Die Relevanz von Traumata in der Ätiologie der Dissoziativen Identitätsstörung. Studie zur Unterstützung der traumabedingten Sichtweise


Thèse de Bachelor, 2014

62 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Abkürzungsverzeichnis

Glossar Fachbegriffe

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung und theoretischer Hintergrund
1.1 Definition der Dissoziativen Identitätsstörung
1.2 Die soziokognitive Sichtweise
1.3 Die traumabedingte Sichtweise
1.3.1 Die Theorie der strukturellen Dissoziation
1.3.2 Befunde zur traumabedingten Sichtweise
1.4 Fragestellung und Hypothesen

2 Methoden
2.1 Versuchspersonen und Design
2.2 Messinstrument
2.3 Durchführung
2.4 Statistische Auswertung

3 Ergebnisse
3.1 Anteil der Traumatisierten unter den DIS Patienten
3.2 Ausprägung der traumaassoziierten Symptomatik
3.3 Ausprägung der allgemeinen und somatoformen Dissoziation
3.4 Korrelation der Schwere der Traumasymptomatik mit der Ausprägung der Dissoziation
3.5 Häufigkeit von Traumatisierung durch Folter
3.6 Sonstige Ergebnisse

4 Diskussion
4.1 Diskussion der Ergebnisse
4.2 Stärken und Limitationen der Studie
4.3 Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang A

Anhang B

Danksagung

Zusammenfassung

Die Ursache der Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) wird seit vielen Jahren kontrovers diskutiert. Während die Vertreter der soziokognitiven Sichtweise davon ausgehen, dass Faktoren wie Fantasie und Suggestion zu einer DIS führen, gehen die Vertreter der traumabedingten Sichtweise davon aus, dass schwerste Traumatisierungen zugrundeliegen. Die hier durchgeführte Studie soll diese traumabedingte Annahme weiter unterstützen.

In der Studie wurden 21 Patienten mit der Diagnose DIS und 20 Patienten mit der Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ohne DIS anhand eines Fragebogen-Sets näher untersucht und miteinander verglichen.

100% der DIS-Patienten erfüllten die Kriterien einer Traumatisierung und zeigten sowohl eine stärkere Traumasymptomatik als auch signifikant stärkere allgemeine und somatoforme dissoziative Symptome als die PTBS Gruppe. 76.2% der hier untersuchten DIS-Patienten wurden neben anderen traumatischen Erlebnissen auch durch Folter traumatisiert. Zwischen der Schwere der Traumasymptomatik und der Ausprägung allgemeiner und somatoformer Dissoziation konnte ein hoher positiver Zusammenhang festgestellt werden.

Die Ergebnisse unterstützen die traumabedingte Sichtweise und zeigen, dass Traumatisierungen eine große Relevanz bei DIS Patienten haben. Es ist anzunehmen, dass die Entstehung der DIS eine Reaktion des Organismus auf Traumatisierung ist und die DIS auf demselben Grundmechanismus wie die PTBS beruht. Künftige Forschung sollte dies weiter bekräftigen. Außerdem sollte die DIS als schwere Traumafolgestörung deutlich mehr Beachtung in der Ausbildung von Therapeuten finden, sodass DIS Patienten besser adäquate Hilfe erhalten können.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Glossar Fachbegriffe

Absorption

Durch etwas so sehr in den Bann gezogen sein, dass andere Wahrnehmungen, Sinneseindrücke oder Körperempfindungen nicht mehr in das Bewusstsein vordringen können (Schmitt, 2013).

Amnesie

Teilweise bis totale, zeitlich begrenzte oder permanente Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens (Spektrum Akademischer Verlag, 2000a).

Amygdala

Gruppe von Hirnkernen, die bei Aktivierung Gefühle von Furcht, gelegentlich auch verteidigungs- oder angriffsartiges Verhalten auslösen (Spektrum Akademischer Verlag, 1999).

Borderline Persönlichkeitsstörung

Persönlichkeitsstörung, die durch heftige Gefühlsschwankungen und ein häufig sehr leicht aktivierbares Verteidigungssystem gekennzeichnet ist (Breitenbach, 2012, S. 243).

Depersonalisation

Entpersönlichung, Störung des Ich-Erlebens. Verschiedene psychische Prozesse wie Wahrnehmung, Körperempfinden, Fühlen und Denken werden anhaltend oder wiederholt nicht als dem Ich zugehörig empfunden (Spektrum Akademischer Verlag, 2000b).

Derealisation

Störungen der Umweltwahrnehmung, zum Beispiel erscheint alles in einem fremdartigen Licht, die gewohnte Umgebung wird nur schwerlich wiedererkannt (Spektrum Akademischer Verlag, 2000c).

Disorder of extreme stress, not otherwise specified (DESNOS)

Komplexe und chronifizierte Traumafolgestörung. Funktionale und körperliche Beschwerden stehen im Vordergrund. Fragmente zu Traumaaspekten sind häufig abgespalten (Breitenbach, 2012, S. 244).

Dissoziation

Trennung von eigentlich zusammengehörigen Emotionen, Denk-, Handlungs- und Verhaltensabläufen in einzelne Bereiche, die sich der Kontrolle weitgehend entziehen (Spektrum Akademischer Verlag, 2000d).

Dissociative disorder, not otherwise specified (DDNOS)

Dissoziative Störung, bei der die einzelnen Abspaltungen auch bereits autonome Persönlichkeitsqualitäten haben können. Der Theorie der strukturellen Dissoziation nach gibt es einen ANP und mehrere EPs (Breitenbach, 2012, S. 243).

Ego States

Hier verwendet beschreibt der Begriff verschiedene Ich-Zustände, in die eine Person kommen kann. Die Person weißum die verschiedenen Ich-Zustände, auch wenn sie sie nicht zwangsläufig bewusst steuern oder einnehmen kann (Breitenbach, 2012, S. 244).

Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT)

Ermöglicht es Stoffwechselaktivitäten auf Hirnebene sichtbar zu machen. Gemessen wird der Sauerstoffgehalt cerebraler Venen. Die zeitliche Auflösung liegt im Minutenbereich, die räumliche Auflösung im Bereich weniger Millimeter (Spektrum Akademischer Verlag, 2000e).

