Konnten die von Bertolt Brecht intendierten utopischen Lebenszwecke des Rundfunks mit dem Internet als Übertragungsmittel erreicht werden?


Term Paper, 2017

13 Pages


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Inhaltsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung

2. Bertolt Brechts Radiotheorie
2.1 Die Schriften der Radiotheorie
2.2 Herleitung die von Brecht intendierten Lebenszwecke des Rundfunks anhand vom Text: "Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks"

3. Die Entwicklung des Internets zum Übertragungsmittel des Rundfunks

4. Die partielle Umsetzung der Radiotheorie mit dem Übertragungsmittel Internet
4.1 Der Rundfunk als Kommunikationsapparat – Die Einbindung von User Generated Content ins Programm
4.2 Der Rundfunk als pädagogisches Mittel – Fehlende interessante und verständliche Darstellungsform von politischen Inhalten

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Abstract

Um den Rundfunk in ein sinnvolles Medium zu verwandeln, schrieb Brecht mehrere Schriften über das dazumal noch neue Medium. Anhand der Schrift «Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks» (1934) wird aufgezeigt, dass dieses Medium grundsätzlich zwei Lebenszwecke hat. Der eine besteht darin, dass es als ein pädagogisches Mittel dienen soll. Der andere Lebenszweck ist nach Brecht, dass der Rundfunk den Zweck eines Austauschapparates erfüllen soll. Insbesondere sollte ein Austausch zwischen den Regierenden und den Regierten ermöglicht werden. Somit sollte der Rundfunk auch als ein Politikvermittler dienen. Ausserdem könnte nach Brechts Vorstellungen der Rundfunk als pädagogisches Medium mit interessanten Inhalten beispielsweise in Form eines epischen Dramas dazu beitragen, dass sich aufgrund der vielen Empfänger, die Gesellschaft für revolutionäre Entwicklungen einsetzen würde. In dieser Arbeit wird untersucht, ob der Rundfunk seine Lebenszwecke mit dem Internet als Übertragungsmittel mit seinen Funktionen erreichen konnte. Die Resultate zeigen auf, dass mit dem Internet die Radiotheorie partiell umgesetzt wurde. Allerdings werden von vielen Nutzern die Möglichkeiten, den Rundfunk als Austauschapparat und als pädagogisches Mittel zu nutzen, nicht ausgeschöpft.

1. Einleitung

Eine «Erfindung[en], die nicht bestellt» (Brecht, 1992, S. 552) war, als solche bezeichnete der deutsche Lyriker und Dramatiker Bertolt Brecht den Rundfunk. Zu Beginn war der Schriftsteller sehr skeptisch mit diesem neuen Medium. Er sah aber durchaus auch Potenzial den Rundfunk in einen nützlichen Apparat zu verwandeln. Aus diesem Grund verfasste Brecht in mehreren Schriften die Radiotheorie, welche Vorschläge beinhaltet, um den Rundfunk sinnvoll umzugestalten.

Seit der Erfindung des Rundfunks für die Öffentlichkeit im Jahr 1920 hat sich die Technik bedeutend weiterentwickelt. Der Hörfunk als auch das Fernsehen sind heute Bestandteile des Rundfunks (Pürer, 2015, S. 105). Mit der Entwicklung des Internets transformierten sich ebenfalls viele analoge Medien zu digitalen Medien. Ausserdem lässt sich beobachten, dass der Rundfunk vermehrt über Satelliten, Kabel oder über das Internet ausgestrahlt wird und die terrestrische Verbreitung abnehmend ist. Die meisten Haushalte besitzen mittlerweile ein Zugang zum Breitbandinternet und somit auch den Zugang zu dem grossen Medienangebot, welches vermehrt über das Internet verbreitet wird. Das Internet als Übertragungsmittel verbesserte nicht nur die Bildqualität, es bietet auch viele neue Möglichkeiten mit den Nutzern in Kontakt zu treten und sie aktiv ins Programm einzubinden (Hege, 2009, S. 14–15). Anhand von wissenschaftlichen Arbeiten soll begründet werden, ob mit dem Internet als Übertragungsmittel die von Bertolt Brecht intendierten Lebenszwecke des Rundfunks in der Radiotheorie erreicht werden konnten.

