Vera Frances Salomons. Eine Visionärin in Palästina


Research Paper (postgraduate), 2018

83 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung: Stellen Sie sich einmal Folgendes vor

Jüdische Frauen und Gemeinden in England

1 Vera Salomons’ Familie

- Großonkel: Sir David Salomons
- Vater: David Lionel Salomons
- Mutter: Lady Laura Salomons geb. de Stern
- Geschwister

2 Vera Salomons’ Jugend

3 Von der Hochzeit bis zur Scheidung

4 Eine Reise nach Jerusalem

5 Gemeinnützige Projekte

6 Gründung des L. A. Mayer Museums für Islamische Kunst

7 Vera Salomons’ Tod

8 Erinnerungen und Reflexionen

Nachwort: Der Traum einer Idealistin?

Anhang

Liste der Abbildungen

Literatur- und Quellenverzeichnis

Danksagung

Zu allererst möchte ich mich bei den Mitarbeitern und Vorstandsmitgliedern des L. A. Mayer Museums für Islamische Kunst in Jerusalem bedanken für ihre Inspiration und hilfreiche Unterstützung. Mein besonderer Dank geht an die frühere Direktorin des Museums, Rachel Hasson, die Vera Salomons noch persönlich kennengelernt hat und mir interessante Informationen über ihr Leben und Werk geben konnte. Mein Dank richtet sich auch an den ersten Vorsitzenden, Eli Kahn, der nie müde wurde, meine vielen Fragen zur Geschichte des Museums zu beantworten. Ebenso möchte ich mich bei Kathy Chaney, der Kuratorin des Salomons-Museums in Kent (England), herzlich bedanken. Ihr umfassendes Wissen über Vera Salomons’ Familie hat die vorliegende Arbeit sehr bereichert.

Ferner möchte ich es nicht versäumen, den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des israelischen Staatsarchivs, der Nationalbibliothek in Jerusalem sowie der früheren Bibliothekarin im L. A. Mayer Museum und der Leiterin des Altenheims der L. A. Mayer Memorial Association in Jerusalem meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Ihre bereitwillige und kenntnisreiche Unterstützung hat zur Fertigstellung dieses Projektes wesentlich beigetragen. Und zu guter Letzt möchte ich auch Herrn Emile Salomons, einem Angehörigen des niederländischen Zweiges der Familie Salomons, danken für seine Großzügigkeit, dieses Büchlein um einige wichtige Fotos bereichert zu haben. Dies gilt auch für das L. A. Mayer Museum, das ebenfalls Bilder für die vorliegende Veröffentlichung freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

Vorwort

Vor einigen Jahren erhielt ich die großartige Gelegenheit, an einem Digitalisierungsprojekt im L. A. Mayer Museum für Islamische Kunst in Jerusalem zu arbeiten. Eine völlig neue Welt eröffnete sich mir. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich zum ersten Mal durch die einzelnen Galerien des Museums ging und mich tief von der erhabenen Schönheit der islamischen Kunst berührt füllte, von der Eleganz der Kalligraphie, den edlen, filigranen Schmuckstücken und den vielfältigen Formen und dekorativen Elementen der islamischen Architektur. Gleichzeitig fragte ich mich aber auch nach dem Zweck des Museums. Warum war es in einer jüdischen Nachbarschaft errichtet worden? Wann und mit welcher Zielsetzung war es gegründet worden?

Um Antworten auf meine Fragen zu finden, begab ich mich in die einzigartige und umfangreiche Bibliothek mit Tausenden von Büchern zur islamischen Kunst, die damals noch im L. A. Mayer Museum untergebracht war. Ich studierte einige Fachbücher, blätterte durch viele Ausstellungskataloge und las einige biographische Notizen von Persönlichkeiten, die zur Entstehung und Entwicklung des L. A. Mayer Museums mitbeigetragen haben. Dabei „begegnete“ ich dann auch der Gründerin des Museums, Vera Frances Bryce Salomons (1888-1969). Ich erfuhr von ihrem umfangreichen sozialen Einsatz und ihrem großen Interesse an der islamischen Kunst und Architektur.