Hippocampus

Hirnstruktur, die an der Emotionsverarbeitung und an der Gedächtnisbildung beteiligt ist (Spektrum Akademischer Verlag, 2001).

Histrionische Persönlichkeitsstörung

Persönlichkeitsstörung, die durch das stetige Bestreben nach Aufmerksamkeit und übertriebenen Emotionsausdruck gekennzeichnet ist (Spektrum Akademischer Verlag, 2000f).

Hyperarousal

Symptome der Übererregung, beispielsweise Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, erhöhte Reizbarkeit (Karl & Dreiner, 2001).

Iatrogen

Durch ärztliche oder therapeutische Einwirkung entstanden (Bibliographisches Institut, 2013).

Intrusionen

Sich aufdrängende, belastende Traumaerinnerungen in Form von Bildern, Empfindungen, Flashbacks oder Alpträumen (Karl & Dreiner, 2001).

Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung

Störung durch schwerere oder langanhaltendere Traumatisierung als bei der einfachen PTBS. Vielfältiges Beschwerdebild, häufige Beeinträchtigungen sind im Bereich der Emotionsregulation und Impulskontrolle, in Aufmerksamkeit und Bewusstsein, in der Selbstwahrnehmung, in der Beziehung zu anderen Menschen und in der Lebenseinstellung zu finden. Außerdem kommt es bei den Betroffenen oft vermehrt zu körperliche Beschwerden (Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie).

Maskierter Stimulus

Minderung der Empfindlichkeit für einen Sinnesreiz durch einen anderen Reiz, der gleichzeitig, unmittelbar vorher oder unmittelbar später präsentiert wird (Spektrum Akademischer Verlag, 2000g).

Mind control

Eine gezielte Form der „Gehirnwäsche“, bei der versucht wird, einem anderen Menschen die Kontrolle über möglichst viele Anteile seines Bewusstseins zu entziehen und ihn durch äußere Befehle steuerbar zu machen. Mittels Schmerzzufügung, Drogen, Einsatz von Hypnose usw. werden gezielt Anteile geschaffen. Ursprünglich entwickelt im Rahmen militärischer Forschung mit dem Ziel, Spione zu schaffen, die nicht bewusst über ihr Wissen verfügen und dieses somit auch nicht unter Folter preisgeben können. Heutzutage machen sich Täter im Rahmen organisierter Gewalt dieses Wissen für ihre Zwecke gezielt nutzbar (Breitenbach, 2012, S. 248).

Narzißtische Persönlichkeitsstörung

Persönlichkeitsstörung, die sich durch übertriebenes Selbstwertgefühl, Kritikempfindlichkeit, Mangel an Empathie, Geltungssucht, zwischenmenschliche Ausbeutung, Neid und Arroganz charakterisieren lässt (Spektrum Akademischer Verlag, 2000h).

Posttraumatische Belastungsstörung

Störung, die nach einer Traumatisierung auftreten kann und länger als einen Monat anhält. Typische Merkmale sind Intrusionen, Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, negative Stimmung und Gedanken sowie eine vegetative Übererregung (American Psychiatric Association, 2013, S. 271).

Programmierung

Programmierungen bauen auf auf absichtsvollen Konditionierungen durch den Einsatz von gezielter Gewalt auf. Es werden Ketten mit aneinandergesetzten konditionierten Verhaltensweisen erzeugt, die jeweils an verschiedene innere Persönlichkeiten gebunden sind und von Tätern durch konditionierte Auslöser in Gang gesetzt und gestoppt werden können. Beispiele sind Suizidprogramme, Anti-Hilfe Programme oder Rückkehrprogramme (Fliß, 2012).

Rituelle Gewalt

Systematisch zugefügte Gewalt, die in der Regel in ein Glaubens- oder Wertesystem eingebunden ist. Diese organisierte Gewaltform bedient sich stetig wiederholender Rituale und zielt auf die Schaffung bestimmter innerer Anteile ab (Breitenbach & Requardt, 2013, S. 280).

Somatoforme Dissoziation

Dissoziative Phänomene, die sich auf den Körper und die evolutionär bedingten Abwehrreaktionen auf ein Trauma beziehen. Hierunter zählen beispielsweise fehlende Körperwahrnehmung, Schmerzunempfindlichkeit oder Bewegungsunfähigkeit (Nijenhuis, Spinhoven, van Dyck, van der Hart, & Vanderlinden, 1996).

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Korrelationen der Schwere der Traumasymptomatik mit der Ausprägung der Dissoziation Seite

Tabelle 2: Darstellung der Korrelationen für die DIS und die PTBS Gruppe einzeln Seite

Tabelle 3: Psychische Nebendiagnosen Seite

Tabelle 4: Deskriptive Statistik der Therapiedauer Seite 29

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Diagnosen und Ebenen der strukturellen Dissoziation Seite

Abbildung 2: Stärke der Traumasymptomatik Seite

Abbildung 3: Zusammenhang Traumasymptomatik (alle Items) und Dissoziation Seite

Abbildung 4: Zusammenhang Traumasymptomatik (ohne Items dissoziative Symptome) und Dissoziation Seite

Abbildung 5: Häufigkeit von Foltererfahrung in der DIS- und in der PTBS-Gruppe Seite

1 Einleitung und theoretischer Hintergrund

Seit vielen Jahren existieren kontroverse Diskussionen über die Dissoziative Identitätsstörung (DIS) und deren Ursache (Nijenhuis, 2012, S. 4; Reinders, Willemsen, Vos, den Boer, & Nijenhuis, 2012). Von Vertretern der soziokognitiven Perspektive wird sowohl die Validität der Diagnose (Gleaves, 1996) als auch die ätiologische Bedeutung schwerster Traumatisierungen in der Kindheit nach wie vor angezweifelt (Piper & Merskey, 2004), was zur Folge hat, dass sich viele Forscher und Kliniker nur wenig mit der Diagnose DIS auseinandersetzen (Nijenhuis, 2012, S. 3). Für betroffene Patienten ist es jedoch ausgesprochen wichtig, kompetente therapeutische Hilfe zu bekommen und die zugrunde liegenden Traumatisierungen, wie sie in der traumabedingten Sichtweise angenommen werden (Gast et al., 2006), aufzuarbeiten. Dies ist nur dann möglich, wenn die Diagnose DIS weiter erforscht wird, die Besonderheiten, die es bei der Therapie einer DIS zu beachten gilt, zunehmend unter Therapeuten bekannt werden und die zugrunde liegenden Traumatisierungen nicht länger angezweifelt werden.