Zur Einführung in die Thematik wird kurz die Radiotheorie erläutert und anhand einer von Brecht verfassten Schrift, die Lebenszwecke des Rundfunks aufgezeigt werden. In einem dritten Kapitel wird veranschaulicht, wie der Rundfunk und das Internet zusammengewachsen sind. Anschliessend wird erläutert, ob die von Bertolt Brecht aufgestellten Zwecke des Rundfunks nach seinen Vorstellungen mit dem Übertragungsmittel Internet umgesetzt werden konnten. Abschliessend soll in einem Fazit die oben genannte Fragestellung beantwortet werden.

2. Bertolt Brechts Radiotheorie

In diesem Kapitel wird die Entstehung der Radiotheorie genauer erläutert. In einem Unterkapitel wird dann die grundlegende Schrift der Radiotheorie «Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks» (1934) analysiert, um dadurch die von Brecht intendierten Lebenszwecke des Rundfunks aufzuzeigen.

2.1 Die Schriften der Radiotheorie

Die bekannte Radiotheorie von Bertolt Brecht existiert nicht als abgeschlossenes Konzept, sie entstand vielmehr anhand von verschiedenen Textfragmenten in unterschiedlichen Zusammenhängen in den Jahren 1927 bis 1934. Die Grundlage für Brechts Theorie bildet die Schrift «Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks» (1934), weitere Schriften von Brecht über die Radiotheorie waren: «Radio – eine vorsintflutliche Erfindung?» (1927), «Vorschläge für den Intendanten des Rundfunks» (1928) als auch die Schrift «Der Flug der Lindberghs» (1929), welche später in «Der Ozeanflug» umbenannt worden ist. Die letztgenannte Schrift ist eine praktische Anwendung von Brechts Theorie, welche auf der Baden-Badner Musikwoche 1929 zum ersten Mal aufgeführt worden ist (Drews, 2016, S. 4–5).

2.2 Herleitung die von Brecht intendierten Lebenszwecke des Rundfunks anhand vom Text: "Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks"

Bertolt Brecht beginnt die Schrift "Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks" indem er sagt, dass die Öffentlichkeit nicht auf den Rundfunk gewartet hat, sondern der Rundfunk auf die Öffentlichkeit wartete. Tatsächlich wurde die Technik des Rundfunks bereits vor der Einführung für die zivile Gesellschaft 1920 für militärische Zwecke verwendet (Hörisch, 2001, S. 319). «Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen.» (Brecht, 1992, S. 552). In einem folgenden Abschnitt empfindet Brecht den Rundfunk als ein «Stellvertreter des Theaters, der Oper, des Konzerts, der Vorträge, der Kaffeemusik, des lokalen Teils der Presse usw.» (Brecht, 1992, S. 552). Brecht möchte mit dieser Aussage erneut darauf hinweisen, dass die Gesellschaft nicht auf diese Erfindung gewartet hat und somit auch nicht wusste, was über dieses noch neue Medium kommuniziert werden soll. Ausserdem kritisiert Brecht somit die Rundfunkbetreiber, welche ungeeignete Bühnenwerke ausstrahlten, welche ausschliesslich Rauschtöne erzeugten, anstatt den Rundfunk als pädagogisches Mittel zu nutzen.

