Deutsche Geschichte für Claudia


Escrito Polémico, 2018

69 Páginas


Extracto


Inhalt

Vorwort

Erstes Kapitel

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation

Zweites Kapitel: Ritter und Junker

1356 – 1701: Das Kurfürstentum Brandenburg

1701 – 1871: Das Königreich Preußen

1871 – 1918: Das Deutsche Kaiserreich

Drittes Kapitel: Die Träume der Menschen

1918 – 1933: Der Traum des Michael Kohlhaas

1933 – 1945: Der Traum wird zum Albtraum

1945 – 1989: Der Traum vom Aufbau einer neuen Welt

1989 – 2018: Erneute Enttäuschung

Vorwort

„Fürs Gewesene gibt der Jude nichts“, sagte Oma. Später lernte ich, dass deutsche Geschichte etwas immer Gegenwärtiges ist.

Wer über deutsche Geschichte schreibt, muss sich mit den schwersten Fragen auseinandersetzen: Wie war Auschwitz möglich? Und, mit einem sehr, sehr großen Abstand: Wie kam es zum Bau der Mauer, zur Stasi?

Als Du mich im Zeughaus gebeten hast, Dir eine Deutsche Geschichte zu schreiben, standen wir zwischen alten Rüstungen und Herrscherporträts. Du hast vielleicht an ganz andere Dinge gedacht. Aber diese beiden Fragen haben mich seit meiner Kindheit beschäftigt. Und die Frage, ob die DDR oder die BRD „besser“ ist. In diese Frage wurde ich hineingeworfen: Mein Opa hasste die DDR. Wir durften nicht einmal das Ost­fernsehen einschalten, wenn dort ein alter Rühmann-­Film kam. Meine Mutter hasste arrogante Wessis. Mit jeden West­paket mehr. (Damals sagte man noch nicht Wessis.) Ich liebte die DDR. Ich musste sie unbedingt verteidigen. Ich verteidigte sie vor ihren Hassern. Und ich klagte sie zugleich mit den dabei aufgeschnappten Sachen vor meinen Lehrern, an – um von ihnen widerlegt zu werden! Und so flog ich von der Uni (mir wurde aufgrund meiner zweifelhaften Haltung eine Nach­prüfung ver­weigert), während die Opportunisten und Heuchler ihr Studium abschließen durften.

In ruhigeren Momenten sagte mein Opa, die Kommunisten wollen einen neuen Menschen schaffen, aber man muss den Menschen nehmen, wie er ist. Und jeder denkt nun mal zuerst an sich. Mit meiner heutigen Lebenserfahrung würde ich ihm widersprechen… Jeder Mensch möchte in seinen Kindern und seinen Werken fortleben, geachtet von seinen Mitmenschen, und kein Geld der Welt kann ihm diese Befriedigung erkaufen.

Ich liebte an der DDR das bisschen Utopie, den Rest an Traum, den sie noch in sich trug. Das Utopische, der Traum, das fehlt mir heute. Aber müssten wir nicht glücklich sein, in Frieden und Wohlstand zu leben? Was fehlt uns? Einsamkeit und Sinnverlust sind genauso soziale Probleme wie irgendeine andere Form von Not.

Das ist die größte Frage, die uns die Geschichte stellt: Wie sollen wir leben?

Meine Hauptquellen sind Romane und Dramen, Tagebücher und Briefe aus der jeweiligen Zeit. Ich mißtraue Historikern und historischen Romanen. In meiner Jugend liebte ich Feuchtwanger, später fand ich, dass bei ihm immer derselbe Charakter in den unterschiedlichsten Kostümen auftaucht. Ich danke meinen alten Geschichtslehrer, Herrn Hinz, dass er mich auf Klemperers LTI hin­gewiesen hat.

Ich mißtraue auch der heutigen Sicht auf die Literatur vergangener Epochen. Heute gilt Fontane als der Größte, aber zu seiner Zeit las man Spielhagen und Gustav Freytag. Spiel­hagen hatte sich den alten liberalen Hass auf den Adel be­wahrt. Fontane liebte – gegen besseres Wissen – den preußischen Junker; – und passte damit in eine Zeit, als das Junkertum als Gegen­satz zu Bis­marck’schen Betrügereien, dem Schwindel der Gründerzeit und kapitalistischer Speku­lation(für viele jüdisch -kapitalistischer Spekulation) eine trügerische Renaissance feierte. Vom alten Stechlin führt eine Linie zu Hindenburg. – Kafka und Thomas Mann werden bis zum Erbrechen kommentiert, aber Fallada hat viel mehr von der Welt gesehen: Gefängnisse und ihre Insassen, Arbeitsämter und Arbeits­lose, Gutsbesitzer und Tage­löhner.Ich danke meiner Mutter, dass sie mich immer wieder, und lange vergebens, zum Fallada lesen animiert hat.

Berlin-Friedrichshagen, Dezember 2015 / Juni 2018

Hans Belde

Erstes Kapitel

Vor kurzen sahen wir die Verfilmung von Feuchtwangers Die Geschwister Opper­mann. Bertold Oppermann musste dort einen Vortrag über „Herrmann den Deutschen“, wie ihn der Nazi-Oberlehrer Vogelsang nennt, halten. Dort wurde ganz richtig gesagt, dass die einzigen Quellen, die wir über die Schlacht im Teutoburger Wald haben, römische Autoren sind.