1.1 Definition der Dissoziativen Identitätsstörung

Bereits im DSM-III wurde die DIS, die zu diesem Zeitpunkt noch den Namen Multiple Persönlichkeitsstörung besaß, als eigenständige Diagnose betrachtet (American Psychiatric Association, 1980, S. 269). Seit der Einführung des DSM-IV wurde der Name in Dissoziative Identitätsstörung (American Psychiatric Association, 1994, S. 484) geändert.

Die DIS definiert sich im DSM-V durch fünf Kriterien. Personen mit einer DIS zeigen mindestens zwei unterschiedliche Identitätszustände (American Psychiatric Association, 2013, S. 292), in denen sie sich als verschiedene und eigenständige Personen erleben (Reinders et al., 2012). Diese unterscheiden sich beispielsweise in Affekt, Verhalten, Gedächtnis oder sensomotorischen Fähigkeiten (American Psychiatric Association, 2013, S. 292). Auch auf physiologischer Ebene zeigen sich häufig Unterschiede zwischen den Identitäten, was sich zum Beispiel durch unterschiedliche Allergien äußern kann (Breitenbach & Requardt, 2013, S. 244).

Als weitere Kriterien zählen wiederkehrende Amnesien, die über gewöhnliches Vergessen hinausgehen, sowie eine klinische Relevanz der Symptomatik. Bei der Diagnosestellung muss sichergestellt sein, dass sich die Symptomatik nicht durch normales kindliches Rollenspiel oder religiöse Praktiken erklärt oder auf Substanzgebrauch zurückführen lässt (American Psychiatric Association, 2013, S. 292).

Die Prävalenz der DIS liegt bei etwa 1% in der Allgemeinbevölkerung (Nijenhuis, 2012, S. 3), wobei häufig Fehldiagnosen vorausgehen (Gast et al., 2006).

1.2 Die soziokognitive Sichtweise

Wie bereits erwähnt, gibt es jedoch bezüglich derÄtiologie der DIS zwei stark gegensätzliche Sichtweisen. Während die Vertreter der traumabedingten Sichtweise schwerste traumatische Erfahrungen als Ursache sehen (Gast et al., 2006), gehen die Vertreter der soziokognitiven Perspektive davon aus, dass soziale Aspekte (Spanos, 1994) und Suggestion (Piper & Merskey, 2004) zum klinischen Erscheinungsbild der DIS führen. Es wird angenommen, dass iatrogene Faktoren für die Entstehung ursächlich sind (Lilienfeld et al., 1999) und die DIS keine valide psychiatrische Diagnose mit traumatischem Ursprung ist (Gleaves, 1996). Piper und Merskey (2004) sprechen von einer Reifikation der verschiedenen Identitäten und einer Ermutigung der Therapeuten an Patienten, sich zu verhalten, als seien sie multipel. Der soziokognitiven Ansicht nach ist die traumabedingte Sichtweise nicht korrekt (Piper & Merskey, 2004) und Suggestion oder Fantasie bei der DIS ätiologisch bedeutsam (Merckelbach, Rassin, & Muris, 2000).

1.3 Die traumabedingte Sichtweise

Der soziokognitiven Sichtweise steht die traumabedingte Sichtweise gegenüber. Diese nimmt chronische und schwere Traumatisierungen in einer verletzlichen Kindheitsphase als Ursache für die Entstehung einer DIS an (Ross, Miller, Bjornson, & Reagor, 1991).

1.3.1 Die Theorie der strukturellen Dissoziation

In der aktuellen Literatur und Therapie, die sich mit schwerer Traumatisierung und der DIS befasst, ist häufig die Theorie der strukturellen Dissoziation (van der Hart, Nijenhuis, & Steele, 2008) zugrunde liegend (Breitenbach, 2012; Dorahy, Middleton, & Irwin, 2005; Gast et al., 2006; Kügler, 2007; van der Hart, Nijenhuis, & Solomon, 2010).

Diese Theorie vereint verschiedenste psychologische Theorien sowie Erkenntnisse der psychobiologischen Traumaforschung und wirkt den vielen verschiedenen, sich häufig widersprechenden Definitionen von Dissoziation entgegen (van der Hart et al., 2008, S. 8-9). Ist eine Person einem Trauma ausgesetzt, insbesondere, wenn dieses längere Zeit anhält, so benötigt sie sowohl die Fähigkeit den Alltag weiter zu bewältigen als auch die Fähigkeit, das Überleben in gefährlichen Situationen zu sichern. Sind diese beiden Funktionen über einen längeren Zeitraum nötig, so kommt es zu einer relativ starren Aufteilung der Persönlichkeit in sogenannte anscheinend normale Persönlichkeitsanteile (ANPs) und sogenannte emotionale Persönlichkeitsanteile (EPs). Der ANP versucht den Alltag zu bewältigen und vermeidet die traumatischen Erinnerungen, der EP hingegen ist auf traumaassoziierte Handlungssysteme wie Hypervigilanz oder Flucht fixiert. Auf dieser Grundlage lassen sich die primäre, die sekundäre und die tertiäre strukturelle Dissoziation unterscheiden (van der Hart et al., 2008, S. 19-20). Die genauere Definition dieser Unterteilung sowie eine Zuordnung zu klinischen Diagnosen lässt sich Abbildung 1 entnehmen. Bei der primären strukturellen Dissoziation, wie sie beispielsweise bei einer PTBS zu finden ist, kommt es zu einer einzigen Aufspaltung in einen ANP und einen EP. Häufig geschieht dies durch eine einmalige Traumatisierung (van der Hart et al., 2008, S. 65). Der ANP ist nicht in der Lage das traumatische Ereignis zu integrieren und vermeidet in der Regel die Konfrontation mit diesem. Die traumatisierte Person im Zustand des EPs besitzt die Gefühle und Gedanken, die mit dem traumatischen Ereignis in Verbindung stehen. Der EP ist bei der primären strukturellen Dissoziation in der Regel nur schwach entwickelt und hat im Alltag keine autonome Funktion (van der Hart et al., 2008, S. 21, 79).