Nach Brecht besteht der Lebenszweck des Radios nicht nur darin das öffentliche Leben bei der Arbeit oder im Gefängnis «zu verschönern» (Brecht, 1992, S. 553). Um das positive des Rundfunks hervorzubringen, schlägt er vor, den Rundfunk inhaltlich als auch formal umzustrukturieren. Aus einem Distributionsapparat soll ein Kommunikationsapparat entstehen. Der Rundfunk soll den Hörer nicht isoliert zuhören lassen, sondern den Hörer auch als Lieferanten organisieren damit eine Kommunikation, demnach ein Austausch entstehen kann. «Die Berichte der Regierenden in Antworten auf die Fragen der Regierten zu verwandeln.» (Brecht, 1992, S. 554), nach Brecht soll der Rundfunk somit die Aufgabe eines politischen Vermittlers haben. Das Medium Rundfunk könnte durch den Austausch zwischen Bürgertum und Regierenden «eine ganz andere unvergleichlich tiefere Wirkung sichern und eine ganz andere gesellschaftliche Bedeutung verleihen als seine jetzige rein dekorative Haltung» (Brecht, 1992, S. 555). Die Hauptaufgabe des Rundfunks von Brecht besteht schliesslich darin, «dass das Publikum nicht nur belehrt werden, sondern auch belehren muss.» (Brecht, 1992, S. 555). Dies bedeutet, dass der Rundfunk lehrreich sein soll, allerdings soll durch den Einbezug von Nutzern mit ihren Meinungen ebenfalls eine folgenreiche Belehrung der Institutionen stattfinden. Brecht sieht die Wirkungsfähigkeit im Rundfunk, da die Möglichkeit besteht ein ausserordentlich grosses «Kanalsystem» als Sender oder auch als Empfänger zu erreichen. Dadurch könnte der Rundfunk der «denkbar grossartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens» (Brecht, 1992, S. 553) werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Rundfunk nach Brecht zum einen den Austausch zwischen dem Bürgertum und den verschiedenen staatlichen und rechtlichen Institutionen ermöglichen soll. Zum anderen soll der Rundfunk einen pädagogischen Zweck aufweisen, um jedes Gesetz, Norm und Diskussion der gesamten Bevölkerung, ob jung oder alt, interessant näherzubringen und zu erklären. Brecht schlägt für die interessante Gestaltung die Verwendung seines epischen Dramas vor. Die Funktion des Rundfunks nach Brecht liegt darin, den gesellschaftlichen Lernprozess anhand von Austausch und der Entwicklung eines kritischen Denkens zu fördern. Anschliessend soll sich der Zuhörende aber auch mit dem Gehörten aktiv auseinandersetzen (Gritsch, 2012, S. 11). Als Folge könnte der Rundfunk zu revolutionären Wandel in der Gesellschaft führen und nicht «folgenlos» bleiben. Brecht war sich der Utopie seiner Radiotheorie durchaus bewusst, denn er sah das Problem der Umsetzung in der Gesellschaftsordnung. Brecht ist ein Befürworter des Kommunismus, jedoch ist er nie einer kommunistischen Partei beigetreten. An seinen Schriften ist allerdings erkennbar, dass er die kapitalistische Gesellschaft nicht unterstützte (Kebir, 2006).

3. Die Entwicklung des Internets zum Übertragungsmittel des Rundfunks

Nach Brecht war der Rundfunk eine „Erfindung[en], die nicht bestellt“ (S. 552) war. Auch das Internet wurde wie der Rundfunk für die militärische Kommunikation entwickelt und zu Beginn als sehr kritisch betrachtet, da die Telekommunikationsindustrie keine Vermarktungsmöglichkeiten in diesem Medium sah. Daneben sahen sich, wie beim Rundfunk zum Beispiel das Theater und die Oper, die anderen Marktbereiche bedroht (Bleicher, 2010, S. 19–20). Das Internet ist aber eigentlich kein Medium im klassischen Sinne, sondern ein Kommunikationssystem unter den Rechnern und bildet somit die Basis für unterschiedliche Anwendungs- und Nutzungsmöglichkeiten, welches auch für die Rundfunkübertragung genutzt werden kann (Pürer, 2015, S. 146). Dr. Hans Hege meint im Digitalisierungsbericht der Medienanstalten, dass die Wichtigkeit des offenen Internets in der Zukunft zunehmen wird. Ausserdem wird das Internet seiner Meinung nach zumindest teilweise die Rundfunkübertragungsnetze ersetzen (2013, S. 11). Seit der Einführung des Internets für die gesamte Gesellschaft zeigt es eine unglaubliche Wachstumsdynamik auf, damit erhalten auch die Rundfunkanbieter eine noch viel grössere Reichweite (Bleicher, 2010, S. 82), als es sich Brecht vermutlich mit seinem «Kanalsystem» jemals vorstellen konnte.

4. Die partielle Umsetzung der Radiotheorie mit dem Übertragungsmittel Internet

Mit der Einführung des Übertragungsmittel Internet entstanden auch neue Möglichkeiten für die Programmgestaltungen, welche zu Brechts Zeiten noch nicht existierten. Es stellt sich daher die Frage, ob dank dem Internet mit seinen Funktionsmöglichkeiten die Radiotheorie mit den intendierten Lebenszwecken realisiert werden konnte. Um diese Fragestellung zu beantworten wird untersucht, ob der Rundfunk mit dem Internet jemals den Lebenszweck als ein Kommunikations- oder eines Austauschapparates umgesetzt werden konnte, um einen demokratischen Austausch zwischen den Regierenden und Regierten zu ermöglichen. Zudem wird untersucht, ob der Rundfunk den Lebenszweck als ein pädagogisches Mittel zu dienen, um die Gesellschaft über politische Themen zu belehren, erreicht worden ist.