Im Gallischen Krieg (50 v.u.Z.) sagen germanische Sugambrer den römischen Gesandten: „der Rhein sei die Grenze des römischen Volkes“. Auf diese Weise bemäntelte der Autor, Caesar, eine eigene Niederlage und ließ sich den Herr­schafts­­anspruch über die links­rheinischen Gebiete vom Feind bescheinigen! – Einhundertfünfzig Jahre später hatten die Germanen in einer propa­gan­distischen Schrift anderer Art ihren Auftritt: In seiner Germanica stellt Tacitus römischer Dekadenz die reinen Sitten der Germanen gegen­über. – Dazwischen die eigentliche Quelle über das Ereignis, das Vogelsang den Eintritt der Deutschen in die Weltgeschichte nannte. Velleius Paterculus war ein römischer Soldat, der kurz vor dem Jahr 30 ein Geschichtswerk in zwei Büchern schrieb. Bei Velleius findet sich die erste Erwähnung von Arminius den Cherusker, der im Jahre 9 die Römer unter Varus schlug. Aber sein bekanntester Satz: „Als armer Mann betrat er [Varus] das reiche Syrien, als reicher Mann verließ er das arme Syrien“ führt uns wieder weit weg von unserem Thema.

Gründliche Forscher wie Mommsen sehen die erste Erwähnung der Germanen in der Schlacht bei Noreia 113 v.u.Z. Aber was kennzeichnet die Kimbern, Teutonen und Ambronen als Germanen? Was unterscheidet germanische von gallischen Stämmen? (Gerade las ich, dass mach den Listen der Triumphe im Jahre 222 v.u.Z. Marcus Claudius Marcellus bei Clastidium über „de Galleis et Germaneis“ siegte.) Die Gallier wurden später stark romanisiert. Sie profitierten von der Pax Romana, in ihren blühenden Städten entstanden Theater, Arenen und Aquädukte. Ihre Sprachen wurden durch Latein verdrängt; aus Latein ging die französische Sprache hervor. An der Rheingrenze entstanden römische Stützpunkte, aus denen später deutsche Städte wurden. Der Bedeutendste war Colonia Claudia Ara Agrippinensium (die Römer kürzten es C.C.A.A. ab), das heutige Köln. Dahinter blieben die Germanen kriegerische Barbaren.– Das Römische Reich zerfiel in ein lateinisch sprechendes Westrom und ein griechisch sprechendes Oströmisches oder (nach dem alten Namen der Haupt­stadt Konstantinopel, dem heutigen Istanbul,) Byzantinisches Reich. Odoaker, ein weströmischer Offizier germanischer Herkunft, setzte 476 den letzten west­römischen Kaiser ab und nannte sich König von Italien.

Odoakers Nachfolger als König von Italien war der Ostgote Theoderich der Große, der Dietrich von Bern der deutschen Heldensage. (Theoderich soll in einen Akt der Blut­rache Odoaker persönlich getötet haben.) Bern ist Verona, Theoderichs Herr­schafts­sitz war jedoch Ravenna. Er war anfangs ein Vasall der Oströmischen Kaiser. Als Kind habe ich mit Begeisterung Felix Dahns 1876 erschienenen Roman Ein Kampf um Rom gelesen, in dem der Untergang des Ostgotenreiches unter Theoderichs Erben ge­schildert wird. Professor Dahn hat sich so genau wie möglich an Prokops (Prokopios von Caesarea) um 550 entstandene Historien gehalten.

Eine dauerhaftere Staatenbildung war das Fränkische Reich der Merowinger. Hier ist eine wichtige Quelle das Geschichtswerk des 594 verstorbenen Bischofs Gregor von Tours. Der fränkische König ClodwigI. schlug 486 bei Soissons die letzten gallo-römischen Heere, bei Tolbiac (Zülpich) 496 die Alemannen („das war die Schlacht, in der er zum Gott von Clotilde betete“, wie Ruskin in The Bible of Amiens schrieb, und das Christentum annahm,) und 507 bei Vouillé (in der Nähe von Poitiers) die West­goten. Er ließ das „Salische Recht“ aufschreiben (nach den salischen Franken) und machte Paris zu seinem Herrschafts­sitz. Die Merowinger hatten ein entwickeltes Herrschaftssystem mit Pfalz­grafen, die die Pfalzen, auf denen sie sich aufhielten, und Markgrafen, die Grenzgebiete ver­walteten. Nach und nach überließen sie immer mehr Macht ihren „Haus­meiern“, den obersten Ver­waltungs­beamten. Der Hausmeier Karl Martell besiegte 732 die Araber in der Schlacht bei Poitiers. (Hundert Jahre nach dem Tod des Propheten hatte der Islam bereits Ägypten, ganz Nordafrika und Spanien erobert!) Karls Sohn Pippin beseitigte die immer schatten­hafter gewordene Herrschaft der Merowinger und ließ sich vom Papst zum König der Franken salben. Sein Sohn war Karl der Große, der 773 die Alpen über­querte, das Reich der Langobarden (eines anderen germanischen Stammes – nach ihnen heißt die bevölkerungs­reichste norditalienische Region Lombardei –) in Nord­italien eroberte, brutale Vernichtungs­kriege gegen die immer noch heidnischen Sachsen führte und sich im Jahre 800 in Rom vom Papst zum Kaiser krönen ließ. Er starb 814 in Aachen. 843 wurde das Frankenreich unter seine Enkel Karl, Lothar und Ludwig geteilt. Das war nichts Besonderes, auch nach Pippins Tod war das Reich zunächst geteilt worden. Aber diesmal war die Teilung von Dauer, aus dem West­fränkischen Reich wurde Frankreich, Lothar ist der Namens­­geber von Lothringen und aus dem Ostfränkischen Reich wurde Deutschland.