Zur sekundären strukturellen Dissoziation kommt es, wenn die Traumatisierung länger anhält und die Integrationsmechanismen zunehmend erschöpft sind. Hierbei ist der ANP ähnlich wie bei der primären strukturellen Dissoziation auf das Funktionieren im Alltag fixiert und meidet die Erinnerung an die traumatischen Ereignisse. Durch die fehlenden Kompensationsmöglichkeiten bei andauernder Traumatisierung muss sich der EP jedoch weiter aufspalten, sodass mehrere EPs mit unterschiedlichen psychobiologischen Charakteristiken entstehen. Manche EPs sind beispielsweise auf Kampf fixiert, andere EPs eher auf Flucht, Erstarrung oder Unterwerfung. Zwar ist der ANP auch bei der sekundären strukturellen Dissoziation noch dominierend, jedoch können bei zunehmendem Ausmaßan Dissoziation auch relativ autonom handelnde EPs entstehen. Eine solche Aufspaltung der Persönlichkeit lässt sich beispielsweise bei einer traumabedingten Borderline Persönlichkeitsstörung finden. Es ist nur ein einziger ANP vorhanden und die Person erlebt sich selbst als eine Person, die durch die verschiedenen EPs jedoch in unterschiedliche Ego- States rutschen kann (van der Hart et al., 2008, S. 22, 24, 65).

Die komplexeste Art der strukturellen Dissoziation ist die tertiäre strukturelle Dissoziation, die mit der Diagnose DIS einhergeht. Diese entsteht, wenn unvermeidbare alltägliche Dinge mit dem Trauma in Verbindung gebracht werden, sodass der ANP zwangsläufig durch die Traumatisierungen mit belastet wird. Wenn der ANP in die Lage kommt, dass das alltägliche Leben unerträglich wird, da er selbst durch bestimmte Reize mit dem Trauma immer wieder in Berührung kommt, so kommt es aufgrund der evolutionär angelegten Überlebensmechanismen zu einer weiteren Spaltung und es entstehen mehrere ANPs, die unterschiedliche Aufgaben des Alltags bewältigen und somit das Überleben sichern (van der Hart et al., 2008, S. 22, 113). Neben den verschiedenen ANPs sind auch die EPs hier deutlich autonomer. In der Regel lassen sich unterschiedliche körperliche Merkmale und eigene Namen zwischen den einzelnen Persönlichkeitsanteilen finden. Die einzelnen Anteile erleben sich als eigenständige Person und unterscheiden sich beispielsweise in Alter, Geschlecht, Fähigkeiten und Vorlieben. Auch die amnestischen Barrieren zwischen den einzelnen Persönlichkeitsanteilen sind bei der tertiären strukturellen Dissoziation in der Regel deutlich stärker ausgeprägt, als dies bei der sekundären strukturellen Dissoziation der Fall ist (van der Hart et al., 2008, S. 22, 113).

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die PTBS die einfachste und die DIS die komplexeste und schwerste Form der strukturellen Dissoziation darstellt. Beide entstehen dieser Theorie nach jedoch durch eine Reaktion des Organismus auf traumatische Erfahrungen, um das Überleben zu sichern.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Diagnosen und Ebenen der strukturellen Dissoziation (van der Hart et al., 2008, S. 24)

1.3.2 Befunde zur traumabedingten Sichtweise

Vielfältige Studien, bei denen in den letzten Jahren häufig die Theorie der strukturellen Dissoziation zugrundelag, unterstützen die traumabedingte Sichtweise. Ross, Norton und Fraser konnten bereits 1989 in ihrer Untersuchung die iatrogene Entstehung der DIS widerlegen. Wie bereits erwähnt, nehmen die Vertreter der soziokognitiven Perspektive an, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der Neigung zu Fantasie und der Schwere von dissoziativen Erfahrungen besteht (Merckelbach & Muris, 2001) und dass jede fantasiebegabte Person in der Lage sei, die Symptome einer DIS zu entwickeln (Nijenhuis, 2012, S. 4). Neueste Studien zeigen jedoch, dass bei DIS-Patienten keine erhöhte Fantasieneigung vorliegt und selbst Personen einer Kontrollgruppe mit hoher Fantasieneigung keine neurophysiologischen Reaktionen aufwiesen, die mit denen von DIS-Patienten vergleichbar wären (Reinders et al., 2012).

Für die traumabedingte Sichtweise sprechen auch die von Ross (2006, S. 3) ausgewerteten Dokumente über mind control Experimente der CIA-Ärzte, die bis in die 1970er Jahre in den USA durchgeführt wurden. Diese belegen, dass es möglich ist, die DIS durch gezielte Anwendung von Gewalt und Folter absichtlich zu erschaffen.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche neurobiologische Studien, die neuronale Auffälligkeiten bei DIS-Patienten zeigen, wie sie auch bei PTBS-Patienten zu finden sind. Strukturell gibt es auffallendeÄhnlichkeiten, wie eine deutliche Volumenverringerung von Hippocampus und Amygdala (Tsai, Condie, Wu, & Chang, 1999; Vermetten, Schmahl, Lindner, Loewenstein, & Bremner, 2006) und auch auf funktionaler Ebene gibt es zu einem großen Teil ähnliche neuronale Charakteristiken zwischen den beiden Patientengruppen bei Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis. Dies legt einen Zusammenhang zwischen den beiden Störungen und traumatische Erfahrungen als Ursache für die DIS nahe (Reinders et al., 2006; Reinders et al., 2012). Schlumpf et al. (2013) konnten außerdem zeigen, dass Patienten mit einer DIS auf maskierte Stimuli im fMRT unterschiedliche neuronale Reaktionen zeigten, je nachdem ob sie im Identitätszustand eines ANPs oder eines EPs waren. Diese Befunde unterstützen die Theorie der strukturellen Dissoziation und damit die traumabedingte Sichtweise.

