Eine Untersuchung zum gemäßigten Konstruktivismus und zum Handelnden Lernen. Welchen Beitrag leistet Papierschöpfen im Sachunterricht?


Seminararbeit, 2018

38 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Ziel und Aufgabe der Untersuchung

2. Der Untersuchungsgegenstand Lernstation Papierrecycling

3. Fragestellung der Untersuchung

4. Theorie
4.1 Handelndes Lernen
4.2 Gemäßigter Konstruktivismus und radikaler Konstruktivismus
4.4 Niveaustufen der Entwicklung und Verbalismus
4.5 Versuch vs. Experiment
4.6 Umwelterziehung und Umweltbewusstsein

5. Arbeitshypothesen
5.1 Hypothese zum Lernhandeln
5.2 Hypothese zum Lehrhandeln

6. Methoden

7. Auswertung der Ergebnisse
7.2 Auswertung der Tests
7.3 Auswertung der Interviews
7.4 Interpretation der Ergebnisse
7.6 Hypothesenüberprüfung

8. Fazit und Schlussfolgerungen für das Forschungsprojekt

9. Literatur

1. Ziel und Aufgabe der Untersuchung

Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, einen Beitrag zur Entwicklung des Lernangebots des Sachunterrichts an außerschulischen Lernorten zu leisten sowie dieses in der Form einer Lernstation, wie es im Sommersemester 2017 in der pädagogischen Werkstatt der Universität Potsdam zur Anwendung kam, zu evaluieren. Ein weiteres Ziel ist die Lösung des Problems der Einheit von Konstruktion und Instruktion bzw. der Passung von Selbsttätigkeit und Führung, eigenreguliertes Lernen fördernder pädagogischer Stützung. Die Untersuchung erfolgt unter Berücksichtigung der einzelnen Kompetenzniveaus nach Vygotskij sowie der Theorie zum Handelnden Lernen und dem Conceptual Change. Weiterhin sollen Erkenntnisse und Annahmen aus dem Bereich der Umwelterziehung berücksichtigt werden.

2. Der Untersuchungsgegenstand Lernstation Papierrecycling

Die Station, die am 09.06.2017 im Rahmen eines Lernens an Stationen in der pädagogischen Werkstatt der Universität Potsdam in Golm eingerichtet wurde, bestand aus einem großen runden Tisch. Aus diesem Tisch waren verschiedene Materialen sortiert, die zum Erfüllen der Station notwendig sind. Diese Materialien waren unter anderem eine Anleitung, an derer sich die Kinder über die einzelnen Arbeitsschritte informieren sollten sowie Schöpfrahmen zum Schöpfen des Papiers. Des Weiteren befanden sich ein Plastikbehälter mit vorbereiteter Pulpe auf dem Tisch sowie Tücher für das von den Rahmen abzulösende, noch nasse Papier. Zur Station gehörten außerdem drei Nebenstationen, welche jeweils die weiteren Arbeitsschritte zur Papierherstellung beinhalteten: eine weitere Arbeitsfläche, auf der die Verarbeitung von Altpapier mit Wasser zu Pulpe zum Nachvollziehen erfahrbar gemacht werden sollte, war ebenfalls eingerichtet. Ein Arbeitsplatz, an dem die Schülerinnen und Schüler mithilfe bereitliegender Bretter und ihres Körpergewichtes das frisch geschöpfte Papier auspressen konnten, schloss sich dem Papierschöpfen unmittelbar an. Um auch das bis dahin noch immer im Papier verbliebene Wasser aus dem Papier, sprich selbiges trocken zu bekommen, gab es eine vierte Nebenstation. An dieser konnten die Kinder unter Aufsicht ihr Papier trocken bügeln. Die einzelnen Zwischenschritte der Station sollten den Schülerinnen und Schülern den Prozess des Papierrecyclings erfahrbar machen. Ziel war es eine hohe Motivation zu erzeugen und somit eine Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt der Station anzuregen. „Der zentrale Aspekt der Station liegt in der Auseinandersetzung mit dem Recyclinggedanken“ (Giest/Heiden/Egbert, 2015, S.17). An allen Zwischenstationen waren Erwachsene eingesetzt, die die einzelnen Vorgänge erklärten und die Kinder gegebenenfalls anleiteten. Dieser Umstand machte das gesamte Vorhaben des Papierschöpfens sehr personalintensiv. Zusätzlich zu den Studierenden hatte jedes Kind ein Forschungsheft, welches eine eigenständige Durchführung der Station ermöglichen sollte. Im Forscherheft befindet sich ein tabellarischer Ablauf mit Bildern. Dies soll ein schrittweises selbständiges Vorgehen ermöglichen. Einen Überblick über die Station und die Bewegungsrichtung der Kinder liefert Abbildung 1 (s. u.). Beginn der neunzigminütigen Arbeits- und Lernphase war um 10.30 Uhr.

