Die Rolle der Medien bei Radikalisierungsprozessen


Bachelor Thesis, 2017

55 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

1. Theoretische Grundlagen
1.1 Radikalismus und Extremismus
1.1.1 Linksextremismus
1.1.2 Rechtsextremismus
1.1.3 Salafismus
1.2 Der Radikalisierungsprozess
1.2.1 The Staircase to Terrorism
1.2.2 Die Wurzeln des gewaltbereiten Extremismus
1.2.3 Theorie der Sozialen Identitäten
1.3 Der Medienbegriff
1.3.1 Medien zur öffentlichen Kommunikation
1.3.2 Medien zur interpersonellen Kommunikation

2. Die Rolle der Medien an Radikalisierungsprozessen: Eine qualitative Inhaltsanalyse
2.1 Methodik
2.1.1 Auswahl der Literatur
2.1.2 Betrachteter Medienbegriff
2.1.3 Betrachtetes Radikalisierungsmodell
2.1.4 Vorgehen und Analyseraster
2.2 Erhebung
2.2.1 Ergebnisse der Inhaltsanalyse „Ich war ein Salafist“
2.2.2 Ergebnisse der Inhaltsanalyse „Der Dschihadist“
2.2.3 Ergebnisse der Inhaltsanalyse „Koran im Kopf 2“
2.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede

3. Zusammenfassung und Ausblick

4. Anhang
4.1 Erhebungsprotokoll der qualitativen Inhaltsanalyse von „Ich war ein Salafist“
4.2 Erhebungsprotokoll der qualitativen Inhaltsanalyse von „Der Dschihadist“
4.3 Erhebungsprotokoll der qualitativen Inhaltsanalyse von „Koran im Kopf 2“

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

Die Anzahl an terroristisch motivierten Gewalttaten in Europa ist in den letzten Jahren immens gestiegen. Allein im Jahr 2017 kam es innerhalb der ersten sechs Monate zu acht terroristischen Anschlägen in europäischen Metropolen. Bei den Tätern handelte es sich dabei meist um Personen, die selbst in Europa aufgewachsen sind und ihre radikalen Ansichten vor Ort ausprägten.[1] Diese Entwicklung ist hierbei aus zweierlei Gründen problematisch. Zum einen haben jene gewaltbereiten Extremisten ihre radikale Denk- und Handlungsweise in einer Gesellschaft ausgeprägt, die weltoffener und aufgeklärter ist, als je eine Zivilisation zuvor. Zum anderen leben sie in einem vollständig mediatisierten Zeitalter, welches einen nahezu unbegrenzten Zugang zu Informationen und Bildung ermöglicht.

Der gesellschaftliche Stand der Aufklärung, zusammen mit der endlosen Verfügbarkeit von Wissen, wirft die Frage nach dem „warum“ auf. Besteht eventuell sogar ein Zusammenhang zwischen der Radikalisierung und dem Zugang zu Informationen? Eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage zu finden ist jedoch schwierig. Der Grund hierfür ist, dass Radikalisierungsprozesse oft sehr komplex und vor allem anonym verlaufen, wodurch sich eine empirische Überprüfbarkeit als schwierig und aufwendig erweist.

Um die Wechselwirkung zwischen einer sich radikalisierenden Person und ihrem Mediennutzungsverhalten in Gänze beschreiben zu können, müsste diese während des gesamten Prozesses begleitet werden. Da ein solches Vorgehen in der Realität nicht umsetzbar ist, könnte stattdessen auch auf ein persönliches Manuskript zurückgegriffen werden, wie beispielsweise eine Biografie. Daher wurde dieser wissenschaftlichen Arbeit, für den Erhalt des akademischen Titels Bachelor of Arts, folgende Forschungsfrage zugrunde gelegt:

„Welche Schlüsse lassen sich aus drei Biografien bezüglich der Mediennutzung in den verschiedenen Phasen des Radikalisierungs- beziehungsweise des Ausstiegsprozesses ziehen? „

Im gesellschaftlichen Kontext werden Begriffe wie Radikalisierung, Radikalismus, Extremismus und Terrorismus stets miteinander in Verbindung gebracht, wenn nicht sogar als Synonym füreinander verwendet. Dabei ist eine genaue Festlegung jener Begrifflichkeiten für die wissenschaftliche Betrachtungsweise unersetzlich.[2]