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation

919 wurde der sächsische Herzog Heinrich der Vogler König des Ost­franken­reiches. Es gibt die hübsche Sage, dass er in Quedlinburg am Finkenherd von seiner Wahl zum deutschen König erfuhr. Tatsächlich feierten Heinrich und seine Nachfahren in Quedlinburg oft Ostern, in der Gruft der Stiftskirche sind Heinrich und seine Frau begraben. (1936 machten die Nazis anlässlich seines tausendsten Todes­tages aus der Kirche eine Weihe­stätte der SS.) Heinrichs Sohn OttoI. ließ sich 962 in Rom zum Kaiser krönen. Ihm gelang ein Aus­gleich mit dem Byzanti­nischen Kaiser, er verheiratete seinen Sohn mit dessen Nichte Theophanu. (Ottos Grab haben wir in Magde­burg gesehen.) Nach dem frühen Tod ihres Gatten (OttoII.) regierte Theophanu sieben Jahre, bis zu ihrem Tod991, das Reich. (Ich sah ihr – leider modernes – Grab in St.Panta­lon in Köln.) – „Er ließ sich in Rom zum Kaiser krönen.“ Die deutschen Könige beanspruchten, indem sie sich zum Kaiser krönen ließen, eine weltliche Macht die so universell ist wie die geistliche Lehre des Papstes.

Auf die Ottonen folgten die Salier. Hier möchte ich nur Einen und ein Ereignis nennen: HeinrichIV. und der Gang nach Canossa. Im Februar 1077 kniete der König drei Tage im Büßerhemd vor der Burg Canossa, um Papst GregorVII. zu bitten, den über ihn verhängten Bann aufzuheben. Mit dieser hübschen Legende bemäntelten die kirchlichen Chronisten die Niederlage des Papstes. Fünf Jahre später wurde Heinrich durch einen von ihm eingesetzten Gegen­papst in Rom zum Kaiser gekrönt.

Die nächsten Herrscher waren die Staufer. Hier sind zwei zu nennen: FriedrichI. genannt Barba­rossa (italienisch Rotbart) konnte 1177 nach seinem fünften Italienzug mit dem Papst(AlexanderIII.) in Venedig einen Frieden schließen und danach seinen Widersacher, den Welfen Heinrich den Löwen, Herzog von Sachsen und Bayern, stürzen. Barbarossa ertrank 1190 auf einen Kreuzzug in Klein­­­asien–und wurde mit seinem für seine deutschen Unter­tanen unerklär­lichen Verschwinden zu einer sagen­haften Gestalt. Im neun­zehnten Jahr­hundert wurde die Sage, dass er in einem unter­irdischen Schloss im Kyffhäuser­gebirge darauf wartet, dass Deutschland wieder eins sei, in populären Gedichten gestaltet; nach der Reichseinigung von 1871 errichtet man das sechsund­achtzig Meter hohe Kyffhäuserdenkmal. (Welche Gefühle mein Opa hatte, als er es mir 1970 zeigte!) – Bevor ich zu meinem Lieblings­kaiser komme, muss ich ein wenig ausholen: Die Wikinger fuhren jeden Sommer die Seine herauf und plünderten Paris. Um damit Schluss zu machen, schloss der west­fränkische König Karl der Einfältige911 ein Abkommen mit dem Wikinger­häuptling Rollo, der ein Gebiet am Oberlauf der Seine als Lehen erhielt. Nach den Männern aus den Norden nannte man es Normandie. Einer von Rollos Nachfahren war Robert le diable. (Der aus einer jüdischen Berliner Familie stammende, in einer Reisekutsche in Tasdorf, heute Ortsteil von Rüdersdorf, als Jakob Meyer Beer geborene Giacomo Meyerbeer gestaltete die Sagen um Robert le diable 1831 zu einer großen Oper.) Robert der Teufel hatte mit der Tochter eines Lohgerbers einen Sohn, Wilhelm der Bastard, der 1066 England eroberte und Wilhelm der Eroberer wurde. Der kleine normannische Adlige Tankred de Hauteville (ein Valvassor, d.h. ein Ritter ohne eigenes Pferd, mehrere Valvas­soren stellten ihren Lehns­herren gemeinsam einen Berittenen,) schickte ab 1035 etliche seiner zwölf Söhne nach Süditalien. (Einer von ihnen war Robert Guiskard. Guiskard bedeutet Schlau­kopf. Über ihn begann Kleist ein Drama, von dem nur der monumentale erste Akt fertig wurde.) Sie eroberten Sizilien von den Arabern und errichteten in einer Mischung von normannischen, arabischen und byzan­tinischen Elementen ihre Kathe­dralen. FriedrichI. ver­heirate seinen Sohn(HeinrichVI.) mit der Tochter des norman­nischen Königs von Sizilien, einer Urenkelin von Tankred. Hein­richVI. starb früh auf dem Weg zu einem Kreuz­zug, wenig später starb auch seine Frau. Frederico, der spätere FriedrichII. war mit vier Waise und zog der Sage nach bettelnd durch Palermo, vermutlich sprach er arabisch. 1212wurde er in Frank­furt zum König gewählt, 1220 in Rom zum Kaiser gekrönt. In ihm vereinen sich ganz unter­­schiedliche Einflüsse. Er war oft und lange exkommuni­ziert, auch weil er sarazenische Bogen­schützen hatte und Moscheen und Synagogen bauen ließ. In Apulien haben wir viele Spuren von FriedrichII. gesehen, darunter das Castel del Monte. In Vald’Arno zeichnet Ruskin ein Bild Italiens in den letzten Jahren der Staufer­herrschaft.