1.4 Fragestellung und Hypothesen

Die gegenwärtige Studie soll eine Gruppe mit DIS-Patienten und eine Gruppe mit PTBS- Patienten ohne die Diagnose DIS anhand eines Fragebogen-Sets näher untersuchen und die traumabedingte Sichtweise weiter bekräftigen.

Die ähnlichen neuronalen Reaktionen zwischen PTBS und DIS-Patienten zeigen, dass ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Störungen besteht und lassen eine hohe Komorbidität für eine PTBS bei DIS Patienten vermuten (Reinders et al., 2006). Dies würde die Theorie der strukturellen Dissoziation unterstützen, die davon ausgeht, dass die primäre strukturelle Dissoziation, wie sie bei einer PTBS zu finden ist, die einfachste Anpassungsleistung und die tertiäre strukturelle Dissoziation bei der DIS die komplexeste Anpassungsleistung des Organismus auf traumatische Erfahrungen ist. Es ist davon auszugehen, dass unabhängig davon, ob es sich um eine primäre oder eine tertiäre strukturelle Dissoziation handelt, eine Traumatisierung zugrundeliegt (van der Hart et al., 2008). Somit ist naheliegend, dass alle Patienten Traumafolgesymptome zeigen und auch die Kriterien einer PTBS erfüllen.

Diese Grundannahmen führen zur ersten Hypothese, die besagt, dass mindestens 90% der Patienten in der hier untersuchten DIS-Gruppe traumatisiert sind und das hierfür im DMS-IV (American Psychiatric Association, 1994, S. 427 - 428) definierte A1- (mindestens ein traumatisches Ereignis liegt vor) und A2-Kriterium (das Ereignis wurde als subjektiv belastend erlebt) erfüllen.

Zwar ist die Annahme, dass bei allen Patienten die DIS durch Traumata entstanden ist, allerdings ist es möglich, dass die DIS-Patienten aufgrund ihrer Amnesien keine Erinnerung an ein Trauma haben, sodass lediglich eine Rate von mindestens 90% angenommen wird.

Da eine hohe Komorbidität zur PTBS bei den DIS-Patienten vermutet werden kann und neuronal ähnliche Charakteristiken festgestellt werden konnten, ist naheliegend, dass auch bei der traumabezogenen SymptomatikÄhnlichkeiten zwischen der Gruppe der reinen PTBS und der Gruppe der DIS Patienten vorhanden sind. In der Theorie der strukturellen Dissoziation ist die Annahme, dass eine primäre strukturelle Dissoziation bei einer einfachen PTBS eher durch einmalige Traumatisierung und die tertitäre strukturelle Dissoziation, wie sie bei DIS Patienten vorliegt, durch andauernde und schwere Traumatisierung entsteht (van der Hart et al., 2008, S. 65, S.22). Dies lässt vermuten, dass durch die schwerere Traumatisierung bei DIS-Patienten gegenüber PTBS-Patienten auch die Traumafolgesymptomatik ausgeprägter ist. Allerdings ist auch denkbar, dass durch eine stärkere Dissoziation in der Gruppe der DIS­Patienten bestimmte traumaassoziierten Symptome, wie beispielsweise Intrusionen, weniger häufig als bei PTBS-Patienten auftreten und somit kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen besteht. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die zweite Hypothese, die besagt, dass die Gruppe der DIS-Patienten ähnlich starke oder stärkere Traumafolgesymptome wie die PTBS-Gruppe aufweist.

Des Weiteren ist der Zusammenhang zwischen Trauma und Dissoziation durch zahlreiche Studien belegt (Anderson, Yasenik, & Ross, 1993; Butzel, Talbot, Duberstein, Houghtalen, Cox, & Giles, 2000; Gast et. al., 2006) und Ginzburg et al. (2006) konnten einen nichtlinearen Zusammenhang zwischen der Schwere von Kindesmisshandlung und der Ausprägung der Dissoziation bei PTBS-Patienten finden. Dies passt zu der Annahme der traumabedingten Sichtweise, dass es bei Erschöpfung der Integrations- und Kompensationsmechanismen von schweren Ereignissen zur Dissoziation kommt (Breitenbach, 2012, S. 37) und diese bei zunehmender Schwere der Belastung so stark ausgeprägt sein kann, dass eine DIS entsteht (Breitenbach, 2012, S. 38-40; van der Hart et al., 2008, S. 22). Daraus ergibt sich Hypothese 3a, die annimmt, dass sowohl allgemeine dissoziative Symptome als auch somatoforme Dissoziationserfahrungen in der Gruppe der DIS-Patienten ausgeprägter sind als in der Gruppe der PTBS-Patienten. Ergänzend wird in Hypothese 3b angenommen, dass eine positive Korrelation zwischen der Schwere der Traumasymptomatik und der Ausprägung der Dissoziation besteht, da davon auszugehen ist, dass eine schwerere Traumatisierung sowohl zu einer schwereren Traumasymptomatik als auch zu einer stärkeren Ausprägung der Dissoziation führt.

Ergänzend zu den Hauptfragestellungen soll in der Studie außerdem untersucht werden, ob das Trauma Folter in der Gruppe der DIS-Patienten signifikant häufiger vorkommt. Da Ross (2006) zeigen konnte, dass die DIS unter anderem durch den gezielten Einsatz von Folter absichtlich erschaffen werden kann und diese absichtsvolle Spaltung der Persönlichkeit durch Täter im Rahmen von mind control und ritueller Gewalt auch eingesetzt wird (Breitenbach & Requardt, 2013, S. 147), ist davon auszugehen, dass viele DIS-Patienten durch Folter traumatisiert wurden. In der vierten Hypothese wird deshalb angenommen, dass das Trauma Folter in der Gruppe der DIS-Patienten signifikant häufiger vorkommt als in der Gruppe der PTBS-Patienten.