Daher soll nachfolgend in drei Schritten vorgegangen werden. Zu Beginn werden innerhalb der vorliegenden Arbeit die Begriffe Radikalismus, sowie Extremismus voneinander abgegrenzt und gleichermaßen drei unterschiedliche extremistische Milieus aufgezeigt. Anschließend wird auf den Radikalisierungsprozess an sich, sowie auf die drei gängigsten Theorien der Radikalismusforschung verwiesen. Welche Rolle Medien in der öffentlichen bzw. interpersonellen Kommunikation spielen, wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels verdeutlicht. Im zweiten Kapitel dieser Arbeit wird eine qualitative Inhaltsanalyse an drei Biografien von ehemaligen Salafisten durchgeführt, um herauszufinden, inwieweit ein Radikalisierungsprozess das Mediennutzungsverhalten beeinflussen kann. Den Abschluss bildet das dritte Kapitel, in dem die gewonnenen Erkenntnisse zunächst zusammengefasst und anschließend interpretiert werden.

1. Theoretische Grundlagen

In folgendem Kapitel werden zunächst die Begriffe Radikalismus und Extremismus voneinander abgegrenzt, sowie drei unterschiedliche extremistische Milieus beschrieben. Anschließend wird der Radikalisierungsprozess an sich, unter Zuhilfenahme der drei gängigsten Theorien aus diesem Forschungsfeld verdeutlicht. Im letzten Punkt dieses Kapitels wird zudem auf den in dieser Arbeit betrachteten Medienbegriff verwiesen.

1.1 Radikalismus und Extremismus

Sowohl der Radikalismus als auch der Extremismus beschreiben eine bestimmte Art des Handelns, dies unterstellt zumindest das Suffix am Ende der beiden Wörter. Es gestaltet sich jedoch als schwierig anhand von wissenschaftlicher Literatur eine klare Definition für diese beiden Begriffe herauszuarbeiten. Der Grund hierfür ist, dass die Worte „radikal“ und „extrem“ als Bezeichnung für Wertevorstellungen, Ziele oder Ideen keine universellen Gültigkeiten aufweisen. Beispielsweise könnte ein Verhalten, welches heute als normales Handeln betrachtet wird, in der Vergangenheit durchaus als extremistisch wahrgenommen worden sein. Ebenso kann behauptet werden, dass die Rechtsprechung der Scharia auf einen Mitteleuropäer eher radikal wirkt, wohingegen sie für einen Bürger der Vereinigten Arabischen Emirate zum täglichen Leben gehört.[3] Das Bundesamt für Verfassungsschutz beschreibt den Unterschied zwischen Radikalismus und Extremismus wie folgt:

„Bei „Radikalismus“ handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denk- und Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits „von der Wurzel (lat. radix) her“ anpacken will. Im Unterschied zum „Extremismus“ sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden.“ [4]

Demzufolge resultiert der Unterschied zwischen Radikal- und Extremismus aus einem Konflikt, mit der in einer Nation geltenden Verfassung. Laut dieser Definition würde ein Mensch, welcher in Deutschland lebt, antikapitalistische Vorstellungen aufweist und diese auch einführen beziehungsweise ausleben möchte, als Radikalist gelten, da seine Einstellung nicht mit derer hier lebender Menschen korreliert. Jenes würde er aber auch nur so lange, bis sein Handeln gegen die Grundprinzipien des in Deutschland geltenden Grundgesetzes verstößt. Ab diesem Zeitpunkt würde er dann als Extremist gelten.[5] Daraus würde folgen, dass es sich bei einem Extremisten um eine militante Form eines Radikalisten handelt. Es ist jedoch wissenschaftlich schwer, den Radikalismus, im Gegensatz zum Extremismus, als das Ergebnis eines Prozesses zu betrachten, sowie es sich aus dem zuvor aufgeführten Zitat ableiten lässt. Ein Mensch wird schließlich nicht mit radikalen Ansichten geboren, sondern prägt diese im Laufe seines Lebens aus.[6]

