemeinen ökonomischen Krise und steigenden Arbeitslosenzahlen wird seit Ende der 1980er Jahre die Eingliederung von Straffälligen in den Arbeitsmarkt zunehmend schwieriger. Laut ISG Berlin sind 31% der aller Probanden der Bewährungshilfe erwerbstätig. Das heißt, ungefähr 70% der dem Bewährungshelfer Unterstellten haben kein reguläres Arbeitsverhältnis. Die Statistische Erhebung der Bewährungshilfe A erwähnt 167 Probanden (21%), die Probleme mit der Arbeit haben. Dies ist aber nicht sehr aussagekräftig, da die Probleme nicht spezifiziert sind. Es ist nicht erwähnt, ob es Probleme bei der Suche nach Arbeit oder Probleme in einem bestehenden Arbeitsverhältnis sind

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Abb.5: Beschäftigungssituation Lebenslagenuntersuchung

Das Statistische Bundesamt gibt für die Gesamtbevölkerung Deutschlands eine Quote von 46% Erwerbstätigkeit an. Die Quote der Unterstellten der Bewährungshilfe ist damit zwar deutlich niedriger, jedoch müssten dann aufgrund der Basis der bundesdeutschen Gesamtbevölkerung, also auch die unter 14 und die über 65jährigen, die Probanden der Bewährungshilfe eine wesentlich höhere Erwerbstätigenquote im Vergleich aufweisen. Nimmt man nur die Erwerbspersonen der Gesamtbevölkerung zur Untersuchung heran, also die 15 bis 65jährigen Arbeitnehmer und Selbständige, erhält man eine Erwerbstätigenquote von 77,2%. Damit wäre die Quote der Erwerbstätigen bei den Probanden der Bewährungshilfe zweieinhalb Mal geringer als die der Gesamtbevölkerung (vgl. http://www.destatis.de/basis/d/vgr/vgrtab10.htm).

Neben der höheren Erwerbslosenquote bestimmen weitere soziale Faktoren die Gesamtsituation der Probanden. So hatten laut der Statistik der Bewährungshilfe in A 10,3% der Probanden Probleme mit der Erziehung; 7,5% hatten Konflikte in Ehe und Partnerschaft und 16,4% der Probanden wiesen Verhaltensauffälligkeiten auf. Selbst die Wohnraumbeschaffung erweist sich mitunter als schier unlösbares Problem, da wirtschaftliche Gründe sowie gesellschaftliche Vorurteile nicht zu einem angemessenen Wohnumfeld führen, 90 Probanden in A haben daher Wohnungsprobleme. Besonders alarmierend ist der hohe Anteil von Probanden mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen. 151 der Probanden hatten bei der Erhebung Suchtprobleme. Damit lag A zu dem Zeitpunkt unter dem Durchschnitt der Gesamtbewährungshilfeprobanden. Auch die hohen Schulden, die aus der Straftat resultieren, Prozesskosten, Schulden durch Überschätzung der finanziellen Leistungsfähigkeit etc. haben unmittelbaren Einfluss auf den Lebensstandard, der selbst bei geregeltem Arbeitsleben kaum über den Regelsätzen der Sozialhilfe liegt. Die häufigsten sozialen Probleme bei den Probanden in A sind die finanzieller Art (29% der Probanden). Die finanzielle Lage der Probanden ist weitaus schlechter als des Bevölkerungsdurchschnitts.

Die wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten, die das Leben eines Großteils der Probanden bestimmen, erschweren die Reintegration in die Gesellschaft und vermindern sicherlich nicht das Risiko der Rückfälligkeit. Einem Großteil der Probanden sind die Institutionen der sozialen Hilfe und Kontrolle bekannt sind. Durch jahrelangen Kontakt mit diesen Einrichtungen haben die Probanden ein Misstrauen gegenüber solchen Institutionen entwickelt, das darauf gerichtet ist, vermeintliche und tatsächliche Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit abzuwehren. Das gilt auch für das Angebot der Bewährungshilfe. Da über der gesamten Zusammenarbeit der psychische Druck eines Widerrufs der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung liegt, wird Hilfsangeboten teilweise mit Misstrauen begegnet. Bei einigen Probanden ist der Trend erkennbar, die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung wie einen Freispruch anzusehen.