4.1 Der Rundfunk als Kommunikationsapparat – Die Einbindung von User Generated Content ins Programm

Zu Beginn war das Internet eine Ein-Weg-Kommunikation, auch bezeichnet als Web 1.0. Hierbei haben Unternehmen oder öffentliche Institutionen wie der Rundfunk Informationen den Nutzern zur Verfügung gestellt. Mit der Entwicklung zum Web 2.0 war es auch ohne spezielle technische Kenntnisse möglich Informationen ohne grossen Aufwand zu veröffentlichen. Das Internet bewegte sich somit weg von der starren Informationsquelle hin zu einer One-to-Many oder Many-to-Many-Kommunikation. Mit dieser Interaktivität haben die Benutzer die Möglichkeit direkt ohne wesentlichen Zeitverzug mit dem Sender beziehungsweise mit dem Empfänger zu kommunizieren (Kilian, Hass & Walsh, 2008, S. 8–11). In diesem Zusammenhang wird auch oft von User Generated Content gesprochen. Dies bedeutet, dass eine Organisation wie der Rundfunk die Nutzer mit ihren Kommentaren und Anregungen direkt in die Produktion, Gestaltung und Distribution von Inhalten einbindet (Pürer, 2015, S. 150).

Um «den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen.» (Brecht, 1992, S. 553) gibt es heute unterschiedliche Wege. Zum einen gibt es das Hörertelefon, zum anderen sind heute die meisten Rundfunkanbieter auf sozialen Plattformen wie Facebook oder Twitter vertreten. Dadurch entsteht ein crossmediales Zusammenspiel zwischen den sozialen Medien und dem Rundfunk. Jedoch bedeutet dies nicht immer, dass die Partizipation auf diesen Plattformen auch einen Einfluss auf das Programm hat (Böhm, 2012, S. 17–18).

Mit dem Internet konnte das Kommunikationspotenzial vom Rundfunk gesteigert werden. Ein riesiges «Kanalsystem» kann dank diesem Übertragungsmittel zum Empfänger als auch zum Sender werden. Aufgrund der Schnelllebigkeit des Internets ist es für Rundfunkanbieter gerade bei eher komplexeren Themen wie der Politik eine grosse Herausforderung sich mit den von Hörer generierten Inhalten auseinanderzusetzen. Ausserdem werden die sozialen Medien zurzeit eher für Unterhaltungszwecke als für den politischen Austausch genutzt (Böhm, 2012, S. 53). Statistiken belegen, dass die Nutzung der (inter-)aktiven politischen Kommunikationsräume im Netz abnehmend ist. Die passive Nutzung, beispielsweise das Lesen von Politikerchats, als auch die Veröffentlichung der eignen Meinung in Kommentarforen der Rundfunkanbieter sind stark rückläufig (Hauk, 2015, S. 42). Brecht forderte eine politische Funktion des Rundfunks, indem er einen Austausch zwischen den Regierenden und Regierten ermöglicht. Obwohl die Bevölkerung die Möglichkeit hat über den Rundfunk mit seinen Kommunikationsplattformen mit den Politikern sich auszutauschen, lässt sich an diesem passiv-rezeptiven Nutzungsmodus ein sehr geringes Interesse an diesem Austausch erkennen.

Brecht fordert in seiner Schrift «Der Rundfunk als Kommunikationsapparat», dass die Rundfunkanbieter die Inhalte durch moderne Kunst interessant und verständlich gestalten sollen, um dadurch das Publikum zu belehren. Anhand dieser Passivität der Nutzer kann gefolgert werden, dass die Inhalte noch immer keinen interessanten Charakter haben, damit sich das Publikum aktiv beteiligen möchte, um auch einen Einfluss auf die öffentlichen Institutionen zu haben.

Die Anzahl von Sendern und Programmen im Bereich der Massenmedien nimmt ständig zu, da es mit dem Internet einfacher geworden ist ein Programm anzubieten und somit auch die Unterhaltungskosten gesunken sind (Hege, 2009, S. 15). Allerdings wird durch diese Zunahme die Öffentlichkeit in unterschiedlich kleine Teilöffentlichkeiten fragmentiert. Jeder Nutzer stellt individuell nach seinen Interessen ein Programm zusammen, wann und wie er es möchte. Nur noch sehr wenige Grossereignisse können die Aufmerksamkeit einer grossen Gesellschaft bündeln, aufgrund dieser Ausdifferenzierung der Programme nach spezifischen Interessen. Folglich findet ein Austausch unter kleineren Nutzergruppen statt und es ist wahrscheinlicher, dass die Nachricht nach Brecht «folgenlos» bleibt. Daher ist es auch schwierig pauschale Aussagen über die Wirkung der Medien auf die Gesellschaft zu treffen (Böhn, Seidler Andreas & Seidler, 2008, S. 201–202).