Vielmehr handelt es sich beim Radikalismus um den Prozess, welcher im voranschreitenden Stadium in verschiedene Formen des Extremismus münden kann.[7] Auf den Prozess der Radikalisierung wird im nachfolgenden Abschnitt „1.2 Radikalisierungsprozess“ eingegangen. Da der Extremismus das Ergebnis eines Prozesses darstellt, ist es wichtig herauszufinden was genau unter Extremismus zu verstehen ist. Aus dem zu Beginn aufgeführten Auszug aus dem Glossar der deutschen Verfassungsschutzbehörden lässt sich ableiten, dass ein Extremist seine Weltanschauung unter Zuhilfenahme von Mitteln entgegen der vor Ort herrschenden Verfassungsbestimmungen durchsetzen will. Jedoch weist der britische Philosoph Roger Scruton in seiner Definition darauf hin, dass auch ein Staat extremistisch handeln kann, indem er durch staatliche Erlasse die Freiheit, das Leben oder die Rechte anderer missachtet.[8]

Derzeit wird in der Wissenschaft zwischen kognitivem und gewaltbereitem Extremismus unterschieden. Darunter zählt die Differenzierung zwischen Extremisten, welche zu Gewalttaten bereit sind und Menschen, die den gesellschaftlichen Konventionen und/oder den rechtlichen Gegebenheiten drastisch wiedersprechen. Ob es eine Transformation oder Eskalation von kognitivem zu gewaltbereitem Extremismus gibt, ist derzeit umstritten. Denn soweit es die politische Linke betrifft, ist der kognitive Extremismus eine notwendige Voraussetzung um eine moderne Demokratie zu ermöglichen. So war beispielsweise ein Mensch der die Abschaffung der Sklaverei vor etwa 100 Jahren befürwortete für die damaligen Verhältnisse ein Extremist, wohingegen diese Denkweise heute als gegeben betrachtet wird. Dennoch ist es logisch, dass ein Mensch mit einer gewaltbereiten extremistischen Ausprägung nicht ohne Motivation handelt. Demzufolge ist er ebenfalls ein kognitiver Extremist.

Der gewaltbereite Extremismus kann in drei verschiedenen Ausprägungen auftreten. Die erste Kategorie wäre die strukturelle Gewalt. Diese äußert sich vor allem durch Gewaltanwendung gegen Infrastruktur sowie Sachbeschädigungen. Die zweite Ausprägung ist die Straßengewalt. Diese trifft ein, wenn zwei gewaltbereite, extremistische Gruppierungen aufeinandertreffen und dies zu Ausschreitungen zwischen ihnen führt. Der dritte Typus ist die terroristisch motivierte Gewalt. Diese wird von einer extremistischen Gruppierung gezielt geplant, durchgeführt und dient einem „höheren“ Ziel. Die Opfer dieser Anschläge sind häufig Zivilisten.[9] Im folgenden Abschnitt werden drei extremistische Milieus beschrieben und voneinander abgegrenzt.

1.1.1 Linksextremismus

Linksextremistische Milieus sind politisch motiviert und haben als Ziel die demokratische Staats- und Gesellschaftsordnung zu beseitigen. An dessen Stelle soll anschließend ein kommunistisches oder anarchisches System treten. Die in diesen Kreisen ausgeübte Gewalt tritt sowohl im Bereich der strukturellen als auch in der Straßengewalt auf, beispielsweise, wenn bei Demonstrationen Gewalt gegen eine verfeindete Gruppierung oder gegen Staats- beziehungsweise Privateigentum ausgeübt wird. Diese Übergriffe werden gruppenintern als „revolutionäre Gewalt“ gerechtfertigt und haben „die Unterdrücker“ oder „die Herrschenden“ als Ziel.[10]

Auch die terroristisch motivierte Gewalt lässt sich im linksextremen Spektrum finden. In den 28 Jahren ihres bewaffneten Kampfes wurden der Roten-Armee-Fraktion (RAF) zahlreiche Anschläge und 34 Morde zugeschrieben. Die Ziele der RAF waren unter anderem die lückenlose Aufklärung aller Kriegsverbrechen im „Dritten Reich“ und ein sofortiges Ende des Vietnamkrieges.[11] Heutzutage ist die Antifaschistische Aktion (Antifa) der wohl bekannteste Ausleger des linksextremen Spektrums. Sie umfasst etwa 6000 Mitglieder, von denen aber nur ein kleiner Teil dem gewaltbereiten Extremismus zuzuordnen ist. Die Antifa beruft sich auf kommunistische Faschismusanalysen, wonach zwischen Kapitalismus und Faschismus eine enge Beziehung bestehen soll. Zudem bietet die Antifaschistische Aktion eine Möglichkeit sich „gegen rechts“ zu positionieren, wodurch sie auch Mitglieder anspricht, welche nicht primär gegen ein kapitalistisches System vorgehen wollen.[12]