2 Methoden

2.1 Versuchspersonen und Design

An der Studie nahmen insgesamt 41 Patienten teil, bei denen durch den behandelnden Therapeuten die Diagnose PTBS oder DIS festgestellt wurde. Das Alter der Patienten lag zwischen 18 und 48 Jahren mit einem Durchschnitt von 34.00 Jahren (SD = 8.10 Jahre). Insgesamt nahmen 95.1% (n = 39) weibliche und 4.9% (n = 2) männliche Patienten an der Studie teil. Weitere psychische oder körperliche Erkrankungen wurden in der Studie zwar mit erhoben, stellten jedoch kein Ausschlusskriterium dar. Auch Patienten, bei denen sowohl die Diagnose DIS als auch PTBS vorliegt, wurden in die Studie mit einbezogen. Die Patienten wurden abhängig davon, ob die Diagnose DIS gestellt wurde oder nicht, jeweils einer Gruppe zugeteilt, sodass zwei unterschiedliche Patientengruppen in der Studie miteinander verglichen werden konnten. Von den zurückgesendeten Fragebogen-Sets wurden alle Patienten in die Studie mit einbezogen.

In der Gruppe der PTBS-Patienten, bei denen keine DIS vorlag, befanden sich 20 Teilnehmer, von denen 18 weiblich und 2 männlich waren. Das Alter lag zwischen 21 und 48 Jahren und betrug im Durchschnitt 34.65 Jahre (SD = 7.99 Jahre). Die meisten Teilnehmer gaben mehrere traumatische Ereignisse an. Häufig handelte es sich hierbei um Traumatisierungen durch sexuelle und körperliche Gewalt in der Kindheit. Lediglich drei Teilnehmer gaben ein einmaliges traumatisches Ereignis an. Bei diesen Ereignissen handelte es sich um einen Autounfall, den Atemstillstand des eigenen Kindes sowie einen erlebten gewalttätigen Angriff als Erwachsener. Als relevante Nebendiagnosen gab eine Teilnehmerin die Diagnose Borderline, eine die Diagnose Disorder of extreme stress not other wise specified (DESNOS) und eine die Diagnose komplexe PTBS an.

In der Gruppe der DIS-Patienten befanden sich 21 Teilnehmer, von denen alle weiblich waren. Das Alter in dieser Gruppe lag zwischen 18 und 48 Jahren mit einem Durchschnitt von 33.38 Jahren (SD = 8.35 Jahre). Bis auf eine Patientin wurden alle durch familiären sexuellen Missbrauch traumatisiert und bei 16 der 21 Patienten ging der sexuelle Missbrauch über das familiäre Umfeld hinaus und fand auch durch fremde Personen statt. Alle Patienten dieser Gruppe gaben eine Vielzahl verschiedenster traumatischer Ereignisse an. Als möglicherweise relevante Nebendiagnosen gab eine Teilnehmerin ADHS und eine Teilnehmerin Asperger- Syndrom an.

Als Aufwandsentschädigung wurden unter allen Teilnehmern zwanzig Amazon Gutscheine über jeweils 10€ verlost.

2.2 Messinstrument

Um die in der Studie relevanten Fragestellungen untersuchen zu können, wurde den Patienten ein Fragebogen-Set ausgehändigt, das selbstständig als pdf-Formulardokument am Computer bearbeitet und abgespeichert werden konnte. Das Fragebogen-Set, dass neben der Teilnehmerinformation vollständig im Anhang zu finden ist, besteht aus Teilen des Essener Traumainventars, der Shutdown Dissoziationsskala sowie der deutschen Version der Dissociative Experience Scale II. Außerdem wurden im ersten Teil des Fragebogens die demographischen Daten mit erhoben.

Das Essener Traumainventar ist ein Selbstbeurteilungsfragebogen, der erfasst, ob eine Traumatisierung vorliegt. Des Weiteren wird der Schweregrad der traumabedingten Symptomatik erhoben. Das Essener Traumainventar besteht aus insgesamt fünf Teilen, wobei die ersten drei Teile für die Studie Relevanz hatten und verwendet wurden. In den ersten beiden Teilen werden zunächst das Vorhandensein einer Traumatisierung gemäßDSM-IV (American Psychiatric Association, 1994, S. 427-428) mit den Kriterien A1 (Bedrohung der physischen Integrität der eigenen oder einer anderen Person) und A2 (subjektive Einschätzung von Angst, Entsetzen oder Hilflosigkeit) überprüft. Anschließend messen 23 Items die traumabedingte Symptomatik. Die Auftretenshäufigkeit wird auf einer vierstufigen Likert- Skala mit 0 = „gar nicht“, 1 = „selten“, 2 = „häufig“ und 3 = „sehr oft“ eingeschätzt. Die Items beziehen sich auf die vier Symptomcluster Intrusionen, Vermeidung, Hyperarousal und Dissoziation (Tagay, Erim, Möllering, Stoelk, Mewes, & Senf, 2007). Die Schwere der traumabedingten Symptomatik wird über den Summenscore bewertet. Das Essener Traumainventar kann auch als Screening Instrument für das Vorliegen einer PTBS mitverwendet werden. Klammert man die Items für die Symptomkategorie Dissoziation aus, so liegt der Cut-Off Wert bei 27. Bei einem Summenscore, der diesen Wert überschreitet, ist eine PTBS anzunehmen.

Die im Fragebogen Set als Selbstbeurteilungsfragebogen verwendete Shutdown- Dissoziationsskala dient der Erfassung somatoformer Dissoziationserfahrungen. Sie wurde ursprünglich als strukturiertes Interview entwickelt und konzentriert sich auf die parasympathischen Abwehrmechanismen des Organismus als Folge der Traumabelastung. Hierbei wird der Zeitraum der letzten 6 Monate erfasst. Die Shutdown-Dissoziationsskala besteht aus 13 Items, wobei die Auftretenshäufigkeit auf einer vierstufigen Likert-Skala mit 0 = „nie“, 1 = „1x im Monat oder seltener“, 2 = „mehrmals im Monat / manchmal“ und 3 = „mehrmals in der Woche / häufig“ eingeschätzt wird. Die Auswertung des Fragebogens erfolgt ebenfalls über den Summenscore (Schalinski, Schauer, & Elbert, 2014).

Die deutsche Version der Dissociative Experience Scale II ist in Forschung und Diagnostik das wohl bedeutsamste Screening Instrument zur Erfassung allgemeiner dissoziativer Erfahrungen (Reddemann, Hofmann, & Gast, 2006). Es handelt sich hierbei um einen Selbstbeurteilungsfragebogen mit 28 Items, wobei jeweils eine Prozentskala von 0 bis 100 in Zehnerschritten verwendet wird. Der Proband gibt an, wie häufig er die jeweiligen dissoziativen Erfahrungen im Alltag erlebt. Die Fragen beziehen sich auf die Faktoren Amnesie, Depersonalisation / Derealisation, Absorption und Identitätsspaltung / Identitätsverwirrung. Die Auswertung des Fragebogens erfolgt über die Ermittlung der durchschnittlichen Prozentangabe über alle Fragen hinweg (Carlson & Putnam, 1993).