Diese phantastische Geschichte darf nicht davon ablenken, dass durch ihre häufigen Aufenthalte in Italien die Macht der deutschen Könige schwand. Es gelang ihnen nicht, eine erbliche Monarchie durchzusetzen; sie mussten die Fürsten kaufen, wenn sie schon mal vorab ihren Sohn zum Mitregenten wählen lassen wollten. Als Gegengewicht zu der Macht der Fürsten beschenkten sie die Kirche mit Land und gaben Reichs­städten Privilegien. – Nach den Staufern wechselte das Amt des Königs zwischen Habsburgern (den Herzögen von Österreich), Luxemburgern (Königen von Böhmen), Wittelsbachern (Herzögen in Bayern) und anderen. Nachdem französische Päpste die Franzosen nach Italien gerufen und den Sitz des Papstes nach Avignon verlegt hatten, wurde der Luxemburger HeinrichVII. auf seinem Italienzug 1310 von Dante als Retter gefeiert. Mit Hilfe des Condottiere Castruccio Castracani, des Stadt­herrschers von Lucca, konnte der Wittelsbacher LudwigIV., den kirchliche Autoren abwertend Ludwig der Bayer nannten, Rom erobern, wo er sich 1328 von ein paar Bischöfen und dem „römischen Volk“ zum Kaiser krönen ließ. – Der Luxem­burger KarlIV. erließ 1356 die Goldene Bulle. Sie schrieb fest, dass sieben Kurfürsten, drei geistliche und vier weltliche, den neuen Herrscher wählen. Er hoffte, so leichter dauerhaft eine Mehrheit der Stimmen für seine Nachfahren sichern zu können.

Ab 1438 entstammten (mit einer Ausnahme) alle deutschen Könige, die nun ganz regelmäßig den Kaisertitel annahmen, dem Hause Habsburg. FriedrichIII. hatte die längste Regierungszeit aller deutschen Herrscher; 53 Jahre, von 1440 bis 1493. — 1519, im Schatten der Reformation und der Türkenkriege, war die Wahl besonders umstritten. Die Könige von Frankreich, England und Spanien bewarben sich. Der König von Spanien lieh sich dafür bei dem Augsburger Kaufmann Jakob Fugger Geld. Es wird erzählt, dass Friedrich der Weise, der Kurfürst von Sachsen, Luthers Schutz­herr, seine Wahl weise ablehnte und dem König von Spanien, einem Habsburger, der sich als Kaiser KarlV. nannte, einige Zusagen abhandelte. Tatsächlich werden die zwanzig­tausend Reichsritter unter Franz von Sickingen, die Karl schließlich aufbot, dafür gesorgt haben, dass er einstimmig gewählt wurde. Der Kurfürst von Brandenburg hatte französische Bestechungs­gelder am nötigsten und gab erst nach, als die Frankfurter drohten, ihn in Stücke zu reißen. KarlV. nannte sich nach seiner Krönung zum deutschen König „erwählter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches“, er war der letzte deutsche König, der vom Papst zum Kaiser gekrönt wurde. KarlV. war auch der letzte Kaiser, der ein wirklicher Kaiser sein wollte und die immer mächtiger werdenden Fürsten in Zaum zu halten versuchte. 1556 dankte er resigniert ab und zog sich in ein spanisches Kloster zurück. (Im Grunde könnten hier unsere Kaiser-Chroniken enden: Seine Nachfolger benutzten den immer mehr an Bedeutung verlierenden Titel nur, um ihre Hausmacht als Erz­herzöge von Österreich zu stärken.) — Kurz zu der einen Ausnahme: KarlVI. hatte keine männlichen Nach­kommen, und so wurde 1742 ein Wittels­bacher gewählt(KarlVII.). Nach seinem Tod konnte Maria Theresia, die Tochter KarlsVI., ihren Mann und später ihren Sohn zum Kaiser wählen lassen. (Von KarlVII. weiß die Geschichte nur zu berichten, dass er machtlos in Frankfurt saß und sich mit der Verteilung von Titeln unterhielt. So wurde Goethes Vater „Wirklicher Geheimer Rat.“ Über­haupt finden sich bei Goethe viele Nach­richten über die Reste des mittel­alterlichen Kaiserreiches, Goethe selber war später an einer der wenigen Institutionen des Reiches beschäftigt, dem Reichs­kammer­gericht in Wetzlar, das allerdings wenig zu entscheiden hatte, da die meisten Fürsten das „Privilegium de non appellando“ hatten, das ihren Untertanen den Gang zum Reichs­kammer­gericht unter­sagte.)— Nach­dem das revolutionäre Frankreich die links­rheinischen Gebiete annektiert hatte, wurden 1803 mit dem „Reichsdeputations­hauptschluss“ sämtliche geistlichen Fürsten­tümer säkularisiert, (die Fürsten von Württemberg, Baden und Hessen-Kassel erhielten die drei geistlichen Kurwürden) und die Reichsgrafschaften und Reichsstädte (mit Ausnahme von Lübeck, Hamburg, Bremen, Frankfurt, Nürn­berg und Augsburg) mediatisiert. („Mediatisieren“ heißt mittelbar machen. Sie verloren ihre Reichsunmittel­barkeit. Sie wurden dem nächsten größeren Land zugeschlagen. Der Kurfürst von Brandenburg, seit 1701 König in Preußen, bekam unter anderem Erfurt und das Eichsfeld, die bisher zum Erz­bistum Mainz gehört hatten, das völlig in seinen Privilegien ver­moderte Goslar und das Damenstift Quedlinburg. – Wir haben gesehen, welche Pracht der Fürstbischof von Bamberg entfaltete. Das schönste deutsche Barockschloss ließen sich die Fürst­bischöfe von Würzburg bauen. Die Hochstifte Bamberg und Würzburg fielen 1803 an Bayern. Napoleon Bonaparte, der sich 1804 zum Kaiser der Franzosen krönte, wollte Bayern als Gegengewicht zu Österreich und Preußen stärken, und so kam 1805 Augsburg und 1806 Nürnberg zu Bayern.) 1806 legte FranzII. den deutschen Kaisertitel ab, nach­dem er sich zwei Jahre zuvor zum Kaiser von Österreich erklärt hatte. Die Kurfürsten, deren alter Titel nun hinfällig wurde (es gab nichts mehr zu küren), nahmen zur selben Zeit den Königs­titel an. (Bayern, Sachsen und Württem­berg. 1815 folgte Hannover.) — Von 1815 bis 1866 gab es einen Deutschen Bund, dessen Präsidium die Öster­reichischen Kaiser innehatten.

