Die Individualisierung der Pädagogik unter wirtschaftlichem Einfluss


Essay, 2017

14 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Idee vom Individuum

3 Gefahren und Chancen in der Individualisierung der Pädagogik
3.1 Das lernende Individuum als Marktteilnehmer
3.2 Individualisierung in der pädagogischen Praxis

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Individualisierung und Personalisierung sind heutzutage zu fast schon unbewussten Bestandteilen der westlichen Gesellschaft geworden. Nicht nur das wir von Gütern, die wirerwerben schon automatisch erwarten, dass sie auf unseren individuellen Anspruchangepasst werden. Auch im Umgang miteinander wird immer mehr die individuelle Befindlichkeit in den Vordergrund gehoben. Deutlich kann man dies an der Werbeentwicklung der letzten 60 Jahre erkennen. Richtete sich die Werbung im letzten Jahrhundert noch an gesellschaftliche Kategorien, wie zum Beispiel die Hausfrau, die Familie, den Mann oder das Kind, so kann gerade seit beginn dieses Jahrhunderts einerapide an das Individuum gerichtete Zielorientierung der Werbung beobachtet werden. Der Kunde soll, mit Hilfe des Internets, unabhängig von Öffnungszeiten alle Produkte an seine Bedürfnisse angepasst erhalten können.

Diese Entwicklung der Individualisierung lässt sich jedoch nicht nur im Bereich derÖkonomie beobachten. Auch in der pädagogischen Arbeit und der Erziehungswissenschaft bekommt die Individualisierung gerade durch die Psychologie unddie Neurowissenschaften immer mehr Bedeutung (vgl. Giesecke 2009). In derpädagogischen Praxis wird diese Individualisierung in individuellen Hilfeplänen oderlehr/lern Verträgen fixiert und als Maßstab für pädagogischen Handelns benutzt. Zielhierbei sollte es sein, jedes Subjekt einer heterogenen Gruppe, nach bestem Wissen überdie individuellen Grundvoraussetzungen und Interessen zu Fördern damit sich jedes Individuum in der Gesellschaft optimal einbringen und verwirklichen kann. Allerdingsscheinen hier die individuellen Interessen an einen Handlungsspielraum gebunden zusein, der von marktwirtschaftlichen Interessen begrenzt wird. War bei Kant der Pädagogik Begriff noch definiert durch die Bildung des Menschen zur Idee des Menschen im sinneder Menschheit (vgl. Böhm 2004 ) ,so scheint dies heute im sinne der Marktwirtschaft zugeschehen, die immer mehr mit dem Wohl der Menschheit gleichgesetzt wird. Ein Problemdas hierbei auftreten könnte ist, dass das Subjekt in einer wirtschaftlichen Ausrichtung der Pädagogik objektiviert und nur noch im sinne der Menschlichen Ressource betrachtet unddadurch zu einem von seinem Lebenslauf abhängigen Spielball wirtschaftlicher Interessenwird, den man den aktuellen Anforderungen entsprechend Qualifizieren kann.

Deshalb soll hier gefragt werden, welche Auswirkungen der Prozess der Individualisierungin der Pädagogik haben kann, vor allem wenn er durch neoliberale Interessen gestützt wird.

Im folgenden soll zunächst ein Überblick zur historischen Entwicklung des Subjektbegriffs gegeben werden. Hierbei werden einige Theorien beschrieben, die in der Tradition der Aufklärung stehen. Danach folgt eine Erläuterung der Gefahren und Chancen die mit einer Individualisierung der Pädagogik verbunden seien können. Hier wird zunächst auf das lernende Individuum aus neoliberaler Sicht eingegangen. Anschließend folgt ein Überblick über die Individualisierung in der pädagogischen Praxis, wobei die Schulpädagogik und die Erwachsenenbildung deutlich voneinander getrennt werden.