2.3 Durchführung

Die Studie wurde in Kooperation mit der Villa Lindenfels, einem Institut für Traumatherapie in Stuttgart, sowie Michaela Huber durchgeführt. Therapeuten, die Patienten mit Traumafolgestörungen wie PTBS und DIS behandeln, wurden durch die Villa Lindenfels und Michaela Huber über die Studie informiert und erhielten per Email das Fragebogen-Set sowie die Teilnehmerinformation und Einverständniserklärung für die Patienten. Diese informierten Patienten, auf die die Diagnose DIS oder PTBS derzeit zutrifft über die Studie und leiteten bei Teilnahmebereitschaft das Fragebogen Set sowie die Teilnehmerinformation und die Einverständniserklärung an die Patienten weiter. Die Patienten konnten sich die Unterlagen zuhause ansehen und dann entscheiden, ob sie an der Studie teilnehmen. Es bestand außerdem die Möglichkeit, das Fragebogen-Set in Papierform zu erhalten. Hierbei hätten die Patienten per Email ihre eigene Adresse oder die ihres Therapeuten mitteilen können und so die Unterlagen erhalten. Diese Möglichkeit nahm jedoch kein Teilnehmer in Anspruch. Die Patienten füllten selbstständig in einem beliebigen Tempo den Fragebogen als pdf- Formulardokument am PC aus und schickten diesen anschließend entweder selbst oder durch den behandelnden Therapeuten per E-mail an mich zurück. Der Name des Probanden sowie der Name des behandelnden Therapeuten wurde in der Studie weder in der Einverständniserklärung noch im Fragebogen mit erhoben, sodass eine vollständige Anonymität ermöglicht werden konnte.

2.4 Statistische Auswertung

Die statistische Auswertung erfolgte mit SPSS, Version 20. Für die Darstellung der deskriptiven Daten wurden die Häufigkeiten in Prozent, Mittelwerte und Standardabweichungen berechnet. Um Unterschiede zwischen den beiden Gruppen zu untersuchen, wurde jeweils ein t-Test für zwei unabhängige Stichproben verwendet. Die Annahme der Varianzhomogenität wurde mit dem Levene-Test und die Annahme der Normalverteilung mit dem Kolmogorov-Smirnov-Test jeweils auf einem Signifikanzniveau von p > .05 getestet. Waren die Bedingungen für den t-Test nicht erfüllt, so wurde der Mann- Whitney-U-Test als nichtparametrischer Test durchgeführt. Für die Berechnung der Korrelation zwischen der Schwere der Traumasymptomatik und der Ausprägung der Dissoziation wurde der Korrelationskoeffizient nach Pearson berechnet.

3 Ergebnisse

3.1 Anteil der Traumatisierten unter den DIS Patienten

Bei den hier untersuchten DIS-Patienten erfüllten 100% der Teilnehmer das im DMS-IV (American Psychiatric Association, 1994, S. 427 - 428) definierte A1- und A2-Kriterium und galten somit als traumatisiert. Die erste Hypothese, die von einem Anteil von mindestens 90% ausging, kann somit angenommen werden. Aus dem Stichprobenergebnis lässt sich über die Bestimmung des Konfidenzintervalls der Rückschluss auf die wahre Rate ziehen. Bei 21 Patienten, die zu 100% traumatisiert sind, reicht das exakte zweiseitige 95%ige Konfidenzintervall von 86.71% - 100%. Hieraus lässt sich der Rückschluss ziehen, dass die wahre Rate der Traumatisierten unter den DIS-Patienten mit einer 95%igen Wahrscheinlichkeit bei mindestens 86.71% liegt.

3.2 Ausprägung der traumaassoziierten Symptomatik

Beim deskriptiven Vergleich der Summenscores des Essener Traumainventars erzielte die DIS-Gruppe einen Mittelwert von M = 59.43 (SD = 7.48) und die PTBS-Gruppe einen Mittelwert von M = 46.30 (SD = 7.76). Der anschließend durchgeführte t-Test für zwei unabhängige Stichproben, dessen Voraussetzungen erfüllt waren, wurde auf einem Signifikanzniveau vonp < .05 hochsignifikant (t(39) = 5.516; p < .001). Die traumassoziierte Symptomatik ist demzufolge in der DIS-Gruppe signifikant stärker als in der PTBS-Gruppe, was zu einer Annahme der zweiten Hypothese führt. Um sicherzustellen, dass dieser Unterschied nicht lediglich durch höhere Scorewerte bei den Items der Symptomkategorie Dissoziation zustande kam, wurde die Analyse ein weiteres Mal unter Ausschluss der 6 Items dieser Symptomkategorie durchgeführt. Beim deskriptiven Vergleich dieser Summenscores erzielte die DIS-Gruppe einen Mittelwert von M = 44.86 (SD = 5.16) und die PTBS-Gruppe einen Mittelwert von M = 37.95 (SD = 6.08). Der anschließend durchgeführte t-Test für zwei unabhängige Stichproben, dessen Voraussetzungen auch hier erfüllt waren, wurde auf einem Signifikanzniveau vonp < .05 ebenfalls hochsignifikant (t(39) = 3.928;p < .001). Somit zeigt sich, dass die traumaassoziierte Symptomatik auch auf die Symptomcluster Intrusionen, Vermeidung und Hyperarousal bezogen in der Gruppe der DIS-Patienten signifikant stärker ausgeprägt ist als in der Gruppe der PTBS-Patienten. Veranschaulicht sind diese Ergebnisse unter Abbildung 2. Man sieht die stärkere Symptomausprägung in der Gruppe der DIS­Patienten, wobei in dieser Gruppe drei Ausreißer nach unten sowie unter Ausschluss der Items für dissoziative Symptome zusätzlich ein Ausreißer nach oben zu erkennen sind. Dieser Abbildung kann man auch entnehmen, dass alle Patienten beim Summenscore unter Ausklammerung der Items für dissoziative Symptome den Cut-Off Wert von 27 überschritten und das Vorliegen eine PTBS in allen Fällen anzunehmen ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Stärke der Traumasymptomatik; links in der Gruppe der DIS-Patienten, rechts in der Gruppe der PTBS- Patienten. In blau jeweils alle Items mit einbezogen, in grün unter Ausklammerung der Items für dissoziative Symptome.