1.1.2 Rechtsextremismus

Ähnlich wie beim Linksextremismus ist auch der Rechtsextremismus politisch motiviert und weist gleichermaßen alle Ausprägungen auf. Der Begriff Rechtsextremismus wurde erstmals 1974 in einem Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz verwendet. Aus dem Dokument geht hervor, dass Bestrebungen als rechtsextrem gelten, wenn sie sich gegen die demokratische Grundordnung wenden und dabei die Nation, sowie die Abstammung als entscheidend für den Wert eines Menschen ansehen.[13] Für die rechtsextreme Ideologie und somit auch für die rechtsextreme Gewalt gibt es laut dem Soziologen Wilhelm Heitmeyer zwei notwendige Grundelemente: das Empfinden einer Ungerechtigkeit, welche sich auf Nationalismus, Rassismus und Darwinismus beruft, und die Gewaltakzeptanz als Mittel der Auseinandersetzung. Demnach sind die Angehörigen gewaltbereiter rechtsextremistischer Gruppierungen von ihrer eigenen Überlegenheit überzeugt und sehen es als ihr natürliches Recht an, dieses notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen.[14]

Das derzeit aktuellste Beispiel für terroristisch motivierten Extremismus im rechtsextremen Milieu sind die Morde des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU). Der NSU hat zwischen den Jahren 2000 und 2007 zehn Mordanschläge sowie zahlreiche Bombenattentate und Raubüberfälle verübt. Zu Beginn der Ermittlungen wurden den Angehörigen der NSU eine Verbindung zur organisierten Kriminalität vorgeworfen, was sich im weiteren Verlauf jedoch als ein Fehlschluss herausstellte.[15] Aus dem Bericht des NSU Untersuchungsausschusses 2013 geht hervor, dass nur eine rassistische Tätermotivation auf alle Opfer zutraf.[16] Diese Tatsache hätten die Behörden Medienberichten zufolge frühzeitig erkennen können, wodurch die Ermittlungen rund um den Nationalsozialistischen Untergrund öffentlich als ein Versagen der Behörden kommuniziert wird.[17]

1.1.3 Salafismus

Unter Salafismus wird eine bestimmte Art der Auslebung des muslimischen Glaubens verstanden. Der Begriff Salafist“ bezieht sich dabei auf den arabischen Ausdruck „as-Salaf as-Sahli“, was so viel bedeutet wie „die frommen Altvordernden“. Gemeint waren damit ursprünglich die drei Generationen von Muslimen nach dem prophetischen Wirken des Mohammed, ab dem Jahr 610 n.Chr.. Heute zeichnen sich Salafisten durch ein möglichst strenges Leben nach den Vorgaben des Koran aus. Teilweise versucht diese Glaubensgemeinschaft, auch „Umma“ genannt, den Lebensstandard der damaligen Zeit in unsere moderne Gesellschaft künstlich zu übertragen. Dabei verzichten die Angehörigen beispielsweise auf westliche Kleidung, Musik und Festlichkeiten.

Der Gedanke an die Einführung der „Sharia“, also der am Koran orientieren Rechtsprechung, wird von den meisten Salafisten zwar unterstützt, aber dennoch nicht von jedem Angehörigen der Glaubensgemeinschaft zwingend eingefordert.[18] Zuletzt rückte die Salafistenszene in Deutschland aufgrund ihrer provokanten Missionierungsmaßnahmen ins Licht der Öffentlichkeit. Eine dieser Maßnahmen war die Koranverteilungsaktionen „Lies!“ des Netzwerks „Die wahre Religion“ (DWR) im Jahr 2011. Diese Werbekampagne der salafistischen Glaubensgemeinschaft war eine Idee der in der Szene bekannten Prediger Pierre Vogel und Ibrahim Abou-Nagie. Deren Ziel war es, die deutsche Salafistenszene massiv zu vergrößern.[19] Der Grund für solch eine offensive Missionierungsmaßnahme ist, dass die Salafisten an eine Art Lebenspunktekonto glauben. Sie gehen davon aus, dass alle guten Taten des von Ihnen überzeugten Konvertiten auf ihr Lebenskonto gutschrieben werden, wofür sie später im Jenseits Belohnungen erhalten. Diese Denkweise erinnert an ein Schneeballsystem, wie es auch im Direktvertrieb verwendet wird.[20]