Zweites Kapitel: Ritter und Junker

Wir sind glücklicherweise Berliner, so dass wir zugleich mit der Geschichte unserer engeren Heimat das nächste Hauptkapitel der deutschen Geschichte betrachten können. Die Wurzeln des 1871 gegründeten Deutschen Reiches liegen in der branden­burgisch-preußischen Geschichte.

In seinen Wanderungen beschreibt Fontane ein Bild von Karl Blechen, das ein Semnonenlager auf den Müggelbergen zeigt. Tacitus nennt die Semnonen den ältesten und vornehmsten Stamm der Sueben. Die Sueben brachen im dritten Jahrhundert nach Westen auf und das Land an Spree und Havel wurde von Slawen besiedelt. Heinrich der Vogler erobert es zurück, aber ein slawischer Aufstand vertrieb die Deutschen wieder. — 1157 eroberte Albrecht der Bär aus der Familie der Askanier das Land (dabei vertrieb er den Wendenfürsten Jaczo von Köpenick) und gründete die Mark Brandenburg. Die Ritter, die mit ihm kamen, hatten nur so viel Land zinsfrei, wie für den Unterhalt eines Berittenen notwendig war. Im Laufe der Zeit schüttelten sie sowohl die Abgabelasten für den darüber­hinausgehenden Besitz als auch ihre militärischen Verpflichtungen ab, aus Rittern wurden Junker. Mit den Askaniern kamen die Zisterzienser, die in Lehnin, Chorin und Himmelpfort Klöster gründeten. 1237 wurde das auf einer Spreeinsel gelegene Cölln zum ersten Mal urkundlich erwähnt, 1244 das auf dem gegenüberliegenden nördlichen Ufer liegende Berlin. 1272 wurde die Berliner Bäckergilde bestätigt. In der Urkunde stand, dass sie „die Armenhöfe Sankt Spiritus und Sankt Georg“ stets mit gutem Brote versorgen sollen. (Von Sankt Spiritus, dem Heilig-Geist-Spital, ist die Kapelle erhalten, Sankt Georg lag als Hospital für Leprakranke vor der Stadt.)

1320 starb der letzte branden­burgische Askanier und das Land fiel zurück an den deutschen König, LudwigIV. Der setzte seinen Sohn zum Markgrafen ein. Dieser musste sich mit dem falschen Waldemar, einen angeblichen Askanier, herumschlagen, bis sich die Wittels­bacher mit dem Luxem­burgern einigten und Waldemar fallen­gelassen wurde. – 1325 erschlugen die Berliner Bürger den Probst Nikolaus aus Bernau, einen Parteigänger des französischen Papstes. Über Berlin wurde der Kirchen­bann verhängt, aus dem sich die Stadt nur mit hohen Zahlungen und die Errichtung eines (noch heute vor der Marien­kirche zu sehenden) Sühnekreuzes freikaufen konnte.

1356 – 1701: Das Kurfürstentum Brandenburg

1373 verkauften die Wittelsbacher die durch die Golden Bulle zum Kur­fürstentum erhobene Mark Brandenburg für 500.000 Gulden an die Luxem­burger, an Kaiser KarlIV, der Tangermünde zu seiner Hauptstadt machen wollte und die dortige Burg zum Schloss ausbauen ließ. Im Land­buch Kaiser KarlIV. wurden alle brandenburgischen Ortschaften und ihrer Abgaben auf­gezählt. Darin stand, auf Latein, zum Beispiel: „In Helwichsdorf (vermutlich das heutige Hellersdorf) sind 25Hufen, wovon der Pfarrer 3 hat. Die Gebrüder Dyreken haben 9 zu Lehn. An Pacht, Zins und Bede bezahlen sie gemein­schaftlich für jede Hufe 16Schilling. Kossäten sind 9, jeder zahlt 1Schilling und 1Huhn. Die Windmühle gibt 2Wispel Korn. Krug–. Dyreken hat das ganze Dorf mit allen Rechten.“ („Bede“ hieß die Landessteuer, weil die Abgabe ursprünglich vom Markgrafen erbeten wurde.) Nachdem KarlIV. 1375 fast ständig in Tanger­münde war, starb er 1378 in Prag. – Der Junker Heinrich von Bülow überfiel 1383 das Dörfchen Wilsnack. In der ausgebrannten Kirche wurden drei unversehrte, blut­gefärbte Hostien gefunden. Schon im nächsten Jahr begannen Wall­fahrten, Wilsnack wurde reich. Der Prager Priester und Theologe Jan Hus verurteilte 1403 die Verehrung des Wunderblutes. – Die Unsicher­heit wurde immer größer. Die unaufhörlichen Fehden wurden von den Quitzows dominiert, die in Quitzöbel (zwischen Wils­nack und Tanger­münde, unweit der Elbe,) ihren Stamm­sitz hatten.

