Heterogenität und Schule. Kulturelles Kapital als Hürde für die Inklusionspädagogik


Dossier / Travail, 2012

23 Pages, Note: 2,3


Extrait


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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ... 3
2. Die Besonderheiten der Inklusionspädagogik ... 4
2.1 Begriffsbestimmung der Inklusion ... 4
2.2 Normalitätskonstrukt und Heterogenität ... 6
3. Die Individualisierung nach Beck ... 7
3.1 Die Individualisierungsthese ... 7
3.2 Individualisierungsthese und Inklusionspädagogik ... 8
4. Das kulturelle Kapital nach Bourdieu ... 9
4.1 Die Kapitalsorten ... 10
4.2 Die Habitustheorie ... 13
4.3 Chancengleichheit ... 14
4.4 Zusammenhang mit Inklusion ... 15
5. Bedingungen für gelingende Inklusion ... 16
5.1 Perspektivenwechsel an den Schulen ... 16
5.2 Ein Beispiel für gelungene Inklusion in Deutschland:
SophieSchollSchule... 18
6. Zusammenfassung und Fazit ... 19
Literaturverzeichnis ... 21

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1. Einleitung
Kanada hat gezeigt, inwiefern inklusive Pädagogik das Schulsystem eines Staates
durchgreifend reformieren kann. Seit den späten 1980er Jahren gibt es in der kanadi
schen Provinz New Brunswick keine Förderschulen mehr. Doch was genau bedeutet
Inklusion für Schulen und somit für die Gesellschaft?
Um zu erläutern, was die inklusive Pädagogik tatsächlich bewirken will, wird in
Kapitel 2 definiert, worin sich die Besonderheiten der Inklusion in Abgrenzung zur In
tegration zeigen. In diesem Zusammenhang muss sowohl auf die SalamancaErklärung
als auch auf Übersetzungsprobleme eingegangen werden. Letztlich wird der Inklusi
onsbegriff jedoch im Kontext dieser Arbeit auf die historisch gewachsene Situation in
Deutschland bezogen werden müssen und erfordert somit einen Blick auf das Norma
litätskonstrukt und die dazu gegensätzliche heterogene deutsche Gesellschaft.
Da sich unsere Gesellschaft im Rahmen der andauernden Globalisierungsprozesse im
ständigen Wandel befindet, verwundert es kaum, dass die Folgen dieser Veränderun
gen Wissenschaftler zu vielfältigen Thesen und Erklärungsversuchen bewegen. Eine
der wichtigsten Theorien ist hier die Individualisierungsthese von Ulrich Beck (1986),
welche in Kapitel 3 erklärt wird. Sie zeigt, was die Abwendung von gängigen Traditio
nen und bekannten Lebensläufen für jeden Einzelnen bedeuten kann.
Besonders für die Inklusionspädagogik ist dies von großer Bedeutung, da sie jedes
Kind als etwas Einzigartiges verstanden sehen will. Vielfalt wird aus dieser Perspektive
zum Normalfall.
Im Gegensatz zu Beck sieht Bourdieu den Menschen in hohem Maße in seiner
Kapitalausstattung verwurzelt. Kapitel 4 behandelt vorrangig das kulturelle Kapital, da
dieses die Inklusion in besondere Weise beeinflusst. Auch wenn jeder Mensch indivi
duellen Lebensbedingungen ausgesetzt ist, gibt es doch gewisse Muster, nach denen
Kinder sozialisiert werden oder eine Gesellschaft ihre Mitmenschen einschätzt und
entsprechend behandelt. Dies hat starke Auswirkungen auf die Chancengleichheit und
steht somit in engem Zusammenhang mit der Inklusionsthematik.
Kapitel 5 befasst sich schließlich mit den notwendigen Bedingungen für gelingende
Inklusion. Der Wandel zu einem inklusiven Schulsystem ist an schulpädagogische, ge
sellschaftliche sowie politische und wirtschaftliche Bedingungen geknüpft.
Wie inklusive Schule gelingen kann, wird am Beispiel der SophieSchollSchule in

