'Glühbirnen, die man nach Bedarf an- und abknipst' - Zur Rolle der DDR-Schriftsteller als Träger nationaler Identität am Beispiel Franz Fühmanns


Dossier / Travail, 2003

29 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die junge DDR

3. Funktionalisierung der Literatur – Der Sozialistischer Realismus

4. Haupteil – Biographie anhand Die Fahrt nach Stalingrad
4.1. Der Überfall
4.2. Die Kriegsgefangenschaft
4.3. Die Rückkehr als Freund

5. Zwischen Wunsch nach aktivem Mitgestalten und politischem Instrument

Fazit

6. Anhang
6.1. Literaturverzeichnis
6.2. Zitatverzeichnis

1. Einleitung

Inhalt dieser Arbeit soll die Auseinandersetzung mit Leben und Werk Franz Fühmanns sein. Im Mittelpunkt steht dabei sein Selbstverständnis als Schriftsteller in der DDR vor dem Hintergrund der staatlichen Forderungen an die Künstler. Ausgangspunkt für diese Betrachtungen wird die Dichtung Die Fahrt nach Stalingrad bilden. D.h. angelehnt an die drei Begegnungen mit der Stadt – dem Überfall Hitlerdeutschlands, der Zeit als Kriegsgefangener und der Rückkehr als Freund – soll auch das Leben Fühmanns betrachtet werden. Dabei werden neben biographischen Daten auch autobiographische Werke aus späteren Phasen Berücksichtigung finden.

Fühmann, der sich als junger, vom Faschismus überzeugter Mann freiwillig zum Reichsarbeitsdienst meldet, kommt während seiner fast fünfjährigen Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion mit den kommunistischen Lehren in Berührung. Als er 1949 in die DDR zurückkehrt, will er seine Arbeit in den Dienst des Sozialismus stellen – sowohl auf literarischem wie auf politischem Gebiet. Seine Suche nach der absoluten Wahrheit lässt ihn sowohl sich selbst, als auch die DDR-Wirklichkeit immer wieder kritisch reflektieren und führt so zu einer ständig aktualisierten Darstellung. Damit bietet sein Werk gute Voraussetzungen um Ausgangssituation, Ziele und Wirklichkeit seines Schriftstellerlebens als Prozess zu untersuchen.

Seine ersten Arbeitsjahre werden dominiert von der Notwendigkeit sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, um darauf aufbauend einen Neubeginn zu starten. Andererseits wiegt die Last seiner Schuld so schwer, dass er sich fast blind den Anforderungen, die an ihn als Schriftsteller gerichtet werden unterordnet, auch in der Hoffnung, dass in der DDR ein Märchen Wirklichkeit wird. Zunehmend muss Fühmann erkennen, dass Erfahrungen nicht delegierbar sind und dass seine ideologische Vorwegnahme von Erfahrungen – wie sie auch der sozialistische Realismus unterstützt – sich als problematisch erweist für einen, „der noch gar nicht zu sich selbst gekommen ist“ (1). Letztlich ist die Wandlung, die Fühmann in seinem Leben durchmacht, ein langwieriger Prozess, der – aufgrund der immer stärker werdenden Widersprüche zum praktizierten Dualismus – in der persönlichen Resignation endet.

Zum Beginn der Arbeit wird eine kurze Auseinandersetzung mit der neugegründeten DDR stattfinden, bei der es zum einen um die politische Lage, die nationale Identität, aber auch um die besondere Rolle der Literatur gehen soll, um eine Grundlage für die spezielle Betrachtung Fühmanns zu schaffen. Um Entwicklung und auftretende Konflikte in seinem Berufsleben zu verdeutlichen, werden u.a. auch die Werke Das Judenauto, 22 Tage oder die Hälfte des Leben, Vor Feuerschlünden und verschiedene Aufsätze einfließen.

2. Die junge DDR

Politische Situation

Nach der „Berliner Viermächteerklärung“ vom Juni 1945 und dem gescheiterten Versuch einer Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit mit einigen dt. Verwaltungsstellen, kam es zur Zonenaufteilung und Einrichtung oberster Besatzungsbehörden der Siegermächte. In der, der UdSSR zugesprochenen Zone wurde die SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) errichtet. Nachdem Stalin seine Vorstellung vom Aufbau einer “antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ in allen vier Besatzungszonen vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts (1945/46) nicht umsetzen konnte, „verfolgte er in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) immer offener spezifisch sowjetische Ziele“ (2). Dazu gehörte die Durchsetzung von Reparationszahlungen, die Entnazifizierung, eine tief greifende Schul- und Justizreform, eine Bodenreform sowie die Enteignung und Verstaatlichung von Industrie- und Handelsunternehmen.