Als 1411 nur die brandenburgischen Städte, aber nicht die „Mannschaft“, die Ritter, in Ofen (heute Budapest) ihren neuen Herren Sigismund huldigten, schickte Sigismund, der letzte Kaiser aus dem Hause Luxemburg, den Burg­grafen Friedrich von Nürn­berg aus der fränkischen Linie der Hohenzollern nach Branden­burg, um dort Ordnung zu schaffen. Die Einnahmen aus der Mark waren kein Äquivalent für die Mühe, und so bekam er 100.000Gold­gulden als „Zubuße“, und weil Sigismund die nicht auszahlen konnte, wurde die Mark für diesen Betrag ver­pfändet. Friedrich brach einige Burgen der Quitzows. Auf dem Reichstag und Konzil in Konstanz, wo die Kirchen­spaltung mit drei Päpsten, darunter einen in Avignon, über­wunden und Hus, der in tschech­ischer Sprache zu predigen begonnen hatte, als Ketzer auf dem Scheiter­haufen verbrannt wurde, wurde Friedrich 1417 endgültig mit der Mark Brandenburg belehnt. 1426zog er sich auf seine reichen fränkischen Besitz­tümer zurück. – Nach Hus‘ Tod hatten sich die böhmischen Adligen gegen den König von Böhmen erhoben. 1419wurden der Bürgermeister und einige Ratsherren im Neustädter Rathaus in Prag aus dem Fenster geworfen und ermordet. Ein vom Papst ausgerufener Kreuz­zug gegen die Anhänger von Hus scheiterte und die Hussiten gingen zum Gegen­angriff über. 1432kamen sie bis vor die Tore Bernaus.

FriedrichII. wurde in irgend­einer Streitig­keit von den Berliner Zünften als Schieds­richter gerufen, in der Folge brach 1448 der Berliner Unwille aus. Der Kurfürst konfis­zierte den städtischen Besitz und das Ver­mögen der Berliner Kaufleute, beseitigte die gemeinsame Stadt­verwaltung von Berlin und Cölln und errichtete an der Langen Brücke eine Zwing­burg. Die märkischen Städte mussten aus dem Städte­bund der Hanse austreten. Nach einer Nieder­lage gegen die Pommern ging auch er zurück nach Franken. Sein Bruder und Nachfolger Albrecht Achilles träumte von einem Herzogtum Franken und kam in seinen sechszehn Jahren als Kurfürst nur zwei- oder dreimal nach Branden­burg. 1488 führte Johann Cicero, der vierte Kurfürst aus dem Hause Hohen­zollern, eine Bier­steuer ein. Die Junker kämpften um das Recht, soviel wie möglich auf ihren Gütern zu produzieren, insbesondere Bier zu brauen und Schnaps zu brennen, um nicht diese indirekte Steuer zu zahlen. Aber auch in den Städten gab es Widerstand. Nach einem Aufstand in Tangermünde verlegte Johann Cicero die Residenz nach Berlin, oder genauer gesagt nach Cölln. JoachimI gründete 1506 die Universität in Frankfurt an der Oder, die freilich in dem armen Land nicht gedeihen konnte. Um seinen Bruder Albrecht als Mitregenten loszuwerden, bestimmte er ihn für den geistlichen Stand, er wurde Bischof von Halberstadt, Erz­bischof von Magdeburg und schließlich von Mainz. Das war sehr teuer, für die Bestätigung als Erz­bischof von Mainz ver­langte der Papst 30.000 Dukaten. (Joachim hatte sich immer noch mit den märkischen Raubrittern auseinander­zusetzen. Hier gibt es die hübsche Mär, dass man ihm, nach­dem er einen von ihnen hinrichten ließ, bei einem Jagd­ausflug mit Kreide an die Tür schrieb: „Jochimken, Jochimken, hyde dy, fange wy dy, dann hange wy dy.“)

1517 schlug Martin Luther seine Thesen an der Stiftskirche in Wittenberg an. (Der Sage nach – wahrscheinlich hat er sie auf eine weniger spektakuläre Weise in die Welt geschickt.) Nach vielen grausam unterdrücken Vorgängern (Petrus Valdes – dem Gründer der Wal­denser –, John Wycliff, Jan Hus) begann damit die Reformation. Luther protestierte dagegen, dass die Kirche Vergebung gegen Geld verkaufte, aber die Katholiken ver­gaben. Die Lutheraner und die ab 1541 auftretenden Calvinisten waren uner­bittliche Fanatiker. Sie waren kunst- und bildungs­feindlich, es galt das allein Wort, das man nach Luthers Bibel­übersetzung auf Deutsch lesen konnte. Bilder und Latein­kenntnisse wurden nicht mehr benötigt. (Deutschlands größter Maler, Hans Holbein der Jüngere, musste nach England gehen.) Einige Bauern nahmen den Titel von Luthers Schrift Von der Freyheith eines Christen­menschen zu wörtlich und wollten ihre Frohnlasten abschütteln. Als ihre Niederlage im Deutschen Bauern­krieg ab­sehbar war, distanzierte sich Luther 1525 mit seiner Schrift Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren von ihnen. (Du hast vielleicht das Bauern­kriegs­panorama in Bad Franken­hausen gesehen.) Für die Fürsten war die Reformation Gelegenheit für einen riesigen Raubzug. Was ihre Väter, was fromme Gläubige aus allen Schichten der Kirche gegeben hatten, steckten sie in ihre Tasche. — Nachdem bei der Kaiserwahl 1519 Joachims französische Politik gescheitert war (ich erwähnte das in den Kaiser-Chroniken), blieb er lieber katholisch, insbesondere da sein Bruder Erz­bischof von Mainz, einer der drei geistlichen Kurfürsten und Erzkanzler des Reiches, war. Ein anderer Albrecht aus dem Hause Hohenzollern war Hochmeister des Deutschen Ordens. Er wandelte den Ordens­­staat 1525 in das Herzogtum Preußen um, was freilich nur um den Preis zu haben war, dass er dem polnischen König in Krakau einen Treueschwur leistete. – In die Jahre 1535 bis1540 fällt die Fehde des Cöllner Kaufmanns Hans Kohlhase gegen einen sächsischen Ritter. Es ging um zwei Pferde. – JoachimII. trat 1539 heim­lich zu lutherischen Konfession über, um Kirchenbesitz einziehen zu können, ohne in Konflikt mit dem Kaiser zu geraten. Er war ein Verschwender, ließ in Köpenick und im Grunewald Jagd­schlösser bauen, veranstaltete am 8.August 1567 an der Malche, dem Nord­zipfel des Tegeler Sees, ein „Lustgefecht“ zwischen Spandauer und Berliner Bürgern und unter­hielt eine Geliebte (Anna Dieterich, die „schöne Gießerin“). Das Geld beschaffte sein Hofjude Lippold. Die Junker bewilligten ihm, den Bauern neue Steuern aufzuerlegen, deren Eintreibung sie sich vorbehielten; zudem erhielten sie das Recht, unbestelltes Land einzuziehen, was den Weidebauern die Existenz­grundlage nahm. Johann Georg bemühte sich um die Sanierung der Finanzen, indem er die Juden ausraubte. Lippold wurde nach einen durch Folter erpressten Geständnis 1573 gerädert und gevierteilt, Anna Dieterich kam nach Spandau. Es folgten JoachimFriedrich und danach, Johann Sigismund. Johann Sigismund trat 1613 zum reformierten (calvinistischen) Bekenntnis über, gestattete aber seine Untertanen, lutherisch zu bleiben. 1618fiel das Herzogtum Preußen an den Kurfürsten von Branden­burg.