Abbildung 1: Skizze des Stationsaufbaus (eigene Abbildung)

3. Fragestellung der Untersuchung

Die Untersuchung soll darüber Aufschluss geben, worin Besonderheiten kindlicher Lernprozesse in der Lernumgebung einer Station Papierrecycling beziehungsweise -schöpfen bestehen und wie sie gefördert werden können.

Diesen Überblick über die Besonderheiten und die mit ihnen in Verbindung stehenden Anforderungen an eine gezielte Förderung sollen die vorab zu findenden Antworten auf drei Leitfragen der Untersuchung liefern. Diese lauten:

a) Welche Rolle spielen bei der Station die Handlungshilfen in Form von Forscherheften und Instruktion?
b) Welche Niveaustufen der Begriffsbildung sind an der Station relevant beziehungsweise welche Stufen haben die Kinder bereits erreicht?
c) Befinden sich die Niveaustufen der Kinder mit der Niveaustufe des Experiments in Passung?

Die einzelnen Fragestellungen werden in der Auswertung der Ergebnisse wieder aufgegriffen und dort versucht zu beantworten.

4. Theorie

Im folgendem Theorieteil sollen die Begriffe: Handelndes Lernen, gemäßigter und radikaler Konstruktivismus, Conceptual Change, Versuch und Experiment, die Niveaustufen der Entwicklung sowie die Begriffe Umwelterziehung und Umweltbewusstsein vorgestellt werden. Diese bilden die theoretische Grundlage für die Untersuchung. Während der gemäßigte Konstruktivismus direkter Gegenstand der Untersuchung ist, dienen die anderen Themen darüber hinaus dem Verständnis und der Einordnung in einen komplexen Zusammenhang. Der Zusammenhang der einzelnen hier erwähnten Theorien wird deutlich, wenn man sich die drei Fragestellungen der Untersuchung betrachtet. Im Fazit werden die einzelnen Inhalte zusammen mit den erhobenen Daten wiederholt aufgegriffen, um die eingangs gestellten Fragen sowie die Arbeitshypothesen zu überprüfen.

4.1 Handelndes Lernen

Zu Beginn des Kapitels soll einführend herausgestellt werden, wie Kinder lernen. Dieser kurze Exkurs legt dar, welche Bedeutung Handelndes Lernen für die Wissensentwicklung der Schülerinnen und Schüler hat. Unter gewöhnlichen Umständen wollen Kinder sich bewegen, sielen, entdecken und forschen. „Kinder sind neugierig, wissensdurstig, mitteilsam und kontaktfreudig, vertrauensvoll, umwelterfassend, aufnahmefähig und nachahmend, lernbegierig, unbefangen, egoistisch und in positiven Sinne eigenwillig“ (Thiesen/Stamer-Brand, 2012, S.16). Im Alter bis zu acht Jahren lernt das Kind die meisten und unterschiedlichsten Dinge. Besonders in dieser Zeit, aber auch darüber hinaus, bedeutet Lernen Ko-Konstruktion. Dabei liegt die Interaktion mit anderen Menschen, besonders mit anderen Kindern im Vordergrund. Der Erwachsene oder die Lehrkraft soll nicht die Funktion des „Alleswisser“ ausfüllen, sondern hat die Aufgabe eine Lernumgebung vorzubereiten, Fragen zu stellen und Impulse zu geben. Lernen geschieht bei Kindern durch die aktive Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt und den Menschen und Dingen, die sich in ihr befinden. Somit haben Kinder die Möglichkeit „zu Konstrukteuren ihrer eigenen Bildung [zu] werden“ (Thiesen und Stamer-Brandt 2012, S. 16). Selbstständiges Entdecken und Erforschen sowie Chancen auf das Experimentieren steigern die Lernfreude bei Kindern, dem folgen ein eigenständiges Suchen nach Aufgaben und Problemen, an denen die Lösungen ausprobiert werden.