2 Die Idee vom Individuum

In diesen Abschnitt soll die Entwicklung der gesellschaftlichen Sichtweise auf das Individuum im Geschichtlichen Zusammenhang betrachtet werden. Den Ausgangspunkthierzu soll hier die Aufklärung des 18. Jahrhunderts bilden, obwohl es nicht das erste malin der Geschichte ist, dass das Individuum ins Zentrum philosophischer Überlegungenrutscht. Jedoch wendet sich die Aufklärung vorrangig gegen die Lehrautorität der Kircheund die Vormacht des Geburtsadels, welche das Individuum Jahrhunderte lang an den Rand der Philosophie verbannt hatte und die Philosophie widmet sich satt theologischdominierter Themen den auf den Menschen bezogenen Themen (vgl. Meueler,2014).Wohl mit am nachhaltigsten wurde dies wohl durch Descartes, der sich selbst nochnicht als Aufklärer sieht, durch seine Aussage „Ich denke also bin ich“ geprägt. Er setztdas Individuum als erste absolute Gewissheit, welches nicht Gottes Gedanken erfährt,sondern seine eigenen. (vgl. Meueler, 2014)

An diese Erkenntnis knüpft wenig später die Aufklärung an: „Aufklärung ist der Ausgangdes Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangeldes Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitungeines anderen zu bedienen. Sapere aude: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zubedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“(Kant 1974, in Meueler, 2014 S. 13).Es geht in der Aufklärung also darum, dass jedes Individuum, wenn es ihm nicht an„Verstand“ mangelt, selbst über sein handeln bestimmen kann und keine Autoritätenbraucht, die ihm sein Leben diktiert. Den Zweifeln der Kirche, die Menschen bräuchten moralische Führung, begegnet die Aufklärung damit, dass die persönliche Mündigkeit zugleich soziale Mündigkeit bedeutet. Bei Kant wird Subjektivität als Struktur verstanden,in der das erkennende Subjekt in einer Selbstbeziehung auf sich als Objekt schaut, umsich selbst spekulativ zu begreifen (vgl. Meueler, 2014). In dieser „Selbstschau“ setzt Kantdie Vernunft als Oberste Instanz ein vor der sich jedes Individuum rechtfertigen muss(ebd.). Der Weg zur Vernunft führt für ihn von den allgemein gültigen Glaubensätzen überden Zweifel zur Kritik. Hierbei bedarf der Mensch keiner göttlichen Führung mehr, daunbezweifelbare Aussagen, wenn überhaupt nur aus dem Menschen selbst entstehenkönnen. Sie soll die Individuen in die Lage versetzen, aus eigener Kraft selbst zu denken.Hierbei gebraucht Kant zum ersten mal das Wort Seinsbestimmung, womit er die Fähigkeitmeint, sich eigene Ziele zu setzen und sich selbst ein Gesetz zu geben. Dies soll zu einer Gemeinschaft freier Subjekte führen, deren individuelles Handeln der Gemeinschaft dient,und daraus eine kollektive Gerechtigkeit entsteht, die wiederum die individuelle Entfaltunggarantieren soll. (vgl. Meueler, 2014)

Diese idealisierte Vorstellung rückt das Individuum so sehr in den Mittelpunkt, dass von da an das Subjekt als grundlegende und beinahe einzige Gewissheit menschlichen Denkens verstanden wird. „Die Beziehung des vorstellenden Subjekts zu sich selber wird zum einzigen Fundament letzter Gewissheit“ (Haberrmas 1985, in Meueler S. 17).

In der Folge der Aufklärung und der wahrscheinlich gerade durch diese ausgelöst, verhalfen bahnbrechende Erfindungen zur industriellen Revolution. In dieser Zeit entwickelt sich auch der Kapitalismus zur bestimmenden Gesellschaftsform und die Philosophie begann sich mit Fragen zum Verhältnis von Geist und Materie auseinander zu setzen. Hierbei wird alles stofflich wirklich als materiell und alle gesellschaftlichen Prozesse als geistig interpretiert. (vgl. Meueler, 2014)