Am 23. Mai 1618 warfen in Prag Vertreter der protestantischen Stände nach alter Tradition die Statthalter des katholischen Kaisers aus dem Fenster. Die Herren haben sich nichts getan, weil sie von der Jungfrau Maria gerettet wurden – oder auf einen Misthaufen fielen. Mit diesem Prager Fenstersturz begann der Dreißig­jährige Krieg. Er war ein Religionskrieg, er war mehr noch das Ringen von Frankreich und den Habs­burgern um die Vorherrschaft in Europa (die eigent­lichen Lenker der protestantischen Union waren die französischen Minister Kardinal Richelieu – der Kardinal Richelieu aus den Drei Musketieren – und sein Nachfolger Kardinal Mazarin), in ihm liefen viele lokale Konflikte zusammen – und immer mehr das wahllose Rauben, Plündern, Morden und Vergewaltigen von Söldner­banden, die selten ihren Sold bekamen. Es war ein europäischer Krieg, der fast ganz in Deutschland ausgetragen wurde. Deutsch­land verlor zwischen zwanzig und fünf­und­vierzig Prozent seiner Bevölkerung. Die bekanntesten Gestalten des Dreißigjährigen Krieges waren der schwedische König Gustav Adolf, der 1632 bei Lützen fiel, und Wallenstein, der gleich zu Anfang des Krieges auf eigene Kosten für den Kaiser ein Heer aufstellte. 1634 wurde er vom Kaiser abgesetzt und von den eigenen Leuten ermordet. — Branden­burg war dem Krieg schutzlos ausgeliefert. Kur­fürst Georg Wilhelm flüchtete 1638 nach Königsberg. Im Westfälischen Frieden, der 1648 den Krieg beendete, musste Brandenburg auf das ihm durch Erb­schaft zugefallene Pommern zugunsten der Schweden verzichten. Es bekam Hinter­pommern und das Gebiet der aufgelösten Bistümer Magdeburg und Halber­stadt.

Die nach dem Krieg umherziehenden Banden beschäftigungsloser Söldner machten ein stehendes Heer nötig. Das war aber nur mit fremden Geld, Subsidien, möglich, und so kämpfte Brandenburg als „Auxiliarmacht“ für die Holländer, den Kaiser und die Franzosen. (Mit der so erkauften Rücken­deckung konnte Frankreich das Elsass und Straßburg annek­tieren. Die Franzosen nannten das Réunion, Wieder­vereinigung.) Der Verlust der Oder­mündung im Westfälischen Frieden war für den jungen Kurfürsten Friedrich Wilhelm besonders schmerzhaft. Er hatte einen Teil seiner Jugend in den Niederlanden verbracht und sah sie als Vorbild. Im Nordischen Krieg (mit der Schlacht bei Fehrbellin 1675, die wir aus Kleist‘ Drama Der Prinz von Homburg kennen), versuchte er die Häfen zu gewinnen, doch die Franzosen zwangen ihn zum Verzicht. Später gründete er mit Hilfe des nieder­ländischen Reeders Benjamin Raule eine kur­branden­burgische Flotte (die in Preußen, in Pillau bei Königsberg gebaut wurde), die Kolonie Groß Friedrichsburg im heutigen Ghana und beteiligte sich am Sklaven­handel. Ein Glanzpunkt der branden­burgischen Geschichte war die Auf­nahme von fünfzig aus Wien vertriebenen jüdischen Familien 1671 und von zwanzig­tausend französischen Calvinisten, den Huge­notten, im Jahr1685. Nach nieder­ländischem Vorbild wurde die Akzise eingeführt. Alle Waren, die die Tore der Städte passierten, mussten dort verzollt werden. — Berlin wurde ab 1650 unter Leitung des in den Nieder­landen geschulten Baumeisters Johann Gregor Memhardt zur Festung aus­gebaut. Vor der mittelalterlichen Stadtmauer entstand ein kompliziertes System von Mauern, Gräben, Bastionen und Ravelins. Im südwestlichen Teil war der Bau aufgrund des sumpfigen Grundes schwierig und wurde nie ganz abgeschlossen; die Mauern waren militärisch sinnlos geworden. Auf der Insel zwischen Cölln und dem südwestlichen Festungs­graben entstand der Friedrichs­­werder, die erste Berliner Stadt­erweiterung, später kamen die Dorotheen- und Friedrich­stadt dazu. Es begannen die Planungen für das Zeughaus, dessen Bau fünf­unddreißig Jahre dauerte. Im Norden und Osten der Stadt entstanden planlos die Spandauer-, Georgen- und Stralauer Vorstadt. In Potsdam ließ Friedrich Wilhelm das Stadt­schloss errichten, für seine erste Frau, Luise Henriette von Oranien, wurde in Bötzow ein Schloss im holländischen Stil errichtet, Oranien­burg. Für seine zweite Frau, Dorothea, kaufte er Caputh. Für seinen Sohn Friedrich wurde an Stelle des alten Jagd­schlosses das Schloss Köpenick gebaut.— Am Ende seines Lebens hätte der Große Kurfürst (wie er später genannt wurde) sein Werk beinah zerstört, weil er nach Ein­flüsterungen seiner zweiten Frau das Land zugunsten ihrer Söhne teilen wollte! Er starb1688.