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Gießen gezeigt, welche seit über 10 Jahren erfolgreich arbeitet und dafür mit dem "Ja
kobMuthPreis für inklusive Schule" ausgezeichnet wurde.
2. Die Besonderheiten der Inklusionspädagogik
Grundsätzlich gibt es zwei Reaktionsmöglichkeiten auf soziale Ungleichheit: Man kann
versuchen Homogenität herzustellen (Exklusion) oder man bemüht sich mit Heterogeni
tät angemessen umzugehen (Inklusion). An deutschen Schulen werden beide Methoden
praktiziert, wobei meist Mischformen realisiert werden (vgl. Wenning, 2010, S. 57).
An dieser Stelle soll im Rahmen der theoretischen Analyse die zuletzt genannte Reak
tionsmöglichkeit, also die Inklusion, hervorgehoben und untersucht werden. Die
Inklusionspädagogik nimmt Abstand davon, ihre Schülerschaft vereinheitlichen zu wol
len und betont vielmehr die Einzigartigkeit jedes Kindes. Ihr Ziel ist es, die Marginali
sierung von gesellschaftlich ausgeschlossenen Gruppen aufzuheben. Die generelle
Einführung eines inklusiven Schulsystems ist jedoch umstritten.
2.1 Begriffsbestimmung der Inklusion
Das Prinzip der Inklusion ist die Wertschätzung der Diversität aller Menschen. Inklusion
versteht Heterogenität als bereichernde Vielfalt und versucht, sie aktiv zu nutzen. Das
lateinische Verb includere bedeutet soviel wie einschließen oder umzingeln. Hier zeigt
sich die linguistische Nähe zur Integration, aber auch die Abgrenzung zu Exklusion und
Separation, wie Abbildung 1 verdeutlicht.
Abb. 1: Inklusion (http://www.inklusionolpe.de/inklusion.php)
Exklusion beschreibt die Ausgrenzung der Minorität, also beispielsweise den Aus
schluss von behinderten Kindern aus Regelschulen. Separation hingegen schließt die
Minderheit nicht nur aus, sondern bildet aus ihr eine eigene Kategorie, wie es etwa
durch die Ausgliederung in Sonderschulen geschieht. Die Integration möchte dieser

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Differenzierung entgegenwirken, indem sie für gemeinsamen Unterricht plädiert. Hier
decken sich die Interessen der Integrations und der Inklusionspädagogik, wobei die
Inklusion aber eher als eine Weiterentwicklung der Integration betrachtet werden
muss. Sie gibt sich nicht mit der Eingliederung ausgesonderter Schüler zufrieden,
sondert will vielmehr ihre Andersartigkeit anerkennen und sogar davon profitieren.
Das Konzept verzichtet (im Gegensatz zur Integration) auf das Kategorisieren bestimm
ter Gruppen und geht von der Heterogenität als Normalzustand in menschlichen
Gemeinschaften aus. Inklusion bezieht sich hier nicht nur auf formelle Dimensionen wie
behindert oder nicht behindert, sondern schließt generell alle Merkmale eines
Menschen mit ein; so etwa Fähigkeiten aller Art, Geschlecht, Sprache, soziales Milieu,
Religion und körperliche und geistige Bedingungen unabhängig von einem speziellen
Grad an Behinderung. Deshalb wird in dieser Arbeit auch nicht eine bestimmte Minorität
in den Vordergrund gestellt, sondern das Individuum an sich betrachtet.
Diese Perspektive geht konform mit den Prinzipien der SalamancaErklärung, die sich
1994 im Rahmen der UNESCOKonferenz zur internationalen Bildungspolitik deutlich
für Inklusion aussprach und hierbei Kindern grundsätzlich das Recht auf Bildung
einräumt, Individualität als Selbstverständlichkeit deklariert und fordert, dass Schulen
der Vielfalt Rechnung tragen müssen. Die Regierungen werden ermahnt ,,die Verbes
serung ihrer Schulsysteme dahingehend zu richten, dass diese alle Kinder unabhängig
von ihren individuellen Schwierigkeiten einbeziehen können" (http://www.une
sco.at/bildung/basisdokumente/salamanca_erklaerung.pdf).
Die Definition des Begriffs Inklusion war zunächst nicht klar dargelegt, da es bei der
Übersetzung zu Interpretationsproblemen kam, denn ,,Inclusion ist im kanadischen
Französisch einfach mit intégration übersetzt worden" (http://bidok.uibk.ac.at/
library/sanderinklusion.html). Auch in der deutschsprachigen Übersetzung der Sala
mancaErklärung wurde integrativ synonym für inklusiv verwendet, so dass der Begriff
Inklusion hier überhaupt nicht vorkam (vgl. ebd.). Begreift man ,,das Inklusionskonzept
[aber als] die notwendige Antwort auf die realen Unvollkommenheiten der Integration
spraxis" (ebd.), so wird eine differenzierende Definition, wie sie zu Beginn des
Kapitels erfolgte, unumgänglich.