3.3 Ausprägung der allgemeinen und somatoformen Dissoziation

In Hypothese 3a wurde angenommen, dass sowohl die allgemeinen dissoziativen Symptome als auch die somatoforme Dissoziation in der Gruppe der DIS-Patienten signifikant stärker als in der Gruppe der PTBS-Patienten ausgeprägt ist. Für die Bewertung allgemeiner Dissoziationserfahrungen wurde die durchschnittliche Prozentangabe der Dissociative Experience Scale II verwendet. Im deskriptiven Vergleich zeigte sich ein Mittelwert in der DIS-Gruppe von M = 62.52% (SD = 16.22%) und in der PTBS-Gruppe von M = 21.69% (SD = 8.99%). Da der Levene-Test signifikant wurde und somit keine Varianzgleichheit angenommen werden konnte, wurde der Mann-Whitney-U-Test als nichtparametrischer Test für die Prüfung auf Signifikanz verwendet. Auf einem Signifikanzniveau von p < .05 wird dieser hochsignifikant (U = 11.00; p < .001). Die DIS-Gruppe zeigt demzufolge wie in Hypothese 3a erwartet stärkere allgemeine dissoziative Symptome. Bei der Ausprägung der somatoformen Dissoziation, die über den Summenscore der Shutdown Dissoziationsskala bewertet werden konnte, waren die Bedingungen für einen t - Test für zwei unabhängige Stichproben erfüllt. Dieser wurde ebenfalls mit einem p-Wert von p < .001 hochsignifikant (t(39) = 8.743). Der Mittelwert der DIS-Gruppe liegt mit M = 25.24 (SD = 5.41) über dem Mittelwert der PTBS-Gruppe (M = 12.90; SD = 3.32), sodass auch in diesem Fall die Annahmen der zuvor aufgestellten Hypothese als erfüllt betrachtet werden können.

3.4 Korrelation der Schwere der Traumasymptomatik mit der Ausprägung der Dissoziation

Um den Zusammenhang zwischen der Schwere der Traumasymptomatik und der Ausprägung der Dissoziation zu untersuchen, wurde der Korrelationskoeffizient nach Pearson berechnet. Hierfür wurden die Summenscores des Essener Traumainventars verwendet und die Korrelation einerseits mit den Ergebnissen der Shutdown Dissoziationsskala und andererseits mit denen der Dissociative Experience Scale berechnet. Da auch das Essener Traumainventar Items zur Erfassung der Dissoziation enthält, war eine positive Korrelation zu erwarten. Um sicherzugehen, dass diese nicht lediglich durch die Angaben für dissoziative Symptome in beiden Fragebögen zustande kommt, wurde der Korrelationskoeffizient in einem weiteren Schritt unter Ausklammerung der Items für Dissoziation im Essener Traumainventar berechnet.

Tabelle 1: Korrelationen der Schwere der Traumasymptomatik im Essener Traumainventar mit der Ausprägung allgemeiner dissoziativer Symptomatik in der Dissociative Experience Scale (hier: DES) sowie der Ausprägung der somtaformen Dissoziation in der Shutdown Dissoziationskala (hier: Shut)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie Tabelle 1 zeigt, liegt sowohl eine hohe positive Korrelation für die Schwere der Traumasymptomatik und der Ausprägung der allgemeinen dissoziativen Symptomatik (r = .794; p < .001) als auch für die Schwere der Traumasymptomatik und der Ausprägung der somatoformen Dissoziation (r = .776; p < .001) vor. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 3 graphisch dargestellt.

Unter Ausschluss der Items für die dissoziative Symptomatik im Essener Traumainventar sinkt die Korrelation wie erwartet etwas ab, kann jedoch immer noch als hoch betrachtet werden. Für die Schwere der Traumasymptomatik ohne die Items für dissoziative Symptome und die Ausprägung der allgemeinen dissoziativen Symptomatik liegt die Korrelation bei r = .671 (p < .001) und für die Schwere der Traumasymptomatik ohne die Items für dissoziative Symptome und die Ausprägung der somatoformen Dissoziation bei r = .686 (p < .001). Das bedeutet, dass die Symptomcluster Intrusionen, Vermeidung und Hyperarousal hypothesenkonform in einem positiven Zusammenhang mit allgemeinen und somatoformen dissoziativen Symptomen stehen. Die graphische Darstellung ist Abbildung 4 zu entnehmen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Zusammenhang zwischen der Schwere der Traumasymptomatik und der Ausprägung der Dissoziation. In grün allgemeine Dissoziation, in blau somatoforme Dissoziation

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Zusammenhang zwischen der Schwere der Traumasymptomatik und der Ausprägung der Dissoziation unter Ausschluss der Items der Symptomkategorie Dissoziation im Essener Traumainventar. In grün allgemeine Dissoziation, in blau somatoforme Dissoziation

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Résumé des informations

Titre
Die Relevanz von Traumata in der Ätiologie der Dissoziativen Identitätsstörung. Studie zur Unterstützung der traumabedingten Sichtweise
Université
University of Ulm
Note
1,3
Auteur
Année
2014
Pages
62
N° de catalogue
V419789
ISBN (ebook)
9783668701656
ISBN (Livre)
9783668701663
Taille d'un fichier
2542 KB
Langue
allemand
Mots clés
Trauma, Dissoziation, Dissoziative Identitätsstörung, DIS, Multiple Persönlichkeit, PTBS, Posttraumatische Belastungsstörung, Folter
Citation du texte
Katrin Gehlhaar (Auteur), 2014, Die Relevanz von Traumata in der Ätiologie der Dissoziativen Identitätsstörung. Studie zur Unterstützung der traumabedingten Sichtweise, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/419789

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