Beim Stöbern durch die Bücher und Zeitschriften der Museums-Bibliothek stieß ich auch auf das Journal The Sir David Salomons Society, in dem ich von der Existenz des Salomons-Museums in Kent/England las.[1] Ich nahm Kontakt auf zu diesem Museum und erfuhr von der Kuratorin Kathy Chaney über die Anfänge der Sammlung in Broomhill: „... Vera, die als letztes Glied der Familie Salomons in der Broomhill-Villa … gewohnt hat, wählte alle jene Gegenstände aus, die in diesem Haus verbleiben und ausgestellt werden sollten, um die Erinnerung an das Lebenswerk der drei David-Generationen (Veras Bruder, Vater und Großonkel) für immer lebendig zu erhalten. Aber sie hinterließ nur sehr wenig, was auf sie selbst hinwies.“[2] Ferner schrieb Kathy Chaney: „… je mehr ich über diese Frau erfahre, desto mehr bewundere ich sie - jeder Gegenstand, den sie dem Museum in Kent hinterlassen hat, ist sehr sorgfältig ausgewählt und hat seine ganz eigene Geschichte zu erzählen, aber nur sehr selten geht es dabei um sie. Sie scheint eine sehr zurückhaltende und bescheidene Frau gewesen zu sein.“[3]

Letzteres trifft auch auf das L. A. Mayer Museum für Islamische Kunst in Jerusalem zu: Vera Bryce Salomons hat das Museum zu Ehren ihres guten Freundes und Lehrers, Prof. Leon [oder Leo] Arie Mayer gegründet. Trotz ihrer sehr großzügigen Spende und ihres langjährigen Engagements zur Gründung des Museums in Jerusalem wollte sie nicht, dass ihr Name irgendwo erwähnt wird. Angesichts ihres Wunsches nach Anonymität fragte ich mich, ob es richtig sei, über ihre Arbeit und ihr Leben zu schreiben. Auf der anderen Seite erschien es mir aber falsch, die Erinnerung an eine sehr gebildete und gesellschaftlich aktive Frau der Nachwelt vorzuenthalten. Ihr Name, ihr Werk und ihre guten Taten sollten für immer künftigen Generationen als Quelle der Inspiration in Erinnerung bleiben. Neben ihrer Liebe zur islamischen Kunst, Architektur und materiellen Kultur strebte Vera Salomons den Frieden in diesem Teil der Welt an. Die Einrichtung des L. A. Mayer Museums für Islamische Kunst sollte das gegenseitige Verständnis und die Toleranz in der Region fördern. Wie aber können wir ihre Vision vom Frieden lebendig halten, wenn wir uns nicht an ihren Namen erinnern?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Vera Frances Bryce Salomons

(1888-1969)

Einleitung

„Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Eine Britin aus wohlhabenden Hause, die schon in jungen Jahren drei Bände über französische Buchillustratoren veröffentlicht hat, engagiert sich im Ersten Weltkrieg als Krankenschwester, und während sie ihrem Vaterland dient und Kriegsverletzten hilft, trifft sie einen Soldaten, den sie 1919 heiratet. [Aber nach einigen Jahren] … erkennt sie, dass diese Ehe nicht funktioniert. Sie lässt sich scheiden, reist oft nach Jerusalem und beginnt dort, sich um Blinde zu kümmern und karitative und pädagogische Einrichtungen ins Leben zu rufen. Dann … trifft sie Professor Leon Arie Mayer, zuständig für islamische Kunst und Archäologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem … Während sie seine Kurse besucht, lernt sie, die islamische Architektur und Kunst zu schätzen und zu lieben, und beschließt ein Museum zu eröffnen, um diese Errungenschaften der islamischen Kultur für immer in Ehren zu halten …. Ihr Name ist Vera Frances Bryce Salomons und das Museum ist das L. A. Mayer Museum für Islamische Kunst in Jerusalem.“[4]

Vera Salomons wurde 1888 geboren und wuchs in einer wohlhabenden jüdischen Familie in England auf zu einer Zeit, als religiöse Freiheit, bürgerliche Gleichheit und Frauenrechte noch nicht als Selbstverständlichkeiten galten, sondern man noch darum kämpfen musste. Um zu erkennen, was für eine aufgeklärte Denkerin sie war, ist es wichtig, etwas über die politischen und sozialen Umstände ihrer Zeit zu erfahren. Welche soziale und rechtliche Stellung hatten Juden generell und jüdische Frauen im Besonderen in England im 19./20. Jahrhundert? Wie wurden Mädchen um die Jahrhundertwende erzogen und ausgebildet?

