Mutterliebe im 19. Jahrhundert. Die Konstruktion der Mutterliebe in Schulbüchern des 19. Jahrhunderts


Dossier / Travail, 2014

21 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische und methodische Grundlagen
2.1 Familie und Kindheit im 19. Jahrhundert
2.1.1 Die „moderne“ Familie
2.1.2 Die „neue“ Kindheit
2.2 Die Mutterliebe
2.2.1 Die Entstehung eines neuen Werts: Die Mutterliebe
2.2.2 Die Rolle der Natur und des Stillens
2.2.3 Überzeugungsarbeit: Warum Mütter die Mutterliebe verwirklichen sollten
2.2.4 Liebesbeweise
2.2.5 Die perfekte Mutter

3. Analyse von Erziehungsratgebern
3.1 Hygiene und Gesundheit
3.2 Wohlbefinden und körperliche Freiheit des Kindes
3.3 Die Rolle der Natur und das Stillen
3.4 Falsche Vorurteile
3.5 Die Mutter als Alleskönnerin und Allwissende
3.6 Wörter, die Liebe ausdrücken
3.7 Das Mutterglück
3.8 Die Mutterliebe

4. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abstract

La construction de l’amour maternel dans les manuels éducatifs du XIXe siècle

L’amour maternel est aujourd’hui considéré comme quelque chose de naturel, quelque chose qu’une femme ressent dès qu’elle est enceinte. Pourtant, l’amour maternel est une construction qui n’a pas toujours existé. Il s’est développé au cours du XIXe siècle, pendant lequel la maternité et l’enfance ont connu une toute nouvelle définition. Sur la base de l’œuvre reconnue L’amour en plus. L’histoire de l’amour maternel <XVIIe – XXe siècle> écrite par Elisabeth Badinter, il convient d’analyser des manuels éducatifs du XIXe siècle afin de découvrir comment l’amour maternel a été construit. Il y a plusieurs facteurs qui jouent dans cette construction: Surtout le soin hygiénique et de la santé représentent l’amour maternel, ainsi que le bien-être et la liberté corporelle de l’enfant. De plus, l’amour maternel est soumis aux règles introduites par la nature, comme l’allaitement exclusif de la mère et non d’une nourrice. En gros, la mère doit savoir tous ce qui est nécessaire pour que son enfant vive la meilleure enfance possible. Elle doit sacrifier tout son temps et son corps pour lui; c’est ce que l’amour maternel exige.

1. Einleitung

Eine Mutter stillt ihr Baby, lächelt ihm sanft zu und spielt mit seinen kleinen Fingern. Jeder Betrachter dieser Szene aus der heutigen Zeit würde es als normal empfinden, dass ein Säugling die Brust seiner Mutter bekommt und diese ihn mit ihrem Leben beschützen würde. Das Motiv der Mutterliebe scheint etwas Natürliches, Angeborenes, ein Instinkt zu sein. Jede Mutter die ihn hat, ist eine gute Mutter und jene bei der man ihn vergeblich suchen kann, eine schlechte. Dennoch gab es die „Mutterliebe“ nicht immer. Erst Ende des 18. Jahrhunderts begann sich die Einstellung der Mütter gegenüber ihren Kindern zu wandeln. Vorher waren Kinder oft der Gleichgültigkeit ihrer Eltern ausgesetzt. Die Mutterliebe ist ein Konstrukt, welches sich im Frankreich des 19. Jahrhunderts zunehmend ausbreitete.

In dieser Arbeit soll die Frage bearbeitet werden, wie das Motiv der Mutterliebe im 19. Jahrhundert in Frankreich in Erziehungsratgebern konstruiert wird. Wie schon erwähnt, änderte sich das Bild der Mutter Ende des 18. Jahrhunderts. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde das Konstrukt der Mutterliebe immer weiter ausgebaut. Deshalb konzentriert sich die Arbeit auf das 19. Jahrhundert. Des Weiteren werden Erziehungsratgeber zu Analysezwecken herangezogen, weil diese vermutlich einen großen Einfluss auf die damaligen Mütter hatten.