Das Thema Missionierung spielt in salafistischen Kreisen eine bedeutende Rolle, jedoch gibt es in dieser Szene erhebliche Unterschiede, wenn es um die Rechtfertigung der Mittel für diese Maßnahmen geht. Der Politikwissenschaftler Quintan Wiktorowicz teilt den Salafismus in drei Kategorien ein. Diese stehen nicht getrennt voneinander, sondern können sich gegenseitig bedingen oder überschneiden. Bei der ersten Kategorie handelt es sich um die puristischen Salafisten. Diese friedliche Auslebung des Salafismus strebt nach Reinheit und versucht Andersgläubige durch gewaltfreie Missionierungsmaßnahmen zu konvertieren. In Bezug auf das vorherige Kapitel handelt es sich hierbei um eine Art des kognitiven Extremismus, wie es ihn ähnlich auch bei den Zeugen Jehovas im Christentum gibt. Bei der zweiten Art der Auslebung handelt es sich um die politischen oder juristischen Salafisten. Die Vertreter dieser Ansicht sehen die Glaubensansätze des Salafismus als Grundlage für politisches und rechtliches Handeln. Dies leben sie nicht nur in Teilen aus, sondern fordern es auch ein. Die dritte Ausprägung des Salafismus ist die dschihadistische Weltanschauung. Vertreter dieser Auslebung sehen sich in der Pflicht das salafistische Gedankengut durch Gewalt und Revolution in die Welt hinauszutragen, unter anderem durch Anschläge und Attentate.[21] Unter Islamwissenschaftlern wird der Salafismus als eine Unterkategorie des Islamismus angesehen. Der Islamwissenschaftler Tilman Seidensticker hat den Islamismus folgendermaßen definiert:

„Beim Islamismus handelt es sich um Bestrebungen zur Umgestaltung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anhand von Werten und Normen, die als islamisch angesehen werden.“[22]

Die oben genannte Definition trifft auf alle drei der von Wiktorowicz angesprochenen Ausprägungen des salafistischen Glaubens zu, da sie die Schriften des Koran als Grundlage für Glauben, Politik und Rechtsprechung anerkennen und auch befürworten. Demnach unterscheidet sich der Salafismus im Vergleich zu Links-, beziehungsweise Rechtsextremismus dadurch, dass er zusätzlich zu der politischen Motivation eine dominierende religiöse Komponente aufweist.

1.2 Der Radikalisierungsprozess

Wie im vorherigen Absatz bereits beschrieben handelt es sich bei der Radikalisierung um einen Prozess, dessen Ergebnis in verschiedene Formen des Extremismus münden kann. Die Radikalisierungsforschung ist ein Forschungsfeld, dass sich bis zum Jahr 2001 mit Terrorismus, Extremismus und politischer Gewalt beschäftigt hat. Nach den Anschlägen des 11. Septembers, sowie zahlreicher Attentate in London und Madrid, fokussierte sich das Forschungsfeld immer mehr auf die Phasen, die ein Terrorist vor seinem Anschlag durchläuft. Das Ziel dieser Forschungsarbeit ist es, vorbeugende Maßnahmen in Form von „präventiven Ansätzen“ entwickeln zu können. Um eine solche Form der Intervention zu ermöglichen greift das Forschungsfeld der Radikalisierung sowohl auf Theorien der Sozialforschung, als auch auf die bereits bekannte Terrorismusforschung zurück.[23]