Jüdische Frauen und Gemeinden in England

im 19./20. Jahrhundert

Am Vorabend der Französischen Revolution genossen Juden in Großbritannien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern einen relativ guten rechtlichen Status. Im frühen 19. Jahrhundert ermutigte sie die im Jahre 1829 erfolgte Gleichstellung der Katholiken, eine Kampagne zu starten, die die Emanzipation der Juden im Land zum Ziel hatte. Dieser Kampf dauerte mehrere Jahrzehnte und wurde hauptsächlich von den wohlhabenden und gebildeteren Mitgliedern der jüdischen Gemeinden vorangetrieben. Aber eine umfassende jüdische Gleichstellung fand erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt, und soziale Diskriminierungen bestanden weiterhin bis ins 20. Jahrhundert hinein.[5]

Zwischen 1880 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden Juden mit verschiedenen politischen und sozialen Problemen konfrontiert. Nach der Ermordung von Alexander II. im Jahre 1881 setzte eine große Flüchtlingszuwanderung von Juden aus Russland ein.[6] Den jüdischen Gemeinden war es sehr wichtig, dass die neuen Einwanderer nicht der allgemeinen Öffentlichkeit zur Last fielen. Deshalb richteten sie umfassende Hilfsdienste für die ankommenden Flüchtlinge ein, aber auch spezielle Wohltätigkeitsorganisationen, die vor allem dazu beitrugen, neue Möglichkeiten für Flüchtlingsfrauen zu schaffen.[7]

Bis zum 19. Jahrhundert war die offizielle Ausbildung für Mädchen allgemein vernachlässigt worden. Angehörige der oberen Bevölkerungsschichten gingen davon aus, dass Mädchen ohnehin heiraten würden und deshalb keine formale Schulausbildung oder gar eine akademische Bildung brauchten.[8] Jüdische Familien der Mittel- oder Oberschicht unterrichteten ihre Töchter zu Hause oder schickten sie auf eine private (jüdische) Schule. Während jüdische Immigrantenfamilien aus Osteuropa sich in der Regel weniger um die Schulbildung ihrer Töchter kümmerten, hatte die Ausbildung ihrer Söhne absoluten Vorrang.[9]

Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an kämpften jüdische Frauen in England darum, dass auch Frauen die Möglichkeit einer Hochschulbildung erhielten. Lady Louisa Goldsmid (1829-1908) zum Beispiel half mit, das Girton College in Cambridge 1869 zu gründen. Ihr Engagement führte dazu, dass jüdische und christliche Frauen zum Studium an der Universität von Cambridge zugelassen wurden.[10] Viele jüdische Frauenorganisationen wurden zu dieser Zeit in Großbritannien ins Leben gerufen. Die bekanntesten führenden Persönlichkeiten in diesem Kampf waren die Frauen und Töchter wohlhabender Familie, wie zum Beispiel die Rothschilds und Montefiores. Sie erlangten große Anerkennung für ihre Großzügigkeit. Zwischen 1860 und 1900 strebten die verschiedenen Frauenorganisationen und -klubs in erster Linie weiblich mütterliche Zielsetzungen an. Nur sehr wenige der Mitstreiterinnen beschrieben sich selbst als feministisch.[11] Während diese Gruppen zweifelsohne daran arbeiteten, den rechtlichen Status und die beruflichen Möglichkeiten von Frauen zu verbessern, wichen sie jedoch nicht von der „natürlichen“ Grundannahme ab, dass Mann und Frau in der Gesellschaft unterschiedliche Rollen und Aufgaben haben, und so nahm auch weiterhin der unbezahlte Einsatz von Frauen für soziale Projekte eine zentrale Rolle ein.[12] Dennoch stieg die Zahl der Frauen, die von den neuen Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten dieser Zeit profitierten, ständig an..[13]