2.7 Kostenvergleich zwischen Bewährungshilfe und Maßregelvollzug

Ein Blick auf das vorhandene Zahlenmaterial verdeutlicht, dass die Betreuung eines Probanden der Bewährungshilfe gegenüber einem durchschnittlichen Hafttag des stationären Strafvollzugs wesentlich kostengünstiger ist. So kostet beispielsweise in Sachsen/Anhalt unter Berücksichtigung aller Personal- und Sachkosten ein Tag Betreuung durch die Bewährungshilfe 1,56 €. Die Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Bewährungshelfer und Bewährungshelferinnen kommt in einer Kostengegenüberstellung von 1999 zu dem Ergebnis, das ein Proband in Bayern geschätzte 4,40€ kostet, während die Betreuung und Bewachung in Gefängnissen pro Häftling täglich mit 57,23 € zu Buche schlägt. Das Justizministerium in Sachsen/Anhalt errechnete, das der von der Gesellschaft zu bezahlende Betrag für einen Hafttag 73,46 € beträgt. Der Wert für den Bundesdurchschnitt 2001 liegt bei 77,81 €. Werden die Mittel für Baumaßnahmen hinzugezogen, kostet ein Hafttag durchschnittlich 91,71 € (vgl. MEYER 2003, S.121).

Da für einen Probanden der Bewährungshilfe fast ausschließlich Personalkosten aufzubringen sind, wird nur ein Bruchteil der Kosten eines inhaftierten Straftäters veranschlagt. Weiterhin vorteilhaft gegenüber dem stationären Haftvollzug ist die Tatsache, dass während einer Inhaftierung zumeist das Sozial- bzw. Jugendamt mit Unterhaltszahlungen für die Familie einspringen muss. Ein Proband der Bewährungshilfe ist in dieser Zeit theoretisch in der Lage, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen und Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme zu zahlen.

3. Integration der Probanden

Die Ausgrenzung bestimmter Personen bzw. Personen aus bestimmten Lebensbereichen kann unterschiedliche Ursachen und Gründe haben. Prinzipiell erfolgen innerhalb der Gesellschaft ständig „ ’normale’ Ausgrenzungsprozesse, die durch die Begrenztheit der Inklusionsmöglichkeiten bedingt sind. Sofern die Inklusion durch Ausleseprozesse erfolgt, die auf transparenten und überprüfbaren Kriterien beruhen, sind sie rational. Wenn bestimmte Mindestkriterien nicht erfüllt werden (z.B. kein hinreichender Bildungsabschluss, keine spezifische Berufsqualifikation etc.), gelingt der Zugang zu bestimmten Teilsystemen der Gesellschaft nicht.“ (ENGELS/MARTIN 2002, S.10)