In der Schule sind Kinder bereits in der Lage bestimmten Aufgaben planvoll und zielorientiert entgegenzutreten. Lehrkräfte haben in dieser Situation die Aufgabe den Kindern einen bestimmten Rahmen zu bieten, in dem sie viele Tätigkeiten selbständig ausüben können. Dies schafft die Voraussetzung, dass ein Kind interessiert ist, Zusammenhänge erkennt, seine Umwelt kennenlernen möchte und nach Wegen sucht diese selbständig zu bewältigen.

Hier setzen die Theorie und die Erkenntnisse über Handelndes Lernen an. Handelndes Lernen stellt die Kompetenz selbständig zu Handeln und durch eigenes Handeln zu Lernen in den Vordergrund. Die Kompetenz selbständig zu handeln und bereits ein eigenes inneres Handlungsmodell aufzubauen, können die Schüler und Schülerinnen nicht ohne Hilfe erreichen. Das einfache Nachahmen einer Tätigkeit (Modelllernen) geht nicht mit dem konstruktivistischen Wesen des Lernens einher. Dieses didaktisch-methodische Konzept entspricht der Interaktion von Lernen und Lehren, in dessen Rahmen die Lerner aktiv neue Handlungskompetenzen erwerben, während die Lehrkraft unterstützend agiert. Die Lehrkraft in der Institution Schule ist in dem Fall der kompetentere Partner, welcher bereits über die Handlungsfähigkeiten (innere Handlungsmodell) verfügt, die sich die Lerner noch aneignen müssen (Giest, 2009, S. 27ff). Die Schüler und Schülerinnen können ihr Handeln noch nicht eigenständig regulieren. Dies sollen sie mit Hilfe der Lehrkraft erlernen können, während sie am aktuellen Handeln orientiert, ein inneres Modell der Handlungen aufbauen. Die wichtigste Funktion der Lehrkraft ist hierbei das Handeln des Lernenden anhand des eigenen Handlungsmodells zu prüfen (Giest 2009, S. 30).

Handlungsorientierter Unterricht ist folglich ein Unterricht, der ganzheitlich und schüleraktiv stattfindet, indem die Lehrkraft eine Leitfunktion hat, damit die Schülerinnen und Schüler in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Kopf- und Handarbeit lernen.

Dieser Begriff ist nicht gleichzusetzen mit den Begriffen der Ganzheitlichkeit, entdeckenden oder offenen, kindgemäßen Unterricht. Inhaltliche Vollständigkeit steht hierbei nicht im Fokus, sondern ist exemplarisch. Das Rekonstruieren und Neu-Kombinieren mit Hilfe des erworbenen Wissens steht dem Lernen von Begriffen und Definitionen voran. Der ganzheitliche Unterricht wird von der Handlungsorientierung erweitert, der Lerner lernt mit Kopf, Herz und Hand (Giest, 2009, S. 43).

Obwohl Erfahrungen und Erlebnisse aus dem Alltag einen Ausgangspunkt des Lernens bilden, muss Lerninteresse außerhalb des Alltagskontextes geweckt werden, da Lerninteressen nicht im Alltagshandeln entstehen. Denn Lerninteresse kann nur durch Handlungsmöglichkeiten entstehen. Die Schülerinnen und Schüler benötigen Möglichkeiten neues selbst zu entdecken und selbständig zu handeln. „Nur beim eigenen Handeln kann sinnstiftende Bedeutung erschlossen, Sinn konstruiert werden.“ (Giest, 2009, S 33).