Marx und Engels setzen hier an den Ideen der Aufklärung an. Durch die Beobachtung,dass die wirtschaftlich starken Personen im Grunde einfach nur den Adel und den Klerusabgelöst haben, sprechen sie nun nicht mehr von der selbstverschuldeten Unmündigkeit.Sie erklären die fremd verschuldete Unmündigkeit, die durch die Herrschaft der Eigentümer von Produktionsmitteln über die Eigentümer der Arbeitskraft zustande kommtund sich nicht von den klassischen Machtverhältnissen unterscheidet (ebd.). Siebeschreiben das Individuum als eine von Handlungszwängen gesteuerte Marionette.Deshalb ist hier der Mensch nicht mehr vernünftiges Individuum, sondern das Individuumkann nur in einer Gemeinschaft handelnder Menschen zu seiner bestmöglichen Entfaltung gelangen (ebd). Das Individuum ist hier sowohl Produzent und Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse. Es ist also als historisches Produkt der Gesellschaft zu sehen, als Trägergesellschaftlicher Gegebenheiten, die sich ohne Unterbrechung im Wandel befinden.„Aber das menschliche Wesen ist kein dem Individuum innewohnendes Abstraktum. Inseiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“(Marx 1965 in Meueler 2014S.21) Das soll allerdings nicht heißen, dass der Mensch hier keinen Einflussmehr auf sein eigenes Leben nehmen kann, da das Individuum durch seinen Einfluss aufdie Umwelt diese verändert, und diese wiederum das Individuum verändert.(vgl. Meueler,2014)

Diese Theorie des Individuums wird ab 1937 in der kritischen Theorie von Horkheimer und Adorno erweitert. Ebenso wie bei Marx und Engels bilden hier historisch gewachsene Strukturen in der Gesellschaft die Basis der individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung (vgl. Meueler, 2014 ). In der bisherigen Gesellschaftsentwicklung sehen Adorno und Horkheimer einen Prozess der Selbstzerstörung der Vernunft, indem dieseinstrumentalisiert und für Herrschaftszwecke benutzt wird (ebd.). Sie erkennen, dass die Aufklärung, welche sich gegen Aberglaube und Mythen richtete, nun selbst diese Rolleübernahm, was sie dem totalitären Charakter der Aufklärung zuschrieben. In ihren Augenstellt das Erbe der Aufklärung eine Gewaltherrschaft dar, alles am Maßstab der Rationalität zu messen und damit alles aus der Perspektive der Effektivität zu beurteilen.„Aufklärung wird mit der gehorsamen Unterordnung der Vernunft unters unmittelbar Vorfindliche erkauft.“(Horkheimer 1967in Meueler, 2014 S.32) Dieser Maßstab der Rationalität wir vor allem durch eine Ökonomie gefördert, die gegen jegliche menschlichen Zwecke Raubbau am Menschen und der Umwelt betreibt.(vgl. Meueler, 2014) „Die Vernunft selbst zerstört die Humanität die sie begründet hat.“(Horkheimer 1967 in vgl.Meueler, 2014, S. 33) Hier wird das Individuum als selbstbezogen beschrieben, welchesseine Beziehung zu Mitmenschen und zur Natur als rein instrumentell begreift und sichselbst unter dem Diktat der Ökonomie den wirtschaftlichen und technischen Fortschrittimmer wieder anpassen muss. Am Ende bleibt bei Adorno nur das „subjektlose Subjekt“,das seine Individualität eigens inszenieren muss.(vgl. Meueler, 2014) Er sieht das Individuum nicht als frei sondern als Funktion. Es sei nur dort frei, wo es um den Konsumgeht und der ist fremdbestimmt. Das subjektive Interesse an Freiheit und Selbstbestimmtheit wird dort unterminiert, wo die objektiven Zwänge die subjektive Handlungsfreiheit einschränken.(ebd.)

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Details

Title
Die Individualisierung der Pädagogik unter wirtschaftlichem Einfluss
College
University of Koblenz-Landau
Course
Theorien der Bildung und Sozialisation
Grade
2,0
Author
Year
2017
Pages
14
Catalog Number
V432835
ISBN (eBook)
9783668748866
ISBN (Book)
9783668748873
File size
470 KB
Language
German
Keywords
Bildung, Wirtschaft Ökonomie, Individualisierung, Pädagogik
Quote paper
Johannes Schwarz (Author), 2017, Die Individualisierung der Pädagogik unter wirtschaftlichem Einfluss, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/432835

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