Zentrale Bestandteile der Forschung rund um Radikalisierungsprozesse sind die Früherkennung von gefährdeten Individuen, der Prozess an sich, sowie Ansatzpunkte für Interventionsmaßnahmen. Die größte Herausforderung dieses Forschungsfeldes stellt dabei der Radikalisierungsprozess an sich dar. Jener gestaltet sich als hochkomplex, da er sich von Person zu Person unterscheidet. Radikalisierungsprozesse bestehen nicht, wie oftmals angenommen, aus der Selbstradikalisierung von Einzelpersonen, sondern vielmehr aus einem Prozess, den ein Mensch durch die Interaktion mit einer Gruppe oder der Gesellschaft durchläuft. Diese Prozesse ergeben sich somit aus der Wechselwirkung einer Person mit ihrem sozialen Umfeld.[24]

Um herauszufinden welcher Menschentyp besonders empfänglich für einen Radikalisierungsprozess ist wurden in den letzten Jahren zahlreiche Studien durchgeführt. Die Friedrich-Ebert-Stiftung untersuchte 2006 die sozialen Hintergründe von Rechtsextremen. Hierfür wurde eine Personengruppe von etwa 5000 Menschen verschiedenen Alters und mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen sowohl schriftlich als auch durch Interviews befragt. Das Ergebnis war, dass rechtsextreme Einstellungen in Deutschland durch alle gesellschaftlichen Gruppen sowie über alle Bundesländern hinweg gleichmäßig verteilt sind. Dabei fiel jedoch auf, dass Menschen mit rechtsextremen Einstellungen öfter von Ablehnung und Bestrafung durch ihren Vater berichteten. Aus der Studie geht auch hervor, das rechtsextreme Personen ein dominanteres Verhalten aufweisen, gleichzeitig jedoch verschlossener, misstrauischer, ängstlicher und depressiver waren als der Rest der Interviewten. Zudem soll das Einkommen oder die Arbeitslosigkeit keine eindeutigen Auswirkungen auf die rechtsextreme Einstellung haben, da die Gruppe der Betroffenen sowohl aus Erwerbstätigen als auch aus Menschen ohne einen festen Arbeitsplatz bestand. Aus dieser Studie lässt sich somit ableiten, dass eine rechtsextreme Einstellung eng mit den familiären Verhältnissen der betroffenen Person einhergeht. Dennoch kann nicht behauptet werden, dass nur Menschen mit familiären Problemen einen Radikalisierungsprozess in der rechten Szene durchlaufen.[25]

Eine andere Studie wurde vom dänischen Justizministerium durchgeführt. Diese untersuchte die sozialen Hintergründe von islamistisch motivierten Terroristen, welche sich in europäischen Ländern radikalisiert haben. Hierfür wurden die einzelnen Biographien und sozialen Hintergründe von Terroristen durchleuchtet, welche bereits einen Anschlag verübt haben oder deren Anschläge verhindert werden konnten. Aus den Ergebnissen dieser Studie geht hervor, dass es sich bei den Extremisten sowohl um Studenten, als auch um Menschen ohne Schulabschluss handelte. Zudem bestand die Gruppe der Terroristen aus Einzeltätern und Banden, sowie aus Junggesellen und Familienvätern. Auch das Verhältnis von Konvertiten gegenüber gebürtigen Muslimen war annährend ausgeglichen. Die einzigen Verbindungen, die es zwischen den Extremisten gab, waren ihr muslimischer Glaube, die Tatsache, dass sie alle männlich waren und dass alle in Großstädten oder zumindest in deren Nähe lebten. Das dänische Justizministerium folgerte daraus, dass es keinen bestimmten Menschenschlag gibt, der sich als besonders empfänglich für das islamistisch radikale Milieu darstellt. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein Ineinandergreifen von zahlreichen Einzelfaktoren, welche zu einem Radikalisierungsprozess führten.[26]

Um den Radikalisierungsprozess zu erklären, verweisen die Studien auf verschiedenste Modelle. Der Grund hierfür ist, dass sich der Prozess zwischen den einzelnen Individuen und den verschiedenen extremistischen Milieus sehr stark unterscheidet. Die drei meistgenutzten Modelle werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels vorgestellt und voneinander abgegrenzt.