Sachadäquate Kenntnisse und Handlungen haben also eine große Bedeutung, doch ein Kind muss ebenfalls über entsprechendes Sachwissen verfügen, um angemessen die Lernhandlungen anwenden zu können. „Insofern ist Lernförderung auch ein gutes Stück Interessenförderung.“ (Giest 2009, S. 33). Doch nicht jedes praktische Handeln ist als Erkenntnishandeln zu verstehen. Erkenntnishandlungen sollten in einem Prozess der Lernentwicklung zunehmend bewusster und kontrollierter von den Kindern eingesetzt werden.

4.2 Gemäßigter Konstruktivismus und radikaler Konstruktivismus

Die Positionen der den radikalen und der den gemäßigten Konstruktivismus Befürwortenden unterscheiden sich dahingehend, dass Erstere das Lehren bzw. die Instruktion in Lernsituationen ablehnen, da Lernen bzw. die Konstruktion ein ausschließlich aktiver Prozess Lernender sei, wohingegen Letztere in der Interaktion zwischen Lernenden und Lehrenden das Pädagogische Paradox (Humboldt, Diesterweg, Luhmann & Schorr 1982, zit. in Giest o. D., S. 2) (Lernen durch Lehren sei möglich, obwohl Lernen ein aktiver Prozess Lernender sei) erkennen und die Instruktion wie folgt als lernwirksam ausweisen: In kooperierenden Lerngruppen aus Lernenden und Lehrenden könne sich, obwohl Lernende auch Objekte Lehrender seien, ein Gesamtsubjekt entwickeln, in dem Lernende als Einzelsubjekte aktiv lernen bzw. konstruieren könnten (vgl. Giest o. D. S. 2). Nimmt man die behauptete Möglichkeit eines solchen Gesamtsubjekts als gegeben an, dürften Lernende als dessen Teilsubjekte außerdem davon profitierten, bedingt durch die Instruktion der Lehrenden und anders als unter Bedingungen, wie die radikal konstruktivistisch Denkenden sie fordern, zielgerichtet und sinnvoll handeln zu können. Insofern erscheint der gemäßigte gegenüber dem radikalen Konstruktivismus im Hinblick auf das Voranschreiten des begrifflichen Wandels bzw. Conceptual Change tatsächlich die zielführendere Denkrichtung zu sein. Eine Tendenz der Durchsetzung der gemäßigten gegenüber der radikalen Variante zeichnet sich infolge neuerer empirischer Studien seit etwa 2003 ab. Unter der pädagogischen Aufgabe im Sinne des (radikalen) Konstruktivismus ist eine Gestaltung von Lernumwelten in einer Art und Weise zu verstehen, dass sie beim Lernenden Wissens- und Sinnkonstruktionen anregen. Dabei sind sie mit der Absicht gestaltet, bei Lernenden Lernhandlungen im Sinne eines zielgerichteten Verhaltens auszulösen. (vergl. Köster & Gonzales 2007 und Rother 2007, zit. in Giest 2009, S. 28). Inwieweit dies wie beabsichtigt gelingen kann und mit ihren Ergebnissen einhergehend, warum sich die gemäßigte Denkweise durchzusetzen scheint, zeigten empirische Untersuchungen im Jahr 2003.