Um die Jahrhundertwende herum begannen jüdische Frauen in Großbritannien, eine Anzahl von Frauenorganisationen mit bewusst feministischen Programmen und Zielsetzungen ins Leben zu rufen. Auch gründeten sie eine jüdische Frauenbewegung, kämpften gemeinsam mit anderen (nicht-jüdischen) Frauenorganisationen für das Frauenwahlrecht und beteiligten sich an vielen anderen nationalen Frauenorganisationen im Land. So setzten sie sich u. a. auch für soziale Reformen für die Frau ein und für die Einrichtung von Frauengewerkschaften.[14] Weitere Frauenbewegungen entstanden am Anfang des 20. Jahrhunderts, unter ihnen auch die zionistische Frauenbewegung. 1918 wurde der Bund Zionistischer Frauen in Großbritannien und Irland gegründet, woraufhin seine Anhängerinnen Komitees bildeten, um ihre Ideen zu verbreiten und um Kleidung für Waisenkinder im Britischen Mandatsgebiet Palästina zu sammeln.[15]

Die sozialen Errungenschaften und rechtlichen Verbesserungen des 19./20. Jahrhunderts statteten jüdische und nicht-jüdische Frauen mit neuen Möglichkeiten aus und brachten ihnen signifikante Vorteile. Sie erhielten Zugang zu vielen Bildungseinrichtungen und ihnen stand eine größere Auswahl im Beschäftigungssektor zur Verfügung, was sich langfristig auch auf die öffentliche Gesundheit, die Größe der Familie und den Lebensstandard der Frauen positiv auswirkte.[16] Diese Entwicklungen veränderten nicht nur die Lebensweise, Perspektiven und den Lebensstandard der Frauen jener Zeit, sondern auch die Beziehungen der Geschlechter untereinander und ihre Vorstellungen von Familie.[17] „In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellten die Möglichkeit einer Scheidung, die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln sowie feministische Kampagnen und neue, alternative Lebensstile für unverheiratete Frauen eine Herausforderung für die traditionelle Ehe dar. Bürgerliches Konsum- und Freizeitverhalten sowie verbesserte Chancen in Politik, im Sozialbereich und Beschäftigungssektor führten darüber hinaus zu einem größeren Selbstbewusstsein und Vertrauen der Frauen ... Obwohl die überwiegende Mehrheit den traditionellen Vorstellungen vom Familienleben treu blieb, war die wachsende Komplexität von unterschiedlich wählbaren Lebensstilen … beachtenswert.“[18]

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum frühen 20. Jahrhundert größere rechtliche und soziale Veränderungen zu einer Verbesserung der Stellung der Frauen sowohl in der britischen Gesellschaft im allgemeinen als auch speziell in der jüdischen Gemeinde geführt hat.

In diese Zeit gesellschaftlich umfassender und weitreichender Veränderungen wurde Vera Frances Bryce Salomons hineingeboren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2. Vera Frances Salomons in ihrer Jugend

1. Vera Salomons’ Familie

Vera Frances Salomons wurde 1888 in London geboren als viertes Kind und dritte Tochter von Sir David Lionel Salomons (1851-1925) und seiner Ehefrau Laura de Stern (1855-1935). Vera hatte drei Schwestern, Maud Julia (1883-1935), Sybil Gwendolen (1884-1899) und Ethel Dorothy (1892-1937) und einen Bruder, David Reginald (1885-1915). Die Familie lebte auf dem Broomhill-Anwesen in der Nähe von Tunbridge Wells in Kent, England.[19]

„Broomhill (oder Broom Hill) war einst eine kleine Villa im italienischen Stil, ein vornehmer Wohnsitz für einen Gentleman, der ein Leben auf dem Land führen wollte.“[20] Im Jahre 1829 hat Veras Großonkel, Sir David Salomons, Broomhill gekauft ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts, als es üblich war, dass reiche jüdische Familien Landgüter erwarben, „ … selbst wenn es nur als Wochenend- oder Feriensitz genutzt wurde; … ihre Mitglieder verfolgten dabei das Ziel, in der jeweiligen Grafschaft eine wichtige Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen.“[21] Veras Großonkel und auch ihr Vater, David Lionel Salomons, entsprachen dieser Vorstellung vollkommen. Neben vielen verschiedenen öffentlichen Aufgaben wurde Sir David Salomons 1839 zum Sheriff[22] von Kent und später zum stellvertretenden Sheriff für Kent und Middlesex ernannt. Veras Vater wurde 1874 zum Magistrat und Vize-Grafschaftsvorsteher für Kent bestellt und 1894 zum Bürgermeister von Tunbridge Wells ausgewählt.[23]