In der Studie «Journalismus in Deutschland» von Scholl und Weischenberg konnte aufgezeigt werden, dass der Rundfunk mehr Unterhaltung und Entspannung bieten möchte, anstatt politische Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Zusätzlich wollten gerade einmal 34% der befragten Chefredakteure «normalen» Leuten die Möglichkeit geben, ihre Meinung über Themen von öffentlichem Interesse zum Ausdruck bringen (Scholl & Weischenberg, 1998).

Abschliessend kann gesagt werden, dass das Internet durchaus beigetragen hat, die Beteiligungsmöglichkeiten am Rundfunk zu verbessern. Der Austausch zwischen den Regierenden findet jedoch weiterhin nur mit einem geringen Anteil der Regierten statt, da die Austauschmöglichkeiten eher für andere Zwecke verwendet werden und nur wenige Bürger sich als Lieferanten, wie es sich Brecht vorstellte, organisieren lassen. Ferner sehen die meisten Journalisten ihre Aufgabe darin «das öffentliche Leben zu verschönen.» (Brecht, 1992, S. 553) und anhand der Ausdifferenzierung der Programme möglichst die Interessen der Einzelnen anzusprechen. Daraus lässt sich folgern, dass der von Bertolt Brecht intendierte Zweck des Austausches zwischen den Regierenden und Regierten mit dem User Generated Content partiell erreicht werden konnte, allerdings wird diese Möglichkeit durch die passive Nutzung nicht ausgeschöpft.

4.2 Der Rundfunk als pädagogisches Mittel – Fehlende interessante und verständliche Darstellungsform von politischen Inhalten

Für Brecht war es wichtig, dass der Rundfunk «nicht nur [eine] dekorative Haltung» hat und harmlose Unterhaltung sendet, um «folgenlos» zu bleiben. Stattdessen soll der Rundfunk «die Nation von seiner [des Reichskanzlers] Tätigkeit und der Berichtigung seiner Tätigkeit [zu] unterrichten.» (Brecht, 1992, S. 554). Dieses dazumal noch neue Medium soll die Aufgabe haben die «Dinge und Zustände» mit all ihren Folgen darzustellen und somit als ein belehrendes Mittel über gesellschaftlich wichtige Ereignisse dienen. Anschliessend sollte sich die Bevölkerung aktiv mit dem Gehörten auseinandersetzen, damit die Nachricht mit den von Hörern generierten Meinungen auch Folgen für die Institutionen hat.

Der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger bezieht sich in seinem Baukasten zu einer Theorie der Medien auf die Radiotheorie von Bertolt Brecht (John, 2010, S. 2). Er bezeichnet das Fernsehen als ein «Null-Medium». Genau wie Brecht, meint Enzensberger, dass dieses Medium lediglich dafür verwendet wird, um sich zu entspannen und somit das Leben zu «verschönern». Nach Enzensberger wird der vermittelte Inhalt über den Rundfunk wahrgenommen, aber es findet keine aktive Aufnahme der Informationen statt (Böhn et al., 2008, S. 132). Durch diese Verwendung der Gesellschaft ist es nicht möglich, dass der Rundfunk nach Brechts Vorstellungen als ein pädagogisches Mittel dient. Trotzdem unterstützen die Rundfunkanbieter die Zeitungen als publizistische Politikvermittler und informieren somit über wichtige aktuelle Ereignisse (Hauk, 2015, S. 45). Für die Nutzer ist weiterhin die Aktualität die wichtigste Eigenschaft eines Mediums (Hauk, 2015, S. 35), welche am besten vom Rundfunk umgesetzt werden kann. Gerade weil das Internet allen Nutzern die Möglichkeit bietet, Informationen schnell zu verbreiten, ist es wichtig, dass die Journalisten die Informationen systematisch nach Wichtigkeit auswählen und dann schnell als auch kompakt den Nutzern der Rundfunkprogramme vermitteln (Hauk, 2015, S. 20).