In der gegenwärtigen Forschung hat sich vor allem Elisabeth Badinter mit der Mutterliebe und dem Mutterinstinkt auseinandergesetzt. Neben ihr gibt es weitere Autoren wie Simone de Beauvoir, Rousseau und Yvonne Knibiehler, die dieses Thema am Rande oder implizit aufgreifen. Simone de Beauvoir z.B. streitet die Existenz eines Mutterinstinkts ab[1] und Rousseau meint, die kindliche Erziehung sei eine von der Natur gegebene Aufgabe an die Mutter[2]. Yvonne Knibiehler publizierte ein Werk zur Geschichte der Mutterschaft, beschäftigt sich darin aber mehr mit dem Status und der Funktion der Mutter. Eine Analyse von Erziehungsratgebern aus dem 19. Jahrhundert im Hinblick auf die Konstruktion der Mutterliebe wurde nach eingehender Recherche nicht gefunden.

Zunächst werden theoretische Grundlagen über die Entstehung der „modernen“ Familie und das neue Konzept der Kindheit im 19. Jahrhundert gegeben. Dann wird genauer das Motiv der Mutterliebe erläutert, wie es im wissenschaftlichen Forschungsdiskurs schon behandelt wurde. Darauf aufbauend werden drei Erziehungsratgeber des 19. Jahrhunderts bezüglich der genannten Fragestellung analysiert, um zu einem angemessenen Fazit zu gelangen.

2. Theoretische und methodische Grundlagen

Als theoretische Basis dieser Arbeit werden hauptsächlich zwei Werke verwendet. Aus A cultural history of childhood and Family in the Age of Empire von Colin Heywood u.a. wurde die Entstehung der modernen Familie und einer neuen Bedeutung der Kindheit entnommen. Diese sind für die Analyse von Erziehungsratgebern wichtig, um zu wissen, mit welchen Definitionen der Familie und Kindheit im 19. Jahrhundert gearbeitet wurde. Nur so können die Ratgeber adäquat entschlüsselt werden. Das zweite benutzte Werk L’amour en plus. L’histoire de l’amour maternel <XVIIe – XXe siècle> von Elisabeth Badinter thematisiert als einziges derart präzise die Mutterliebe und den Wandel der Mutterrolle Ende des 18. bis Ende des 19. Jahrhunderts, dass es den größten Teil der theoretischen Grundlage ausmachen wird.

Für die Analyse werden drei Erziehungsratgeber verwendet, die Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlicht wurden: Docteur Royer (1851): Manuel des mères de famille, ou règles et principes à suivre pour l’éducation physique des enfans, depuis la naissance jusqu’à l’âge de la puberté, Gustave de Fajole (1877): Le devoir des mères. Petit manuel d’hygiène, physique et morale und Alexandre Bourgeois (1883): Manuel d’hygiène et d‘éducation de la première enfance. Da gerade in diesem Zeitraum eine Vielzahl an Erziehungsratgebern erschienen ist, wurden hiervon drei als repräsentativ ausgewählt. Der Großteil der Analyseobjekte stammt aus dem zuletzt genannten Ratgeber. Aufgrund des eingeschränkten Rahmens dieser Arbeit war es nicht möglich, die ersten beiden komplett zu untersuchen. Bei der Analyse wird grob nach den Kategorien vorgegangen, die Elisabeth Badinter in ihrem Werk etabliert hat. Diese Methode ermöglicht es, die theoretischen Grundlagen zu berücksichtigen. Des Weiteren wird in einem kurzen Abschnitt auch die Sprache in den Erziehungsratgebern analysiert, da über diese wichtige Bilder und Konnotationen transportiert werden können.[3]

2.1 Familie und Kindheit im 19. Jahrhundert

Die Einstellung zu Kindern und zur Kindheit wandelte sich zu dieser Zeit nicht nur in Frankreich, sondern in vielen Teilen Europas. Auch das Konzept der Familie veränderte sich. In dem folgenden Abschnitt werden Veränderungen in den Bereichen Familie und Kindheit aufgezeigt, die Einfluss auf die Entstehung des Konstrukts der Mutterliebe gehabt haben können.