Zwei Meilen von Tunbridge Wells und eine Stunde von London entfernt, befand sich die Villa Broomhill auf einem 36 Hektar großen Gelände mit hügeligen Wäldern und einem weitläufigen Garten. Das Wohnhaus bestand aus drei Empfangsräumen und fünf Schlafzimmern und hatte – was damals sehr selten war – ein Wasserkloset. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an wurde das Haus fortwährend renoviert und vergrößert und schließlich in einen atemberaubenden Wohnsitz verwandelt, der die Eleganz und Ideale des viktorianischen Zeitalters widerspiegelte.[24] Broomhill war das erste Gebäude in England, in dem Elektrizität zum Kochen und für andere hauswirtschaftliche Tätigkeiten benutzt wurde. Die ersten Räume, die 1874 elektrisches Licht erhielten, waren die Werkstätten auf Broomhill. Die Villa beherbergte darüber hinaus großartige Kunst- und Buchsammlungen, darunter auch eine der reichsten Sammlungen französischer Buchillustrationen des 18. Jahrhunderts.[25]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3. Broomhill, 1840

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

4. Broomhill, Luftaufnahme

Veras Großonkel: Sir David Salomons

Sir David Salomons (1797-1873) gehörte zu den führenden Persönlichkeiten, die sich im 19. Jahrhundert in England für die jüdische Emanzipation einsetzten. Er war der erste jüdische Bürgermeister von London und einer der ersten beiden Juden im britischen Unterhaus. Er war aber nicht nur eine namhafte Persönlichkeit in öffentlichen Angelegenheiten, sondern auch ein beeindruckender Mann, dessen Toleranz, liberale Einstellung und vorurteilsfreies Denken die Familie über viele Generationen geprägt hat. Obwohl Vera Frances Salomons erst einige Jahre nach seinem Tode geboren wurde, nämlich im Jahr 1888, lassen seine Ideen und ethischen Werte sich in ihrem Leben und ihrer Arbeit wiederfinden.[26]

Sir David Salomons kam in London zur Welt als zweiter Sohn von Levy Salomons (1774-1843) und dessen Ehefrau Matilda de Metz (ca. 1775-1838) von Leiden in den Niederlanden, die 1795 den Bund der Ehe geschlossen hatten. Davids Vater war ein aschkenasischer Jude (deutsch-polnischer) Abstammung und von Beruf ein Börsenmakler in London. David trat in die Fußstapfen seines Vaters und wurde ein erfolgreicher Banker. Er gehörte zu den Mitbegründern der Londoner und Westminster Bank und war ein Mitglied der Londoner Börse.[27] Aber sein vorherrschendes Interesse galt nicht Beruf und Geldgeschäften, sondern seinem Engagement im öffentlichen Leben.[28]

Zu David Salomons’ Lebzeiten waren religiöse Diskriminierungen noch sehr verbreitet. Zum Beispiel waren einige Berufe nur für Anglikaner, also für Mitglieder der Kirche von England, zugänglich. „Andere [Arbeitgeber] stellten nur diejenigen an, die einen christlichen Eid ablegen konnten. Aber Juden und Unitarier und einige christliche Sekten … (wie z. B. die Quäker) waren fast gänzlich vom öffentlichen Leben, von Marine und Militär oder vom Zivildienst unter der Krone ausgeschlossen - oder sogar von der Eröffnung eines Einzelhandelsgeschäfts in der Stadt London oder von der Ausbildung an bestimmten öffentlichen Schulen. Gleichwohl, die Zeiten änderten sich, und David Salomons war fest entschlossen, all seine Kraft dafür einzusetzen, um den Wandel zu beschleunigen ... Im Jahr 1835 sah er die Gelegenheit gekommen, den nächsten Schritt zu machen. Er stellte sich zur Wahl für das Amt des Sheriffs der Stadt (Sheriff of the City), und er war erfolgreich.“[29] Er gewann die Wahl, konnte aber zunächst seinen neuen Posten nicht antreten wegen des obligatorischen christlichen Amtseides, den er als Angehöriger des jüdischen Glaubens nicht ablegen konnte. Erst als das Sheriff-Deklarationsgesetz im August desselben Jahres verabschiedet wurde, welches nun zuließ, die Worte „on the true faith of a Christian“ (auf den wahren Glauben eines Christen) auszulassen, war David Salomons in der Lage, sein Amt aufzunehmen.[30]