An dieser Stelle setzen die auf Inklusion bzw. Integration hin orientierten Maßnahmen sozialstaatlicher Hilfesysteme an, indem sie einerseits den materiellen Bedarf absichern und flankierend versuchen, durch verschiedene Maßnahmen wie z.B. Beratung, Qualifizierung, Umschulung usw. zur Überwindung dieser Schwellen beizutragen. Entsprechend lässt sich auch die Aufgabe der Bewährungshilfe bestimmen. Allerdings hat in diesem Kontext die Ausgrenzung einen grundlegenderen Charakter, da für die Klienten der Bewährungshilfe eine tiefer gehende Teilhabe an der Gesellschaft auf dem Spiel steht (vgl. ebd., S.10f.). Im Allgemeinen wird Integration gern als Eingliederung einzelner Teile in ein größeres Ganzes verstanden. In der Soziologie wird unter Integration ein Prozess verstanden, der zur Einheit eines sozialen Systems (Staat) führt, aber auch den Prozess der Eingliederung in ein soziales Gebilde (Gruppe). Nach Willhelm Hinrichs ist es sinnvoll, den Begriff soziale Integration doppeldeutig zu sehen. Einerseits meint die Ableitung vom lateinischen integritas Ganzheit und Unversehrtheit, andererseits steckt eine weitere Wortbedeutung, nämlich integratio, der Einbezug, die Erneuerung und Wiederherstellung (Pons. S.520.). Übertragen auf die Situation der Probanden der Bewährungshilfe beschreibt der Terminus der sozialen Integration einen wechselseitigen Prozess, durch den die Gruppe der Probanden in die Gesellschaft einbezogen wird (vgl. HINRICHS 1994, S.13). Integration muss von den Probanden gewollt sein, sie muss ihnen aber auch von der Gesellschaft ermöglicht werden. Der Integrationsverlauf ist komplex, längerfristig und wird bestimmt von sozialen Interaktionen wie Kontakte, Teilhabe, Werten, Normen und Lebensbedingungen, die durch bestimmte sozioökonomische Faktoren wie Erwerb, Wohnen, und Bildung beeinflusst werden (vgl. ebd.). Entsprechend ist davon auszugehen, dass vor allem die berufliche Integration die gesellschaftliche und soziale Anerkennung sichert, da Integration, ob sozialer oder beruflicher Art, die Rückfallquoten in der Bewährungshilfe senkt. Gerhard Spieß hat in einer Studie festgestellt, dass der Bewährungserfolg wesentlich von der Beschäftigungssituation abhängig ist, da die Nichtausübung einer Beruftätigkeit vielfach mir einer Ausgrenzung im sozialen Umfeld einhergeht (vgl. SPIEß 1986, S. 517ff).

3.1 Soziale Integration

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Abb. 6: Auftreten von sozialen Problemen bei Probanden in A– Mehrfachnennung möglich.

Die häufigsten sozialen Probleme der Probanden, die die Bewährungshilfe A in ihrer Erfassung erhoben hat, sind Probleme finanzieller und materieller Art, Suchterkrankungen, Arbeits- und Wohnungsprobleme. Aber auch körperliche und geistige Behinderungen sowie Verhaltensauffälligkeiten scheinen den Alltag der Arbeit mit den Probanden zu beeinflussen. Die Häufigkeit ist allerdings geringer als in der Lebenslagenuntersuchung, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass bei der Erhebung in A die Bewährungshelfer entschieden haben, ob das Auftreten einer Suchterkrankung wirklich ein Problem für den Probanden darstellt. Trotzdem bestätigt die Erhebung aus A, das die Wohnraumprobleme, Suchterkrankungen und Schulden der Probanden einen großen Teil des Tätigkeitsfeldes der Bewährungshilfe ausmacht.

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Abb.7: Vergleich der Verteilung sozialer Probleme zwischen männlichen und weiblichen Probanden der Bewährungshilfe A.

Von den meisten Problemen sind männliche und weibliche Probanden gleichermaßen häufig betroffen. Der Anteil der sozialen Probleme von weiblichen Probanden an der Gesamtanzahl entspricht ungefähr 10% und entspricht damit dem Anteil, den weibliche Probanden in der Bewährungshilfe ausmachen. Frauen weisen lediglich einen höheren Anteil an psychischen Erkrankungen auf, während sie weniger Probleme mit der Arbeit haben.

3.2 Verteilung der Probanden innerhalb der Bewährungshilfe

Wie Probanden innerhalb der Bewährungshilfe auf die einzelnen Bewährungshelfer verteilt werden, ist gesetzlich nicht fixiert. Üblicherweise erfolgt die Aufteilung vor Ort unter Berücksichtigung fachlichen Gesichtspunkten und nach der jeweiligen Belastungssituation der Bewährungshelfer. Neben diesem gibt es noch weitere Verteilmöglichkeiten.