2.1.1 Die „moderne“ Familie

Im 19. Jahrhundert bildete sich eine neue Form der Familie, die durch Liebe und Zuneigung geprägt war und in deren Zentrum die Erziehung der Kinder stand. In der Familie spielte nun die Sozialisierung der Kinder, die emotionale Unterstützung und die Liebe eine herausragende Rolle.[4] Durch das Aufkommen von Geburtskontrollpraktiken sank die Anzahl der Geburten, weshalb man von einem demographischen Wandel zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert sprechen kann. Aufgrund des medizinischen Fortschrittes konnte die kindliche Sterberate gesenkt werden, und viele Eltern begannen, die Größe ihrer Familie zu begrenzen, um den steigenden Bildungserwartungen und dem Wunsch nach höherem materiellen Komfort gerecht werden zu können.[5] Dadurch, dass die Familien kleiner wurden, standen die einzelnen Kinder vor allem bei ihren Müttern mehr im Mittelpunkt, denn nachdem die traditionelle Familie von den Männern dominiert worden war und sich alles um das wirtschaftliche Überleben der Familie gedreht hatte[6], rückte nun die Mutter in das Zentrum der Familie. Infolge der Industriellen Revolution arbeiteten viele Männer fortan außerhalb der häuslichen Umgebung[7], das heißt nicht mehr auf dem Land, sondern in den Städten, wodurch sie ihre Macht in der Familie bezüglich des Haushalts und der Erziehung der Kinder verloren[8]. Ein gewisser Kontaktverlust der Väter zu den Kindern war ebenfalls die Folge ihrer Abwesenheit.[9] Während die Väter im frühen 19. Jahrhundert noch das komplette Sorgerecht für ihre Kinder hatten, fingen ab Mitte des Jahrhunderts einige Staaten an, der Mutter zumindest für das jüngste Kind das Sorgerecht zu übergeben.[10]

Die moderne Familie war mehr von Liebe, Großzügigkeit, Selbstlosigkeit und Aufopferung[11] als von dem wirtschaftlichen Überlebensgedanken geprägt.

2.1.2 Die „neue“ Kindheit

Der Übergang vom ökonomischen zum emotionalen Denken ließ sich auch bei der Behandlung der Kinder spüren. Die wirtschaftlich „nützlichen“ Kinder wurden zu „beschützten“ Kindern.[12] Im Laufe des 19. Jahrhunderts verging langsam die Idee der Sündhaftigkeit des Kindes[13], man sah sie als unschuldige und verletzbare Wesen, die für eine lange Zeit ihres Lebens beschützt werden müssen[14].

Das soziale Konstrukt der Kindheit kam erst auf, als man die ersten Lebensjahre des Kindes als signifikant für seine Zukunft erachtete[15] und sich um seine Bedürfnisse und seine Gesundheit sorgte. Kindheit war eine „gesegnete Zeit“ geworden, in der es Kindern erlaubt sein sollte, auf eigene Weise die Welt zu entdecken, ihre natürliche Unschuld auszuleben und die elterliche Fürsorge zu genießen, die sie allein verdienten, weil sie Kinder waren.[16]

2.2 Die Mutterliebe

Im 18. Jahrhundert waren Kinder der Mutter eher gleichgültig. Säuglinge wurden Ammen übergeben und nicht von ihrer eigenen Mutter umsorgt. Gegen Anfang des 19. Jahrhunderts verwandelte sich diese Gleichgültigkeit immer mehr in das Gegenteil: Die Mutterliebe.[17]

In diesem Kapitel wird das Phänomen der Mutterliebe genauer erläutert, sowie seine Entstehung thematisiert. Dadurch soll deutlich werden, wie die Mutterliebe in der Gesellschaft konstruiert wurde.