1.2.1 The Staircase to Terrorism

Diese Theorie wurde von dem Psychologen Fathali M. Moghaddam entwickelt. Er ist Professor an der Universität Georgetown in Washington und erforscht unter anderem die Entstehung von Terrorismus unter sozialpsychologischen Gesichtspunkten.[27] In der Theorie „The Staircase to Terrorism“ wird der Radikalisierungsprozess als seine Art Treppenhaus dargestellt, welches bis zu fünf Stockwerke nach oben führt. Die Stockwerke symbolisieren hierbei die einzelnen Eskalationsstufen des Radikalisierungsprozesses, dessen höchste Stufe einen terroristischen Akt darstellt. Die einzelnen Stufen sind hierbei jedoch nicht das einzige Kernelement dieser Theorie. Im Wesentlichen entscheidet die Selbstwahrnehmung der Individuen, in Bezug auf deren wahrgenommenen Entscheidungsmöglichkeiten, ob und wie sie die nächste Stufe des Radikalisierungsprozesses erreichen.[28]

Der „ Ground Floor“ stellt hierbei die Ausgangssituation für die zunehmende Radikalisierung einer Person dar. Auf der untersten Stufe dieses Modells befinden sich Menschen, welche mit einer Situation oder mit einem bestimmten Zustand unzufrieden sind. Die eigene Lebenssituation spielt hierbei jedoch eher eine untergeordnete Rolle. Es geht vielmehr darum, was von der betroffenen Person als gerecht und was als ungerecht wahrgenommen wird. Etwa muss ein Mensch, welcher in ärmlichen Verhältnissen lebt, sein Leben nicht als ungerecht wahrnehmen, wohingegen jemand, der sich in wohlhabenderen Kreisen bewegt, das System der Vetternwirtschaft als ungerecht deklarieren könnte und sich dadurch zunehmend radikalisiert. Ebenso kann es vorkommen, dass die sich radikalisierende Person gar nicht unmittelbar von den als ungerecht angesehenen Verhältnissen betroffen ist. Es reicht beispielswese auch, wenn ein Mensch durch die Medien von einem Missstand in einem anderen Land informiert wird, diesen Zustand als ungerecht wahrnimmt und dagegen vorgehen möchte.[29]

Sobald das Individuum die Möglichkeiten des eigenen Handelns abwägt, um gegen diesen Zustand der Unzufriedenheit vorzugehen, befindet es sich auf dem „First Floor“. Die hier getroffenen Entscheidungen werden maßgeblich durch zwei psychologischen Faktoren beeinflusst. Zum einen die von dem Individuum wahrgenommenen Möglichkeiten zur persönlichen Mobilität und zum anderen die wahrgenommenen Rahmenbedingungen. Die betroffene Person muss also einen Kompromiss zwischen den Möglichkeiten, welche ihre Situation verbessern würde und den dafür benötigten Aufwand finden. Gelingt ihr dieser Prozess nicht, so baut sich die Unzufriedenheit nicht ab und kann im weiteren Verlauf dazu führen, dass die Schuld für die aktuelle Situation bei jemand anderem gesucht wird.[30]

Sobald dieser Zustand eintrifft befindet sich das Individuum bereits auf dem „Second Floor“. Diese Eskalationsstufe beschreibt die Verschiebung der Aggressionen von dem ungerechten Zustand hin zu dem vermeintlichen Verursacher.[31]

Wenn hierbei die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt sinkt und die betroffene Person Gewalttaten billigt, wenn nicht gar selbst plant, steigt das Individuum im Radikalisierungsprozess auf den „Third Floor“ auf. In dieser Phase entwickelt die Person eine moralische Verpflichtung gegenüber der Bekämpfung des ungerechten Zustandes. Typisch für diese Stufe der Radikalisierung ist auch, dass sich die betroffenen Einzelpersonen nun in Gruppen zusammenfinden. Dadurch entsteht ein Gruppengefühl, woraus ein „Wir- und Ihr-Denken“ resultiert. Bei dieser Art der Wahrnehmung entsteht für die Individuen eine Parallelwelt, in der sie gemeinsam mit Gleichgesinnten leben und welche im weiteren Verlauf der Radikalisierung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Durch dieses neu gewonnene Netzwerk wird das Handeln der Einzelpersonen in zweierlei Hinsicht positiv bestätigt. Erstens haben die Betroffenen das Gefühl, durch die große Anzahl an Gleichgesinnten wirklich etwas bewegen zu können und zweitens gibt ihnen die neue Community den Eindruck verstanden zu werden. Je tiefer das Individuum nun in die Gemeinschaft eintaucht, desto stärker isoliert sie sich gegenüber der realen Welt und der Grad der Radikalisierung nimmt zu.[32]