Ausserdem besteht dank dem Internet als Speichermedium, die Möglichkeit die Inhalte der Rundfunkanbieter zu einem späteren Zeitpunkt nochmals abzurufen, um sich vertieft mit dem Inhalt auseinanderzusetzen und ihn nach der Live-Berichterstattungen allenfalls zu ergänzen (Bleicher, 2010, S. 21; Hauk, 2015, S. 36). Der Hypertext als eine Funktion des Internets, bietet den Nutzern ebenfalls die Chance, sich mit dem Inhalt zu befassen. Die Rundfunkanbieter können auf dem Internet mit dem Hypertext eine Verlinkung zu weiteren Dokumenten herstellen. Dies ermöglicht dem Nutzer von Dokument zu Dokument zu gelangen und so festzustellen, woher das Wissen kommt als auch die Qualität des Inhalts zu überprüfen (Pürer, 2015, S. 147–148).

Der Journalist Wolfgang Zehrt schrieb das Buch Hörfunk-Nachrichten. In diesem Buch wird behandelt, wie Nachrichten gestaltet werden müssen, damit der Hörer sie auch vollständig erfassen kann. Seiner Meinung nach verstehen die Nutzer die Informationen nicht richtig, aufgrund der langen Texte, komplizierten Ausdrücke und unpassenden Originaltönen (Zehrt, 2005). «Nichts ist ungeeigneter als die alte Oper, die auf die Erzeugung von Rauschzuständen ausgeht» (Brecht, 1992, S. 556), Brecht forderte eine neue Darstellungsform, welche von der Bevölkerung verstanden wird und somit der Rundfunk seinen pädagogischen Zweck erreicht. Hierfür schlug er die Ausstrahlung der epischen Dramatik vor. Damit sich die Bevölkerung überhaupt mit dem Inhalt aktiv auseinandersetzen kann und der Inhalt des Gehörten nicht «folgenlos» bleibt, muss sie aber die Nachricht verstehen können. Jedoch wurde nach Zehrt bis heute nicht die Qualität erreicht, dass die Nutzer die vollständige Nachricht erfassen können.

Wie bereits im Kapitel 4.1 erwähnt, tendieren die Medien immer mehr dazu Boulevardjournalismus anzubieten, anstatt über politische oder über andere relevante Inhalte für die Gesellschaft zu berichten. Dies geschieht, weil die meisten Rundfunkanbieter heute nicht mehr vom Staat subventioniert werden, sondern weil die Unterhaltungskosten anhand von Werbung generieren müssen (Pürer, 2015, S. 122–123). Da die Werbeeinnahmen quotenabhängig sind, werden die Nachrichten publikumsattraktiv gestaltet, indem weniger Feuilleton, kulturelle und politische Inhalte gesendet werden (Hauk, 2015, S. 30). Es findet weiterhin eine Berichterstattung über aktuelle Themen in der Politik statt, jedoch setzen sich nur vereinzelte Programme vertieft über Gesetze und Normen auseinander, welche spezifisch auf diese Interessen ausgerichtet sind.

Abschliessend kann gesagt werden, dass der Rundfunk durchaus als pädagogisches Mittel dient, da er über wichtige Ereignisse berichtet. Zudem verschaffen die Rundfunkanbieter Übersichtlichkeit in dem grossen online abrufbaren Informationsangebot. Weil aber die Rundfunkanbieter von den Werbeeinnahmen abhängig sind, findet einen Rückgang über die vertiefte Berichterstattung von politischen Themen statt, da sich die Gesellschaft mehr für simple Unterhaltung interessiert. Somit wurde bis heute keine gute Darstellungsform von relevanten Inhalten gefunden, welche lehrreich und zugleich auch von Nutzern als interessant betrachtet wird.

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Details

Title
Konnten die von Bertolt Brecht intendierten utopischen Lebenszwecke des Rundfunks mit dem Internet als Übertragungsmittel erreicht werden?
Author
Year
2017
Pages
13
Catalog Number
V419351
ISBN (eBook)
9783668681224
ISBN (Book)
9783668681231
File size
537 KB
Language
German
Keywords
Berthold Brecht, Rundfunk, Medium, Literatur, Medien
Quote paper
Olivia Artho (Author), 2017, Konnten die von Bertolt Brecht intendierten utopischen Lebenszwecke des Rundfunks mit dem Internet als Übertragungsmittel erreicht werden?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/419351

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