Diese Grundauffassung wurde in empirischen Untersuchungen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Lernen mit dem Computer empirisch geprüft (Tergan 2003). Dabei wurde überwiegend deutlich, dass der Lernerfolg vor allem von der Motivation, den Interessen, dem Vorwissen und dem vorliegenden Entwicklungsniveau der Lerntätigkeit abhängt. Viele Lerner waren beispielsweise überfordert, das erforderliche Maß an Selbständigkeit beim Lernen, welches komplexe Lernumwelten an sie stellten, zu realisieren. In diesem Falle bedurfte es der pädagogischen Stützung des Lernens. Dies war vor allem dann der Fall, wenn die Lernanforderungen nicht in der Zone der aktuellen Leistung der Lernenden lagen. Daher kann resümiert werden: Mag die Lernumwelt auch noch so anregend gestaltet sein, nicht alles kann ein Lerner auf sich allein gestellt, nur in Auseinandersetzung mit der Lernumwelt lernen (vgl. Scheerer-Neumann 2007). Das ist der Grund, weshalb sich gegenwärtig gemäßigt konstruktivistische Auffassungen vom Lernen durchgesetzt haben, die von einer Einheit von Lehren (Instruktion) und Lernen (Konstruktion) ausgehen (Giest 2009, S. 28). Des Weiteren ist der gemäßigte Konstruktivismus zu bevorzugen, „da er neben der Konstruktion auch die Instruktion anerkennt und somit aus konstruktivistischer Perspektive didaktisches Denken und Handeln erst sinnvoll erscheinen lässt“ (Thomas, 2009, S. 123). An der Untersuchung nehmen Kinder der Jahrgangsstufen 3 und 4 teil, daher ist es zu berücksichtigen, dass instruktive Anteile im Lernprozess unverzichtbar sind. Gerade bei lernlangsameren Kindern ist Instruktion absolut geboten (vgl. Thomas, 2009, S. 123f.).

4.3 Conceptual Change

Der oben bereits erwähnte Conceptual Change umfasst die Veränderung von Wissens- strukturen und dem sie erzeugenden Denkens (Giest 2009, S. 58). Diese Veränderung der Wissenstrukturen geht, auch unter Bedingungen einer adäquat vorbereiteten und gut situierten Lernumgebung nicht von alleine – spontan – vonstatten, sondern muss maßgeblich durch Unterricht und Schule beeinflusst werden (Sodian 2002, Schnotz 2001 zit. in Giest 2009, S. 58).

Conceptual Change orientierter Unterricht macht die Mangelhaftigkeit vorhandener Vorstellungen bewusst und greift dabei erweiterbare Vorstellungen auf. Die Erweiterung und die Differenzierung gedanklicher Vorstellungen, Ideen und Begriffe, also des bereits vorhandenen Wissens von Schülern und Schülerinnen stehen hierbei im Vordergrund. Um dieses Wissen zu ergänzen oder um einen Konzeptwechsel anzuregen, werden die Schülerinnen und Schüler in einen kognitiven Konflikt gebracht. Während dieses Konflikts sollen sie mit Hilfe methodischer Vorgehen von der wissenschaftlichen Sichtweise überzeugt werden. Duit (1995) nennt drei Arten des kognitiven Konflikts:

1) Den Gegensatz zwischen der Vorstellung der Schülerinnen und Schüler und dem tatsächlichen Ereignis eines Experiments.
2) Das Aufkommen von Widersprüchen zwischen den wissenschaftlichen Vorstellungen und den Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler. 3) Die kontroversen, unterschiedlichen Vorstellungen der verschiedenen Schülerinnen und Schüler zu einem Sachverhalt.

Ziel dieser konstruierten Konflikte ist es, dass die Schüler und Schülerinnen den tatsächlichen Konflikt erkennen und ihn für bedeutsam erachten. Dieser Prozess der Akkommodation sollte nicht als strikter, linearer Ablauf verstanden werden, denn es handelt sich hierbei um einen unregelmäßigen, stückweisen und zeitintensiven Vorgang (Rogge, 2010, S. 11). Mit Hilfe des kognitiven Konflikts sollen die Lernenden mit ihren bisherigen vorhandenen Vorstellungen unzufrieden sein. Es folgt ein logisches, verständliches Konzept, welches glaubhaft, plausibel und innerlich überzeugend ist. Dieses Konzept wird in einem positiven Lernprozess überführt. Letztendlich wird das neue Konzept erfolgreich angewandt, indem Zusammenhänge erklärt und gedeutet werden können. Aufgrund der konstruierten Unzufriedenheit entsteht ein mentales Ungleichgewicht, welches mit Hilfe der Assimilation (Einordnung des Neuen in die vorhandene Struktur) oder der Akkommodation (grundlegende Veränderung der vorhandenen Struktur) wieder ausgeglichen wird (Duit, 1995, S. 914) Es werden hierbei nicht ausschließlich bestehende Konzepte verändert, sondern ebenso Ziele, Bedürfnisse und Wünsche der Lernenden angepasst. Es handelt sich um einen graduellen Prozess der Umstrukturierung, welcher Zwischenstufen ebenso wie die Verknüpfung naiver Vorstellungen mit Elementen des wissenschaftlichen Konzepts erreicht. (Möller, 2010, S. 66) Im Bereich der Naturwissenschaft werden vier kognitive Bedingungen für den Conceptual Change angeführt. Dies sind Unzufriedenheit, Verständlichkeit, Glaubhaftigkeit und die Fruchtbarkeit:

1. Dissatifaction (unzufrieden): Der Lernende muss mit der vorhandene Vorstellung unzufrieden sei
2. Intelligible (verständlich): Ein neues Konzept muss nachvollziehbar und logisch sein.
3. Plausible (glaubhaft): Ein neues Konzept sollte inhaltlich überzeugend sein.
4. Fruitful (fruchtbar): Ein neues Konzept sollte ermöglichen Zusammenhänge zu deuten und zu erklären.

Es ist bedeutend, dass diese Bedingungen in einer festen Reihenfolge stehen. Demnach muss die vorherige Bedingung erfüllt sein bevor die nächste Bedingung zutreffen kann.

Neben den genannten Bedingungen sind ebenfalls soziale Rahmenbedingungen zu beachten. Ganz nach dem Konstruktivismus sollte die Lehrkraft davon ausgehen, dass jeder Conceptual Change individuell von den Lernenden vollzogen wird.

Dabei ist dies keine rationale Entscheidung, die die Schülerinnen und Schüler treffen und wie in den meisten Lernprozessen spielen die Motivation und affektive Faktoren, wie Interesse oder Angstfreiheit eine entscheidende Rolle. Obwohl der Conceptual Change individuell abläuft, so ist die Lerngruppe nicht außen vor. Gemeinsames Aushandeln, Diskutieren und Erarbeiten sind von Bedeutung. Es handelt sich hierbei um ein Lernen im Wechsel der Kultur und Sprachgemeinschaft. Der Conceptual Change sollte stets in eine Lernsituation eingebunden werden.

Die unterschiedlichen Verknüpfungen der Vorstellungen der Lernenden, wie naturwissenschaftliche Begriffe oder Phänomene, die sich im alltäglichen Gebrauch durchgesetzt haben, widersprechen häufig dem naturwissenschaftlichen Konzept. Diese individuell geformten Vorstellungen folgen jedoch einem bestimmten Muster.

Die Schülervorstellungen sind zum Teil aus Alltagserfahrungen entstanden, welche in der Regel im gewöhnlichen Sachunterricht nicht widerlegt und zu einer naturwissenschaftlichen Sichtweise geführt werden können. Es entstehen „Hybride“, wobei nur gewisse Aspekte der neuen wissenschaftlichen Sichtweise mit den ursprünglichen Vorstellungen verwoben sind (Duit, 1995, S. 910).

Diese individuellen Vorstellungen sollten von Lehrkräften als eine Möglichkeit genutzt werden, einen lebensnahen Bezug aufzugreifen und somit den Zugang und das Interesse für neuen Unterrichtsstoff zu ermöglichen. Dies stellt eine wesentliche Basis dar, um auf die vorab erwähnten kognitiven Bedingungen zum Conceptual Change orientierten Unterricht aufzubauen (Benesch, 2016, S. 3). Die Methodik des Conceptual Change beinhaltet einen erfahrungsorientierten Unterricht, welcher die Vorerfahrungen, Vorkenntnisse und Erklärungen aufgreift. Der Unterricht ist entsprechend so gestaltet, dass die Schüler und Schülerinnen selbständig explorierend mit Materialien umgehen und experimentieren können. Ritualisierte Zeiten und Räume sind so wie der intensive Austausch und Diskussionen förderlich.