Sobald hierbei ein extremistisches Niveau erreicht wurde und das Individuum sich einer terroristischen Vereinigung angenähert hat befindet es sich auf dem „Fourth Floor“. In diesem Stadium festigt die betroffene Person zum einen ihr „Wir- und Ihr-Denken“ sowie die selbstwahrgenommene Legitimität der terroristischen Organisation. Das Individuum ist nun ein Teil der terroristischen Gemeinschaft und gänzlich der hier verbreiteten Propaganda ausgesetzt. Die neuen Rekruten bekommen kleinere Aufträge und sehen in allen Außenstehenden nur noch das Feindbild. Hat eine Person einmal die vierte Stufe erreicht und ist der terroristischen Vereinigung beigetreten hat sie nahezu keine Möglichkeit mehr diese lebend zu verlassen.[33]

[...]


[1] Vgl. SPIEGEL ONLINE (2017)

[2] Vgl. Koch Gertraud, Stumpf Teresa, Knipping-Sorokin Roman (2016, S.12)

[3] Vgl. Neumann Peter (2013, S.4)

[4] Bundesamt für Verfassungsschutz (2009, S.13)

[5] Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz (2009, S. 13)

[6] Vgl. Zick Andreas (2015, S.6f)

[7] Vgl. Neumann Peter (2013, S.4)

[8] Vgl. Scruton Roger (2007, S. 237)

[9] Vgl. Neumann Peter (2013, S.4f)

[10] Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz (2016, S.5)

[11] Vgl. Siemens Anne (2007, S.9-14)

[12] Vgl. Schumacher Nils (2015, S.11f)

[13] Vgl. Kiess Johannes, Decker Oliver, Brähler Elmar (2017, S.82f)

[14] Vgl. Heitmeyer (1992, S.206)

[15] Vgl. Eisenbichler Ernst (2013)

[16] Vgl. Deutscher Bundestag (2013 S.841f.)

[17] Vgl. Eisenbichler Ernst (2013)

[18] Vgl. Bauknecht Bernd (2015, S.4)

[19] Vgl. Logvinov Michail (2017, S.19f)

[20] Vgl. Schmitz Dominic (2016, S.30)

[21] Vgl. Wiktorowicz Quintan (2006, S.216-226)

[22] Seidensticker Tilman (2016, S.9)

[23] Vgl. Pisoiu Daniela (2013, S.1)

[24] Vgl. Koch Gertraud, Stumpf Teresa, Knipping-Sorokin Roman (2016, S.13-15)

[25] Vgl. Decker Oliver, Brähler Elmar, Geißler Norman (2006, S.157-161)

[26] Vgl. Precht Tomas (2007, S.38-42)

[27] Vgl. Grumke Thomas (2016)

[28] Vgl. Moghaddam Fathali M. (2005, S.161)

[29] Vgl. Moghaddam Fathali M. (2005, S.162f)

[30] Vgl. Moghaddam Fathali M. (2005 S.163f)

[31] Vgl. Moghaddam Fathali M. (2005 S.164)

[32] Vgl. Moghaddam Fathali M. (2005 S.165)

[33] Vgl. Moghaddam Fathali M. (2005, S.165)

Excerpt out of 55 pages

Details

Title
Die Rolle der Medien bei Radikalisierungsprozessen
College
University of the Federal Armed Forces München  (Journalismus)
Grade
1,7
Author
Year
2017
Pages
55
Catalog Number
V426933
ISBN (eBook)
9783668721753
ISBN (Book)
9783668721760
File size
691 KB
Language
German
Keywords
Radikalisierung, Radikalisierungsprozess, Soziale Identitäten, Salafismus, Extremismus, qualitative Inhaltsanalyse, Radikalismus, Staircase to Terrorism, Medien, Medienwirkung, selbstradikalisierung
Quote paper
Keven Hardy (Author), 2017, Die Rolle der Medien bei Radikalisierungsprozessen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/426933

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