3.2.1 Belastungsprinzip

Die jeweiligen Neuzugänge werden je nach Belastung dem einzelnen Bewährungshelfer zugeteilt. Das Belastungsprinzip orientiert sich dementsprechend vor allem an der Einzelfallhilfe. Der Vorteil dieses Prinzips darin, dass: die Probanden gleichmäßig verteilt werden und jeder Bewährungshelfer nahezu das gleiche Arbeitspensum zu bewältigen hat. Demgegenüber ist allerdings festzuhalten, dass das reine Belastungsprinzip von jedem Bewährungshelfer Kenntnisse in jedem der Arbeitsfelder der Bewährungshilfe erfordert. Die Spezialisierung einiger Bewährungshelfer auf einzelne soziale Problemlagen, wie Sucht oder Schulden, ist unter dieser Voraussetzung nur umsetzbar, wenn die Probanden untereinander ausgetauscht werden.

3.2.2 Buchstabenprinzip

Die Probanden werden nach Anfangsbuchstaben ihres Familiennamens auf die jeweils zuständigen Bewährungshelfer verteilt. Auch hier wird sich an der klassischen Einzelfallhilfe orientiert. Sowohl das Arbeitsamt als auch das Sozialamt arbeiten nach diesem Prinzip, so dass eine verbesserte Kooperation möglich wäre, da die Ansprechpartner für die Bewährungshelfer jeweils gleich bleiben. Ein weiterer Vorteil ist in einer besseren Übersichtlichkeit auf Verwaltungsebene zu sehen. Jedoch verlangt auch das Buchstabenprinzip von den Bewährungshelfern Kenntnisse in jedem Bereich. Eine Spezialisierung auf bestimmte soziale Problemlagen bleibt dabei aber nahezu unmöglich.

3.2.3 Spezialisierungsprinzip

Mit diesem Prinzip werden die Probanden nach Art der sozialen Probleme, nach Art der Straftaten oder in Bezug auf ihr Alter (Jugendliche/Erwachsene) bzw. Geschlecht auf die einzelnen Bewährungshelfer verteilt. Einzelfallhilfe und Soziale Gruppenarbeit können dabei realisiert werden. Durch das Spezialisierungsprinzip könnte sich die Zahl der Mehrfachbetreuungen verringern, so dass z.B. ein Bewährungshelfer, der sich auf die Schuldenproblematik spezialisiert hat, eine zusätzliche Betreuung durch einen Schuldenberater vermeiden kann. Viele Probanden haben allerdings mehr als ein Problem und durch die Spezialisierung erhöht sich die Gefahr, dass sich das breite Spektrum auf die jeweiligen Spezialisierungsgebiete verkleinert.

3.2.4. Prinzip Gemeinwesenorientierung

Die Probanden werden auf Grund ihres Wohngebiets auf die jeweils zuständigen Bewährungshelfer aufgeteilt. Die Orientierung ist auf das Gemeinwesen gerichtet. Der Vorteil liegt vor allem darin, dass bereits andere soziale Dienste, wie z.B. der ASD oder der sozialpsychiatrische Dienst, bereits nach diesem Prinzip arbeiten. Auch hier wäre dadurch eine verbesserte Kooperation untereinander möglich. Weiterhin kann das vorhandene soziale Umfeld des Probanden besser kennen gelernt und bei der Unterstellung mit einbezogen werden. Trotz Gemeinwesenorientierung befinden sich wichtige Kooperationspartner in anderen Wohngebieten. Die Spezialisierung auf einzelne Probleme ist derart kaum möglich.