Im Dezember 1835, wurde David Salomons zum Alderman (Stadtrat, Ratsherr) der Stadt London gewählt. Aber auch dieses Mal erwartete man von ihm, dass er vor Amtsantritt einen christlichen Eid ablegte, was für ihn aber nicht akzeptierbar war. Und dieses Mal wurde das Gesetz nicht geändert, und David Salomons wurde von seinem Amt ausgeschlossen. Aber viele Jahre später, nachdem das Gesetz zur religiösen Überzeugung erleichtert worden war, wurde er 1847 wiedergewählt. Im Jahre 1855 wählten die Stadtoberen ihn zum Oberbürgermeister von London. Er war der erste englische Jude, der Sheriff, Alderman, Parlamentsmitglieder und Oberbürgermeister von London wurde. 1869 wurde er zum Baron ernannt.[31]

Sir David Salomons gehörte mehreren Synagogen in London an: Er war lebenslang ein Mitglied in der Neuen Synagoge, und er hielt Mitgliedschaften in der West-London-Synagoge und in der Zentral-Synagoge in London.[32]

David Salomons heiratete seine erste Frau Jeanette im Jahre 1825. Jeanette Cohen (1803-1867) war die Tochter von Solomon Cohen von Canonbury und Hannah Cohen geb. Samuel und eine Nichte von Nathan de Rothschild und Sir Moses Montefiore. Diese Heirat brachte also zwei wohlhabende Familien zusammen, die sich beide für die politische Emanzipation der Juden einsetzten.[33] David Salomons und seine Frau Jeanette lebten in London, Great Cumberland Place 26. Im Jahre 1829 erwarb David das Anwesen Broomhill in der Grafschaft Kent. Da er in London arbeitete, verbrachte das junge Paar nur wenig Zeit auf ihrem Landsitz.[34] Das Paar reiste oft auf das europäische Festland. Sie unternahmen sogar Reisen nach Palästina, lange bevor es eine zionistische Bewegung gab. Jedoch Ideen, die sich mit der Rückkehr der Juden in das Land ihrer Vorfahren beschäftigten, tauchten bereits im britischen, politischen Diskurs des frühen 19. Jahrhunderts auf.[35] David und Jeanette traten ihre erste Reise nach Palästina 1827 an, welches zu der Zeit unter Ottomanischer Herrschaft stand. Von Calais nach Neapel befand sich das junge Paar in Begleitung von Jeanettes Tante und Onkel, Judith und Moses Montefiore (1784-1885),[36] die sich ebenfalls auf dem Weg nach Palästina befanden, aber aus Krankheitsgründen ihre Reise unterbrechen mussten.[37] Fast 100 Jahre später reisten auch David Salomons' Großnichte Vera Bryce Salomons und ihr Ehemann Edward Bryce nach Palästina, was sich zu der Zeit dann aber schon unter britischem Mandat befand.[38]

Etwa um 1855 wurde David Salomons’ Frau Jeanette schwer krank; sie erlag ihrer Krankheit 1867 und verstarb im Alter von 63 Jahren. Fünf Jahre nach ihrem Tod, im Jahre 1872, heiratete David Salomons ein zweites Mal. Er vermählte sich mit Cecilia Salomons geb. Samuel (1811-1892). Sie war die Witwe seines Cousins Joseph Salomons.[39] Beide Ehen blieben kinderlos, aber David Salomons „adoptierte“ 1867 inoffiziell seinen 15-16jährigen Neffen und dessen zwei Schwestern, weil diese ihre Eltern früh verloren hatten.[40]