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2.2 Normalitätskonstrukt und Heterogenität
Die Bedeutung des Individuums im Bildungswesen zeigt sich vor allem im spezifischen
Lernverhalten jedes Schülers und spielt daher eine übergeordnete Rolle.
Jeder Einzelne wird vor allem im Zusammenhang mit dem aktuellen Normalitätskon
strukt einer Gesellschaft betrachtet und wird hier in Bezug zum theoretisch
konstruierten Standardschüler bewertet. Wenning et al. (2010) haben zur Charakteri
sierung dieser Standards einen Katalog erstellt, der diverse Kriterien aufzeigt und be
schreibt wann diese ,normal` erfüllt werden bzw. wie Abweichungen aussehen
können. Betrachtet man diese Liste, wird schnell deutlich, wie utopisch der Stan
dardschüler ist, da kaum ein Kind alle Normen erfüllt und somit fast alle Schüler als
,unnormal` einzustufen wären (vgl. Wenning, 2010, S. 103ff). Wenning definiert ent
sprechend Heterogenität als ,,die (relative) Ungleichheit [...] in Bezug auf ein
sozialstrukturelles Merkmal" (Wenning, 2010, S. 58).
Es gilt also, sich von einem Normalitätskonstrukt zu lösen und anzuerkennen, dass sich
jeder Mensch durch einzigartige Eigenschaften auszeichnet. Im Zuge dieser
Individualisierung kann die Heterogenität demnach sogar ein Ziel der Schule sein und
die Erziehung zu unabhängigen, mündigen Individuen fördern.
Das deutsche Bildungssystem, welches durch die Gliederung in verschiedene Schulfor
men an sich stark selektiv arbeitet, hat allerdings eher homogenisierende Züge, denn
eine der wichtigen Funktionen ist die Platzierungsfunktion. Abhängig von statuszuwei
senden Leistungsnachweisen und vom jeweiligen Bildungsniveau können
sowohl Privilegien als auch Benachteiligungen entstehen, weshalb Bildung als die zent
rale Ressource für Lebenschancen betrachtet werden kann. Gleichsam vollzieht sich
hierdurch aber auch eine Selektion, die nicht nur leistungsabhängig, sondern auch so
zial ausschließend funktioniert (vgl. Geißler, 2002, S. 333). Die Schule differenziert, so
bald Gruppen zu unterschiedlich sind. Dadurch sollen Heterogenität und Komplexität
verringert und möglichst einheitliche Lerngruppen etablieren werden können. Homo
genitätsannahmen besagen, dass ähnliche Voraussetzungen eine optimale Lernsitua
tion und bessere Entwicklungsmöglichkeiten darstellen (vgl. Wenning, 2010, S. 100).
Im internationalen Vergleich, der seit der Publikation der PISAStudien ins öffentliche
Interesse gerückt ist, sind allerdings durchaus alternative Systeme zu finden. In Finn
land werden Differenzierungsmechanismen beispielsweise durch einheitliche Basis
schulen vermieden. In vielen Provinzen Kanadas wurden zum selben Zweck die
Förderschulen abgeschafft und somit die Inklusionspädagogik zum Regelfall. Hier
kommt hinzu, dass Integration und gemeinsames Lernen schon im Kindergarten eine
Selbstverständlichkeit darstellen. ,,Die Unterschiedlichkeit von Menschen, ihrer