3.3 Probandenanalyse und Gruppeneinteilung der Probanden

Um den Betreuungsaufwand der Probanden und die Chancen auf schnelle berufliche und soziale Integration abschätzen zu können, ist eine Unterteilung nach bestimmten Merkmalsklassen von Nutzen. Dr. Dietrich Engels und Miriam Martin, Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik Berlin, haben anhand der erfassten Daten der Lebenslagenuntersuchung 2000 eine Probandeneinteilung vorgenommen, in die verschiedene Faktoren einflossen, aus denen dann typische Klientelgruppen der Bewährungshilfe gebildet wurden. Faktoren der Gruppenbildung waren Geschlecht, Hafterfahrung und Straftat. Als Straftaten leichterer Art gelten Verkehrs-, Eigentums- und sonstige Delikte, während Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtM) als schweres Vergehen anzusehen sind, ebenso wie Kontakt- und Sexualdelikte. Diese Gruppen wurden hinsichtlich Verschuldung, Suchtproblemen, Wohn- und Lebensform, familiäre und soziale Eingebundenheit miteinander verglichen. Um Aussagen zur sozialen Integration dieser Gruppen zu treffen, wurde ein Index aus der Lebensform und der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gebildet. (vgl. Engels/ Martin 2002, S.11ff).

Die Auswertungen beruhen auf 2.324 Datensätzen. Das Ziel der Auswertung war es, inwieweit Geschlecht, Alter und Art der Straftat die berufliche und soziale Integration beeinflussen. Aussagen über einzelne Probandengruppen geben allerdings nur Tendenzen wieder, so dass keine Angaben über einzelne Probanden gemacht werden. Auch wenn ein Proband in eine Gruppe durch seine Merkmale Hafterfahrung, Straftat und Tat eingeordnet wird, so muss er nicht die gruppentypischen Problemarten aufweisen. Trotzdem ergeben sich Tendenzen, die natürlich nicht auf jeden Probanden zugeschnitten sind, die allerdings Anhaltspunkte und Hilfestellung für die Arbeit der Bewährungshilfe geben können. Je jünger die Probanden sind, desto besser sind die Chancen einer schnelleren Integration, auch wenn bereits Hafterfahrung gemacht wurde. Besonders weibliche als auch männliche ältere Probanden, mit Delikten schwerer Art, weisen ein erhöhtes Rückfallrisiko auf und haben zugleich eine geringere Chance schnell integriert zu werden (vgl. Engels/ Martin 2002, S.36ff).

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Abb.8: Straftaten, die zur Unterstellung in die Bewährungshilfe A geführt haben.

3.3.1 Gruppe 1

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Abb. 9: Anteil der Gruppe 1 an Gesamtprobandenzahl (Stichprobengröße 558 = 23% der Probanden).

In dieser Gruppe befinden sich männliche Probanden, mit leichten Straftaten und keiner bzw. einer Hafterfahrung von weniger als einem Jahr. Die Vorstrafen weichen vom Durchschnitt ab, da mehr Geld und weniger Freiheitsstrafen auftauchen. Die erreichten Schulabschlüsse sind etwas besser als die der anderen männlichen Probanden und die Gewalt- bzw. Suchterfahrungen aus der Herkunftsfamilie sind niedriger, entsprechend gibt es weniger Probleme mit Suchterkrankungen. Mit einem Probandenanteil von 24% ist dies die zweitgrößte Gruppe innerhalb der Bewährungshilfe, benötigt aber eine weniger intensive Betreuung als Probanden mit mehr Hafterfahrung oder schwereren Verbrechen. Diese Gruppe setzt sich aus überwiegend jungen Probanden zusammen. 13% dieser Gruppe sind wenig oder schlecht sozial integriert (vgl. Engels/ Martin 2002, S.37). Bei Probanden der Gruppe 1 bestehen insgesamt gute Chancen auf eine schnelle Integration. Bildungsvoraussetzungen und aktuelle Erwerbssituation stehen der beruflichen Integration nicht im Weg, die Chancen sozialer Integration sind ebenfalls gut, wobei verlässliche familiäre Strukturen notwendig sind. Der Umgang mit Alkohol stellt sich als Hauptrisiko dar (vgl. ebd.) Die Betreuung, die der einzelne Proband der Gruppe 1 benötigt, dürfte in Vergleich zu an anderen Gruppen niedriger sein. Ausgehend von einer Unterstellungszahl von 70 Probanden pro Bewährungshelfer und der Annahme, dass der Betreuungsaufwand niedrig ist, dürfte pro Proband, bei angenommen 1800 Arbeitsstunden eines Bewährungshelfers pro Jahr, ungefähr einer Stunde im Monat liegen.