Nach Aussagen des Historikers Albert M. Hyamson verstarb David Salomons in seinem Londoner Haus am 18. Juli 1873. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in West Ham, London beigesetzt. Seine Titel, sein Vermögen und Besitz, darunter auch Broomhill, gingen an seinen Neffen David Lionel Salomons, Veras Vater.[41]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5. Sir David Salomons (1797-1873)

Veras Vater: David Lionel Salomons

Wie bereits erwähnt, führten traurige Familienereignisse dazu, dass Veras Vater, David Lionel Salomons (1851-1925), als er 15 oder 16 Jahre alt war, von seinem Onkel aufgenommen wurde. Er und seine beiden Schwestern waren früh Waisen geworden, da beide Elternteile – Emma Abigail Montefiore 1859 und Philip Salomons 1867 – verstorben waren, als die Kinder noch recht jung waren.[42]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

6. Emma Abigail Montefiore (1833–1859)

Veras Großmutter, 1850

[...]


[1] Canterbury Christ Church College/University war über viele Jahre (1996-2012/13) im Besitz des Salomons-Museums. Es ist vor etwa fünf Jahren in die Hände der kommerziellen Organisation Salomons UK (Teil der Markerstudy Group) übergegangen (E-Mail: Kathy Chaney/Salomons Museum, England, 12. Okt. 2015).

[2] E-Mail: Kathy Chaney/Salomons Museum, England, 12. Okt. 2015.

[3] E-Mail: Kathy Chaney/Salomons Museum, England, 12. Okt. 2015.

[4] Raeuber, 2011: 38.

[5] Kuzmack, 1990: 7-8; Rürup, 1999: 55-56, 60-61; siehe auch Lipman, 1986, xi-xix; Lipman, 1990, 8-9. Susan L. Tananbaum: “Britain, Nineteenth and Twentieth Centuries,” in Jewish Women: A Comprehensive Historical Encyclopedia. 1. März 2009, in: http://jwa.org/encyclopedia/article/britain-nineteenth-and-twentieth-centuries. Nachstehend zitiert als: Tananbaum, 2009: “Britain, Nineteenth and Twentieth Centuries”.

[6] Von 1881-1914 kamen fast 150.000 jüdische Flüchtlinge von Ostereuropa nach Großbritannien.

[7] Lipman, 1986: xiv-xv; Tananbaum, 2009: “Britain, Nineteenth and Twentieth Centuries”. Für ausführliche Informationen über jüdische Einwanderer nach England und insbesondere nach London, siehe: Susan L. Tananbaum, Jewish Immigrants in London, 1880-1939, London, 2014.

[8] Liza Picard: Education in Victorian Britain, in: http://www.bl.uk/victorian-britain/articles/education-in-victorian-britain. (Juni 2017).

[9] Tananbaum, 2009: “Britain, Nineteenth and Twentieth Centuries.”

[10] https://en.wikipedia.org/wiki/Louisa_Goldsmid (2013).

[11] Tananbaum, 2009: “Britain, Nineteenth and Twentieth Centuries”.

[12] Tananbaum, 2009: “Britain, Nineteenth and Twentieth Centuries”. Vgl. Gleadle, 2001: 139-143, 153. Gleadle, 2001: 153, 172.

[13] Gleadle, 2001: 153, 172.

[14] Kuzmack, 1990: 1.

[15] Tananbaum, 2009: “Britain, Nineteenth and Twentieth Centuries”.

[16] Gleadle, 2001: 187.

[17] Gleadle, 2001: 187.

[18] Gleadle, 2001: 185-186.

Dennoch soll hier darauf hingewiesen werden, dass britische Frauen etliche Rückschläge erlebten, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, als ein Kampf gegen die Berufstätigkeit der Frau einsetzte. Die Tatsache, dass das Frauenwahlrecht in Großbritannien erst 1928 eingeführt wurde, zeigt, wie zögerlich die Mehrheit der britischen Gesellschaft bereit war für die Gleichberechtigung der Frau.

[19] Hyamson, 1939: 112-113; Brown, 1990: 2. http://www.canterbury.ac.uk/salomons-museum/tree/d-lionel-salomons.asp (2013); http://www.canterbury.ac.uk/salomons-museum/tree/l-de-stern.asp (2013); https://www.myheritage.co.il/names/ethel_salomons (2013); http://www.npg.org.uk/collections/search/person/mp100634/maud-julia-nee-goldsmid-stern-salomons-lady-blunt (2013); http://www.dutchjewry.org/genealogy/asser/1091.htm (2013).