Durch die Unterstützung von kommunistischen Gruppen – wie der sog. Gruppe Ulbricht – die ihr Exil in der Sowjetunion verbracht hatten und dem Zusammenschluss von KPD und SPD sicherte sie ihren starken Einfluss. Nach der Gründung der DDR 1949 begann die Gestaltung der SED, der Gesellschaft und des Staates nach sowjetischem Vorbild.

Nationale Identität und Kollektives Gedächtnis

Die Bearbeitung dieses Punktes basiert auf der Gedächtnismetaphorik nach Jan Assmann. Wonach das kollektive Gedächtnis auf einem Zusammenspiel von kommunikativem – der Interaktion lebendiger Erinnerungsträger – und kulturellem Gedächtnis basiert, das das kollektive Wissen über die Vergangenheit auf Grundlage institutionalisierter Interaktionen über Texte, Riten und Bilder enthält.

In der DDR wurde von Beginn an ein Selbstverständnis als „Staat der Antifaschisten“ und „Sieger des Krieges“ propagiert. Dieser Gründermythos ermöglichte es seiner Bevölkerung, sich von der eigenen Schuld insofern zu befreien, als sie nun durch Übernahme einer Kollektivschuld zwar Verantwortung zu tragen hatten, aber nicht persönlich verantwortlich waren. Außerdem bot dieser Erklärungsansatz die Möglichkeit durch aktives Mitgestalten am “richtigen Weg“ Buße zu tun. Damit wurde ein Selbstbild geschaffen, das für eine Abgrenzung gegenüber dem anderen deutschen Staat sorgte und somit ein Einheitsbewusstsein schuf.

Da auch die nationale Identität einer stark öffentlichen Lenkung unterstand, dominierte innerhalb der DDR das kulturelle Gedächtnis. Das wird besonders deutlich, wenn man die Manifestation des kollektiven Gedächtnisses auf den unterschiedlichen Ebenen betrachtet. D.h. die Bedeutung von Gedenkorten wie Denkmälern und Konzentrationslagern auf der ikonischen Ebene und auf der rituellen, die große Anzahl an entsprechenden Feiertagen.

Doch auch die narrative Ebene war von entscheidender Bedeutung. So wuchs die Legitimation nicht unerheblich dadurch, dass der überwiegende Teil der kulturellen Elite in die SBZ bzw. die DDR zurückkehrte. „Anti-Faschismus konnte nun zu Recht mit der “Wahrung des humanistischen deutschen Kulturerbes“ gleichgesetzt werden.“ (3) Allerdings ging damit auch die Erwartung einher, dass sich die Künstler an der Schaffung und Festigung des nationalen Selbstverständnisses beteiligen. Um das sicherzustellen, erließ die Regierung Richtlinien in denen unter anderem festgelegt wurde, was zum Inhalt der neuen deutschen Literatur werden sollte.

3. Funktionalisierung der Literatur – Der sozialistische Realismus

Auch bei diesen Richtlinien wird der große Einfluss, der von der Sowjetunion ausging, deutlich. So galt die sowjetische Literatur als Vorbild und der sozialistische Realismus, als einzige akzeptierte Form der Darstellung, wurde von dort übernommen.

Ursprünglich tauchte der Begriff während der Literaturdebatten zwischen Ende des Sozialistengesetzes (1890) und dem Beginn des Ersten Weltkrieges auf. Er bezeichnet „eine Methode der künstlerischen Gestaltung und Kritik in der Literatur, die eng an die marxistisch-leninistische Ideologie gebunden ist“ (4). Dessen Anhänger ließen sich von kommunistischen und links-sozialistischen Ideen leiten. Ihre Arbeiten sollten durch die Wahl der Themen, Allgemeinverständlichkeit der Aussagen u.ä. am Kampf für revolutionäre Ziele mitwirken. Allerdings geschah das nicht auf Grundlage einer ästhetischen Doktrin, auch wenn realistische Kunsttraditionen eine große Rolle spielten.