2.2.1 Die Entstehung eines neuen Werts: Die Mutterliebe

Die Mutter stand immer in einer Dreiecksbeziehung mit dem Vater und dem Kind. Vor dem 19. Jahrhundert hatte der Mann die Autorität in der Familie und das Sagen über das Kind, sodass die Mutter lediglich eine Nebenrolle spielte. Im Laufe des Jahrhunderts rückten jedoch immer mehr das Überleben und die Erziehung des Kindes in den Vordergrund, wodurch die Mutter an Bedeutung gewann. Auch die Gesellschaft wertete nun die Mutterschaft auf, und allein sie entschied, welche Rolle die Mutter spielen sollte: „Selon les époques et les classes sociales, la femme en pâtit ou en profita pour échapper à ses obligations de mère et s’émanciper du joug de l’époux.“[18] Die Mutterliebe wurde oft als natürlicher Instinkt bezeichnet, denn die Fortpflanzung wäre sinnlos, wenn sich die Mutter nach der Geburt nicht um ihr Kind kümmerte.[19] Der Mutterinstinkt beschreibt die bedingungslose Liebe einer Mutter zu ihrem Kind.[20] Dennoch verblasste der Begriff „Mutterinstinkt“ allmählich und wurde durch die „Mutterschaft“ ersetzt, da die Einstellung der Mutter nicht von ihrem Instinkt abhängig sei. Trotz alledem wurde es als etwas Natürliches empfunden, wenn sich eine Mutter um ihr Kind sorgt, weshalb man sagen kann, dass die Mutterliebe Merkmale des Instinkts behielt.[21]

2.2.2 Die Rolle der Natur und des Stillens

Während es im 18. Jahrhundert noch üblich war, Säuglinge von Ammen stillen zu lassen[22], kam im 19. Jahrhundert die Überzeugung auf, dass das mütterliche Stillen von der Natur vorhergesehen war und alles andere in moralischer und physischer Hinsicht falsch wäre[23]. Die Hauptfunktion der Brüste sei das Stillen der Kinder.[24] Jedoch wurde diese Begründung für das Stillen von vielen Müttern nicht gut aufgenommen, sodass man weiterhin argumentierte, dass die Muttermilch alle vom Kind benötigten Stoffe enthalte und dass die Milch dem Organismus des Kindes angepasst sei.[25] Man musste die Mütter des 19. Jahrhunderts also erst davon überzeugen, ihre eigenen Kinder zu stillen. Nachdem das soeben genannte Argument gescheitert war, wurden Vergleiche mit den „wilden“ Frauen gezogen. Diese stillten ihre Kinder nämlich selber, wodurch sie viel robuster als „zivilisierte“ Kinder seien, die nicht von ihrer eigenen Mutter die Milch bekamen.[26] Das Verhalten der Wilden wurde als die höchste Wahrheit angesehen[27], und die Zivilisierung der Völker dafür verantwortlich gemacht, dass Mütter ihre eigenen Kinder nicht mehr stillten. Deshalb seien die Generationen schwächer geworden. Verschwiegen wurde dabei allerdings, dass die kindliche Sterberate bei den Wilden wahrscheinlich viel höher lag als bei den zivilisierten Völkern. Weiterhin appellierte man an die Verantwortlichkeit der Mütter, die sie für die Bevölkerung der Nation hätten[28] und man beschuldigte sie ihres geringen Interesses am Muttersein: „Plus une nation est riche et culturelle, plus les mères se détachent de leur condition maternelle.“[29] Hau

Schließlich verglich man die Mütter sogar mit den Tierweibchen, denn diese besäßen auch einen „Mutterinstinkt“, würden diesen aber viel naturgerechter ausleben. Zivilisierte Frauen seien durch ihren Egoismus, Willen und Vernunft von ihrem „Mutterinstinkt“ beeinträchtigt.[30] Die Frau sollte sich folglich von diesen „schlechten Eigenschaften“ befreien und tierähnlich handeln: Ihrem Kind bedingungslose Mutterliebe geben.