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Gedanken und Meinungen respektieren" gehört hier zu den ,,Verhaltensstandards"
(http://www.gggnrw.de/Europa/GGGKanada.pdf).
Es darf bei diesen vergleichenden Überlegungen aber nicht vergessen werden, dass
gesellschaftliche Konstitutionen und somit auch das Bildungssystem historisch
gewachsen sind und nicht ohne Weiteres kopiert werden können, um das eigene
System zu verbessern bzw. zu ersetzen. Zudem muss Deutschland nach wie vor als Ein
wanderungsland verstanden werden. Eine Analyse der eigenen Gesellschaftsstruktur
ist daher eine Grundvoraussetzung für Veränderungen.
3. Die Individualisierung nach Beck
Ulrich Beck stellt mit seiner Individualisierungsthese eine Gegenwartsdiagnose für
westliche Gesellschaften auf und beschreibt darin die Entstrukturierung der menschli
chen Lebensräume. Sein Buch ,,Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere
Moderne" (1986) beschreibt ,,tiefgreifende soziale Wandlungen" (Wieland, 2004,
S. 65) und stellt Prognosen für die Weiterentwicklung auf. Hierdurch hat sein Werk
zwar einen ,,teils spekulativen Charakter" (Wieland, 2004, S. 73) was die Szenarien an
geht. Es muss aber eingeräumt werden, dass viele Voraussichten ,,mittlerweile zu einer
unumstößlichen Gewissheit geworden" sind (Wieland, 2004, S. 75).
3.1 Die Individualisierungsthese
Die Individualisierungsthese behauptet, dass es eine Relativierung der Klassenka
tegorie und somit keine gesellschaftlichen Gruppen mehr gibt. Beck konzentriert
sich (statt auf die gängigen Klassen und Schichtmodelle, wie sie etwa Marx
aufstellte) auf die individuelle Existenz eines jeden Menschen.
Die Auflösung jeder gesellschaftlichen Gruppenzugehörigkeit entstand seiner Mei
nung nach aufgrund gesellschaftswissenschaftlicher Ursachen, wie beispielsweise
dem sogenannten ,Fahrstuhleffekt`, welcher den relativen Aufstieg aller Menschen
infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland nach dem Zweiten Welt
krieg beschreibt. Obwohl die Unterschiede zwischen Arm und Reich relativ gleich blie
ben, empfanden die Menschen diese Divergenz als weniger wichtig bzw. weniger
ungerecht, da sie allesamt besser gestellt waren als in der Vergangenheit (vgl. Volk
mann, 2009, S. 19ff). Das weniger vergleichende Verhalten ließ in diesem Zuge mehr
Freiraum für ein individueller verstandenes Selbstbild.
Aber auch die wachsende räumliche und soziale Mobilität führte zu einem Bedeu
tungsverlust von traditionellen Bindungen. Wo Menschen einst an ihren Wohnort
und an ihre Familie gebunden waren, eröffneten sich nun neue Möglichkeiten, die
Fin de l'extrait de 23 pages

Résumé des informations

Titre
Heterogenität und Schule. Kulturelles Kapital als Hürde für die Inklusionspädagogik
Université
University of Hagen
Note
2,3
Auteur
Année
2012
Pages
23
N° de catalogue
V430723
ISBN (ebook)
9783668743953
ISBN (Livre)
9783668743960
Taille d'un fichier
652 KB
Langue
allemand
Mots clés
heterogenität, schule, kulturelles, kapital, hürde, inklusionspädagogik
Citation du texte
Shirley Borrey (Auteur), 2012, Heterogenität und Schule. Kulturelles Kapital als Hürde für die Inklusionspädagogik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/430723

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