In den 30er Jahren wurde der sozialistische Realismus in der Sowjetunion als verbindliches Programm formuliert und sollte somit – unter der Führung Stalins – „auch das geistige Leben dem totalitären Machtanspruch unterstellen“ (5). Zur „Hauptmethode der sowjetischen Literatur und Kritik“ wurde diese Methode dann auf dem 1. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller 1934 erklärt. Zu den verbindlichen Merkmalen zählten die Volksverbundenheit in Inhalt und Form, der positive Held, der als Individuum den sozialistischen Fortschritt repräsentiert und als Identifitkationsobjekt dienen soll und die Vermeidung unlösbarer Konflikte, um so die Überwindung der Klassenwidersprüche zu verdeutlichen.

In der DDR wurde der sozialistische Realismus durch das 5. Plenum des ZK der SED (1951) zur bestimmenden Richtung in Literatur und Kunst ernannt. Und löste damit die Antifaschistische Literatur ab, die nach eigenem Verständnis für „eine gültige Antwort auf die Lebensfragen [des] Volkes [sorgte] und zur Wiedergewinnung eines echten demokratischen Nationalbewusstseins beitrug. Sie wieß in die lichtvolle Zukunft eines sozialistischen Deutschlands. In ihren Werken war ein neuer literarischer Held gestaltet, der […] wahre menschliche Größe offenbarte. Damit half diese Literatur, das faschistische „Heldenbild“ zu widerlegen und leistete so ihren Betrag zur Entwicklung eines neuen Geschichtsbewusstseins.“ (6) Die „Neue Literatur“ sollte ausgehend von aktuellen Gegebenheiten stärker in die Zukunft weisen. In der Entschließung heißt es: „Die typischen Umstände unserer Zeit, unter denen die getreue Wiedergabe der Charaktere erfolgen soll, sind die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik; das ist der Kampf um die Lösung der Lebensfragen unseres Volkes. Entsprechend diesen Verhältnissen muss die wahrheitsgetreue, historisch-konkrete, künstlerische Darstellung mit der Aufgabe verbunden werden, die Menschen im Geiste des Kampfes für ein einheitliches, demokratisches, friedliebendes und unabhängiges Deutschland, für die Erfüllung des Fünfjahresplanes, zum Kampf für den Frieden zu erziehen.“ (7) Insofern bestand der Anspruch, aufbauend auf die von der Sowjetunion übernommenen Kunstrichtlinien, eine eigene Literatur zu entwickeln.

4. Hauptteil

Auf diese Verhältnisse traf der 27-jährige Franz Fühmann, als er Ende 1949 in die DDR entlassen wurde. Hier wollte auch er – mit Hilfe seiner schriftstellerischen Arbeit – die Schuld abarbeiten, die er während des Krieges auf sich geladen hatte. Neben Nachdichtungen und Kinderliteratur ist sein Werk bestimmt von autobiographischen Schriften. Sie haben zum Ziel seine Vergangenheit aufzuarbeiten, den Versuch sich selbst zu erkennen, aber auch aufzuklären und zu erziehen. Zudem finden sich in seinem Nachlass viele Aufsätze und Essays in denen er sich für eine offene Kritik und freiere Entfaltung der Schriftsteller einsetzt. „Übernehmen Sie ruhig die Aufgabe einer Teilfunktion, die aber versorgen Sie genau …“ (9) – dieser Satz Gottfried Benns könnte stellvertretend für sein Werk stehen. Denn zum einen ist es die gewissenhafte Versorgung seiner Teilfunktion – dem Schreiben, zum anderen die ständige Überprüfung dieser Funktion, die für sein Wirken charakteristisch ist.

Aus diesem Grund soll im Folgenden der Versuch eines anderen Zuganges zur Biographie Fühmanns erfolgen. Indem der Umstand der ständigen Neubeurteilung seiner Person und seines Umfeldes einen Einblick verschaffen soll, in die besondere Rolle und die damit verbundenen Konflikte der DDR-Schriftsteller. Den Rahmen wird dabei sein 1953 erschienenes Poem Die Fahrt nach Stalingrad bilden. Anhand dieser früh erschienen Arbeit mit stark autobiographischen Zügen, ermöglicht sich die Sicht auf Fühmanns Antrieb und Einstellung gleich nach der Kriegsgefangenschaft. Von dieser Basis ausgehend, sollen dann spätere Arbeiten Veränderungen sichtbar machen. Biographische Daten und Aufsätze sollen helfen das Bild zu vervollständigen.