2.2.3 Überzeugungsarbeit: Warum Mütter die Mutterliebe verwirklichen sollten

Wie im vorherigen Kapitel schon angeklungen, kam die Mutterliebe nicht plötzlich aus dem Nichts und überzeugte ausnahmslos jede von ihnen. Lange wurde über die Mutterliebe und die neue Rolle der Mutter debattiert und versucht, die Frauen von ihren Vorteilen zu überzeugen. Man redete ihnen ein, dass es keine schönere Tätigkeit gebe, als sich um ein Kind zu kümmern[31] und dass sie „süße Gefühle“ beim Stillen ihres Kindes verspüren würden. Man ging teilweise sogar so weit zu sagen, dass die Mutter ihre Lebensfreude nur in der absoluten Hingabe finde.[32] Rousseau versprach den Müttern die Zuneigung ihrer Kinder und die Ergebenheit ihrer Männer, aber auch die Argumente der Schönheit, der Gesundheit und des Glücks zeigten wenig Wirkung auf die Frauen.[33] Man versprach ihnen Ruhm, Hochachtung und die Ehrung als Mitwirkende an der Schöpfung.[34] Letztlich führte man auch eine ökonomische Rechtfertigung der neuen Mutterrolle an, indem man behauptete, dass sich die Ammen nicht gut um die Kinder sorgten und sie krank und schwächlich an die Familien zurückgäben, sodass es viel mehr Geld kosten würde, die Kinder behandeln zu lassen, als wenn sich die Mütter von Anfang an um die Kinder gekümmert hätten.[35]

Als Versprechungen nicht mehr viel halfen, drohte man gar, dass nicht stillende Mütter für ihren Widerstand von der Natur mit Krankheiten oder dem Tod bestraft würden. Man argumentierte auch mit pseudomedizinischen Befunden, dass die Frau ihre kostbare Milch nicht versiegen lassen sollte, weil diese sonst in alle anderen Regionen ihres Körpers fließe und dort Beschwerden hervorrufe.[36] Religiösen Erklärungen zufolge war das Nichtstillen eine Sünde wider Gott und ein Entzug des Rechtes des Kindes auf die Muttermilch.[37] Eine nicht stillende Mutter sei verdorben und müsse verurteilt werden.[38]

Allmählich ließen sich viele Mütter doch davon überzeugen, dass die mütterliche Zuwendung für das Überleben und das Wohlergehen des Kindes unentbehrlich sei.[39] Bei vielen Müttern kam nun der Wille auf, ihr Kind zu stillen und zwar nur dieses und keine anderes, damit ihrem eigenen Kind nicht die Milch weggenommen und seine Gesundheit gefährdet werde. Diese „modernen“ Mütter erbrachten ihrem Kind gegenüber Liebesbeweise und opferten sich vollständig für sie auf, damit es ihnen gut ging.[40] Das Kind wurde zu einem unersetzlichen Wesen.[41]

