Als Paradebeispiel für ethnologische Arbeitsfelder ist uns Entwicklungshilfe allen wohl bekannt. Ganz problemlos ist das allerdings nur auf den ersten Blick: Fachintern existiert eine Unterscheidung in Entwicklungsethnologie (Anthropology within Development), also die Beteiligung an konkreten Projekten im Rahmen einer Anstellung oder eines Forschungs- oder Gutachterauftrags bei staatlichen Entwicklungshilfeinstitutionen oder Nichtregierungs-organisationen (NRO), und Ethnologie der Entwicklung (Anthropology of Development), die lokale soziokulturelle Effekte und Rezeptionen von Entwicklungshilfe untersucht sowie deren Prämissen, Hintergründe, Diskurse, Politiken und Praktiken analysiert, hinterfragt, kritisiert. Ein zentrales Werk, das diese Thematik behandelt, ist Encountering Development. The making and unmaking of the Third World von Arturo Escobar (1995). Nach einer Analyse des Entwicklungsdiskurses, wie er von Politikern und Institutionen geführt wurde und wird, fordert Escobar „the rejection of the entire paradigm altogether“ und formuliert die Vorstellung einer postdevelopment era – eine polemische, jedoch argumentativ fundierte Haltung, die jeden Ethnologen, der für, in, mit „Entwicklung“ arbeitet oder arbeiten will, ins Denken und ins Wanken bringen kann.
Absicht dieses Textes ist es, zunächst einen kurzen historischen Abriss der Entwicklungshilfe, ihrer aktuellen Tendenzen und Strategien, und der Rolle der Ethnologie im Rahmen dieser „klassischen“ Entwicklungshilfe zu liefern. Danach soll der Ansatz des postdevelopment anhand seiner Hauptvertreter und Kritiker diskutiert werden. Fragen, die sich aus der Beschäftigung mit diesem Ansatz im Hinblick auf die angewandte Ethnologie ergeben können, sind folgende: Ist „nach Escobar“ eine Tätigkeit in der klassischen Entwicklungshilfe überhaupt noch vertretbar? Oder doch…? Sind die Verhältnisse grundlegend anders? Und wenn dies alles nicht zutrifft: Welchen Beitrag kann die Ethnologie in einer postdevelopment era leisten? Welchen leistet sie? Welche Konzepte könnten dazu von Nutzen sein? Welche konkreten Tätigkeiten sind vorstellbar?
Der regionale Fokus dieser Arbeit liegt, aus Gründen der persönlichen Verbundenheit und der guten Verfügbarkeit einschlägiger Literaturbeispiele, auf Lateinamerika.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung
- B. Entwicklungsethnologie within development
- 1. Geschichtlicher Abriss der Entwicklungshilfe
- a) Entwicklungshilfe – ein Kind der Nachkriegszeit
- b) Neuere Strategien
- c) Die Rolle der Weltbank
- d) Neueste Trends
- 2. Die Rolle der Ethnologie
- a) Die Entdeckung des kulturellen Faktors
- b) Ethnologen in staatlicher und internationaler Entwicklungshilfe
- C. Der Diskurs der Entwicklung und postdevelopment
- 1. Analyse des Entwicklungsdiskurses
- a) Schlüsselbegriffe
- b) Wie „Entwicklung“ funktioniert
- c) Assimilation neuer Elemente
- d) Entpolitisierung
- 2. Postdevelopment
- a) Das Ende von „Entwicklung“
- b) Alternativen zu „Entwicklung“
- c) Was ist „das Lokale“?
- 3. Die konzeptuelle Debatte
- a) Kritik
- b) Reaktionen auf die Kritik
- 4. Fünfzehn Jahre später: ist postdevelopment Realität?
- a) Ecuador, Bolivien
- b) Mumbai Alliance
- c) Red Enlazando Alternativas
- D. Der praktische Beitrag der Ethnologie in einer postdevelopment era
- 1. „Antidevelopment“
- a) Räume im öffentlichen Diskurs schaffen
- b) Unterstützung lokaler Aktivitäten gegen Interventionen
- 2. Hilfreiche Konzepte zur inhaltlichen Arbeit
- a) Etnodesarrollo und indigenes Wissen
- b) Action Research
- E. Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text beschäftigt sich mit der Rolle der Ethnologie im Kontext von Entwicklungshilfe und postdevelopment. Er beleuchtet die Entwicklungshilfe als ein Produkt der Nachkriegszeit und analysiert die Kritik am Entwicklungsdiskurs. Der Text untersucht die Entstehung und Relevanz des postdevelopment-Ansatzes sowie dessen Implikationen für die praktische Arbeit der Ethnologie.
- Die historische Entwicklung der Entwicklungshilfe
- Die Kritik am Entwicklungsdiskurs
- Der Ansatz des postdevelopment
- Die Rolle der Ethnologie in einer postdevelopment era
- Konzepte und Praktiken für eine alternative Entwicklungsarbeit
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Kontext der Entwicklungshilfe und die Unterscheidung zwischen Entwicklungsethnologie und Ethnologie der Entwicklung vor. Sie führt den Ansatz des postdevelopment ein und erläutert die zentralen Fragestellungen des Textes. Das Kapitel „Entwicklungsethnologie within development“ bietet einen historischen Überblick über die Entwicklungshilfe, von der Truman-Doktrin bis hin zu den Konzepten der nachhaltigen Entwicklung und Integrated Rural Development. Es beleuchtet zudem die Rolle der Ethnologie in der Entwicklungshilfe und die Entdeckung des kulturellen Faktors. Der dritte Teil befasst sich mit dem Diskurs der Entwicklung und postdevelopment, analysiert die Schlüsselbegriffe des Entwicklungsdiskurses und diskutiert die Kritik an diesem. Es werden außerdem die zentralen Argumente und die konzeptionelle Debatte des postdevelopment-Ansatzes beleuchtet.
Schlüsselwörter
Entwicklungshilfe, Entwicklungsethnologie, Ethnologie der Entwicklung, postdevelopment, Entwicklungsdiskurs, Kritik, Alternativen, lokale Aktivitäten, indigenes Wissen, Etnodesarrollo, Action Research.
- Citar trabajo
- Karin Riedl (Autor), 2010, Entwicklungsethnologie und postdevolopment, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/417475