[20] James Parkes: The Story of Three David Salomons at Broomhill, o. D.: 1-2.

[21] Lipman, 1990: 77-78; siehe auch Parkes, o. D.: 18.

[22] Sheriff: Hoher Verwaltungsbeamter in einer englischen oder irischen Grafschaft.

[23] Hyamson, 1939: 32ff; 109-111; Parkes, o. D.: 8, 18; http://www.canterbury.ac.uk/salomons-museum/tree/d-lionel-salomons.asp (2013).

[24] Parkes, o. D.: 2.

[25] Salomons, Charles Eisen, 1914: 10-11; http://www.canterbury.ac.uk/salomons-museum/tree/d-salomons.asp (2013); http://archiveshub.ac.uk/data/gb2464-sf (2013).

[26] Parkes, o. D.: 4-17.

[27] https://www.geni.com/people/Sir-David-Salomons-1st-Baronet-Lord-Mayor-of-London/ 6000000002764921666 (2013);
https://www.geni.com/people/Levy- Salomons/6000000008371310397# (2013).

[28] Parkes, o. D.: 4.

[29] Parkes, o. D.: 4-6. Sheriffs of the City: Sie waren die wichtigsten Stadtbeamten. Sie sammelten die jährlichen Steuern Londons für den königlichen Schatz und hatten auch gerichtliche Pflichten in den Gerichten der Stadt (https://en.wikipedia.org).

[30] Parkes, o. D.: 6-11; http://www.jewishencyclopedia.com/articles/13038-salomons (2013).

[31] Parkes, o. D.: 6-11; vgl: David Salomons: Memoir of Sir David, London, 1874.

[32] Brown, 1968: 6.

[33] Green, 2005: 635-636.

[34] Hyamson, 1939: 2.

[35] Cowen, The Untold Story, 1998, in: http://www.leaderu.com/common/ british.html (Juni 2016).

[36] Moses Montefiore war ein jüdischer Philanthrop. Von 1827 bis 1875 besuchte er Palästina siebenmal und spendete große Geldsummen, um die Entwicklung der dortigen jüdischen Gemeinde zu fördern, in: https://en.wikipedia.org/wiki/Moses_ Montefiore#Philanthropy_in_Ottoman_Palestine (Juni 2016). Siehe auch: Hyamson, 1917: 4.

[37] Hyamson, 1939: 100; Green, 2010: Kapitel 4; Judith Montefiore: Private Journal of a Visit to Egypt and Palestine, by Way of Italy and the Mediterranean, London 1836.

[38] Brown, 1990: 3.

[39] Hyamson, 1939: 101.

[40] Parkes, o. D.: 18.

[41] Hyamson, 1939: 101-102, 107;
https://www.geni.com/people/Sir-David-Salomons-1st-Baronet-Lord-Mayor-of-London/6000000002764921666 (2013);
https://www.myheritage.com/research/individual-1005068/cecilia-samuel-2?s=173480051&rfr=tree (2013).

[42] Parkes, o. D.: 2-3, 18; https://www.salomons-estate.com (2016).

Excerpt out of 83 pages

Details

Title
Vera Frances Salomons. Eine Visionärin in Palästina
Author
Year
2018
Pages
83
Catalog Number
V417928
ISBN (eBook)
9783668683952
ISBN (Book)
9783668683969
File size
3223 KB
Language
German
Notes
Die vorliegende deutsche Fassung über Vera Salomons' Leben und Werk ist eine Übersetzung der englischen Ausgabe "Attempts at a Biography: The Discrete Life of Vera Salomons" mit einigen Abänderungen und Ergänzungen.
Keywords
Vera Salomons, Sir David Salomons, islamische Kunst, Palästina, Jerusalem, L. A. Mayer Museum, Jüdische Frauen und Gemeinden in England
Quote paper
Dr. Heidemarie Wawrzyn (Author), 2018, Vera Frances Salomons. Eine Visionärin in Palästina, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/417928

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