Es ist die Aufgabe der Lehrkraft Materialien einzusetzen, welche lebensweltnahe Impulse für den kognitiven Konflikt ermöglichen, um die Schüler und Schülerinnen dazu anzuregen Erklärungen zu suchen und zu entwickeln. Diese Erklärungen können im Laufe des Prozesses auf andere, neue Kontexte transferiert werden. Die Lernenden werden dadurch in verschiedenen Situationen dazu angeregt zu begründen, weiterzudenken, zu vergleichen, anzuwenden und zusammenzufassen.

Aufgrund des offenen Konzepts und dem hohen Grad an Selbststeuerung sowie durch sowohl zeitliche, als auch mühsame Herausforderungen der Lernprozesse erweitern sich die entsprechenden Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler.

Mit Conceptual Change können fünf grundlegende Elemente (Max, 1997) einer neuen Lernkultur in Verbindung gebracht werden, welche sich positiv auf den naturwissenschaftlichen Unterricht auswirken.

1) Sinn, Bedeutsamkeit und Motivation: Der Lebensweltbezug oder Alltagsbezug, sowie ein handlungsorientierter Unterricht haben sich bereits theoretisch im Sachunterricht etabliert, was bei diesem Konzept verstärkt angewandt werden soll. Der Conceptual Change findet statt, wenn die Lernenden diesen Alltagsbezug erkennen und sich der Herausforderung gewachsen fühlen eine Problemstellung zu bearbeiten.
2) Mobilisierung der individuellen Vorstellung und Vorgehensweise: Hierbei ist es vorgesehen, dass die Schüler und Schülerinnen neue Informationen in ein bereits vorhandenes Konzept integrieren.
3) Multiple Konfrontationen: Nicht nur die ausschließlich simple Konfrontation mit neuen Konzepten und neuen wissenschaftlichen Vorstellungen ermöglichen das Erzielte zu erreichen. Der Anstoß kann ebenfalls durch Experimente stattfinden, indem die Lernenden erkennen, dass das zu Beobachtende nicht den Erwartungen entspricht. Es ist außerdem die Aufgabe der Lehrkraft sich aus entstandenen kognitiven Konflikten herauszunehmen und Diskussionen und Argumentationen untereinander zuzulassen.
4) Authentische Lern- und Forschungsaktivitäten: Zu solchen gehören vor allem die Experimente. Ihre Authentizität ist in jenem Sinne wirksam, dass die Schüler und Schülerinnen somit einen Rückbezug auf Alltagskontexte bilden können. Ebenfalls ist es so, dass das Erleben und Analysieren des Experiments und seiner Ergebnisse einen Conceptual Change begünstigen.
5) Weiterentwicklung der individuellen Vorstellungen und Konstruktionen von Kompetenz : Es handelt sich um eine lernwirksame Lehr- und Lernsituation, wenn Fachinhalte kontextualisiert und die Wissenselemente darauffolgend dekontextualisiert werden, um eine Rekontextualisierung, eine Übertragung, verwandter Problemstellungen auszuführen. Dies ist der Kern des Wissenszuwachses. Eine Kompetenz wurde erst erlangt, wenn tatsächlich der Akt der Umsetzung und Übertragung sowie die Veränderung der Ressourcen stattfinden .

[...]

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Eine Untersuchung zum gemäßigten Konstruktivismus und zum Handelnden Lernen. Welchen Beitrag leistet Papierschöpfen im Sachunterricht?
Hochschule
Universität Potsdam
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
38
Katalognummer
V430202
ISBN (eBook)
9783668739901
ISBN (Buch)
9783668739918
Dateigröße
1081 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Instruktion, Verbalismus, naturwissenschaftliches Lernen, Grundschule, Sachunterricht, Forschungsbericht, Konstruktivismus, Conceptual Change, Versuch vs. Experiment, Niveaustufen der Entwicklun
Arbeit zitieren
Sandra Koplin (Autor:in), 2018, Eine Untersuchung zum gemäßigten Konstruktivismus und zum Handelnden Lernen. Welchen Beitrag leistet Papierschöpfen im Sachunterricht?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/430202

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