3.3.2 Gruppe 2

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Abb. 10: Anteil der Gruppe 2 an Gesamtprobandenzahl(Stichprobengröße 315 = 14% der Probanden).

Männliche Probanden mit leichten Straftaten und höherer Hafterfahrung kennzeichnen die zweite Gruppe. Entsprechend der Hafterfahrung sind die Vorstrafen der Probanden bis auf einen kleinen Teil Freiheitsstrafen. Im Durchschnitt zu anderen Gruppen haben relativ viele Probanden eine Berufsausbildung, der erreichte Schulabschluss ist aber eher niedrig. Die Hälfte ist arbeitslos, 60% haben mehr als 2500 € Schulden und 50% kennen materielle Not aus ihren Herkunftsfamilien. Der Anteil mit Partnern und Kindern ist über dem Durchschnitt anderer Gruppen. Bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen unterscheiden sie sich nicht. Die Gruppe 2 weist einen Anteil an Probanden von 17% auf, die wenig oder schlecht sozial integriert sind. Probanden der 2. Gruppe weisen ein etwas höheres Lebensalter auf und finanzielle Probleme stehen im Vordergrund. Mit Maßnahmen der Schuldnerberatung können die Integrationschancen dieser Gruppe verbessert werden, da Eigentumsdelikte erheblich von materiellen Notlagen beeinflusst werden (vgl. Engels/ Martin 2002, S. 38).

3.3.3 Gruppe 3

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Abb. 11: Anteil der Gruppe 3 an Gesamtprobandenzahl (Stichprobengröße 663 = 28,6% der Probanden).

Probanden der Gruppe 3 stellen den größten Teil der Klientel der Bewährungshilfe. In ihr befinden sich männliche Probanden mit niedriger Hafterfahrung und schweren Straftaten. Die Zahl der Vorstrafen liegt unter dem Durchschnitt und die Probanden dieser Gruppe sind überdurchschnittlich jung; fast die Hälfte ist junger als 25, weitere 41 % sind zwischen 25 und 39 Jahre alt. Weniger als ein Drittel verfügen über eine angeschlossene Ausbildung, allerdings befinden sich 19% noch in einer Ausbildung. Der Anteil derjenigen ohne Schulden ist niedriger als der im Durchschnitt aller schuldenfreien Probanden. Die Hälfte dieser männlichen Probanden lebt dabei allein, wobei 13% wenig oder schlecht und 26% sehr gut sozial integriert sind. Der Anteil der Suchtprobleme entspricht dem Durchschnitt aller Probandengruppen. 32% der Probanden ist arbeitslos, während 66 % Arbeit haben oder sonstig beschäftigt sind oder sich in Ausbildungsmaßnahmen befinden. Die Chancen einer schnellen Integration dieser Gruppe sind als gut zu bezeichnen. Für die überwiegend jungen Probanden, besteht in vielen Fällen die Chance, durch Qualifizierung die Voraussetzungen zu erwerben, die für einen Zugang zum Arbeitsmarkt erforderlich sind. Das Ausmaß an Betreuung des einzelnen Probanden dürfte ähnlich wie in Gruppe 1 bei einer Stunde im Monat liegen.

[...]

Fin de l'extrait de 148 pages

Résumé des informations

Titre
Berufliche und soziale Integration als Aufgabe der Bewährungshilfe
Université
University of Erfurt
Note
1,7
Auteur
Année
2004
Pages
148
N° de catalogue
V41674
ISBN (ebook)
9783638398923
ISBN (Livre)
9783640595242
Taille d'un fichier
1009 KB
Langue
allemand
Mots clés
Bewährungshilfe, Resozialisierung, Bewährung
Citation du texte
Jan Stein (Auteur), 2004, Berufliche und soziale Integration als Aufgabe der Bewährungshilfe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41674

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