2.2.4 Liebesbeweise

Neben dem Stillen wurde die körperliche Freiheit des Kindes als Liebesbeweis der Mutter angesehen. So wurde das Wickelkissen vor allem in den Städten immer weniger gebraucht, da es das Kind einzwängte und ihm keine Freiheit ließ, sodass es keine Zärtlichkeiten der Mutter empfangen konnte. Durch den Nichtgebrauch des Wickelkissens konnten die Mutter aber nicht mehr arbeiten, wenn sie ein Kind hatten. Somit war ihre ganze Aufmerksamkeit ständig auf das Kind gerichtet.[42] Die neue Freiheit des Säuglings erlaubte ihm, auf die Berührungen der Mutter zu reagieren; die Mutter konnte mit ihm spielen und eine intensivere Beziehung zu ihm aufbauen.[43] Das Kind sollte nicht mehr eingeengt sein, sondern sich körperlich betätigen. Die Mutter sollte ihm Raum dazu geben, damit sein Körper sich gut entwickle.[44] Schon Ende des 18. Jahrhunderts war auch die Hygiene des Säuglings von großer Bedeutung. Des Weiteren sollte die Mutter in der Schwangerschaft und in der Stillzeit nach der Geburt besonders auf eine gesunde Ernährung achten.[45]

Außerdem gehörte das Erziehen zur Mutterliebe, worunter Vermittlung von Wissen und moralischen Wertvorstellungen verstanden wurde.[46] Die Mutter habe einen Instinkt, der sie bei der Erziehung leite, aber für eine gute Erziehung müsse sie in jedem Fall Hingabe, Liebe und Geduld besitzen.[47] Sie sollte permanent auf die Gesundheit des Kindes achten, seine schlechten Neigungen unterdrücken, es emanzipieren und ihm helfen, sich selbstständig zu machen. Die Aufgabe der Erziehung habe sie aber nicht mit dem Eintritt ihres Nachkömmlings ins Erwachsenenalter beendet, sondern erst nach ihrem Tod. Die Mutter sollte immer für ihn da sein.[48]

Die Mutterliebe beinhaltete viel Aufmerksamkeit für das Kind und verlangte von der Mutter, einen Teil ihres Lebens für es zu opfern.[49] Diese Vollzeitbeschäftigung sollte sie erfüllen und ihren „wesentlichen Daseinsgrund“ darstellen.[50]

2.2.5 Die perfekte Mutter

Die ideale Mutter sollte sich der Aufgabe als Mutter völlig hingeben, und dieses gerne tun.[51] Leidenschaft, Sexualität und Ehrgeiz finden in der neuen Mutterrolle keinen Platz.[52] Sie gehorcht der Natur, stillt ihre eigenen Kinder und ist deren alleinige Erzieherin.[53] Der Gesundheitszustand ihres Nachwuchses besorgt sie ständig und sie ist zu jeder Tageszeit in der Lage, sich um ihn zu kümmern.[54] Sie sieht im Muttersein ihren Existenzgrund.[55] Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Mutter fast schon wie eine Heilige dargestellt: „[…] en gouvernant l’enfant, la mère gouverne le monde.“[56] Entgegen der anfänglichen Verweigerung der Mütter, sich ihrer neuen Mutterrolle anzunehmen, wollten nun viele mit all ihrer Kraft diesem Idealbild nacheifern.[57]

3. Analyse von Erziehungsratgebern

Die Konstruktion der Mutterliebe lässt sich in allen drei analysierten Erziehungsratgebern, teilweise auf gleiche, teilweise auf unterschiedliche Art feststellen.

3.1 Hygiene und Gesundheit

Wie schon im Kapitel „Liebesbeweise“ kurz erwähnt, war die Hygiene des Kindes ein wichtiger Bestandteil der Mutterliebe. In dem Erziehungsratgeber Manuel d’hygiène et d’éducation de la première enfance wird die Hygiene im frühen Kindesalter als eine von der Familie, vom Staat und der Gesellschaft gestellte Aufgabe gesehen.[58] Das Zimmer des Kindes soll regelmäßig gereinigt werden[59] und die Bettwäsche stets in tadellos sauberem Zustand sein[60]. Um den Tastsinn zu erhalten, muss die Haut des Kindes rein gehalten werden, womit man auch Krankheiten vorbeuge.[61]

[...]


[1] Vgl. Beauvoir (1973), S. 178.