1701 – 1871: Das Königreich Preußen

Der einzige Gewinn der Kriege des Kurfürsten Friedrich Wilhelm war die Erlangung der Souveränität in Preußen. 1701 krönte sich sein Sohn in Königs­berg zum König in Preußen. Der Name des alten Herzogtums bezeichnete bald den Gesamtstaat, aus dem ursprünglichen Preußen wurde Ostpreußen. König FriedrichI. vereinigte die Städte Berlin, Cölln, Friedrichswerder, Dorotheen­stadt und Friedrichstadt zur „könig­lichen Haupt- und Residenzstadt Berlin“, ließ (unter Einbeziehung der zum Renais­sance­schloss erweiterten alten Zwingburg) von Andreas Schlüter das Berliner Schloss bauen, gründete die Akademien der Künste und der Wissen­schaften und die Universität Halle. Bei der Gründung der Akademie beriet ihn der Universal­gelehrte Leibniz, ein Freund seiner zweiten Frau Sophie Charlotte von Hanno­ver, für die Friedrich in Lietzow ein Schloss bauen ließ. Nach ihrem Tod wurde Lietzow in Charlotten­burg umbenannt. Um das zu finanzieren, kämpften seine Soldaten für fremde Interessen in den Nieder­landen, Ungarn, Süd­deutschland und Italien. FriedrichI. hinterließ bei seinen Tod1713 riesige Schulden.

König Friedrich WilhelmI. wollte kein feiler Mietskönig sein, der seine Soldaten verkauft. Also musste er überall sparen. Er sparte am eigenen Haus­halt, so dass ihn seine Kinder als geizigen Tyrannen empfanden. Und genauso streng wie zu sich war er auch zu allen anderen, er hat nicht funktionierende Beamte eigenhändig geprügelt. Die von seinem Vater ins Land geholten Künstler verließen scharenweise das Land. (Schlüter ging nach Russland, um beim Bau von Sankt Petersburg Arbeit zu finden.) Immerhin brauchte er Historiker und Juristen, die ihn in gefälligen Gutachten Erb­ansprüche bestätigten. Für solche Leute hatte er nur Verachtung, daher das traurige Schicksal seines Akademie­präsidenten Gundling, der zugleich eine Art Hof­narr war. (Du kennst es aus dem Film Der König und sein Narr.) Friedrich Wilhelm arbeitete den ganzen Tag und die halbe Nacht, kontrollierte alles selber und bediente sich bürgerlicher Minister. Zur Bedienung der langen Vorderlader­gewehre, für eine vierte Reihe nach den liegend, kniend und stehend Schießen­den, suchte er überall möglichst große Soldaten, tauschte sie in Sachsen gegen chinesische Vasen und in Russland gegen das Bernsteinzimmer ein. Er verheirate seine „langen Kerls“ mit großen Frauen um neue lange Kerls zu bekommen. Sein bevorzugter Sommer­sitz war Königs Wuster­hausen. In dem kleinen Jagdschloss hielt er sein Tabaks­kollegium ab, hier hängen lebens­große Bilder der längsten der langen Kerls und einige Bilder, die er selbst malte, um sich von seinen Schmerzen abzulenken. Er sparte auch hier und malte schon mal ein Zweites auf die umgedrehte Leinwand. Dort wo er es konnte, auf königlichen Gütern, führte er die allgemeine Schulpflicht ein. Um den Handel zu kontrollieren und die Desertion von Soldaten zu verhindern, wurde anstelle hölzerner Palisaden die Berliner Zoll- und Akzise­mauer errichtet. Die ganzen Tore im Berliner Stadtplan gehören zu dieser Akzise­mauer, die sich immer weiter hinausschob: Brandenburger, Oranienburger, Frankfurter, Schlesisches und Cott­busser Tor, um nur einige zu nennen. Auch die Spree wurde mit Holz­stegen gesperrt, die schmale Durch­fahrt konnte mit einem großen Baumstamm geschlossen werden. (Ober- und Unter­baum; an den Oberbaum erinnert der Name Oberbaum­brücke, an den Unter­baum die Unter­baum­strasse.) Juden durften die Stadt nur durch das Rosen­thaler und das Hallesche Tor betreten und mussten sich dabei registrieren lassen. — Friedrich WilhelmI. wurde nur einundfünfzig Jahre alt. Bei seinem Tod 1740 hinterließ er die viert­größte Armee Europas und einen Staatsschatz in den Kellern des Schlosses.

[...]

Final del extracto de 69 páginas

Detalles

Título
Deutsche Geschichte für Claudia
Autor
Año
2018
Páginas
69
No. de catálogo
V428963
ISBN (Ebook)
9783668739253
ISBN (Libro)
9783668739260
Tamaño de fichero
1982 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Geschichte, Deutschland
Citar trabajo
Hans Belde (Autor), 2018, Deutsche Geschichte für Claudia, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/428963

Comentarios

  • No hay comentarios todavía.
Leer eBook
Título: Deutsche Geschichte für Claudia



Cargar textos

Sus trabajos académicos / tesis:

- Publicación como eBook y libro impreso
- Honorarios altos para las ventas
- Totalmente gratuito y con ISBN
- Le llevará solo 5 minutos
- Cada trabajo encuentra lectores

Así es como funciona