Die Fahrt nach Stalingrad – der aus Anlass einer Reise von deutschen Schriftstellern entstand – gehört zu den ersten Arbeiten, die nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft veröffentlicht. Hier stellt er erstmals die Thematik der Wandlung autobiographisch dar und erhält überwiegend positive Bewertungen, denn „Scheitern und Wandlung des lyrischen Ichs [seien] überzeugend dargestellt“ (10). Das Poem besteht aus 12 Abschnitten. Der erste beschäftigt sich mit der Ankunft des lyrischen Ichs in der Stadt und den damit verbunden Empfindungen – in denen die zerstörte Landschaft „Verfluchungen raunt […] aus den Schlünden und Schluchten, unsagbare schwarze Verfluchungen“ (11). Mit dieser noch sicht- und spürbaren Geschichte leitet er den Rückblick auf seine früheren Begegnungen ein. Schon hier macht Fühmann deutlich, dass im Folgenden ein Märchen erzählt wird, in dem „der Jüngling, befreit aus dem schrecklichen Zauber, aufatmend in die veränderte Welt lebt“ (12) Schauplatz ist die „Heldenstadt“ Stalingrad.

4.1. Der Überfall

Mit der Schlacht um Stalingrad beginnt der Untergang der deutschen Wehrmacht. Doch während sie auf die Stadt ziehen, sind es noch die Helden ihres Landes. Die Abschnitte zwei bis sechs beschäftigen sich mit diesen jungen in die „Irre geführten“ Männern. Die aus allen Gesellschaftsschichten ausgezogen sind, um „gegen den Bolschewismus; oder: Gegen den tückischen Feind“ (13) und „für die abendländische Kultur“ (14) zu marschieren, denn „der Führer wird es schon wissen“ (15). Fühmann beschreibt sowohl die Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie im Familien- und Bekanntenkreis, als auch das Heldengefühl als „Soldat in diesem deutschen Heer!“ (16), das ausgezogen ist um „die alte Ordnung“ zu verändern „um die neue Ordnung zu schaffen“ (17).

Fühmann zeigt auf, dass die Männer nicht fähig oder gewillt sind ihre Aufgabe zu hinterfragen („Frag nicht! Frag mich nicht: „Warum ist dieser Krieg, …“ (18)). Und so bleibt für ihn nur, die jungen Menschen, die – für die Ziele anderer – ihr Leben hingeben, zu klagen „ach, verfluchte Jugend“ (19). Eine Klage, die auch für die verschwendeten Jahre seiner Jugend steht.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Ignorieren der Wirklichkeit. Am stärksten ausgedrückt durch die blutige Szene während eines Heimaturlaubs, bei der „schlugen besessen die Eskortierenden“ politische Häftlinge „zerstampften Gesichter, hackten die Bäuche herzaufwärts …“ (20). Doch nicht nur der Schnee, in den die Häftlinge getreten werden, ist „schweigendduldend“ (21), auch alle die „hatten […] die Hände gewaschen voller Unschuld“ (22) die nicht zum Lagerkommandanten befehligt worden waren. Aber etwas gibt es, an dem die Soldaten nicht vorbeischauen können: „Doch die Besiegten, sie lächelten im Tod noch; wir Sieger aber heulten und wussten um nichts als den aasig-garen Gestank des verbrannten Fleisches nach dem, was Sieg hieß“ (23). Dem lyrischen Ich wird bewusst, dass sie – so wie seine Jugendliebe – mit dem Wissen für eine Sache sterben, die ihm nicht zugänglich ist. Ein Wissen, dass die vielen inhaftierten Kommunisten in den Konzentrationslagern haben und „[s]ie tragen [damit] die Zukunft Deutschlands …“ (24).

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Fin de l'extrait de 29 pages

Résumé des informations

Titre
'Glühbirnen, die man nach Bedarf an- und abknipst' - Zur Rolle der DDR-Schriftsteller als Träger nationaler Identität am Beispiel Franz Fühmanns
Université
University of Potsdam
Cours
Mythos Buchenwald
Note
1,0
Auteur
Année
2003
Pages
29
N° de catalogue
V41816
ISBN (ebook)
9783638400053
ISBN (Livre)
9783656251972
Taille d'un fichier
449 KB
Langue
allemand
Mots clés
Glühbirnen, Bedarf, Rolle, DDR-Schriftsteller, Träger, Identität, Beispiel, Franz, Fühmanns, Mythos, Buchenwald
Citation du texte
Franka Birkholz (Auteur), 2003, 'Glühbirnen, die man nach Bedarf an- und abknipst' - Zur Rolle der DDR-Schriftsteller als Träger nationaler Identität am Beispiel Franz Fühmanns, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41816

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