[2] Vgl. Höfding (1910), S. 150.

[3] Kursiv und fett gedruckte Wörter in den Zitaten aus Bourgeois‘ Ratgeber finden sich in dieser Form in dem Originaltext wieder. Die Hervorhebungen sind von dem Autor zum Zweck der Unterstreichung vorgenommen worden.

[4] Vgl. Heywood u.a. (2010), S. 19.

[5] Vgl. ebd., S. 20.

[6] Vgl. ebd., S. 21.

[7] Vgl. ebd., S. 23.

[8] Vgl. ebd., S. 24.

[9] Vgl. ebd., S. 23.

[10] Vgl. ebd., S. 22.

[11] Vgl. ebd., S. 21.

[12] Vgl. ebd., S. 5.

[13] Vgl. Heywood u.a. (2010), S. 11.

[14] Vgl. ebd., S. 7.

[15] Vgl. ebd., S. 7.

[16] Vgl. ebd., S. 27.

[17] Vgl. Badinter (1980), S. 7.

[18] Badinter (1980), S. 14.

[19] Vgl. ebd., S. 8.

[20] Vgl. ebd., S. 137.

[21] Vgl. Badinter (1980), S. 9.

[22] Vgl. ebd., S. 7.

[23] Vgl. ebd., S. 176.

[24] Vgl. ebd., S. 176f.

[25] Vgl. ebd., S. 177.

[26] Vgl. ebd., S. 177f.

[27] Vgl. ebd., S. 178.

[28] Vgl. ebd., S. 179.

[29] ebd., S. 180

[30] Vgl. Badinter (1980), S. 181.

[31] Vgl. ebd., S. 186.

[32] Vgl. ebd., S. 187.

[33] Vgl. ebd., S. 188.

[34] Vgl. ebd., S. 188f.

[35] Vgl. ebd., S. 189f.

[36] Vgl. ebd., S. 190.

[37] Vgl. ebd., S. 192.

[38] Vgl. ebd., S. 192f.

[39] Vgl. Badinter (1980), S. 198.

[40] Vgl. ebd., S. 196.

[41] Vgl. ebd., S. 202.

[42] Vgl. ebd., S. 199.

[43] Vgl. ebd., S. 200.

[44] Vgl. ebd., S. 201.

[45] Vgl. ebd., S. 200.

[46] Vgl. ebd., S. 253.

[47] Vgl. ebd., S. 254.

[48] Vgl. Badinter (1980), S. 255.

[49] Vgl. ebd., S. 202.

[50] Vgl. ebd., S. 207.

[51] Vgl. ebd., S. 247.

[52] Vgl. ebd., S. 246.

[53] Vgl. ebd., S. 249.

[54] Vgl. ebd., S. 250.

[55] Vgl. ebd., S. 251.

[56] Vgl. ebd., S. 205.

[57] Vgl. ebd., S. 206.

[58] Vgl. Bourgeois (1883), S. 11.

[59] Vgl. ebd., S. 26.

[60] Vgl. ebd., S. 28.

[61] Vgl. ebd., S. 147.

Fin de l'extrait de 21 pages

Résumé des informations

Titre
Mutterliebe im 19. Jahrhundert. Die Konstruktion der Mutterliebe in Schulbüchern des 19. Jahrhunderts
Université
University of Göttingen
Cours
Amour, sexualités et mariage au XIXe siècle
Note
1,3
Auteur
Année
2014
Pages
21
N° de catalogue
V418111
ISBN (ebook)
9783668670389
ISBN (Livre)
9783668670396
Taille d'un fichier
560 KB
Langue
allemand
Mots clés
mutterliebe, jahrhundert, konstruktion, schulbüchern, jahrhunderts
Citation du texte
Alexandra Brune (Auteur), 2014, Mutterliebe im 19. Jahrhundert. Die Konstruktion der Mutterliebe in Schulbüchern des 19. Jahrhunderts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/418111

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